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Anselm war der einzige Sohn und also der einzige Erbe eines beträchtlichen Vermögens, das er aber, da er in allen Welthändeln mehr zu zählen als zu rechnen pflegte, für sehr viel ansehnlicher hielt, als es war; zumal da sich fand, daß er auf seine künftige unerschöpflich geglaubte Erbschaft schon seit einiger Zeit beträchtliche Schulden gemacht hatte.
Er war nun sein eigener Herr, besaß Vermögen und traute sich nicht wenig Geschicklichkeit zu, es zu verwalten. Er sah wohl aus und befand sich wohl an Geist und Körper. Auf seine geistigen Vorzüge setzte er keinen geringen Wert. Er fand sich gelehrt und witzig, und, was er mehr als alles schätzte: er fand sich voll philosophischer Einsichten, die er überflüssig hinlänglich hielt, um ihn in allen verschiedenen Lagen des Lebens aufs Weiseste zu leiten. Seine Kenntnis der Arzneikunde und sein Doktordiplom waren seiner Meinung nach auch nicht zu verachten; denn sie gaben ihm einen Stand in der Welt, während seine Handlungsgeschäfte ihm Reichtum geben sollten. Seine Philosophie hatte ihn zwar längst das Geld, dieses elende Ding, verachten gelehrt; seine Liebe zum Vergnügen hatte ihn aber wieder gegen den Besitz der edlen Metalle ziemlich tolerant gemacht: daher er auch beschloß, die Handlungsgeschäfte zu seinem Hauptgegenstande zu machen. Seine Manufaktur und sein Hauswesen waren im besten Stande; und er traute sich Kräfte zu, beide noch auf einen viel bessern Fuß zu setzen. Denn er hielt für ausgemacht, daß die Veränderungen, die er in kurzer Zeit bei der Manufaktur gemacht hatte, derselben große Vorteile brächten. Ob nun gleich Philipp anderer Meinung war und es zuweilen auch wohl merken ließ, so hatte er doch wider ihn sehr viele Gründe anzuführen, wobei Philipp zu schweigen für gut fand, welches ihm so angerechnet ward, als ob er überzeugt sein müßte.
Es lachte jetzt unsern dicken Mann alles an, und seine Einbildungskraft war voll der heitersten Aussichten, sein Leben froh zu genießen. Alle schönen Pläne, die er vorher schon gemacht hatte, gingen ihm nun aufs Lebhafteste wieder durch den Kopf. Alle vereinigten sich in dem Hauptplane, beständig glücklich zu sein. Der nächste Weg dazu würde freilich gewesen sein, beständig klug zu handeln. Dies hielt auch Anselm bei den Geisteskräften, mit denen er sich begabt fühlte, für sehr leicht. Da es aber sogar dem weisen Memnon mißlang, so wird auch der geneigte Leser schon mit unserm dicken Manne einige Nachsicht haben, im Falle sich irgendeinmal finden sollte, daß seine Klugheit nicht bewährt genug gewesen wäre.
Wir haben oben schon bemerkt, daß unter den mancherlei heitern Bildern, mit welchen Anselms Einbildungskraft immer beschäftigt war, das schönste Gemälde von häuslichem Glücke eine vorzügliche Stelle einnahm. Er glaubte also, jetzt wäre die rechte Zeit, eine Frau zu nehmen, und zwar eine schöne Frau; Liebe zum Reichtume oder zu großer Ehre kam nicht in seinen Sinn. Er wollte nur sein Leben mit einer schönen Seele, die in einem schönen Körper wohnte, wie einen sanften Bach, der zwischen blühenden Gebüschen über glatte Kiesel herabrollt, dahinfließen lassen. Was er in Vaals und in Burscheid an Mädchen fand, schien ihm zu gemein, zu bürgerlich, zu wenig hervorstechend. Er wandte also seine Augen nach Aachen, in welcher Stadt damals ein ausgezeichneter Vorrat an jungen schönen Püppchen war und vermutlich noch ist. Er durfte nur die Blicke umherwerfen, so sah er, was sein Herz labte. Da aber unser dicker Mann, wie der Leser schon mehrmal wird bemerkt haben, nicht bloß sinnlich dachte, sondern in die Geheimnisse der höhern Philosophie eingeweihet war: so hielt er die äußerliche Schönheit zwar für eine notwendige Bedingung, ohne die er sein Herz nicht weggeben konnte, aber nicht für die einzige. Er wußte, wie schön er selbst war; und deshalb konnte er seinen künftigen Kindern nicht das Unrecht tun, sie nicht von einer schönen Mutter gebären zu lassen, aber er bemerkte auch in Gedanken, daß seine künftigen Kinder noch mehr als
100 bloß schön sein müßten, wenn sie ihrem Vater ganz gleichen sollten.
