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Beide Freunde setzten sich in den Wagen mit etwas beklemmtem Gemüte. Anselm verließ Haus und Hof, sein vormaliges Eigentum. Alle die schönen Pläne, welche er zu seinem künftigen glücklichen Leben gemacht hatte, waren vereitelt. Er hatte nie Sorgen gehabt, und nun ging er auf ungewisse Hoffnung an einen unbekannten Ort. Es war ihm schon so manches mißlungen, wovon er gewiß geglaubt hatte, es müsse gelingen; und so gelinde er sich zu beurteilen gewohnt war, so konnte er sich doch zuweilen nicht ganz verhehlen, es sei größtenteils seine eigene Schuld gewesen, daß er immer Pläne voll chimärischen Glücks gemacht hatte, während er durch unbesonnene Aufführung seine schon festgegründete gute Verfassung untergrub und umstürzte. Alle diese Gedanken drückten mit verdoppelter Macht auf ihn, so daß er bis zum ersten Nachtlager in einem Nachdenken saß, das fast in Betäubung ausartete.
Trübe Gedanken konnten indes im Geiste unsers dicken Mannes nicht lange haften. Eine gute Abendmahlzeit munterte ihn auf. Er war, welches beiläufig angemerkt sein mag, ein Freund vom besten Essen und Trinken; und das bereitete ihm einen sanften Schlaf. Als sie morgens abreiseten, war die Sonne sehr heiter aufgegangen, Feld und Wiesen grünten, und eine Schar von Vögeln erfüllte die Büsche mit ihrem Gesänge. Seine poetische Ader regte sich, und bald mit derselben kehrte seine gewöhnliche Jovialische Heiterkeit zurück, mit dieser sein voriger guter Mut und mit demselben seine gute Meinung von sich selbst, die ihn eigentlich nie verlassen hatte.
Er dachte: »Weshalb soll ich mich grämen? Ich bin gesund. Ich habe eine schlechte Frau verloren. Ich habe doch zweitausend Taler und mehr in der Tasche. Klug bin ich und habe Philosophie und Entschließung, um Unglück zu ertragen und mir Glück zu verschaffen.«
Alle diese Eigenschaften hatte sich Anselm in Gedanken so oft beigelegt, daß er endlich glaubte, er besäße sie, so wenig er auch Proben davon zeigte.
Er fuhr fort: »Meine einzige Unklugheit war, daß ich eine Frau nahm. Alles wäre gut gewesen, hätte ich mir nicht eingebildet, ich könne nur im Ehestande glücklich werden. Gerade umgekehrt! Ich will ledig bleiben, so kann ich mein Leben viel besser genießen. Warum bin ich doch nicht gleich auf den klugen Gedanken gekommen, ganz frei und unabhängig nach meinem Sinne zu leben und bloß mein Vergnügen zu suchen! Doch es ist ja noch Zeit! Ich bin noch nicht dreißig Jahre alt; ich habe Kenntnis von vielen Wissenschaften, von Manufakturen und von Handlung, und im Notfalle bin ich noch Doktor der Medizin. Denken kann ich auch und auch schreiben. Es kann mich brauchen, wer einen brauchbaren Mann nötig hat. Ich kann eines Ministers Sekretär, ein Amtsphysikus, ein Rat in einem Kollegium und was sonst noch werden. Doch weshalb soll ich ein Amt annehmen und mich nach andern richten? Ich habe noch Geld; ich habe Kenntnisse. Das wird mich bald wieder in guten Zustand bringen. Ohne Ruhm zu sagen, ich sehe nicht übel aus. Ich will auch dem schönen Gesehlechte nicht ganz entsagen. Ich will mich mit schönen Weibern und Mädchen ergötzen, aber mich nicht von ihnen fesseln lassen. Die Mädchen sind mir immer gut gewesen. In Elberfeld und Gemarke sind, wie ich höre, viel reiche Kaufleute, die schöne Töchter haben. Wie komme ich aber zu denen? Ei, ich bin ja Arzt! Es bleibt dabei: ich will mich der goldeden Praxis befleißen; die bringt Geld und gibt dem Arzte große Vorzüge beim Frauenzimmer.«
So dachte unser dicker Mann, und sein Geist und seine Mienen wurden ganz aufgeheitert. Er dachte aber nicht allein das Obige; sondern, da sein Herz leicht überzuströmen geneigt war, so teilte er seinem Reisegefährten alle die frohen Hoffnungen mit, die ihn in seiner Einbildung beglückten. Philipp dachte auch mancherlei, behielt aber alles bei sich; denn ein großer Teil dessen, was er dachte, würde seinen Reisegefährten geschmerzt und dessen frohe Laune gedämpft haben, wenn er es herausgesagt hätte. Er überlegte, wie doch Anselm die einträgliche Manufaktur, welche sein Vater durch viel jährige Emsigkeit und Ordnung zu Stande gebracht hatte, in so kurzer Zeit durch Leichtsinn, Dünkel und Unordnung zugrunde gerichtet habe. Er überdachte, welch ein glücklicher und wohlbehaltener Mann Anselm hätte sein können, wenn er nur, anstatt sich in chimärische unausführbare Projekte einzulassen, das Werk ruhig hätte seinen Gang fortgehen lassen, das er durch seines Vaters Verstand und Überlegung ganz eingerichtet vorfand, und sich dem Müßiggange und eitlen Vergnügen nicht unmäßig überlassen hätte. Er überdachte, wie vielen Hirngespinsten von Plänen Anselm von seiner ersten Jugend an, vermittels seiner Einbildungskraft, nachgelaufen sei, und wie durch diese törichten Träume endlich sein ganzes Glück war umgestürzt worden. Um sich selbst nicht zu sehr zu betrüben, wo Betrübnis weiter nichts mehr helfen konnte, betrachtete er diese Torheiten von der komischen Seite und besonders Anselms beide letzten Heiratsversuche. Er wog bei sich ab, was wohl schlimmer wäre: seine Braut verlieren und dafür Schmerzen unter dem heiligen Beine bekommen, oder seine Braut erhalten, aber einen Hausfreund dazu?
Die Überlegung aller jugendlichen Torheiten Anselms bestätigte den bescheidenen Philipp in dem schon längst gefaßten Entschlüsse: Er wolle keine Aussichten zu seinem künftigen Fortkommen durch seine Einbildungskraft gehen lassen, wolle weder Ansprüche machen, noch Pläne ersinnen. Er beschloß, wie bisher in seinem Stande mit Fleiß und Treue und Bescheidenheit seine Pflicht zu tun und von der Vorsehung den Anteil vor häuslichem und bürgerlichem Glück ruhig zu erwarten, den sie keinem ganz versagt, als dem, welcher sich desselben durch Müßiggang, Unordnung und Verschwendung unwürdig macht.
So dachte jeder vor sich; so erheiterte sich jeder, seinem Charakter gemäß: der eine durch Träume der Einbildungskraft, der andere durch vernünftige Betrachtungen. Auf diese Art kamen sie unvermerkt in das schöne Wippertal und fuhren ganz vergnügt in Elberfeld ein.