Johann Nepomuk Nestroy
Einen Jux will er sich machen
Johann Nepomuk Nestroy

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Zweiter Aufzug

Straßendekoration, nur zwei Kulissen tief. Der Prospekt stellt die gerade über die Bühne laufende Häuserreihe einer Gasse vor, ohne alles Perspektiv. An dem mitten im Prospekt sich befindenden Hause ist das Tor offen, so daß man weiter hinten eine praktikable Stiege sieht; in der Einfahrt rechts ist eine Türe, die zur Hausmeisterwohnung führt. Über dem Haustore ist eine Tafel mit großer Aufschrift: »ANNA KNORRS MODEWAREN-VERLAG«

Erster Auftritt

Weinberl, Christopherl

(Christopherl in seinem Sonntagsanzug von grauem Tuche mit roter Krawatte und blauem Schal geschmacklos geputzt. Weinberl in blauem Frack, weißen Pantalon, aber in geschmackloser Gala, treten von links auf.)

Christopherl Das wär'n Abenteuer? Ich dank' –

Weinberl Ja, lieber Freund, ich kann Ihnen die Abenteuer nicht herzaubern. Glauben Sie, mir is das ang'nehm, da herumz'gehn wie a Waserl, mir, dem obendrein noch jedes offene G'würzg'wölb einen heimlichen Gewissensbiß macht?

Christopherl Den ganzen Vormittag is uns nix unter'kommen, nix aufgestoßen.

Weinberl Wir wollen die Hoffnung nicht sinken lassen – vielleicht stoßt uns jetzt Nachmittag was auf. Arg wär' das, wenn wir vier Stund' weit herfahreten, einen ganzen Tag in der Residenz zubrächten, ohne einen Jux 's Geld verjuxt –

Christopherl Das wär' a Jux! Vor allem andern müssen wir doch wieder unter die Leut' gehn! In dem öden Gassel da wer'n wir nix erleb'n.

Weinberl O Freund, in die öden Gasseln erlebt man allerhand! Das is ja grad' das Abenteuerliche! Wie oft hab' ich gelesen in die Bücher: »Er befand sich, ohne zu wissen wie, in einem engen, abgelegenen Gäßchen, plötzlich gewahrte er an der Ecke einen Mann in einem Mantel, ihm war's, als ob er ihm gewunken – an der andern Ecke sieht er auch einen Mann, ihm deucht', als hätt' er ihm gewinkt, unentschlossen steht er da, er weiß nicht, soll er dem folgen, der ihm gewinkt, oder dem, der ihm gewunken – da öffnen sich plötzlich die Fenster –«

(A tempo öffnet Philippine das Fenster im Hause der Madame Knorr im Prospekt.)

Weinberl (ohne dies zu bemerken, fährt fort) »Und eine zarte weibliche Hand –«

(Philippine hat eilig am Fenster ein Glas mit Wasser ausgespült, schüttet es, ohne herabzusehen, auf die Straße und schlägt sogleich wieder das Fenster zu.)

Weinberl (den es beinahe getroffen, erschrocken zur Seite springend) Na, sein S' so gut –

Christopherl Das ging' mir grad noch ab –

Weinberl Wenn ich jetzt einen halben Schritt weiter links g'standen wär', so könnt' ich sagen, daß ich in der Residenz überschüttet worden bin, mit was, das braucht kein Mensch z' wissen.

Christopherl Was logiert denn für ein Völkel da drob'n?

Weinberl (liest das Schild) »Anna Knorrs Modewaren-Verlag« –

Christopherl Das is eine schöne Mod', daß man d' Leut' anschütt't.

Weinberl (nach rechts in die Szene sehend) Sieh, dort steht ein Mann.

Christopherl Winkt uns aber nicht!

Weinberl Er kommt näher – er bleibt wieder stehn – das is ja –

Christopherl Meiner Seel' –

Weinberl Das is der Herr von Brunninger –

Christopherl Der öfters zu unserm Prinzipal kommt?

Weinberl Der kennet uns gleich –

Christopherl Fahr'n wir ab! –

(Beide wollen links ab.)

Weinberl Halt! (Bleibt wie vom Donner gerührt stehen.) Das is Blendwerk, das kann nicht sein! – (Zeigt erstarrt in die Szene links.)

Christopherl (erschrocken) Der Herr Zangler!

Weinberl Der Prinzipal! –

Christopherl G'schwind da ins Haus hinein

Weinberl Dem Abenteuer weichen wir aus!

(Beide eilen in das offene Haustor mitten im Prospekt und bleiben unter der Einfahrt, sich links drückend, stehn.)

Christopherl Er wird gleich vorbei sein.

Weinberl Nur ruhig!

Zweiter Auftritt

Hausmeister; die Vorigen

Hausmeister (aus der Türe rechts unter dem Tore wegtretend) Was gibt's da?

Christopherl Nix, gar nix.

Weinberl Wir wollen –

Christopherl Nix, gar nix.

