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Was ist aber das ewige Leben, daß ich mich dessen so hoch erfreuen und so sehr danach trachten soll? Ich rede mit meinem Herzen, sagt David (Ps. 77.), und mein Geist muß forschen. Was hats für eine Bewandtniß mit dieser Freude, Lust und Herrlichkeit?
O liebe Seele, es ist ein Leben der inbrünstigen reinen Liebe, ein recht hochzeitlich Leben in lebendiger, süßer Himmelslust, und ein Leben der unauflöslichen Gemeinschaft, welche die Auserwählten mit Gott dem Vater, mit Gott dem Sohn, und mit Gott dem heiligen Geist in Ewigkeit haben, voll alles Trostes, voll aller Freuden und voll aller Herrlichkeit; dazu ein Leben in eitel heilige Liebe gefasset, mit heiliger Liebe verbunden und auf heilige starke Liebe gegründet, also daß die ganze heilige Dreifaltigkeit, der wahre Gott, alle auserwählten Engel und Menschen mit seiner unaussprechlichen Liebe wie mit einer feurigen Mauer stark umringt, beschließt und umfängt, und läßt sie in ihm wie in einem wunderschönen Tempel wunderlieblich ruhen und frohlocken. Und gleich wie er sie liebet, also wird er von ihnen mit vollkommener Gegenliebe so herzlich wieder geliebt, daß er durch dies Band und Mittel der inbrünstigen Liebe und Gegenliebe sehr lieblich in ihnen als in seinen edlen Lusthäusern und Palästen mit seiner großen Güte, Kraft, Freude, Herrlichkeit, Weisheit und Gerechtigkeit residirt, wohnet und ruhet, und machet sie theilhaftig seiner göttlichen Natur. Daher sie denn alle miteinander durch solche Einwohnung des lebendigen Gottes sind wunderschön, wunderstark und nach gegebenem Maaß vollkommen weise, vollkommen gerecht, vollkommen heilig, freundlich, fröhlich und aller Tugenden voll; lieben Gott ihren Herrn von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von allen Kräften, und darnach einer den Anderen als sich selbst. Halten sich vermittelst solcher Liebe und Einigkeit zusammen wie Glieder Eines Leibes, mit dem heiligen Geist als mit Gottes Athem durch und durch lieblich erfüllet, sind alle eins in Gott und Gott eins mit ihnen und sie alle mit einander, Gott, Engel und Menschen wie Ein Leib und Ein Geist, voll aller himmlischer Freuden, voll himmlischer Wollust und voll ewigwährender Herrlichkeit.
Siehe, du liebe Seele, eine solche Bewandtniß hat es mit dem ewigen Leben. So ists ein Paradies, so ein Freudensaal, so eine Stadt Gottes, so ein Land der Lebendigen und eine solche Hochzeit, da Gott mit seinen heiligen Engeln, Patriarchen, Propheten, Aposteln und allen Auserwählten, welche von diesem Jammerthal dahin gefahren sind, lebet, herrschet und regieret in eitel inbrünstiger Liebe, in Liebes-Kraft, Liebes-Freude, Liebes-Herrlichkeit und Liebes-Klarheit. Es brennet, leuchtet und wettert daselbst allenthalben von heiliger feuriger Liebe, und in heiliger, reiner, feuriger Liebe sind sie alle, nämlich die Engel und Menschen mit Gott und in Gott wie Ein Kuchen, daß sie nichts thun, nichts reden, auch nichts gedenken, es fleußt alles aus reiner inbrünstiger Liebe. Ihre herzliche Freude unter einander ist eine Freude und Frohlockung der Liebe. Ihre Einigkeit und Verknüpfung ist ein Bund der Liebe. Ihr Licht und Klarheit ist ein Glanz und Schein der Liebe. Ihre Psalmen und Freudenlieder sind fröhliche Verkündigung und Ausbreitung der heiligen Liebe. Ihr ewiges Gespräch ist ein ewiger Ruhm der ewigen Liebe. Ihr Schmuck, Gewalt und Ehre ist eine prächtige Herrlichkeit der Liebe und ihre holdselige Gemeinschaft ist eitel Trost, eitel Erquickung, eitel Lieblichkeit, und eine reine, heilige Lust der reinen heiligen Liebe. So gar hat da die Liebe Alles eingenommen, Alles besessen und Alles stark in Eins geknüpft, daß es kein Tod noch Hölle, keine Gewalt noch Macht, weder Hohes noch Tiefes, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges kann trennen noch von einander reißen.
