Friedrich Nicolai
Geschichte eines dicken Mannes
Friedrich Nicolai

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Neununddreißigster Abschnitt

Ehrenvolle Einladung, die Anselm erhielt, nebst dem, was dadurch veranlaßt ward

Diese Geschichte machte in der heiligen Stadt nicht wenig Aufsehen. Jeder rechtschaffene Mann sah ein, daß Hiffer das vorteilhafte Testament auf irgendeine Art mußte erschlichen haben, und verabscheute ihn um soviel mehr, da schon mancherlei unwürdige Praktiken von ihm bekannt waren. Aber Hiffer kehrte sich wenig an die Meinung der Rechtschaffenen. Er wußte sehr gut, daß dieselben allenthalben in der Welt die geringsten an der Zahl sind, und ebenso gut wußte er, daß das Testament, welches ihm nebst dem Vermögen der Frau Sophie ihre Person zusicherte, zu Rechte beständig war. Darauf kam es ihm allein an; alles Übrige, was man sagte oder nicht sagte, war ihm sehr gleichgültig. Man sprach in der Stadt auch sehr viel von unserm dicken Manne. Es war noch in frischem Andenken, wie er sich plötzlich aus einem Kammerdiener der Frau Hummer in einen Doktor der Medizin verwandelt und den noch dickern Ratsherrn vom Tode gerettet hatte, einen Ratsherrn, der in der Stadt allgemein beliebt war, welches nicht bei allen Ratsherren, dick oder mager, lang oder kurz, der Fall sein mag. Der Ruf von Anselms Anwesenheit und von seiner Geschichte kam ganz natürlich auch zu den Ohren der Frau Ratsherrin Hummer, und das umso eher, da ihr Eheherr die Geschichte mit dem Testamente als eine Neuigkeit vom Rathause mitgebracht hatte. Frau Hummer empfand also Neugierde, unsern Anselm nun in einer andern Gestalt wiederzusehen.

Ihr Büreau d'Esprit war seit der Zeit sehr dünne geworden; und ohne ihren Eifer für das Schöne und Empfindsame, durch den sie einem unvermuteten Angriffe widerstand, wäre dasselbe vielleicht ganz zugrunde gegangen. Der geistlichen Obrigkeit, welcher ohnehin nichts verborgen bleiben kann, waren diese weltlichen Zusammenkünfte hinterbracht worden und zugleich, daß daselbst manche übellautenden, nach Ketzerei riechenden und sonst von der heil. Mutter Kirche nicht gebilligte Sätze vorgetragen würden. Es ward erst dem Herrn Ratsherrn Hummer ein stiller Wink gegeben, den er auch seiner Frau Gemahlin mitteilte, aber diese war nichts weniger als geneigt, sich danach zu richten, indem sie glaubte, in ihrem Hause könne sie Gesellschaft halten, welche ihr beliebte. Dieser Irrtum hatte allerdings seinen Ursprung in der ketzerischen Erziehung ihrer Jugend, wodurch sie gehindert ward, in reifem Alter richtige Begriffe von der unumschränkten Gewalt der geistlichen Obrigkeit zu fassen. Da dieser Schritt vergebens war, wendete sich das geistliche Offizialat an den Abbé Spitzhaupt, als an den Beichtvater des Hauses, um dieses Übel abzustellen. Dieser Abbé bedachte zwar bei sich mit innerm Verdrusse, daß er eigentlich, nach den Privilegien seines Ordens von der ordentlichen bischöflichen Obrigkeit eximiert sein sollte, da der Orden aber noch nicht öffentlich wieder hergestellt war: so gab er lieber nach und versprach zu gehorsamen. Aus großer Vorsicht aber und weil er schon wußte, wie sehr Frau Hummer auf ihr Büreau d'Esprit gesteuert war, sagte er ihr lieber nichts, hingegen versicherte er den Offizial persönlich, er habe sich alle Mühe gegeben, aber bei der verstockten Frau nichts ausrichten können. Er schlug nun vor, das Kürzeste würde sein, wenn er lieber sich selbst von Köln wegbegäbe; denn, weil die andern Mitglieder seines Ansehens wegen auf ihn hauptsächlich sähen, so würde die Sache nach seiner Abwesenheit alsdann von selbst aufhören. Dies ward genehmigt; und der fromme Mann nahm von Frau Hummer Abschied mit Bedauern unter vier Augen, daß es sein Schicksal sei, der geistlichen Gewalt weichen zu müssen. Freilich erfuhr man bald darauf, er habe in einem benachbarten Stifte eine reiche Pfründe erhalten, mit Beibehaltung der beiden, die er schon besaß. Man wollte ihm nachsagen, er habe seine Nachgiebigkeit wegen des Bureau d'Esprit nur dazu angewendet, um diese Pfründe zu erhalten; das mag aber wohl nur eine falsche Nachrede gewesen sein, wie denn immer den so gelehrten und frommen Exjesuiten allerlei Böses nachgesagt wird!

