Friedrich Nicolai
Geschichte eines dicken Mannes
Friedrich Nicolai

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Einundvierzigster Abschnitt

Beschluß

Gute Kenner haben die Bemerkung gemacht, daß Frauengunst sich nicht leicht ändere. Hat Liebe einmal in dem Herzen eines edlen Weibes tiefe Wurzeln gefaßt, so wird sie selten ganz auszureuten sein. Sie sind beständiger, die holden Geschöpfe, als die Männer; sie ertragen eher Leiden wegen ihrer Gunst als diese und bleiben ihrer Empfindung getreuer, wenn sie dieselbe auch verbergen. Auch in Sophiens Herzen war die Zuneigung gegen Anselm nie ausgelöscht worden. Sie hatte sie unterdrückt, aus Pflicht; sie hatte viel gelitten, als ihr ihr Mann wegen dieser Zuneigung Vorwürfe machte, noch mehr, als sie Anselmen für unbeständig und sittenlos halten mußte. Sie hatte sogar nach dem Tode ihres Mannes dieser Zuneigung mit wahrem Edelmute entsagt, als sie glaubte, sie käme mit der Pflicht gegen ihre Kinder in Kollision. Nun aber, da diese Kollision wegfiel, da sie ihren Anselm täglich vor sich sah, da derselbe durch Elend wie durch eine Feuerprobe geläutert fester in Gesinnungen sich zeigte und seine ihm natürlichen guten Eigenschaften, die er nie ganz verleugnet hatte, dadurch in noch vorteilhafterm Lichte erschienen, da Philipp Fürsprache für ihn tat, da sie sah, daß ihr Hauswesen und ihre weitläuftigen Handlungsgeschäfte einen Vorsteher und ihre Kinder einen Vater nötig hatten: konnte sie sich selbst nicht versagen, nach so vielen ausgestandenen Leiden glücklich zu werden.

Sie gab ihrem Anselm die Hand, um nun mit einem Manne vereint zu leben, den sie liebte, den sie von ihrer ersten Jugend an geliebt hatte, nachdem sie solange hatte mit einem Manne vereint leben müssen, den sie nicht lieben, nicht einmal hochachten konnte. Anselm sah jetzt alle seine Wünsche erfüllt; denn er ward mit einer Frau vereinigt, die er, je mehr er sie kennenlernte, verehren mußte. Er ward vor sich selbst gedemütigt, wenn er ihre Tugend, ihre Bescheidenheit, ihre Entäußerung, die beständige Beobachtung ihrer Pflicht unter vielen Leiden mit seiner bisherigen Torheit und Unbeständigkeit unparteiisch verglich, aber er ward aufgerichtet und in guten Entschlüssen bestärkt durch ihr Beispiel. Der Mann wird gewiß nicht ganz niedrig und unweise handeln, der einer hochachtungswürdigen Frau gefallen will; denn die leiseste Besorgnis, ihre Liebe zu sich zu vermindern, läßt ihn nicht leicht einen Schritt von dem Wege zum Guten wanken. Sophie unterstützte ihn in dem Bestreben nach allem, was edel und gut ist; er sie in allen Vorfällen des Lebens. Ihre wechselseitige Liebe nahm zu, mit derselben ihr wechselseitiges Glück.

Die Beobachtung seiner Pflichten ward nun Anselms ernsthaftes Bestreben. Die Handlung gehörte den Kindern erster Ehe und mußte billig für sie erhalten werden. Unser Doktor schuf sich also ganz in einen Kaufmann um; aber er war jetzt weise genug geworden, nicht wieder seinen Einbildungen zu folgen und verbessern zu wollen, was er nicht genug verstand. Er folgte Philipps Rat, und demselben gemäß ließ er die Handlung den Weg gehen, in den sie schon durch Verstand und Erfahrung geleitet war. Die fernere Führung und Verbesserung derselben überließ er den Komtorbedienten von geprüfter Treue, die in derselben länger gearbeitet hatten, und begnügte sich, sie fleißig im Allgemeinen zu übersehen und durch ihre Erfahrung seine eigenen Begriffe zu berichtigen.

