Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

Mein Haus, das inmitten eines hübschen kleinen Palmenhaines lag, war nicht weit von dem des Häuptlings entfernt.

Es war selbst an diesem Abend recht gemütlich in meinem Schlafzimmer bei der brennenden Lampe, obgleich das leichtgezimmerte Gebäude bei jedem Windstoß bis in die Grundfesten bebte. Um zehn Uhr überzeugte ich mich noch einmal, daß die Fenster fest geschlossen waren, blies die Lampe aus und versuchte zu schlafen.

Aber meine Gedanken kehrten ohne Unterlaß zu Mama Rua zurück. War es möglich, daß der Geist dieser einfachen Menschen eine Macht über ihren Körper besaß, den unsere von der jahrhundertelangen Einwirkung der Zivilisation zermürbten Seelenkräfte verloren hatten?

Gleich den meisten Weißen in diesem Teil der Welt hatte ich gewisse, schwer zu erklärende Vorfälle miterlebt. Als der Häuptling von Amanu in einem in der Brandung kenternden Boot ums Leben kam, wußten die Bewohner von Manukura von seinem Tod und kannten alle Begleitumstände des Unglücksfalles einen Monat, ehe der Schoner die Nachricht brachte. Ich kann keiner Vermutung darüber Ausdruck geben, wie die Nachricht übermittelt wurde, aber für die Tatsache selbst kann ich einstehen. Seltsame Vorahnungen und Prophezeiungen gehörten hierzulande zu den Alltäglichkeiten, aber Mama Ruas Tod übte einen weit tieferen Eindruck auf mich aus als solcherlei Dinge. Gegen die Möglichkeit aber, daß ein menschliches Wesen, das sich allem Anschein nach voller Gesundheit erfreut, durch den bloßen Wunsch den Tod herbeiführen kann, sträubte sich nicht nur mein menschliches Gefühl, auch der Arzt in mir fühlte sich dadurch beunruhigt.

Von Terangis Mutter wanderten meine Gedanken zu ihrem unglücklichen Sohn. Damals wußte ich noch nichts von der Grotte auf Motu Tonga. Ich teilte de Laages Ansicht, daß Terangi während der Nacht entwichen und im Segelboot des Häuptlings aufs offene Meer hinausgefahren sei. Der arme Teufel! Zu dieser Stunde saß er entweder irgendwo auf einer Insel, auf der er bestimmt gefangen würde, oder aber er war mit Weib und Kind elend ertrunken. Die letztere Möglichkeit war wohl die wahrscheinlichere, und fast hoffte ich um seinetwillen, daß ihm dieses mir milder erscheinende Schicksal beschieden gewesen sei ...

Ich stand auf, zündete aufs neue die Lampe an und nahm den langweiligsten Roman, den ich besaß, mit ins Bett.

Der tat denn auch seine Wirkung; ich schlief ein und wachte erst gegen drei Uhr wieder auf. Ich öffnete die Türe, die zur Südveranda führte, und bemerkte sogleich, daß der Sturm noch zugenommen hatte. Der Mond stand nun hell am Himmel, um gleich darauf von vorüberjagenden Wolkenfetzen verdeckt zu werden. Zwischen den einzelnen Windstößen vernahm ich lauten, wilden Gesang. Die Bewohner von Manukura ließen nach uralter Sitte die Trauergesänge für Mama Rua erschallen.

Ich kleidete mich an, löschte die Lampe aus und kehrte zum Haus des Häuptlings zurück. Unterwegs behielt ich die sich im Sturme biegenden Palmen ängstlich im Auge, denn es sah aus, als könne jeden Augenblick einer der hohen Bäume entwurzelt werden.