Seine Freunde und Jünger, den Kanonikus Ofen und den Laien Wismuth, nahm der Abbé Spitzhaupt mit sich an den Ort seines neuen Aufenthaltes; denn es zeigte sich, daß er Mittel gefunden hatte, denselben auch ein paar gute Stellen daselbst auszumachen.

Den vier Mönchen ward nun von ihren Obern Kraft des geistlichen Gehorsams verboten, den Zusammenkünften weiter beizuwohnen, und Doktor Treter bekam einen Wink, der ihm genug war, um sich zurückzuziehen. Zwar konnte er nicht unterlassen, zuweilen noch Frau Hummer zu besuchen; auch fand Pater Innozentius, da er dieses merkte, sich zuweilen ein: dies waren aber nur Privatbesuche.

Für die Zusammenkünfte blieb niemand übrig als der Herr Kammerjunker von Truthahn, welcher nun präsidierte, und die beiden dichterischen Jünglinge. Es waren zwar ein paar neue Mitglieder weltlichen Standes dazugekommen, und sogar ein Domherr, einer von den Patronen des Herrn von Truthahn, war ohne Rücksicht auf Offizialat einige Male dagewesen, aber Frau Hummer sah doch mit Betrübnis, daß ihr Büreau d'Esprit nicht mehr war wie ehemals.

Sie hatte unsern dicken Mann immer wohl leiden können. Nun war ihr nicht allein an ihrem Manne klar geworden, daß er ein geschickter Arzt sei, sondern es verlautete auch nach seiner Abreise, er sei ein Dichter. Denn seine Eitelkeit war beleidigt worden, als des hagern hohläugigen Herrn.

Selten Verse mit so großem Beifalle beehrt wurden, und er hatte daher einmal dem Kammermädchen der Frau Hummer eins von seinen Gedichten vorgelesen, um zu zeigen, daß ein wohlbeleibter Mann auch reimen könne.

Frau Hummer tat daher unserm Anselm die Ehre, ihn zu einer von ihren gelehrten Zusammenkünften einzuladen, wodurch er also nunmehr ehrenvoll da die Sitzung erhielt, wo er ehemals im Vorzimmer hatte stehen müssen. Fast wäre er geneigt gewesen, hieraus eine gute Vorbedeutung zu ziehen, aber sein Mut war so gefallen, daß jetzt kein froher Gedanke bei ihm Wurzel fassen konnte. Er zwang sich zwar, die gelehrte Gesellschaft möglichst zu unterhalten, aber doch blieb alles nur gezwungenes Werk.

Bei Tische gab seine betrübte Miene noch nähern Anlaß, daß die Testamentsgeschichte erwähnt ward, wovon Anselm auf Verlangen die genauem Umstände ausführlich erzählte. Der Ratsherr Hummer, obgleich sehr dick und phlegmatisch, war dennoch in seinen Geschäften nicht untätig und in rechtlichen Sachen wohlerfahren; ein verwickelter juristischer Fall konnte ihn daher selbst bei Tische interessieren. Nach Anhörung der Testamentsgeschichte schüttelte er den Kopf, sagend: Man sehe wohl, daß da etwas hinter dem Busche stecke; ihn wundere nur, daß der Rechtsgelehrte, der der Frau Sophien Sachen betreibe, nicht darauf denke, die Richtigkeit des zweiten Testaments anzufechten. Es sei immer verdächtig, daß der Erblasser, wenn er sein erstes Testament gar nicht habe wollen gelten lassen, es nicht von dem Gerichte, wo es niedergelegt gewesen, zurückgenommen habe. Er ließ merken, indem er seiner eigenen Einsicht ein beiläufiges Kompliment machte, wenn er nur genaue Abschriften beider Testamente vor sich hätte, dächte er gewiß, irgendeine schwache Seite an dem zweiten Testamente zu finden, wo es mit Vorteile könne angegriffen werden. Anselm hörte hoch auf und besorgte gleich darauf die Abschriften.

Ratsherr Hummer studierte beide Testamente mit großem Fleiße durch. Aber nach einigen Tagen erklärte er, die Form des zweiten Testaments sei auf keiner Seite mit einem möglichen Erfolge anzufechten. Er ließ der juristischen Schlauigkeit des Dr. Hiffer Gerechtigkeit widerfahren, der alle möglichen Einwendungen vorausgesehen und ihnen vorgebeugt hatte, und setzte lächelnd hinzu: Man sehe wohl, es habe ein Rechtsgelehrter die Hand dabei gehabt, der die Rechte aufs gründlichste studiert habe, um desto sicherer Unrecht tun zu können.

Nun verschwand also auch alle Hoffnung von dieser Seite, wodurch in Sophiens Hause und bei ihren Freunden die Gesichter einige Tage lang etwas waren aufgeheitert worden.


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