Von diesem allen ward er noch mehr überzeugt, da seine Philosophie, welche durch lange Spekulation schon einen großen Grad der Stärke erlangt hatte, seit kurzem noch durch eine ziemliche Kenntnis der Welt, unter andern bei Gelegenheit der beiden langen Herren in Aachen, war verstärkt worden.
Er fühlte nun, nach seines Vaters Tode, das unbeschreibliche Vergnügen, sein eigener Herr zu sein und bloß von sich selbst abzuhängen. Seine öftern Reisen nach Aachen hatten zwar einen wichtigen Zweck, aus der Menge der dortigen Schönen sich eine Frau zu suchen. Aber ein Nebenzweck war auch, seine Unabhängigkeit zu genießen und das Vergnügen, das ihm auf allen Seiten entgegenströmte, mit vollen Zügen in sich zu schlürfen. Wenn er selbst nicht dazu so viel Neigung gehabt hätte, so würden ihn andere dazu gebracht haben. So gewiß sich auf einem faulen Baume Würmer finden, sich von seiner Zerstörung zu nähren, so gewiß finden sich zu einem reichen oder auch nur wohlhabenden jungen Menschen betriebsame Personen, welche auf sein Geld mancherlei Ansprüche zu haben meinen. Sie nehmen alle Gestalten an: sie studieren seine Schwäche, die ihre Stärke werden muß, sie sind unterhaltend, angenehm, widersprechen nicht und wissen der Schmeichelei oft ein solches Ansehn der Wahrheit zu geben, daß wohl klügere Leute könnten dadurch betrogen werden als junge reiche Burschen, die nach Vergnügen dürsten und das Geld nicht achten. Solchen lustigen Brüdern ward denn unser dicker Mann auch zur Beute und um so viel leichter, je sorgloser er vermöge seiner unerfahrnen Gutmütigkeit und eingebildeten Klugheit in ihre Netze lief. Er fiel in alle die Gruben, in die gewöhnlich reiche Jünglinge fallen. Er verlor Zeit, er verlor Geld und bei gesetzten Leuten Ehre. Er lernte, daß es falsche Freunde gäbe und so schlaue, daß sogar er könne von ihnen betrogen werden. Er lernte, daß Schönheit bei manchem Frauenzimmer oft nichts mehr ist als ein herrlich angemalter Weinkranz an einem Hause, worin man sehr mittelmäßigen Wein trinkt.
Er lernte dies alles; machte auch zuweilen, wenn er nicht guter Laune war, ganz artige moralische Betrachtungen darüber, aber weiter hatte er keinen Nutzen davon. Mit aller seiner vielen Philosophie und Moral blieben alle seine Torheiten, wie sie vorher waren. Nachdem ihn Philipp daran erinnert hatte, konnte er sich selbst nicht verhehlen, daß sein oftmaliger Aufenthalt in Aachen, dessen eigentlicher Zweck sein sollte, sich eine Frau zu suchen, um das höchste häusliche Glück in Vollkommenheit zu genießen, ihm nur Gelegenheit gab, lauter Dinge vorzunehmen, welche offenbar vom häuslichen Glücke weit abführten. Dennoch aber war er täglich da und handelte so unklug wie vorher; denn Müßiggang, Zerstreuung und sinnliche Ergötzungen hatten über ihn eine unwiderstehliche Gewalt.