In dies wunderschöne Königreich ist kommen der bekehrte Schächer am Kreuz, welchem der Sohn Gottes die trostreiche Verheißung zurief: Wahrlich, Ich sage Dir, heut wirst Du mit mir im Paradiese sein! (Luc. 23, 43). Dahin ist kommen der arme gottselige Lazarus, als er nach Ueberwindung des Todes im Glauben von den heiligen Engeln in Abrahams Schooß mit Freuden getragen ward (Luc. 16, 22). Dahin kam der heilige Stephanus, als er den Himmel offen sah und seine Seele dem Herrn JEsu am letzten Ende zu Gnaden befahl (Apostg. 7). Auch sind dorthin zu allen Himmelreichs-Bürgern versammlet worden unsere in Gott verstorbenen seligen Freunde, Vater, Mutter, Mann, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, Verwandte und Bekannte, und ruhen fröhlich in Gott, der sie mit allen heiligen Engeln wunderlieblich anlacht, tröstet und erquickt, daß sie dieser Welt auch nicht einen Augenblick wieder begehren. O des alleredelsten Lebens, welches sie daselbst leben, ohne Tod und Anfechtung, daß es mit allen Ehren recht heißen mag: das ewige Leben!
Aber, sprichst du, woher kommt uns diese Beschreibung und was hat sie für Grund und Zeugniß? Sagt nicht die Schrift, es habe es kein Auge gesehen und kein Ohr gehöret und sei in keines Menschen Herz gekommen: – wie darfst du denn so kühnlich davon reden?
Antwort: Es ist wahr, Sanct Paulus zieht an den Spruch aus dem Propheten Jesaias (c. 64) und schreibt (1 Cor. 2), daß kein Auge gesehen und kein Ohr gehöret habe, auch in keines Menschen Herz kommen sei, was Gott bereitet hat denen die ihn lieben. Aber doch setzt er diese Worte hinzu: »Uns aber hat es Gott geoffenbaret durch seinen Geist. Denn der Geist erforschet alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit. Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, ohne der Geist des Menschen, der in ihm ist? Also auch Niemand weiß, was in Gott ist, ohne der Geist Gottes. Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist. Welches wir auch reden nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der heilige Geist lehret.«
Mit diesem Zusatz giebt der Apostel genug zu verstehen: ob schon das ewige Leben sich nicht läßt auf dieser Welt mit menschlichen Sinnen und natürlicher Spitzfindigkeit erforschen noch ergründen, so sei es der Christenheit dennoch nicht unverborgen, sondern durch den heiligen Geist offenbaret und so reichlich entdeckt, daß man aus solcher Offenbarung, in prophetischer und apostolischer Schrift verfasset, wohl vernehmen und erfahren kann, wie reichlich wir von Gott begnadigt sind und was er für ein seliges Gut bereitet hat denen die ihn lieben. An diesem geoffenbarten göttlichen Wort mangelts uns nicht, das haben wir genug, und wer da will, kann es lesen, anhören und erwägen. An uns selbst aber mangelts, daß es unser Fleisch und Blut, der natürliche Mensch, nicht kann begreifen, sondern ist irdisch gesinnet und traget zu dem Wort des Lebens schläfrige Augen, taube Ohren und ein kaltes träges Herz, das dem Reiche Gottes nicht nachtrachtet. Das Licht, sagt die Schrift (Joh. 1, 5; 3, 19), scheinet in der Finsterniß, und die Finsterniß hat es nicht begriffen. Denn die Menschen liebten die Finsterniß mehr denn das Licht.