Hausmeister Wieder passen auf d' Weibsbilder? – Weiter um a Haus! –

Christopherl Nit um a G'schloß! –

Weinberl Wir müssen da hinauf –

Hausmeister Zu wem?

Weinberl (im Zweifel, was er sagen soll) Zu – zu – na, was da draußt auf der Tafel steht –

Christopherl Madame Knorr, Modewarenverlagsniederlagverschleißhändlerin –

Hausmeister Die logiert im ersten Stock und nit unter der Einfahrt.

Christopherl Eben deßtwegen gehen wir ja hinauf.

Weinberl (zum Hausmeister) Ja, hab'n Sie glaubt, daß wir nit hinaufgehn? –

Hausmeister Ersten Stock, rechts die Tür!

Weinberl Dank' Ihnen. (Geht zögernd die Stiege hinauf.)

Christopherl Also gehn wir! (Indem er Weinberln folgt.) Wir können nit fehl'n, rechts die Tür!

(Man sieht beide die Stiege hinaufgehen.)

Hausmeister (nach einer kleinen Pause) Denen geh' ich nach, i muß sehn, ob's mi nit ang'logen hab'n. (Geht ebenfalls die Stiege hinauf.)

Dritter Auftritt

Zangler, dann Brunninger

Zangler (von links kommend) Das wär' getan – das auch – zur Schwägerin hab' ich hing'schickt, also – (geht in das Haus, wo Christopherl und Weinberl hineingegangen sind.)

Brunninger (eilig von rechts kommend) Herr von Zangler! Herr von Zangler!

Zangler (bereits unter dem Torweg, sich wieder umwendend) Wer ruft denn?

Brunninger (auf ihn zueilend) So hab' ich halt doch recht g'sehn! –

Zangler Herr von Brunninger! Freut mich!

Brunninger Seit wann in der Stadt? Kommen wie gerufen, müssen gleich jetzt mit mir zum Advokaten, es is wegen der Krüglischen Sache.

Zangler Freund, das lassen wir bis später – jetzt muß ich –

Brunninger Nein, Freund, ich lass' Ihnen nicht aus, die Krüglische Sache –

Zangler Liegt mir bei weitem nicht so am Herzen als wie –

Brunninger Hat sich aufs vorteilhafteste gestaltet, wir kommen alle zwei zu unserm Geld. –

Zangler Ich weiß –

Brunninger Die Krüglische Sache –

Zangler Muß jetzt, aufrichtig, g'sagt, einer Herzenssache nachstehn.

Brunninger Was?!

Zangler Ich heirat'!

Brunninger Wem? –

Zangler Noch weiß es kein Mensch und doch steht's mit großmächtige Buchstaben angeschrieben auf der Gassen.

Brunninger Wo?

Zangler (auf die Tafel über dem Haustor deutend) Da – Madame Knorr –

Brunninger Is das die Erwählte? Gratulier', aber –

Zangler (eilig) Ich muß jetzt zu ihr –

Brunninger Da vergessen S' mir ganz auf die Krüglische Sache – nix da, ich lass' Ihnen nicht aus –

Zangler Aber, Freund –

Brunninger In zehn Minuten is es abgetan.

Zangler Aber g'wiß nit länger?

Brunninger (ihn unter dem Arm nehmend) Nein, sag' ich, kommen S' nur g'schwind!

Zangler Meinetwegen, aber –

Brunninger (mit Zangler abgehend) Sie werden sich wundern, Freund, ich sag' Ihnen, die Krüglische Sache –

Zangler Länger als zehn Minuten kann ich nicht –

(Beide ab.)

Verwandlung

Zimmer bei Madame Knorr, mit Mittel- und Seitentüren

Vierter Auftritt

Philippine, Weinberl, Christopherl

Philippine Wollen die Herren da hereinspazieren? Ich werd's gleich der Madame sagen. (Geht in Seitentüre links ab.)

Weinberl Da wär'n wir! Sehn Sie, das sieht schon ein' Abenteuer gleich.

Christopherl Was sagen wir denn aber, wenn die Madame kommt?

Weinberl Was uns einfallt!

Christopherl Wenn uns aber nix G'scheits einfallt?

Weinberl So sagen wir was Dumms. Unsere Lag' erfordert mehr Hardiesse als G'scheitheit.

Christopherl Freilich, ein gescheiter Mensch laßt sich auf so Sachen gar nicht ein –

Weinberl Sie kommt! –

Fünfter Auftritt

Madame Knorr, Philippine; die Vorigen

Philippine (mit Madame Knorr aus der Seitentüre rechts kommend) Das sind die Herren! (Geht zur Mitte ab.)

(Weinberl und Christopherl machen Madame Knorr stumme Komplimente.)

Christopherl (zu Weinberl, leise) Wenn Sie nit zum Reden anfangen, ich fang' nit an.

Weinberl Nur Geduld! –

Madame Knorr Was steht zu Diensten, meine Herren?

Weinberl Hab' ich die Ehre, Madame Knorr –?