Im »Salon« des Häuptlings lag die alte Frau aufgebahrt; sie war in ein Kleid aus schwarzer Seide gehüllt, und an ihrer Brust schimmerte eine Perlmutterbrosche. Die Kerzen zu Häupten und Füßen der Leiche flackerten und tropften unter dem Luftzug, der durch die Ritzen der Türen hereindrang. Nur die Frauen, welche die Totenwache hielten, befanden sich im Raum: Mata, die Frau des Häuptlings, eine Nichte Mama Ruas, und zwei Greisinnen mit schneeweißem Haar. Fakahaus Plüschsessel standen an ihren gewohnten Plätzen an den Wänden; die Frauen saßen zu beiden Seiten der Bahre auf der Erde. Die übrigen Leidtragenden hielten sich in den anderen Zimmern des Hauses auf, und auch die Veranda war voll Menschen. Hier saßen die Sänger in zwei langen Reihen; ihre Gesichter waren von zwei an der Decke hängenden Laternen schwach beleuchtet. Schlafende Kinder bargen den Kopf im Schoß ihrer Mütter, und einige der Frauen säugten während des Singens ihre Kleinen. Man spürte die ernste, würdige Stimmung der Singenden und die feierliche Freude, die es ihnen bereitete, die letzten Wünsche der Toten getreulich zu erfüllen.

Sie haben die Leute von den Tuamotu-Inseln noch nicht singen hören. Es ist wahr, man muß sich erst daran gewöhnen ... Ich erinnere mich noch gut des Eindrucks, den der Gesang auf mich machte, als ich ihn zum erstenmal vernahm.

Es war auf Kapitän Nagles Schoner in einer hellen Sternennacht, weit draußen auf hoher See. Dreißig bis vierzig Inselbewohner waren an Bord, Männer und Frauen, die zu einem Fest auf Makeno fuhren. Eines Abends versammelten sie sich auf dem Vorderdeck, und ganz plötzlich erklang einer ihrer Pari pari fenua, so heißen die uralten Gesänge der Eingeborenen. Ich bin im allgemeinen für Musik ziemlich empfänglich, aber ich kann wirklich nicht sagen, ob es der musikalische Eindruck war, der mich damals so tief berührte. Zuerst empfand ich eigentlich nichts als Staunen; niemals hatte ich Gesang gehört, der diesem hier auch nur im geringsten geähnelt hätte. Weit mehr als sonst etwas Polynesisches machte er mir die jahrhundertelange Absonderung dieser Rasse von allen anderen Zweigen der menschlichen Familie klar, die nötig gewesen war, um eine so völlig andersgeartete Kultur hervorzubringen. Ihre Harmonien klingen dem Ohr des Europäers zuerst mehr als seltsam, aber sie haben eine eigentümliche Schönheit, die um so stärker wirkt, je öfter man diese Musik hört. Mir wenigstens erging es so. Ich halte es für zweifelhaft, ob diese Töne in unserer Notenschrift überhaupt niedergeschrieben werden können. Jedenfalls weiß ich, daß Frau de Laage, die eine ausgezeichnete Musikkennerin war, es oft versuchte, einige der Melodien von Manukura aufzuzeichnen, es aber schließlich als unmöglich aufgab.

Unsere Insel war sowohl wegen ihrer Gesänge als auch wegen ihrer Sänger auf der ganzen Tuamotugruppe berühmt. Manche von den Leuten, insbesondere die Männer, hatten prachtvolle Stimmen; alle konnten singen und fast alle gut. Sie hatten vor allem ein erstaunlich gutes Gehör. Keinerlei Instrument begleitete ihren Gesang, und dennoch konnten sie ihre langen Chöre anstimmen und zu Ende singen, ohne einen einzigen falschen Ton.

Die Gesänge dauerten die ganze Nacht, zuweilen klagend, dann wieder freudig und jubelnd; jeder Gesang endete auf die gleiche Art mit einem tiefen, jäh endenden Summen der Bässe, gefolgt von einem lang anhaltenden Ausatmen der Männer und Frauen, das wie ein Seufzen klang. Währenddessen erzitterte das Haus ununterbrochen unter der Gewalt des Sturmes, und das Brüllen der gegen das nördliche Riff anstürmenden Brandung war lauter als ich es je zuvor gehört hatte; der Boden zitterte unter unseren Füßen. Einmal, als die Singenden eine Pause machten, sprach ich über diese beunruhigenden Anzeichen mit Fakahau, aber er lauschte nur mit halbem Ohr und antwortete mir zerstreut. Gleich den anderen Sängern war er bis ins Innerste aufgewühlt von den Empfindungen, welche die uralten Rhythmen seines Volkes in ihm erweckten.

