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Als ich eines Morgens, wie gewöhnlich mit dein Wassereimer und der Büchse in der Hand, von der »Höhle« am Strande entlang nach der »Hütte« zur Arbeit ging, sah ich Nansen, der vorausgeeilt war, plötzlich stehen bleiben und vorsichtig retiriren.
Dort stand ein Bär und beschnüffelte die vierte Dachhaut, die er sich aus dem Wasser, in das sie zum Aufweichen gehängt worden war, herausgezogen hatte. Während Nansen seine Flinte holte, schlich ich mich hinter einigen großen Steinblöcken an den Burschen hinan. Nun konnte ich nicht weiter, da das Terrain zwischen mir und dem Bären ziemlich offen war; da überdies der Abstand von meinem Platze aus zu groß war, blieb ich ruhig liegen, in der Erwartung, daß er mir entgegenkommen würde, denn er stand mir zugewandt und schien in dieser Richtung weitergehen zu wollen; noch hatte er mich nicht gesehen. Doch er schlug den Weg den Abhang hinauf zur Hütte ein; nun wurde es noch schwieriger, ihm einen Schuß nachzusenden.
Er ging gerade auf die Hütte los und beschnüffelte das Dach – aber wer beschreibt mein Erstaunen, als ich plötzlich sah, wie ein anderer Bär aus dem Innern der Hütte durch das Dach kam, von dem er die Häute abgerissen hatte. Brummend stand er auf dem Steinbette und holte mit den Tatzen nach dem Neuangekommenen aus, wie um ihn zu ersuchen, daß er sich fortschere.
Nansen war inzwischen zurückgekehrt; gleichzeitig ging auch der erste Bär wieder nach dem Strande hinunter. Ich machte Nansen auf den Bären Nummer zwei aufmerksam, der nun ganz aus der Hütte herausgeklettert war. Das Einzige, was uns zu thun blieb, war, drauflos zu gehen und aus so geringer Schußweite wie möglich zu schießen. Nansen sollte den am Strande, ich den bei der Hütte aufs Korn nehmen. Wir eilten also gleichzeitig aus unserm Verstecke auf die Bären los.
Diese waren beim Anblicke der zweibeinigen Geschöpfe, die ihnen entgegenliefen, äußerst erschrocken und machten sich alle beide auf die Beine. Nansen konnte seinem Bären eine Kugel ins Hintertheil senden; der meinige lief erst gerade in einen Schneehaufen hinein, der oberhalb der Hütte am Fuße des Gebirges liegt, dann trabte er in einem Bogen wieder nach dem Eise hinunter. Nansen war schon weiter fort und eifrig damit beschäftigt, den Verwundeten zu verfolgen, während mein Bär auf dem Eise einen großen Bogen machte. Ich konnte ihm natürlich nicht folgen, sondern beschränkte mich, hinter einem Eishaufen am Ufer versteckt, darauf, seine Bewegungen zu beobachten.
Es fiel mir auf, daß er sich sehr mit seinem Kameraden und mit Nansen beschäftigte. Immer mehr näherte er sich der Stelle am Ufer, wo Blut auf dem Eise war und die Spuren der Verfolgung anfingen; er wollte gewiß die Spur des fremden Geschöpfes, das so plötzlich hier auftrat, untersuchen. Doch nun war er mir, der ich versteckt lag, nahe genug und er erhielt, was ihm zukam, erst einen Schuß durchs Rückgrat, dann einen durch den Kopf, den letztern jedoch erst, nachdem er sich auf dem glatten Eise nach einer sicherern Scholle hingerollt hatte.
Ich machte mich ans Abhäuten und war damit beinahe fertig, als ich Nansen, die Hände in den Taschen, das Gewehr auf dem Rücken, gemüthlich daherschlendern sah. Da ich keinen Schuß von ihm gehört hatte, glaubte ich, er habe die Verfolgung aufgeben müssen, und sagte, als er näherkam: »Wie schade, daß wir den nicht auch bekommen sollten.« »Ja, wir haben ihn doch bekommen!« sagte Nansen; »es war eine Schweinebestie, aber nun liegt sie in einer Schneewehe da hinten am Fuße des Gletschers im Verenden.« Dann erzählte er mir, daß der Bär nach einer Weile wieder ans Land gegangen sei und sich ein wenig höher am Gletscher hinauf in den Schnee gelegt habe. Nansen habe ihm da in aller Ruhe und Bequemlichkeit ganz aus der Nähe den Garaus machen wollen, der Bär sei ihm aber so wüthend entgegengestürmt, daß er schnell habe schießen müssen.