Darum mögen wir wohl unsere große Blindheit, Finsterniß und unser träges Herz beweinen, daß wir gleich als über Tisch sitzen und verschlafen die königliche Mahlzeit und das herrliche Essen. Wir haben die Beschreibung des ewigen Lebens dicht vor uns in Gottes Wort, und sehen den Wald vor Bäumen nicht. Wir achten wenig darauf, lassen unsere Gedanken anders wohin flattern und bilden uns danach ein, es sei der Christenheit aus Erden schlechterdings verborgen. Nicht also, meine Seele, da wache auf, die du schläfest, und merke auf das Wort, so wird dich Christus erleuchten! Wenn du fändest köstliche Perlen auf einem Acker, würdest du nicht hingehen mit Freuden und verkaufen alles was du hast, und bringen den Acker an dich, daß du dem heimlichen Schatz mochtest nachgraben? Ist's nicht also: was man liebet, dem denket man nach, und wo man hoffet ein Gut zu finden, da wirds gesucht? Nun ist ja die heilige Schrift ein himmlischer Acker, mit Gottes Wort besäumet, darunter der Schatz des ewigen Lebens verborgen liegt – warum suchen und forschen wir denn nicht darin? was sind wir so träg, so kalt und so verdrossen? Suchet, spricht der Sohn Gottes (Joh. 5), » suchet in der Schrift! Denn ihr meinet (und das mit Recht), ihr habet das ewige Leben darin«. Werden wir diesem Rath folgen und fleißig auf die Schrift achten, als auf ein Licht, das da scheinet am dunkeln Ort, so wird der Tag lieblich anbrechen und der Artikel vom ewigen Leben wie der Morgenstern sehr hell und sehr tröstlich in unserm Herzen aufgehen.
Was sagt nun die Schrift vom ewigen Leben? was offenbaret sie von seiner großen Herrlichkeit? O liebe Seele, es werden herrliche Dinge darin gepredigt von der Stadt Gottes, wie sie auf den heiligen Bergen gegründet sei, und wie sie der Herr über alle Wohnung liebe. Sie heißet die Auserwählten: Himmelsbürger, fröhliche Hochzeitsleute, Gottes Kinder, Gottes Braut, Gottes Freunde, des heiligen Geistes Tempel und Wohnung, vollkommen in der Liebe und vollkommen eins mit Gott durch eitel inbrünstige Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Sie predigt herrliche Dinge von eitel reiner Liebe, Liebes-Freude, Liebes-Herrlichkeit. Gott ist die Liebe, sagt sie (1 Joh. 4, 16), und wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm. – Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeiget, daß wir Gottes Kinder sollen heißen. Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder, und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden; wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir Ihm gleich sein werden (1 Joh. 3, 2). Die Weissagungen werden aufhören und die Sprachen werden aufhören, wie auch der Glaube und die Hoffnung – aber die Liebe wird nimmermehr aufhören (1 Cor. 13). Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote: du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüth, und deinen Nächsten als dich selbst (Matth. 22). Wer Gott liebet, derselbige ist von ihm erkannt (1 Cor. 8, 3). Es wird weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur uns scheiden von der Liebe Gottes die in Christo JEsu ist, unserm Herrn (Röm. 8). Vater, spricht Christus, ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die Du mir gegeben hast, daß sie eins seien, gleich wie wir eins sind; ich in ihnen und Du in mir, auf daß sie vollkommen seien in Eins und die Welt erkenne, daß Du mich gesandt hast und liebest sie, gleich wie Du mich liebest. Vater, ich will, daß wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast, daß sie meine Herrlichkeit sehen, die Du mir gegeben hast. Denn Du hast mich geliebet, ehe denn die Welt gegründet ward. Ich habe ihnen deinen Namen kund gethan und will ihnen kund thun, auf daß die Liebe, damit Du mich liebest, sei in ihnen und ich in ihnen« (Joh. 17).
Heißet aber das nicht von eitel himmlischer Liebe predigen und alles unter die Liebe begreifen, also daß das ewige Leben fürwahr nichts ist denn ein Leben der fröhlichen, inbrünstigen Liebe zwischen Gott und seinen auserwählten Kindern? Was fordert nun das Gesetz im Grunde Anderes als ein solch Leben der vollkommenen Liebe? Und wo wird's mächtiger und prächtiger erfüllt als im dritten Himmel? Wozu hat uns auch Christus vom Teufel, vom Tode und aus der Hölle erlöst, und den feurigen Zorn seines Vaters mit seinem Blut gestillt, denn daß wir mit Gott wiederum in herzlicher Liebe stehen und in ewiger Liebe ewiglich mit ihm leben möchten? Was ist süßer, was ist edler, was ist lieblicher und gebieret mehr Freude denn die Liebe? Was ist auch stärker als die Liebe? Und was knüpfet Gott, Engel und Menschen näher und fester zusammen, als die vollkommene Liebe? Die Liebe, spricht Salomo (Hohel. 8, 6), ist stark wie der Tod, und ihre Gluth feurig und eine Flamme des Herrn.
