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»Zu Cremona lebte noch vor kaum einem Jahr ein Edelmann, benamst Herr Giovanni Pietro, der lange Zeit eine Dame geliebt hatte, die unweit seines Hauses wohnte. Doch konnte er nie eine erwünschte Antwort erlangen, obgleich auch sie ihm von Herzen zugetan war. Darob war der Edelmann derart ergrimmt, daß er sich in seinem Haus einschloß und nimmermehr für ein Ziel sich quälen wollte, um das er sich schier verzehrt hatte. Da er sie nun einige Tage nicht mehr gesehen hatte, verfiel er in solchen Trübsinn, daß er schier unkenntlich wurde. Seine Verwandten ließen alsbald Ärzte rufen, die aus seiner gelben Gesichtsfarbe auf eine Leberverstopfung schlossen und einen Aderlaß verordneten. Jene Dame aber wußte recht wohl, daß seine Krankheit von ihrer harten Abweisung stammte, und entsandte daher eine vertrauenswürdige Alte, die ihm ausrichtete, die Dame habe nun erkannt, daß seine Liebe wahrhaftig und nicht gespielt sei, und wäre deshalb bereit, ihm zu bewilligen, was sie so lange verweigert habe. Sie habe eine Möglichkeit gefunden, um ihr Haus zu verlassen und ihn ungestört an einem gewissen Ort zu treffen.
Ob dieser Nachricht war der Edelmann bald schneller geheilt als vom Aderlaß, den er am Morgen erhalten hatte. So ließ er ihr sagen, er würde nicht verfehlen, zur angegebenen Stunde dort zu sein, denn sie habe ein wahres Wunder vollbracht. Sie habe nämlich eine Krankheit mit einem Wort geheilt, wo die Ärzte die Ursache nicht hätten entdecken können.
Als der Abend kam, den er so ersehnt hatte, begab sich der Edelmann so voller Zufriedenheit dorthin, daß dieselbe wohl bald ein Ende haben mußte, maßen sie nicht mehr größer werden konnte. Alsbald kam auch die Geliebte, und er hielt sich nun nicht mit langen Vorreden auf; denn die Glut, die in ihm flammte, drängte ihn zur Eile. Schier trunken vor Liebe und Genuß vermeinte er, sich eine neue Lebenskraft zu erwerben, derweilen er seinen Tod beschleunigte. Denn er nahm nicht auf sich acht, und so merkte er nicht, daß der Verband an seinem Arm sich löste und die frische Wunde sich öffnete. Daraus entströmte so viel Blut, daß der arme Edelmann ganz in Blut gebadet war. Doch vermeinte er, seine Ermattung stamme vom Übermaß des Liebesgenusses, und wollte nun heimgehen.
Ob ihrer Liebe zu ihm gab seine Freundin ihm das Geleit. Aber durch den Blutverlust brach er plötzlich zu ihren Füßen tot zusammen. Die Arme war erst vor Schreck schier von Sinnen, als sie den Verlust ihres Geliebten begriff, dessen Tod sie allein verschuldet hatte. Andererseits ward sie sich der Schande bewußt, die sie erleben würde, wenn man diesen Leichnam in ihrem Haus fände. Um das zu vermeiden, trug sie mit einer vertrauenswürdigen Magd den Toten auf die Straße. Doch mochte sie ihn nicht verlassen. Vielmehr ergriff sie seinen Degen, und um gleichermaßen ihrem Geliebten zu folgen und ihr Herz, das alles verschuldet hatte, zu strafen, durchbohrte sie ihre Brust und sank tot auf die Leiche ihres Freundes. Als ihre Eltern beim Verlassen des Hauses dieses jammervollen Anblickes gewahr wurden, versanken sie in tiefe Trauer, wie sie solchem Fall geziemt, und ließen beide in demselben Grab bestatten.
So hat eine grenzenlose Liebe oft ein anderes Unglück nach sich gezogen.«
»Mir gefällt es,« bemerkte Simontault, »wenn die Liebe auf beiden Seiten so gleich stark ist, daß der eine Teil den andern nicht überleben mag. Ich würde im Falle solcher Gegenliebe ein unvergleichlicher Liebhaber sein.« – »Immerhin hätte die Liebe Euch nicht so verblendet, daß Ihr darob Euern Verband vernachlässigt hättet,« spottete Parlamente. »Denn die Zeiten sind vorbei, wo die Männer ihr Leben den Frauen zuliebe mißachteten.« – »Nicht aber die Zeiten,« widersprach jener, »wo die Frauen das Leben ihrer ergebenen Diener über ihr eigenes Vergnügen vergessen.« – »Ich glaube,« warf Emarsuitte ein, »daß keine Frau dieser Welt je an dem Tode eines Mannes, selbst ihres Feindes, Freude fand. Wenn die Männer aber sich selbst umbringen wollen, können die Frauen sie davor nicht bewahren.« – »Wer dem, der vor Hunger stirbt, das Brot verweigert,« rief Saffredant, »der mag wohl als Mörder gelten.« – »Wenn ihr um das Nötigste bätet,« erregte sich Oisille, »dann wären die Damen allerdings grausam, eure Bitten abzuschlagen. Gott sei Dank, stirbt man eben an solchem Leiden nur, wenn man schon totkrank ist.« – »Gibt es etwa etwas Nötigeres als ein Bedürfnis, das alle andern vergessen läßt?« klagte Saffredant. »Denn wenn die Liebe stark ist, kennt man nicht Fleisch, nicht Brot – nur das Wort, den Blick der Geliebten!« – »Ach, wenn wir diese Gründe alle anhören sollten,« brach Oisille ab, »so kämen wir kaum zum Nachtgottesdienst zurecht. So laßt uns denn fortgehen und Gott ob dieses gelungenen Tages preisen.«
Damit erhob sie sich und die andern folgten ihrem Beispiele. Doch Simontault und Longarine stritten auf dem Rückwege weiter über jene Frage, und Simontault gewann am Ende, indem er nachwies, daß die stärkste Leidenschaft auch die zwingendste Not verursache. Dann betraten sie die Kirche, wo die Mönche ihrer harrten. Nach dem Gottesdienst aßen sie und stritten noch viel. Aber als der Abend niedersank, meinte Oisille, man solle der Ruhe pflegen, auf daß der sechste Tag nicht schlechter gerate als die früheren. Guebron warf ein, daß jeder Tag denkwürdige Ereignisse zeitigen müsse, so lange die Welt dauere; denn »die Bosheit der Schlechten, die Güte der Edlen bleibt allezeit unveränderlich. Und solange Bosheit und Güte auf Erden herrschen, werden sie immer neue Ereignisse hervorrufen – obgleich man behauptet: es geschehe nichts Neues unter der Sonne. So sorgt Euch nicht, daß es uns an Stoff mangeln könne, und bedenket lieber selbst Eure morgige Pflicht.« Oisille erwiderte, das überlasse sie Gott, in dessen Namen sie allen eine geruhsame Nacht wünsche. Und alsbald zog sich die ganze Gesellschaft zurück und beendete derart den fünften Tag.