So hatten wir sie denn alle beide; wir schleppten sie nach dem gemeinsamen großen Fleischhaufen vor der Höhle. Es waren zwei wirklich prächtige junge Bären mit köstlichem Fleische. Aber das Dach der Hütte hatten sie leider dermaßen zerstört, daß wir wieder alle Häute zum Aufweichen ins Wasser werfen mußten. Es war eine beschwerliche Arbeit, und sie ordentlich zu spannen brachten wir nicht fertig, nachdem wir endlich so weit waren, daß wir sie wieder auf das Dach bringen konnten. Wir schnitten dicke Streifen von den Häuten ab und machten davon Schleifen für große Steine, mit denen wir die Enden der auf beiden Seiten über die ganze Höhe der Mauern herabhängenden Häute beschwerten.
Gegen das Ende unsers Aufenthalts in der Höhle sah ich eines Morgens, als ich nach dem Aufstehen die Temperatur ablas, gar nicht weit von uns draußen im Fjord, der jetzt beinahe vollständig zugefroren war, eine Schar Walrosse auf dem Eise liegen. Das Walroß ist, wenn es einigermaßen groß ist, im Stande, das Eis zu durchbrechen; es stößt mit seinem unförmlichen dicken Kopfe von unten gegen das Eis, sodaß wir es weithin hören können, und dann kommt es mit solcher Geschwindigkeit heraus, daß Eisstücke und Wasser umherspritzen.
Ich sah mir diese Walrosse eine Weile an. Beständig kamen neue hinzu, die an dem Eisrande hinaufkletterten und von dem größten der auf der Scholle liegenden Thiere mit Grunzen und Bissen empfangen wurden. Wir hatten es früher beobachtet und sahen es nun wieder, auf welch eigenthümliche Art diese Thiere ihre Kameraden empfangen.
Unter denen, die auf der Scholle lagen, war ein großes Männchen mit langen Hauern. Dann und wann erhob es den Kopf und hieb rechts und links um sich, augenscheinlich, um seine Ueberlegenheit zu zeigen, was sich die andern auch gefallen ließen. Von diesen hieben die Stärkern wieder auf die Schwächern ein. Sobald ein neues an der Eiskante erschien, um auf das Eis zu kommen, strengte sich das alte Männchen entsetzlich mit Grunzen an und biß rund um sich, um dem Ankömmling begreiflich zu machen, daß es der Mann sei, welcher Fremden die Erlaubniß zum Zutritt zu ertheilen habe, und das neuangekommene Walroß gesellte sich dann ganz zahm zu äußerst zur Schar. Ich hatte ihnen schon eine Weile zugeschaut, als Nansen herauskam; wir zählten elf Stück, zu denen immer mehr kamen. Es wurde bestimmt, daß wir zwei von ihnen schießen sollten, besonders wenn, wie wir glaubten, Junge darunter wären.
Wir schlichen uns also an die Kolosse heran; zwischen uns und ihnen lagen einige Eisrücken und Eistrümmer, sodaß wir ungesehen recht weit kamen. Da aber die allerletzte Strecke offen war, gewahrten sie uns und wurden ein wenig unruhig; einige schleppten sich näher ans Wasser heran. Wir entdeckten Junge unter ihnen und streckten jeder eins nieder. Meines, das ganz dicht am Rande lag, konnte noch ins Wasser springen, als es die Kugel erhielt. Nansen ging es mit einem Thiere ebenso, aber ein anderes, das er schoß, blieb auf dem Flecke liegen.
Eins nach dem andern fuhr nun mit fürchterlichem Lärm kopfüber ins Wasser, besonders der Häuptling war vor Wuth außer sich. Zwei ausgewachsene Walrosse legten sich wieder hin, sie wollten nicht hinunter; das eine erlegte ich mit einem Schusse, das andere blieb ruhig liegen, als ich mit angeschlagenem Gewehr auf dasselbe zuschritt; Nansen nahm die Gelegenheit zum Photographiren dieser Situation wahr.
Das Walroß sah uns und seinen todten Kameraden an und konnte nicht begreifen, was diesem einfiel, daß er nicht mit ins Wasser gehen wollte; endlich ging es allein zu den andern.
In dem einen Augenblick war die Wasserfläche noch glatt und ruhig, im nächsten spritzte der Schaum empor und das Wasser kochte förmlich. Die Köpfe mit den langen Hauern tauchten auf, und die blutunterlaufenen häßlichen Augen sahen uns böse an. Voll Wuth bohrte der Häuptling seine Zähne in die Eiskante und hob sich an dieser empor, ließ sich dann wieder los und tauchte unter. Wir hörten ihn gegen das Eis unter unsern Füßen stoßen, standen aber glücklicherweise auf einer alten, festen Scholle, sonst würde es gewiß nicht lange gewährt haben, bis sie diese in kleine Stücke zertrümmert hätten.