Die Erziehung der Kinder seiner Frau und seiner eigenen hielt er für seine wichtigste Pflicht. Die heilige Mutter Kirche verstattet den Protestanten in Köln am Rheine nicht einmal, eine Schule zu haben. Sie will dadurch, schlau genug, dieselben nötigen, die Kinder bei den P. P. Jesuiten in die Schule zu schicken. Anselm hielt aber nichts von Jesuiten, selbst nicht, nachdem er den so gelehrten als aufgeklärten Abbé Spitzhaupt näher hatte kennen lernen. Um nun die Kinder in einer Schulgesellschaft zu erziehen, welches er der einsamen Privaterziehung weit vorzog, ward jenseits des Rheins, auf Pfälzischem Grunde, ein kleines Landgut gekauft, welches die Familie während dem schönsten Teile des Jahres bewohnte. Hier entstand unvermerkt ein wahres, nicht eingebildetes, Philanthropin, weil die meisten protestantischen Familien aus Köln ihre Kinder dahin schickten. Hier arbeitete er und seine liebe Sophie an der Entwicklung der geistigen und körperlichen Kräfte der Kleinen, um sie unter Aufsicht würdiger Lehrer zu guten und brauchbaren Menschen zu bilden, und sie wurden doppelt glücklich durch ihre Liebe. Seine Manufakturkenntnisse nützte er, um für die Kinder im Dorfe eine Industrieschule anzulegen. Hier ward ihr Verstand, nach der Methode des edlen Rochow, zweckmäßig gebildet, und sie lernten zugleich unter Aufsicht von Frau Sophien, ihren Fleiß von der ersten Jugend an in Arbeiten zu üben, welche ihnen nützlich werden konnten und bis dahin in der dortigen Gegend lange nicht allgemein genug gewesen waren. Seine medizinischen Kenntnisse wendete er an, um nicht nur die Landleute zu besorgen, wenn sie krank waren, sondern auch, soviel möglich war, durch vernünftigen Rat, Krankheiten zu verhüten und nach und nach Vorurteile auszurotten, welche der Gesundheit schädlich sind, worauf er besonders schon in den beiden Schulen sein Augenmerk richtete.

So fand er nun sein Glück darin, daß alles in seinem Hause wohlging, daß außer seinem Hause, soweit sein natürlicher Wirkungskreis sich erstreckte, kein Armer ohne Arbeit, kein Hilfloser ohne Hilfe war und keine Träne floß, die er abtrocknen konnte. Kennt der Leser einen bessern Plan, das Leben froh zu genießen, für einen reichen Mann, der keine bestimmten Geschäfte hat, und auch für den, welchem bestimmte Geschäfte noch Zeit zum edlen Vergnügen lassen: so sag ers an. Nur setzt ein solcher Plan Kenntnisse und Eigenschaften des Geistes und des Herzens voraus, die nicht jeder reiche Mann besitzt, aber billig bemüht sein sollte, von seiner ersten Jugend an zu erwerben. Auch will ein solcher Plan nicht etwa bloß in der Einbildungskraft gefaßt und zierlich beschrieben sein, sondern er muß mit Ernst und Ausdauern ausgeführt werden, wofern wirklich dadurch das Leben beglückt werden soll.

Diese ernste Ausführung guter Entschlüsse fehlte unserm Anselm in der ersten Hälfte seines Lebens. Daher half ihm sein guter Wille sehr wenig und seine besten Kräfte gingen verloren: weil er das Gute wirklich zu tun allzu leichtsinnig und allzu gemächlich war und sich mit schönem Sprechen und schönen Einbildungen begnügte. Fühlte er sich ja eine Zeitlang glücklich: so ward er es durch andere, welche für ihn sorgten und selbst seinetwegen Entäußerungen ausübten, die er hingegen nie ausüben zu müssen glaubte.