Von solcher feurigen Gluth und Flamme der reinen vollkommenen Liebe brennet und leuchtet nun der Himmel droben mit allen seinen Einwohnern. Der Herr Christus nennet's mit wenigen Worten eine Erkenntnis Gottes. »Das ist, sagt er, das ewige Leben, daß sie Dich, daß Du allein wahrer Gott bist, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen« (Joh. 17). Solches ist wohl zu merken und fest zu behalten. Denn wo in der Schrift wahre Liebe, z. B. eheliche Liebe und andere Freundes-Liebe sammt ihrer Freude, Lust und lieblichen Werken beschrieben wird, da gebraucht sie das Wort: erkennen. Adam, sagt sie, erkannte sein Weib Heva. Hier weiß man wohl, was die Schrift meinet und wie sie die eheliche Liebe um der Zucht willen mit dem Wörtlein »erkennen« andeutet. Desgleichen spricht Gott zum Volk Israel: Aus allen Geschlechtern auf Erden habe ich allein euch erkannt (Amos 3). Ferner sagt der Herr Jesus: »Ich erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen. Wie mich mein Vater kennet und ich kenne den Vater« (Joh. 10). Diese und andere ähnliche Sprüche reden von eitel lieblicher Erkenntniß und zeugen von Gottes inbrünstiger Liebe gegen uns, die er in der That und in der Wahrheit beweiset. Und bestehet also auch das ewige Leben in wahrer Erkenntniß Gottes und seines eingebornen Sohnes, das ist in himmlischer, reiner Liebe und im lieblichen Genusse der wundersüßen Liebe Gottes, daß man schmecke die reichen Güter seines Hauses und daß der Mensch lebe in ewiger Liebe mit ihm verbunden, dazu theilhaftig der göttlichen Natur und eine Wohnung Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.
Etlichermaaßen wird uns dies himmlische Leben auch in einer wohlgerathenen Ehe und schönen Haushaltung vorgebildet. Denn wo in einem Hause zwischen Mann, Weib, Kindern, Brüdern, Schwestern und ganzem Hausgesinde alle gebührliche Liebe in rechter Ordnung waltet und herrschet, daß sie sich unter einander von Herzen lieb und werth haben, da ist ihre Liebe ein Vorbild des himmlischen Lebens und wird mit Recht gesagt: hier sei der halbe Himmel und Gott wohne mit seinen lieben Engeln in einem solchen Hause. Desgleichen wo Bräutigam und Braut mit herzlicher Liebe sich lieben, da ist ihr Leben auch wie ein Paradies-Leben und können sie lange Zeit damit hinbringen, daß sie derselben nicht gewahr werden, wie die Schrift von Jakob, dem Erz-Patriarchen bezeuget, daß er um seine Braut Rahel sieben Jahre gedienet und ihn gedäucht habe als wären es einzelne Tage gewesen, wegen der großen Liebe, die er zu ihr trug (1 Mos. 29).
Was ist aber solche Liebe, Lust und Freude gegen die vollkommene Liebe, Freude und Herrlichkeit des ewigen Lebens, da alles leuchtet und brennet von unaussprechlicher himmlischer Liebe? Haben Jakob und Rahel in keuscher Liebe so ein Leben geführt, daß ihnen sieben Jahre nur wie sieben Tage erschienen – was muß denn das ewige Leben im Himmel für ein Leben der süßen inbrünstigen Liebe sein, da alle auserwählten Engel und Menschen Gott, ihren Herrn und Heiland, so herzlich lieben, werden auch von ihm wiederum mit so großer Liebe umfangen, und sind daneben einer gegen den Andern in wahrer Liebe so lieblich angezündet und entbrannt, daß über diesem süßen Leben, über dieser Freude und Lust der himmlischen Liebe ihnen tausend Jahre scheinen kaum ein einziger Tag zu sein? Denn auf dies Geheimniß der himmlischen Freude siehet St. Petrus, da er schreibt (2 Petri 3, 8): »Eins sei euch unverhalten, ihr Lieben, daß ein Tag vor dem Herrn ist wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag.«
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