Der Tag dämmerte schon, als Frau de Laage zurückkehrte. Nachdem sie der Toten die letzte Ehre erwiesen hatte, kam sie zu mir.

»Ich fange an, mich zu ängstigen, Doktor«, sagte sie leise. Sie lächelte bei diesen Worten, aber ich sah, daß sie sich ernste Sorgen machte. »Wissen Sie, wie das Barometer steht? Auf 28.70! Und dabei nimmt der Sturm von Minute zu Minute zu.«

Ich bemühte mich, meine Bestürzung über diese Mitteilung zu verbergen, aber ob es mir gelang, weiß ich nicht. In diesen Breiten schwankt der Barometerstand normalerweise zwischen 30.15 und 29.70. Der letztere Stand wird im allgemeinen nur während der Regenzeit beobachtet, wenn der Wind von Nordwesten kommt. Jetzt stand das Instrument einen vollen Zoll tiefer, und wir hatten kein Westwetter. Es wäre mir wohler zumute gewesen, wenn der Wind umgeschlagen wäre, denn das wäre ein Anzeichen dafür gewesen, daß der Sturm in östlicher oder westlicher Richtung an uns vorübergehen würde. So aber blies er stetig von Nordosten her. Falls ein Hurrikan unterwegs war, so bewegte er sich geradewegs auf Manukura zu. Der Gesang endete, als Vater Paul erschien. Ihm folgten zwei junge Männer, die einen Sarg aus groben Tannenbrettern trugen, über den ein Baumwolltuch gebreitet war. Als man die Leiche darauf gebettet hatte, legte der Priester ein Kruzifix in die kalten Hände der Toten und gab dem Häuptling ein Zeichen. Hintereinander betraten nun sämtliche Einwohner von Manukura den Raum; jeder Mann und jede Frau wollte Mama Rua Lebewohl sagen. Alle hatten sie feuchte Augen, und einige ältere Frauen weinten und klagten.

Dann nahmen die Sargträger ihre Last auf die Schultern und führten den Zug an, der sich zur Kirche bewegte. Einen unheilverkündenderen Tagesanbruch habe ich nie gesehen. Die Wolken, die am Himmel in südlicher Richtung dahinjagten, waren von schmutzig grüngrauer Farbe und verschleierten fast ohne Unterlaß die aufgehende Sonne.

Als wir die Kirche betraten, begann die Glocke zu läuten, ein schwacher, feierlicher Laut, fortwährend übertönt von dem Brausen des Sturmes. Dann, als der kurze Gottesdienst zu Ende war, machten wir uns auf den Weg zum Friedhof.

Es kostete uns viel Mühe, gegen den Sturm anzukämpfen, aber keiner blieb zurück; die jungen Leute stützten die Alten. Wieder ertönte Gesang, als Mama Rua in ihr Grab hinabgelassen wurde, aber ich konnte die Stimmen kaum vernehmen, und ich muß gestehen, daß ich in diesem Augenblick für nichts anderes Augen und Ohren hatte als für die See. Gischt schäumte bis zu uns herüber und durchnäßte uns wie ein Regenschauer; zeitweise verbarg sich das Riff völlig vor unseren Blicken, aber als wir während kurzer Augenblicke freie Sicht hatten, sahen wir graue Wogen, die sich haushoch emportürmten, gegen das Riff stürmten und das Ufer weithin überschwemmten. Der Ort, an dem wir standen, lag kaum zwei Fuß über dem Streifen des Strandes, der von der gewaltigen Brandung erreicht wurde.

Ein Zittern der Furcht schien mit einemmal durch die einsame Gruppe menschlicher Wesen zu gehen, deren Blicke jetzt schreckerfüllt dem Meere zugewandt waren, während Vater Paul sein Gebet sprach. Obgleich wir das immer stärker werdende Brüllen der Brandung während der ganzen Nacht gehört hatten, war – so glaube ich wenigstens – doch niemandem von uns vor diesem Augenblick so recht klar geworden, wie hoch das Meer inzwischen gestiegen war.