Allmählich verschwänden sie nach der See zu, und wir begannen in aller Ruhe mit dem Abhäuten der beiden erlegten Thiere. Plötzlich tauchte der Häuptling wieder ganz in unserer Nähe mit einem so abscheulichen Gebrüll auf, daß wir zusammenfuhren; er konnte das, was geschehen war, augenscheinlich nicht vergessen. Ein paarmal kam er wieder, dann verschwand er ganz.
Wir schnitten uns von den Walrossen so viel Speck und Haut ab, als wir bekommen konnten, ohne uns weiter damit abzuquälen, sie auf die andere Seite zu drehen. Es wurden zwei tüchtige Ladungen, mit denen wir, als die Dunkelheit einbrach, vergnügt ans Land zogen.
Infolge dieser Beute hatten wir mehr Häute für unser Dach, aber sie mußten erst im Wasser aufgeweicht werden. Während wir an einer Rinne am Strande damit beschäftigt waren, brach weiter hinten ein Walroß durch das Eis; sowie es uns erblickte, verschwand es und erschien nun in unserer Rinne, um zu sehen, was wir dort vorhätten. Ich griff nach unserm unschätzbaren Werkzeuge, der abgebrochenen Schlittenkufe, und hielt mich bereit, dem Walrosse damit eins auf den Schädel zu geben; es hatte aber anscheinend Angst vor dieser Waffe, tauchte unter und verschwand.
Am 16. September schossen wir einen Bären, den wir den »Wasserbären« getauft haben.
Nansen ging am Morgen zu den Walroßkadavern, um ein Paar Sehnen zu holen, die er ihnen zu Nähzwirn aus dem Rücken geschnitten hatte. Da sah ich in einiger Entfernung einen Bären zwischen den Eishügeln hindurch auf das neue Eis hinausgehen. Ich pfiff Nansen und gab ihm Zeichen, aber er sah und hörte nicht, da ihn das Suchen nach dem Sehnenzwirn, den die Füchse fortgeschleppt hatten, ganz in Anspruch nahm. Anscheinend wollte der Bär den Walroßkadavern eine Visite machen.
Nansen hatte kein Gewehr bei sich, ich nahm deshalb das meinige und lief zu ihm hin. Doch der Bär ging auf dem neuen Eise an der Kante des ältern Eises entlang, dann legte er sich, so lang er war, ruhig hin. Nansen holte jetzt ebenfalls sein Gewehr, und wir kamen nun überein, daß er in großem Bogen außen um den Bären herumgehen sollte, um ihm den Weg nach der See abzuschneiden; ich sollte mich dicht am Lande halten, um ihn, wenn er Nansen entkäme, dort in Empfang zu nehmen. Aber der Bär schien durchaus keine Furcht zu haben; er erhob sich und ging Nansen, der ihn stellte, entgegen; dann bedachte er sich und schritt langsam auf dem neu gefrorenen Eise weiter.
Nansen mußte jetzt schießen, obgleich der Abstand groß war. Der erste Schuß ging zu hoch, der zweite aber traf. Ich sah das Aufblitzen und den Rauch des Schusses lange, bevor der Knall mein Ohr erreichte, und sah auch den Bären zusammenzucken und ein paar gewaltige Sprünge nach vorn machen. Aber das dünne Eis konnte den Burschen bei seinen heftigen Bewegungen nicht tragen, und er brach ein.
Was dann vorging, konnte ich nicht sehen. Nansen rief mir etwas zu, und schließlich begriff ich, daß ich mit Tauen und Schlitten kommen sollte. Als ich dort anlangte, schwamm der Bär todt im Wasser. Es war ein großer, fetter Geselle mit hübschem weißem Pelz; er hatte bei seinen Versuchen, wieder aus dem Wasser zu kommen, das Eis rund herum zertrümmert; das eine Vorderbein war abgeschossen. Nansen hatte ihm nicht mehr Schüsse geben wollen, weil er hoffte, daß der Bär selbst wieder auf das Eis klettern würde. Er war jedoch bei den Versuchen verendet, und nun mußten wir zusehen, wie wir ihn herausziehen konnten. Es war keine leichte Sache, denn sobald wir ihn ein wenig auf dem Rande hatten, brach das Eis, und wir waren wieder ebenso weit wie zuvor.
Während Nansen noch auf mich wartete und der Bär im Wasser schwamm, sah er plötzlich, wie dieser einen heftigen Stoß von unten erhielt, und im nächsten Augenblick wurde auch schon der wohlbekannte Kopf eines Walrosses sichtbar. Es glotzte Nansen eine Weile an, kümmerte sich aber nicht im mindesten um den Bären; schließlich schien es die Situation zu begreifen und verschwand, um nicht wieder zu erscheinen.
Um den Bären auf das feste Eis ziehen zu können, mußten wir in dem dünnen Eise einen schmalen Kanal nach einer alten Scholle hin frei hacken; in diesen Kanal brachten wir das Tau, dessen eines Ende um den Hals des Bären geschlungen war. Auf diese Weise zogen wir den Bären durch das Wasser unter der Eisschicht auf sicheres Eis. Wir hatten viel Arbeit mit dem »Wasserbären«, dafür war er aber auch ein werthvolles Stück.