Madame Knorr O, ich bitte, die Ehr' ist meinerseits!

Christopherl (beiseite) Der Anfang ist sehr ehrenvoll.

Madame Knorr Wünschen die Herren vielleicht in meinem Warenlager eine kleine Auswahl zu treffen?

Christopherl (leise zu Weinberl) Sie, das tut's nit, 's könnt' uns 's Geld z'wenig wer'n.

Weinberl Wir kommen eigentlich weniger, um zu kaufen –

Christopherl Noch eigentlicher, um gar nix zu kaufen.

Weinberl Sondern vielmehr, gekaufte Sachen zu bezahlen.

Madame Knorr (sehr freundlich) O, ich bitte! –

Christopherl Das heißt eigentlich nicht zu bezahlen –

Weinberl Sondern eigentlich nur, um uns über eine Rechnung zu informieren, wieviel sie betragt, und dieser Tage dann zu bezahlen.

Madame Knorr Wie es gefällig ist, aber was für eine Rechnung meinen Sie denn eigentlich?

Weinberl Die Rechnung von – (beiseite zu Christopherl) sie wird doch eine Kundschaft haben, die Schmidt heißt. (Laut) Die Rechnung nämlich von der Frau von Schmidt –

Madame Knorr Das muß ein Irrtum sein, ich habe keine Kundschaft, die Frau von Schmidt heißt.

Weinberl Jetzt is's recht. (Laut.) Ich habe mich nur versprochen, Frau von Müller, hab' ich sagen wollen. – (Beiseite.) Da wird's doch eine haben? –

Madame Knorr Verzeihn Sie, ich hab' auch keine Frau von Müller zu bedienen.

Weinberl (beiseite) Da soll doch der Teufel -! (Laut.) Ich bin aber heut' so zerstreut, Frau von Fischer heißt diejenige –

Madame Knorr Ah, Frau von Fischer, ja, das ist was anders, ja, die Frau von Fischer meinen Sie? –

Weinberl (leise zu Christopherl) Sehn S', jetzt hab' ich's halt doch troffen.

Christopherl (leise zu Weinberl) Es is aber unbegreiflich, wie man nicht gleich Frau von Fischer sagen kann; das gibt doch die Vernunft.

Madame Knorr Aber wie kommt das? Frau von Fischer ist mehr meine Freundin als bloß Kundschaft –

Weinberl Bitte, wenn die Freundin was kauft, is sie Kundschaft und muß zahlen; wenn das nicht wär', so hätten die Kaufleut' lauter Freund' und gar keine Kundschaften.

Madame Knorr Aber es pressiert ja nicht. Frau von Fischer verrechnet sich alle Jahr' mit mir – und jetzt muß ich mir schon die Freiheit nehmen, zu fragen, wer Dieselben sind und wie Sie dazu kommen, für die Frau von Fischer bezahlen zu wollen? –

Weinberl Sie ist also Ihre Freundin? –

Madame Knorr Das glaub' ich; noch wie ihr seliger Mann gelebt hat, und gar jetzt die drei Jahr', als sie Witwe ist. –

Weinberl (leise zu Christopherl) Jetzt geben Sie acht, was ich der Sach' für eine Wendung geb'! – (Laut.) Drei Jahr' war sie Witwe, ganz recht, aber seit drei Täg' ist sie's nicht mehr.

Madame Knorr (erstaunt) Wieso?

Weinberl Ich bin ihr Gemahl!

Madame Knorr (aufs äußerste überrascht) Was!? –

Christopherl (für sich) Ah, das is ein kecker Ding! –

Madame Knorr Wär's möglich! Vor drei Tagen hat meine Freundin Fischer geheirat't!?

Weinberl Ich bin der Glückliche von drei Täg'!- (Leise zu Christopherl, triumphierend.) Sehn Sie, das heißt halt Geist.

Madame Knorr (hat etwas von diesen Worten gehört) Wer heißt Geist? –

Weinberl Geist? – Ich heiße Geist. (Für sich.) 's is all's eins, ich kann heißen, wie ich will.

Madame Knorr Ich bin so überrascht, Herr von Geist –

Christopherl (für sich) Man sähet ihm's nicht an.

Madame Knorr Und dieser junge Herr? (Auf Christopherl zeigend.)

Weinberl Ein meiniger Verwandter.

Madame Knorr Aber warum hat man so eine wichtige Sach' vor einer intimen Freundin verheimlicht? –

Weinberl Sie sollen alles erfahren! Aber wollen Sie jetzt nur wegen der Rechnung nachschaun.

Madame Knorr Gleich, gleich! (Will Seitentüre rechts ab, zögert aber.)

Weinberl (leise zu Christopherl) Derweil fahr'n wir ab!

Christopherl (leise zu Weinberl) Recht, dem Alten begegnen wir jetzt nicht mehr.

Madame Knorr Nein, ich kann mich noch gar nicht erholen von dem Erstaunen und der Überraschung.


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