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»Am Hofe Franz' des Ersten lebte eine geistvolle Frau, die ob ihrer Anmut und Plauderkunst die Herzen mehrerer Herren erobert hatte. Das schuf ihr vielen Zeitvertreib, und ohne ihre eigne Ehre aufs Spiel zu setzen spielte sie mit den Edelleuten so wohl, daß diese nicht aus noch ein wußten und so die Zuversichtlichsten verzweifelten, die Verzweifelten zuversichtlich wurden. Trotz dieser Neckereien entging sie dem Schicksal nicht, einen Edelmann zu lieben, den sie Vetter nannte. Unter diesem Namen jedoch barg sich ein lang ausgesponnenes Liebesverhältnis. Unstät nur wie alles irdische, wandelte sich diese Liebe oft in Streit, flammte dann wieder stärker auf denn je, und konnte so dem Hofe auf die Dauer nicht verborgen bleiben.
Eines Tages stellte sich die Dame zu ihm ungewöhnlich liebenswürdig – sei es, um ihm zu zeigen, daß sie keinerlei sonstige Gefühle habe, sei es, um ihn ob der Liebesqualen, die sie so oft ertragen hatte, gehörig zu peinigen. Er, dem es weder in Kampf- noch Liebesfragen an Kühnheit mangelte, drängte sie sogleich zu dem, worum er sie schon so oft gebeten hatte. Alsbald tat sie, als könne sie ihr Mitleid nicht mehr bezwingen, bewilligte ihm diese Bitte und erklärte: ›sie wolle dafür in ihre Stube gehen, die im Obergeschoß lag, also daß sie sicher wäre, daß niemand sonst dorthin käme. Sobald er sähe, daß sie hinausginge, solle er ihr folgen, auf daß er sie, dank ihrer Bereitwilligkeit, allein antreffen könne.‹
Der Edelmann schenkte ihren Worten Glauben, und voll Zufriedenheit begann er mit den andern Damen Kurzweil zu treiben, derweile er erwartete, daß sie hinausginge. Sie aber, der es an List nicht fehlte, trat an zwei hohe Fürstinnen heran, mit denen sie sehr innig befreundet war, und sagte: ›Wenn ihr wollt, will ich euch einen Spaß erleben lassen, der seinesgleichen nicht hat.‹ Die beiden Fürstinnen waren keineswegs auf Trübsinn versessen und fragten darum flugs, was es sei. Sie entgegnete: ›Es handelt sich um den Herrn Soundso, der, wie ihr wißt, ob seiner Ehrenhaftigkeit und Kühnheit bekannt genug ist. Auch wißt ihr, wieviel üble Streiche er mir spielte, wenn er anderen Damen den Hof machte, derweile ich ihn über alles liebte. Damit hat er mir mehr Leids geschafft, als ich mir merken ließ. Nun aber gab mir Gott die Möglichkeit, mich zu rächen: ich gehe jetzt in Bälde auf meine Stube, und wenn ihr aufmerken wollt, werdet ihr sehen, wie er mir flugs folgen wird. Wenn er nun den Saalgang durchschritten hat und die Stiege emporklimmen will, so eilet bitte ans Fenster und schreiet mit mir: ›Räuber! Diebe!‹ Da werdet Ihr ihn vor Wut platzen sehen – und ich glaube, er wird sich dabei nicht übel ausnehmen! Und wenn er mir vielleicht auch keine Schmähungen ins Gesicht schleudert, so kann ich doch sicher sein, daß er innerlich darob schier berstet.‹
Der Gedanke machte sie alle fröhlich lachen, denn keiner der Edelleute stand so unablässig mit den Damen auf dem Kriegsfuße wie jener, und so sehr er auch von allen geliebt und geschätzt wurde, so hätte doch kaum eine gewagt, sich seinem Spott auszusetzen. Und darum schien es jenen Damen, daß sie wohl an dem Siegesruhm teilnehmen könnten, den eine einzelne ihm abzuringen im Begriff stand. Sobald sie also die unternehmungslustige Dame hinausgehen sahen, achteten sie auf das Verhalten des Edelmannes, der bald seinen Platz verließ. Kaum war er zur Tür hinaus, so schlüpften die Damen in den Saalgang, um ihn nicht aus dem Auge zu verlieren.
Er ahnte nichts dergleichen, nahm sein Manteltuch hoch, um sein Gesicht zu verbergen, und eilte die Stiege zum Hofe hinunter. Dann kam er wieder hinauf, und da er jemandem begegnete, den er nicht als Zeugen haben wollte, so ging er wieder hinunter, kam auf einer anderen Stiege wieder hinauf und alles das sahen die Damen, ohne daß er etwas merkte. Als er nun aber zu dem Stiegenabsatz kam, der unmittelbar zu der Stube der Dame führte, eilten die Damen flugs ans Fenster, sahen oben die andere schon bereitstehen und ›Räuber! Diebe!‹ schreien, worob sie nun auch beide so laut riefen, daß das ganze Schloß in Aufruhr versetzt wurde.
Ihr könnt euch denken, mit welcher Wut der Edelmann nach Hause floh. Doch konnte er sein Gesicht nicht so gut verbergen, daß er nicht von denen erkannt wurde, die um das Geheimnis wußten. Die neckten ihn später oft damit, auch jene Dame, die ihm den Streich gespielt hatte und die sich nun ihrer Rache rühmte. Aber er verteidigte sich sehr schlagfertig und ließ verstehen, er habe so etwas geahnt und habe den Vorschlag der Dame nur angenommen, um sie selbst zu verspotten. Denn aus Liebe zu ihr wäre er nimmermehr zu ihr gegangen, da seine Gefühle längst erloschen seien. Die Damen wollten ihm das nicht recht glauben, und noch heute ist man nicht sicher, was die Wahrheit ist.
Wenn es aber so lag, daß er der Dame geglaubt hatte (was nicht sehr wahrscheinlich ist, weil er gleichermaßen unvergleichlich klug als kühn war), so müßt ihr, wie mir scheint, zugeben, daß Männer, die in tugendhafter Liebe den Damen trauen, gar oft getäuscht werden.«
»Ich muß sagen,« erklarte Emarsuitte, »daß mir der Streich jener Dame gefällt. Wenn ein Mann die, welche ihn liebt, für andere verläßt, ist jede Rache recht.« – »Wenn sie geliebt wird, allerdings,« meinte Parlamente. »Manche Frauen fragen nämlich danach nicht und nennen dann die Männer wankelmütig. Wenn die Frauen klug sind, lassen sie sich nicht täuschen. Denn um nicht in das Netz der Lügner zu geraten, trauen sie nur den Wahrheitliebenden. Zudem spricht Wahrheit und Falschheit dieselbe Sprache.« – »Wenn alle Damen Eure Ansicht teilten, könnten die Edelleute ihre schönen Reden in ihre Kästen sperren,« lachte Simontault. »Wir können aber nicht annehmen, daß die Frauen ebenso ungläubig wie schön sind.« – »Da ich die betreffende Dame kenne, so kann ich ihr den Streich schon zutrauen,« meinte Longarine. »Was sie ihrem Manne nicht ersparte, hat sie sicherlich auch ihrem Freunde nicht erspart.« – »So wißt Ihr mehr davon als ich,« sagte Simontault. »Darum tretet an meine Stelle, um Eure Ansicht zu sagen.«
»Gern, wenn Ihr es wünscht,« hub Longarine an.