Wir gingen alle noch einmal rasch an dem offenen Grabe vorbei, um von Mama Rua Abschied zu nehmen, dann kehrten die Leute, von einem gemeinsamen Gefühl getrieben, beinahe gleichzeitig der feindlichen See den Rücken und eilten dem Dorfe zu. Ich blieb mit Vater Paul, Fakahau und Tavi auf dem Friedhof, während das Grab in Eile zugeschaufelt wurde. Wir duckten uns hinter die niedrige Mauer und blickten angstvoll auf die See hinaus. Immer höher und höher türmten sich die den Strand überflutenden Wogen, die schon beinahe die Mauer erreichten. Nie zuvor war mir diese Insel so unvorstellbar flach, so erschreckend unsicher erschienen. Einen Augenblick stand mir fast das Herz still, als ich daran dachte, daß dieser schmale Streifen Land unser einziger Schutz vor den heranstürmenden Fluten war.

Obgleich wir dicht nebeneinander standen, mußten wir laut schreien, um uns miteinander zu verständigen. Tavi, der angestrengt nach Norden geblickt hatte, wandte den Kopf. »Habt ihr es bemerkt?« brüllte er. »Alle Seevögel sind verschwunden. Ein schlechtes Zeichen! Sie spüren, daß Gefahr im Anzug ist.« Bis zu diesem Augenblick war mir diese Tatsache nicht zum Bewußtsein gekommen, aber Tavi hatte recht. Alle gefiederten Gäste Manukuras, Seeschwalben, Albatros, Fregattenvögel, waren vor dem Sturm geflohen. Etwas Ähnliches hatte ich noch nie erlebt, seit ich auf der Insel war.

Ich brüllte dem Häuptling ins Ohr: »Was glaubst du, Fakahau? Wird die See das Land überschwemmen?« »Schon möglich«, antwortete er gleichfalls laut schreiend. »Ein furchtbarer Sturm naht heran. Vielleicht ist es der Metangi hurifenua.«

Nichts konnte die uns drohende Gefahr deutlicher ausdrücken als dieses polynesische Wort, das wörtlich übersetzt »Der Wind, der das Land umwirft« bedeutet ...

»Die Kirche wird standhalten, wie heftig der Sturm auch sein mag«, sagte Vater Paul. Er sprach mit einer ruhigen Zuversicht, um die ich ihn beneidete, ohne sie völlig teilen zu können.

Das Grab war nun zugeschaufelt. »Kommt«, rief der Priester. »Wir können für unsere Freundin hier nichts mehr tun. Jetzt müssen wir an die Lebenden denken!«

Ich habe noch heute die Insel, wie sie sich an jenem Morgen meinen Blicken darbot, deutlich vor Augen. Die Stämme der Palmen bogen sich so wild hin und her, daß es schien, als könnten sie dem Sturm nicht mehr lange Widerstand leisten. Durch den ununterbrochenen, dichten Sprühregen, der vom Riff herübergeweht wurde, vermochte man nur wie durch einen Schleier über die Dorfstraße jagende Menschen zu erkennen. Manche suchten eilends ihre Kinder in Sicherheit zu bringen; andere wieder bemühten sich verzweifelt, ihre leichtgefügten Strohhütten mit Tauen an Bäumen zu befestigen. Einmal sah ich, wie ein Häuschen über eine offene Stelle gefegt wurde, bis es an zwei Baumstämmen zerschellte. Andere Hütten waren bereits vom Sturm weggeblasen worden; die einfachen Einrichtungsgegenstände, die sich darin befunden hatten, bedeckten weithin die Lagune. Es war mir klar, daß alle Strohhütten verloren waren; auch die Eingeborenen hatten das begriffen; rasch packten sie ihre Habseligkeiten in Bündel und suchten Zuflucht in der Kirche, dem Haus des Häuptlings und Tavis Laden.

Alle möglichen Trümmer flogen durch die Luft; am gefährlichsten aber waren die in Büscheln zusammenhängenden Kokosnüsse, die sich von den Palmen losrissen. Gerade als ich Tavis Haus erreichte, wurde ein Knabe mit einem gebrochenen Arm hereingebracht, und während der nächsten halben Stunde war ich damit beschäftigt, den Arm einzurichten.