Von falschen Vergnügungen gesättigt und durch plumpen Betrug gedemütigt, fing er bisweilen an, über die Eitelkeit der Freuden der Welt ganz artig zu philosophieren, auch wohl den Entschluß zu fassen, künftig weiser und vorsichtiger zu sein. Es geht aber oft den Jünglingen, die sich bessern wollen, wie den Menschen, welche auf sympathetische Kuren ihr Vertrauen setzen. Wenn diese einen bösen Schaden am Beine haben, so soll er dadurch geheilt werden, daß sie ein Schemelbein brennen oder verbinden lassen: eine bequeme Kur, welche ihrem eigenen lieben Beine Schmerzen ersparet, wodurch es aber auch nicht besser wird. Ebenso läßt der Jüngling, der es sich selbst insgeheim gestehen muß, daß er als ein Tor handle, bei seinem Vorhaben der Besserung seine Lieblingsneigung, die ihn eigentlich recht zum Toren macht, gewöhnlich ganz unberührt und wendet seine Strenge nur gegen diejenige Torheit an, die ihm selbst nicht mehr gefällt oder die er nicht mehr tun kann.
So auch unser dicker Mann. Als er einigen lustigen Brüdern und zärtlich-gefälligen Schönen entsagte, von denen er geprellt und nachher ausgelacht worden war, meinte er, dadurch schon seine Weisheit und Vorsicht ganz festgesetzt zu haben, und unterließ nicht, seiner Klugheit ein Kompliment zu machen, indem er es ihr zuschrieb, daß er nicht noch unweiser gehandelt und noch mehr verloren habe. Er beredete sich, schon längst gewußt und gedacht zu haben, daß noch mehr zum Glücke des Ehestandes erfordert werde als Schönheit. Auch wollte er schon längst bemerkt haben, daß, wenn etwa seine künftige Frau einige von den Eigenschaften besäße, die er jetzt erst an einigen Frauenzimmern entdeckte, welche er auf ihr schönes Gesicht und auf ihre anfänglich gezeigten empfindsamen Gesinnungen für Zierden ihres Geschlechts gehalten hatte, dennoch sein häusliches Glück nicht sehr feste stehen möchte. Er fing nun an, in seiner Einbildungskraft, die immer seine treueste Ratgeberin blieb, sich ein ganz neues und viel herrlicher ausgemaltes Bild von seiner künftigen Gattin zu entwerfen. Er stattete sie, außer der Schönheit, in Gedanken noch mit so vielen andern vortrefflichen Eigenschaften aus, daß er, wenn er sie zusammenrechnete, bei seiner reifen Einsicht zuweilen selbst zu zweifeln anfing, ob er sie auch bei einem einzigen Frauenzimmer zusammen finden möchte. Desto behutsamer beschloß er zu sein und die Frauenzimmer, die ihm gefielen, erst genauer zu beobachten, ehe er mit ihnen nähere Bekanntschaft machte, und sie sorgfältig zu prüfen, ehe er einen Antrag täte, alsdann aber auch, nach so strenger Überlegung, die Sache bald zu Stande zu bringen. Daß er, selbst bei dem schönsten und besten Mädchen, etwa nicht Gegenliebe finden möchte, darüber fiel ihm niemals der geringste Zweifel ein. Denn nicht nur hatte er seine künftige Geliebte mit einer guten Portion zärtlicher Gesinnungen ausgestattet, sondern er sah sich auch wie das große Los in der Lotterie an, nach welchem jeder greifen wird, dem es zufällt. Er wußte ja, welch ein wohlgebildetes, reiches und rundes Kerlchen er war. Der geneigte Leser wird gebeten, unserm dicken Manne dies nicht zu einer unverzeihlichen Eitelkeit auszulegen. Denn fast alle reichen und gesunden Kerlchen denken ebenso und bringen oft das bißchen Schönheit und Weisheit, welches sie etwa besitzen, nicht einmal mit in Anschlag.