Friedrich Nicolai
Geschichte eines dicken Mannes
Friedrich Nicolai

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Siebenundzwanzigster Abschnitt

Schilderung eines zufriedenen Ehepaares und dessen Beschäftigung

Es ist ein sehr ungegründetes Vorurteil, daß sich im Ehestande nur Gleich und Gleich zusammenschicke, wodurch wohl manche Ehen unterbleiben mögen, die glücklich sein würden. Die Meinung derjenigen scheint daher vielen Vorzug zu verdienen, welche behaupten, der Ehestand gleiche einem Salate, welcher nicht schmeckt, wenn nicht Öl und Essig in gehörigem Maße dazugemischt sind. Bloßes Öl ist allzu fett oder allzu fade; bloßer Essig allzu mager oder allzu sauer. Ein Beweis dieser Meinung war der Ehestand des Ratsherrn Hummer. Es wäre kaum möglich gewesen, zwei am Geiste und am Körper ungleichartigere Personen zu finden, als er und seine Frau waren; und dennoch lebten sie in einem sehr vergnügten Ehestande. Der Ratsherr Hummer war ein sehr fetter und etwas phlegmatischer Mann. Ich sage nicht ohne Ursache ein fetter Mann; denn um den Inhalt dieser wahren Geschichte nicht zu mißverstehen, ist es höchst nötig, auf den sehr wesentlichen Unterschied zwischen einem fetten und einem dicken Manne zu merken. Der ganze Körper des Ratsherrn war so beschaffen, daß, wenn du ihn ansahst, von seinen Gebeinen, seinen Knorpeln, Sehnen und Adern gar nichts hervorragte, sondern alles mit Fleisch und Fett überzogen war. Um das Fleischige durch das Geistige, das Unbekannte durch das Bekannte zu erläutern, können wir diesen Körper mit nichts besser vergleichen, als mit den Schriften des weltberühmten Herrn Superintendenten Ewald in Detmold. Da ist alles, was er nur schreibt, seine Predigten, seine Moral, seine Naturkenntnis, seine Ratschläge an den Adel, seine Kantische Philosophie und seine himmlische Liebesgöttin, so fett mit einem Gallerte von Worten und Gemeinsprüchen überzogen, daß Ihr meinen möchtet, es sei kein Körnchen Verstand darin, und doch ist er vorhanden, macht aber freilich an diesen Schriften ungefähr einen so geringen Teil aus, als die Knochen und Sehnen am Körper des Ratsherrn Hummer.

Dieser Ratsherr stand dem gemeinen Wesen treulich vor; nicht minder aber seinem eigenen besondern Wesen. Er pflegte sich, deckte sich, wärmte sich, und besonders nährte er sich aufs beste; welches alles auf seine Feistigkeit und auf seine runden Wangen den gesegnetesten Einfluß hatte.

Seine Frau, die Frau Ratsherrin Hummer, war in allem das Gegenteil von ihrem Manne. Sie war etwas mager, etwas blaß, zuweilen kränklich, aß wenig, bekümmerte sich gar nicht um das gemeine Wesen, vielleicht gar nicht einmal um ihr Hauswesen, wozu sie Hausjungfern und Ausgeberinnen genug hatte.

Gleichwohl lebte dieses sich äußerlich so ungleiche Paar in der vergnügtesten Ehe. Dies ward bloß dadurch bewirkt, daß keiner von beiden Eheleuten dem andern in seiner Meinung hinderlich fiel, sondern daß jeder wechselseitig des andern Meinung mit der seinigen in Übereinstimmung zu bringen trachtete, welches wohl das Universalmittel sein mag, Ehen glücklich zu machen. Frau Hummer pflegte nur bloß ihren Geist, so wie ihr Eheherr nur bloß seinen Körper. Zwar war ihr Geist nicht so schwammicht und feist wie ihres Eheherrn Leichnam und brauchte daher leichtere Nahrung. Diese erhielt er durch den Umgang mit gelehrten Leuten und witzigen Köpfen; denn Frau Hummer war für Köln, was ehemals Madame Necker für Paris. Auch wählte sie diese Dame zu ihrer Heldin; sie ahmte derselben berühmte Freitagsversammlungen nach und hielt in Köln am Rhein, so wie Madame Necker in Paris, ein vollständiges Büreau d'Esprit.