Ich hatte diese Arbeit soeben beendet, als ich vom Ufer her Rufe durch den Sturm dringen hörte. Eine Gruppe von Menschen, die hinter Tavis Kopraschuppen Deckung gesucht hatten, starrte angestrengt auf die Lagune hinaus. Kaum eine halbe Meile vom Ufer entfernt war ein Segelkanu sichtbar, das sich dicht vor dem Winde auf uns zu bewegte. Und nun konnte man auch erkennen, daß sich vier Menschen in dem Boot befanden. Sogar aus dieser Entfernung war deutlich zu erkennen, daß der Mann, der sich mit aller Kraft gegen das Steuerruder lehnte, ein geborener Seemann sein mußte. Und schon erhob sich ein Ruf rings um mich her und wurde lauter und immer lauter: »Terangi!«

Es war ein prachtvoller Anblick. Trotz des Gegengewichtes der Menschen auf der Spiere neigte sich das Boot schwer über Steuerbord, aber immer erhob es sich wieder und schoß durch die Lagune wie ein Rennboot in voller Fahrt.

Als das Kanu sich dem Pier genähert hatte, liefen einige Männer in das seichte Wasser, um bei der Landung zu helfen. Terangi überließ ihnen das Boot und watete, seine Tochter im Arm, ans Ufer, gefolgt von Marama und Mako. Eine alte Frau schlang ihre Hände um seine Schultern und rief jammernd: » Aué, Terangi! Du bist zu spät gekommen! Deine Mutter ist tot! Tot und begraben ...«

Terangi blickte rasch von einem zum anderen, und in jedem Gesicht las er die Bestätigung der traurigen Botschaft.

Immer mehr Leute eilten herbei, unter ihnen auch Fakahau. Ohne ein Wort zu sprechen, geleitete der Häuptling Terangi und die Seinen in Tavis Laden; wir anderen folgten.

Ich war über das plötzliche Auftauchen Terangis und seiner Familie über alle Maßen erstaunt. Wahrhaftig – ich traute meinen Augen nicht! Ich sah den Mann damals zum erstenmal, denn er war, wie Sie sich erinnern werden, während der ganzen Zeit, die ich auf Manukura zugebracht hatte, in Tahiti im Gefängnis gewesen. Es war klar, daß das Kanu von Motu Tonga gekommen war; wie es dorthin gelangt war und wo Terangi und die Seinen sich versteckt hatten, während wir so gewissenhaft nach ihm suchten, wußte ich mir in jenem Augenblick gar nicht zu erklären.

Bald waren fast alle Familienoberhäupter von Manukura in Tavis Laden versammelt; an den Fenstern und Türen drängten sich die Frauen, Kinder und jungen Leute und starrten den Flüchtling mit weitaufgerissenen Augen an.

Terangi mußte durch die Nachricht, die er soeben erhalten hatte, tief erschüttert sein, aber äußerlich zeigte er sich vollkommen ruhig. Er hob die Hand, um Schweigen zu gebieten.

»Jetzt ist keine Zeit für viele Worte«, sagte er. »Ein Sturm, der unser aller Leben bedroht, wird diese Insel bald erreichen. Das höchste Land ist auf Motu Tonga, und die Lagune schützt es gegen nördliche Winde. Ich bin hierhergekommen, um euch den Rat zu geben, eure Segelboote fahrtbereit zu machen und auf Motu Tonga Zuflucht zu suchen. Aber jene unter euch, die meinem Rat folgen wollen, müssen sich sogleich auf den Weg machen. In einer Stunde kann es zu spät sein!«

Ein Gemurmel ging durch die Versammlung, als Terangi sich setzte. Einige waren dafür, den Rat zu befolgen. Andere konnten oder wollten noch nicht glauben, daß uns ein Hurrikan bedrohte.

Nun erhob sich Fakahau; seine tiefe, klangvolle Stimme übertönte das Getöse des Sturmes und der Wogen.

