Friedrich Nicolai
Geschichte eines dicken Mannes
Friedrich Nicolai

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Zweiunddreißigster Abschnitt

Anselms Reise nach Elberfeld. Neuer Glückswechsel

Anselm fand seinen Freund Philipp in der glücklichsten Lage: im ungestörten Genüsse seiner geistigen und körperlichen Kräfte, wohlhabend, zufrieden, Gatte einer angenehmen und klugen Frau, Vater von zwei gesunden Kindern. Alle seine Wünsche erfüllt, ohne Überdruß, denn seine Wünsche erneuerten sich täglich: sie bestanden darin, Glück und Zufriedenheit um sich her auszubreiten und dadurch selbst zufrieden und glücklich zu leben. Jeder tat in diesem Hause froh seine Pflicht; die Arbeit ward nie Last, sondern war Vergnügen, und nie ward ein Vergnügen so unmäßig gebraucht, daß es eine Last geworden wäre.

Anselm machte in den ersten acht Tagen, da er sich hier aufhielt, Vergleichungen mit sich selbst, welche nicht zum Vorteile seiner Klugheit ausfielen, auf die er sich doch von Jugend auf so viel eingebildet hatte. O! seine schönen Pläne von Lebensgenusse, deren mannigfaltige Gestalten immer seine Lieblingsbeschäftigung gewesen waren! Hier sah er sie abermal realisiert; er selbst aber hatte sie nie ausführen können, weil er immer unrechte Mittel brauchte. Er bedauerte abermal die verflossenen Jahre; er verwünschte seinen Leichtsinn, durch welchen er sein eigenes Wohl untergraben und sich, wie er nun überzeugt zu sein glaubte, alle Aussichten zu einer künftigen bessern Lage verschlossen hätte. Es war immer der Charakter unsers dicken Mannes gewesen, im Glücke leicht sorglos zu werden und im Unglücke leicht zu verzagen. Jetzt aber wirkte die unglückliche Lage, in welcher er Frau Sophien gefunden hatte, noch mächtiger, um sein Gemüt ganz niederzuschlagen. Er sah sich als die Ursache davon an, und so, wie ihr nicht zu helfen stand, so glaubte er, ihm stehe auch nicht zu helfen. Philipp fand ihn in einer dieser trüben Stunden; und auf Befragen, was ihn so traurig mache, schüttelte Anselm bald sein Herz in den Schoß seines treuen Freundes aus.

Philipp tröstete ihn: »Wie kannst du verzweifeln? Du bist gesund, bist erst einige dreißig Jahre alt; besitzest mancherlei Geschicklichkeiten und bist in der Praxis der Arzneikunst nicht unglücklich gewesen. Warum solltest du durch diese allein dich nicht wieder in eine glückliche Lage setzen können? Du mußt aber nur wollen und standhaft ausführen, was du willst, so kann noch alles gut gehen. Ich habe weit weniger Geschicklichkeit als du, bin aber bloß durch Sparsamkeit und Fleiß und durch einen Glücksfall wohlhabend geworden. Jene beiden sind in deiner Gewalt; und warum solltest du, wenn du, mit Ernst, durch Fleiß und Sparsamkeit dir das Nötige schaffst, nicht auch auf einen Glücksfall hoffen können?«

»Nein! Nein!« rief Anselm, indem er sich im heftigsten Unmute vor die Stirne schlug: »Nenne mir nicht Sparsamkeit und Fleiß und Ordnung! Diese habe ich nie besessen, und eben dies und mein unverzeihlicher Leichtsinn ist Schuld an meinem Verderben. Das Glück, das dir widerfuhr, von einer würdigen Frau gewählt zu werden, verdientest du. Ich verdiene nichts, auch wird mir nichts werden! Die mich wählen würde, kann mich nicht wählen!« – Die Tränen stürzten ihm aus den Augen – »Nein! Es ist nichts in der Welt, worauf ich noch Hoffnung bauen könnte!«

Philipp sagte, ihm sanft die Hand drückend: »Du denkst nicht daran, daß du einen wahren Freund hast; wer den hat, muß nicht hoffnungslos sein!«

Anselm erwiderte mit einer hellen Träne im Auge: »Das ists eben, was mich drückt, daß ich entweder meinem Freunde beschwerlich fallen muß oder keine andere Hoffnung habe, als mich wieder in die schimpfliche Dienstbarkeit zu begeben, in welche ich schon geraten war.«

Philipp erwiderte: »Glaubst du denn, einem wahren Freunde könne es je beschwerlich fallen, seinem Freunde gerade dann zu helfen, wann dieser der Hilfe eines wahren Freundes bedarf? Sollte ich dich nicht billig bei dir selbst anklagen? Es hat mir wehe getan, daß du mich ohne alle Nachricht von deinem Zustande ließest, nie das Vertrauen zu mir zeigtest, daß ich als Freund an dir handeln würde.«

Und nun verkündigte ihm Philipp die gute Nachricht, worauf sein Brief ihn schon vorbereitet hatte. Platter hatte von einem Oheim eine beträchtliche Summe geerbt. Philipp hatte dies erfahren, hatte den Wert der ihm zedierten Verschreibung eingeklagt, hatte mit der diesen Nachmittag angekommenen Post die Bezahlung erhalten und legte dieselbe in guten holländischen Wechseln in Anselms Hände.

Anselm äußerst bestürzt, sagte: Er könne auf diese Summe keinen Anspruch machen, da er sie seinem Freunde geschenkt habe und ihm mehr als dieses schuldig sei. Philipp beteuerte, er habe die Verschreibung nur bloß in der Absicht angenommen, um das, was jemals davon könne einkassiert werden, für seinen Freund zu verwahren. Nach einem langen großmütigen Streite zwischen beiden Freunden, mußte Anselm die fünftausend Speciestaler behalten.

Nun war unser dicker Mann auf einmal im Besitze eines Kapitals, womit er sich auf anständige Art einrichten konnte. Er setzte sich vor, die Ausübung der Arzneiwissenschaft nunmehr zu seinem Geschäfte zu machen. Es kam darauf an, einen Ort seines Aufenthaltes zu wählen. Aus Ursachen, die oben schon angezeigt sind, die er sich selbst aber nicht ganz deutlich entwickelte, wollte er nicht in Elberfeld bleiben; aus ähnlichen, obgleich verschiedenen, nicht in Köln und Aachen. Er wählte Düsseldorf zum künftigen Wohnorte und ging in kurzem dahin ab.


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