Wider diese gelehrten Versammlungen, welche wöchentlich ein paarmal gehalten wurden, hatte der Ratsherr Hummer schon deswegen nichts einzuwenden, weil sie dem Willen seiner lieben Ehehälfte gemäß waren, welchem er sich immer recht gern fügte. Aber sie waren auch ihm selbst ungemein heilsam. Nicht der Gelehrsamkeit wegen. Ratsherr Hummer glich dem Trimalchio des Petron zwar gar nicht an Lebhaftigkeit oder an plattem Witze; denn er machte auf keine Art von Witz Anspruch. Aber darin war er dem Trimalchio zu vergleichen, daß er, zwar nicht so wie jener drei Millionen, aber doch gute dreimalhunderttausend Gulden besaß, ob er gleich, wie jener, nie einen Philosophen gehört hatte. Das Büreau d'Esprit seiner Kölnischen Madame Necker leistete ihm ganz anderen Nutzen. Wenn er vormittags auf dem Rathause im Dienste des gemeinen Wesens sich allzu sehr ermüdet und mittags bei Tische sich allzu viel erquickt hatte, so verschafften ihm diese Nachmittagsversammlungen die erwünschteste Gelegenheit zum Schlafen. Er erwachte gewöhnlich nicht eher, als bis das Abendessen angesagt ward, oder wenn einmal, welches sehr selten geschah, die Disputationen der Gelehrten auf einige Minuten aufhörten.

Man möchte sich vielleicht wundern, wie in der heiligen Stadt Köln, welche das Haupt der heiligen Ursula, die Leiber der heil. drei Könige, die Reliquien von den elftausend Jungfrauen und wenigstens elfhundert Mönche enthält und wo sogar die Leichname der sieben heiligen Makkabäer verehret werden, ob sie gleich nur Juden sind, jemand darauf habe denken können, ein Büreau d'Esprit zu erachten. Wir haben aber schon erinnert, daß Frau Hummer ihre erste Erziehung nicht in Köln, sondern auf einer Kostschule in Solingen erhalten hatte. Nachher war sie zu einer Verwandtin nach Mannheim gekommen. Daselbst hatte sie die lautere Milch der dortigen Deutschen Gesellschaft einsaugen können, war auch dort in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche aufgenommen und dadurch würdig gemacht, die Gemahlin eines reichen Ratsherrn zu Köln am Rhein zu werden. Es könnte möglich sein, daß die vornehmste Zierde besagter Deutschen Gesellschaft, der unberühmte Herr von Klein – ein Mann, der Preise austeilen, obgleich nicht selbst verdienen kann –, an der Erziehung und Bekehrung der Frau Hummer selbst Anteil gehabt hätte, da er zu einem Orden gehört, dem Erziehen und Bekehren gleich stark am Herzen liegt und der sogar oft durch Erziehen zu bekehren sucht. Jedoch wollen wir über diese wichtige Frage nichts entscheiden.

In dem Hause dieses so ungleichen und doch so glücklichen Ehepaares kam Anselm abermal in eine ganz andere Welt. Er ward dem Stande noch geringerer Hausbedienten einverleibt, als diejenigen waren, mit denen es ihm noch vor Jahresfrist so schwer anging, auf dem Gute des Ministers nur wenige Mittage zu essen. Er empfand seine Erniedrigung tief; aber er fühlte auch nur allzuwohl, daß er sich durch eigenen Leichtsinn in diese Erniedrigung gebracht habe. Selbsterkenntnis und Reue fingen bei ihm nunmehr an, sich zu zeigen. Reue kommt bei unbedachtsamen Leuten gemeiniglich zu spät; sie ist aber auch gewöhnlicher als Selbsterkenntnis, welche nie zu spät kommt.

Sonst befand sich unser dicker Mann in diesem Hause besser, als er selbst anfänglich erwartet hatte. Er ward sogleich reinlich und sogar etwas elegant gekleidet und mit guter Wäsche versehen. Die Frau Hummer nahm hierin auf das Empfehlungsschreiben ihrer Freundin Rücksicht, aber eben so sehr auf ihre eigene kleine Eitelkeit; denn sie tat sich etwas darauf zu gute, daß ein so wohl gebildetes rundes Kerlchen in ihrem Vorzimmer stand. Ihr lieber Mann war, wie schon bemerkt worden, mehr als rund; auch war seine Küche so eingerichtet, daß seine Leute nicht wohl mager bleiben konnten. Als daher unser dicker Mann vierzehn Tage lang sich gut genährt und dabei den Kummer über seine letzte fehlgeschlagene Hoffnung ziemlich vergessen hatte, kam das Rot seiner Wangen wieder und sein Gesicht machte seinen neuen schönen Kleidern Ehre. Wir müssen auch zur Steuer der Wahrheit gestehen, daß seiner kummervollen Gedanken weniger wurden, sowie er anfing, das Wohlleben dieses Hauses recht zu schmecken. Immer gewohnt, den nächsten Eindrücken zu folgen, sagte er sich selbst nicht mehr so oft wie anfänglich: daß er von Jugend auf als ein Tor gehandelt habe; ja er glaubte zuweilen sogar, seine Klugheit werde ihn bald wieder aus seiner jetzigen niedrigen Lage emporheben.


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