»Terangi hat gesprochen«, sagte er. »Er ist unter Lebensgefahr von Motu Tonga zu uns gekommen, um uns zu warnen. Wir dürfen vor der Gefahr, die uns droht, nicht die Augen schließen! Nur wenn wir überlegt und weise handeln, können wir uns retten. Heute abend wird der Mond voll sein. Erst dann wird das Schlimmste kommen. Ich glaube, daß das Meer den Boden, auf dem wir uns jetzt befinden, überschwemmen wird, aber mein Platz ist hier bei denen, die zu alt sind, um fortgebracht zu werden. Jeder von euch kann wählen und das tun, was ihm für sich und seine Familie am besten erscheint. Jene aber, die nach Motu Tonga gehen wollen, mögen sogleich die Segel hissen. Es ist keine Zeit zu verlieren!«

Der Häuptling sandte junge Männer längs der Dorfstraße nach beiden Richtungen aus, um die anderen Einwohner zu benachrichtigen. Keinerlei Befehle wurden gegeben, denn in solchen Zeiten blieb die Entscheidung darüber, was zu geschehen habe, vollkommen dem Familienoberhaupt überlassen.

Inzwischen hatte sich der Himmel im Norden mit schwarzen Regenwolken überzogen. Der Sturm, der nunmehr zu einem wirklichen Orkan geworden war, trieb die Wolken mit ungeheurer Geschwindigkeit vor sich her. Und bald prasselte der Regen mit furchtbarer Gewalt auf uns nieder.

Als die Regenbö vorübergezogen war, machte sich das erste Boot bereit, die Lagune zu überqueren. Eine ganze Familie, die Nahrungsmittel und Bettzeug mitgenommen hatte, nahm darin Platz. Ein halbes Dutzend Nachbarn hielten das kleine Fahrzeug fest, während das dreifach gereffte Segel wild im Sturm knatterte. Der Vater am Steuerruder gab den anderen ein Zeichen; das Boot wurde losgelassen und schoß davon; das Segel füllte sich mit solcher Plötzlichkeit, daß der dünne Mast wie eine Angelrute hin und her schwankte. Einen Augenblick später war das Boot in dem Regen, der mit erneuter Gewalt eingesetzt hatte, verschwunden.

Kanu auf Kanu folgte während der nächsten Stunde. Ich bewunderte den Mut derer, die sich den schwanken Fahrzeugen in solchem Wetter anvertrauten; ich muß gestehen, daß ich mich um keinen Preis einer solchen Gefahr ausgesetzt hätte!

Aber der Sturm wurde immer noch stärker, und bald mußten die Leute einsehen, daß es im höchsten Grade unklug gewesen wäre, weitere Versuche zu machen, die acht Meilen entfernte Insel Motu Tonga zu erreichen. Und dennoch wurde ein letztes Kanu fahrtbereit gemacht, obgleich die Besonneneren, unter ihnen Terangi, vor dem tollkühnen Wagnis warnten. »Es ist jetzt zu spät«, sagte Terangi ernst. »Der Hurrikan nähert sich uns. Ihr werdet von ihm überrascht werden, wenn ihr von eurem Vorhaben nicht ablaßt.«

Aber der Mann, der mit seiner Frau, seinen drei Kindern und seinem Schwiegervater das Kanu bereits bestiegen hatte, wollte auf die Warnung nicht hören. Er nahm seine Steuerpaddel zur Hand und forderte die Männer, die das Boot hielten, auf, es loszulassen. Da sie sahen, daß weiteres Zureden zwecklos war, taten sie es. Das kleine Fahrzeug bewegte sich rasch vom schützenden Ufer weg und begann wild auf den Wogen zu tanzen.

Die Zuschauer am Strande blickten ihm angstvoll nach; die Frauen rangen die Hände. Ein Regenschleier entzog es einen Augenblick unseren Blicken, dann tauchte das Kanu etwa eine Meile entfernt wieder auf. Als es von den Wellen hoch emporgeschleudert wurde, traf ein heftiger Windstoß das Segel mit voller Wucht. Ein Schrei entrang sich den Zuschauern, als das Boot sich zur Seite neigte und kenterte. Dann sahen wir es nicht mehr.


 << zurück weiter >>