Daß aber jeder Jüngling, der während seiner jugendlichen Jahre seine besten Kräfte im Taumel der Leidenschaften und des Leichtsinnes verschwendet, immer einen Philipp oder eine Sophie finden werde, durch die er aus den Verlegenheiten gezogen würde, in die ihn seine Unbesonnenheit gestürzt hat: ist eben nicht mit völliger Gewißheit zu erwarten. Gewiß ists hingegen, daß jedermann, der sich die Ursachen gefallen läßt, sich auch die Wirkungen muß gefallen lassen. Es ist daher ein leichtsinniger Jüngling oder ein untätiger Mann nicht berechtigt, sich über die natürlichen Folgen seines Leichtsinnes und seiner Untätigkeit zu beklagen. Das einzige Mittel, diese bittern Folgen zu vermeiden, wird sein, Leichtsinn und Untätigkeit so früh als möglich ganz abzuschaffen. Nachschrift

Dies Buch weihet der Verfasser dem Andenken seines redlichen stets unveränderlichen Freundes

Herrn Johann Joachim Christoph Bode, der durch die meisterhafte Übersetzung der »Empfindsamen Reisen«, des »Tristram Shandy«, des »Humphrey Klinker« und anderer Bücher einen ehrenvollen Rang unter den deutschen Schriftstellern sich erwarb. Er gab dem Verfasser die erste Veranlassung zu diesem Buche, als er sich mit demselben unvermutet auf einer Reise traf und mit ihm einige Meilen zusammenblieb. Unter angenehmem Reisegeschwätze gab er dem Verfasser eine freundschaftliche Aufmunterung, im Tone eines Verweises, daß er nicht darauf denke, einen Roman zu schreiben. Der Verfasser antwortete im Scherze: wenn er ihn zu sehr treibe, werde er einen schreiben unter dem Titel: Geschichte eines dicken Mannes; denn Bode war so groß und stark am Körper als groß und fein am Geiste. Bode trug eine scherzhafte Wette an, der Verfasser könne und werde unter diesem Titel kein Buch schreiben. Es ward gewettet. Nachdem beide Freunde sich von einander getrennt hatten und der Verfasser allein im Wagen saß, überlegte er, die Ausführung einer scherzhaften Wette könne vielleicht zu einer moralischen Absicht gewendet werden, und in wenigen Stunden war der Hauptplan dieses Werkes entworfen und aufgeschrieben. Die gute Absicht der Schriftsteller, durch Moral zu nützen, ist immer mit der zufälligen Unbequemlichkeit verknüpft, daß sie in der Ausführung gar leicht Langeweile erweckt. Sollten die Leser sie bei diesem Buche hin und wieder verspürt haben, so ist es die Schuld des Verfassers. Hat ihnen dasselbe aber Unterhaltung oder Nutzen gewährt, so haben sie es dem verewigten Freunde des Verfassers zu danken, weil der Verfasser sich bestrebte, dem zu gefallen, der das Werk veranlaßt hatte.

Bode war ebenso sehr ein Freund der Wahrheit und des Guten als ein Mann von bewährtem Geschmacke; er hätte also der beste Richter über den Wert eines Buches dieser Art sein können. Er verschied, während es gedruckt ward, und sah also nichts von dem Erfolge seiner Wette. Die Deutsche Literatur verliert durch seinen Tod sehr viel; denn er wollte sein Verdienst um dieselbe noch vollständig machen durch die Übersetzung des Rabelais, zu dessen Verdeutschung nun, außer einem einzigen lebenden großen Schriftsteller, wohl niemand alle Talente zusammenhaben möchte. Ihn beklagen die Rechtschaffenen, die ihn und seinen Wert kannten, ihn beklagen alle Feinde der Heuchelei und des hinterlistigen Wesens, alle Freunde des Biedersinnes und der geselligen frohen Laune. Sit Uli terra levis(lat.) Möge dort die Erde leicht sein.


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