Es war schon dunkel, als wir am Abend jeder mit seiner schweren Ladung bei dem großen Fleischhaufen vor der Höhle ankamen, doch war es nicht so dunkel, daß ich nicht recht gut hätte sehen können, wie hinten bei den ersten Walrossen sich nicht weniger als drei Bären an unserm Speckhaufen gütlich thaten. Ich stieß einen leisen Pfiff aus, um Nansen, der mit seiner Ladung ein wenig vor mir war, davon zu unterrichten. Er spitzte die Ohren, ich deutete mit der Hand nach vorn, und er sah sie ebenfalls.
Um die Wahrheit zu sagen, hatte eigentlich keiner von uns schon wieder rechte Lust zur Bärenjagd; wir hatten uns längst eingestanden, daß wir für den Augenblick nur nach dem Schlafsacke und nach einem gehörigen Topf voll Essen Verlangen trugen. Gehen lassen konnten wir sie jedoch nicht. Die Flinten wurden vom Rücken genommen, und wir schritten auf die Bären, eine Bärin und zwei Junge, los. Sie witterten uns und verschwanden, ehe wir uns auf Schußweite genähert hatten, worüber wir sehr froh waren.
Nansen schnitt Fleisch zum Abendessen, ich holte Salzwasser und Süßwassereis für die Wirtschaft, las die Temperatur ab u. s. w. (es waren jetzt gegen -20°), da sahen wir die drei Gestalten wieder draußen auf dem Eise erscheinen und gerade auf den Speckhaufen lossteuern. Hurtig schlichen wir uns dorthin, kamen vor den Bären an und saßen nun wie Statuen hinter zwei großen Felsblöcken am Abhange.
Nansen zielte, so gut er in der Dunkelheit konnte, auf die Bärin und schoß, als sie vorbeipassirte. Sie brüllte, machte kehrt, stolperte noch ein Paar Schritte auf dem Eise weiter und fiel hin. Die Jungen blieben ebenfalls stehen, liefen aber fort, als wir uns näherten; es war nicht möglich, einen Schuß anzubringen. Wir zogen die Bärin schnell ans Land und rissen ihr das Fell vom Leibe, dann kamen wir in unserer erbärmlichen Wohnung endlich zur Ruhe, nachdem wir dem vorzüglichen Fleische des »Wasserbären« volle Gerechtigkeit hatten widerfahren lassen.
Am nächsten Tage gewahrten wir, daß die beiden jungen Bären im Laufe der Nacht die Stelle besucht hatten, wo die abgehäutete Mutter lag, und einige in ihrem Magen befindliche Speckstücke aufgefressen hatten. Wir sahen sie weit draußen auf dem neuen Eise hin- und hertraben, glaubten aber, sie würden wieder dort hingehen, wo die Mutter lag, was sie auch thaten. Wir schlichen uns an sie heran, kamen aber nicht gut zum Schusse; Nansen schickte ihnen allerdings eine Kugel zu, aber ohne Resultat, und von neuem liefen sie davon wie zwei Pferde; wir konnten sie auf dem Eise stampfen hören. Wir gingen nach der Hütte, die sich jetzt ihrer Vollendung näherte, und arbeiteten an dem Dache und dem Hausgange. Den jungen Bären setzten wir noch einmal nach, doch nun waren sie so scheu geworden, daß an sie einfach nicht heranzukommen war.
Ein Fenster, das heißt ein Guckloch, gaben wir unserer Hütte auch; es lag an der Südwand und ging nach dem Fjord hinaus.
Wahrend wir beim Bauen waren, hatten wir davon gesprochen, wie schön es sein werde, hierher überzusiedeln, es war ja mit der Höhle verglichen der reine Palast. Nansen meinte, er würde hier an seiner Reisebeschreibung arbeiten können; er hatte ja von nun an viel Zeit dazu. Wir mußten unserer Ansicht nach ein Fenster haben, um vom Innern der Hütte aus das Eis möglichst weit überschauen zu können, solange es in diesem Jahre noch hell war, und auch nachher, wenn die Sonne nach der Winternacht wieder erschien. Man konnte ja nicht wissen, ob wir nicht gezwungen sein würden, uns nicht das Geringste entgehen zu lassen. Doch wir kamen nie dazu, das »Fenster« zu gebrauchen; wir freuten uns, als wir es, um die Kälte abzuhalten, wieder so dicht wie möglich zugemauert hatten, nachdem wir lange hin und her überlegt, ob wir uns nicht aus der Haut des Bärenmagens oder aus den Darmhäuten eine Fensterscheibe machen könnten.
Als ich am Morgen des 28. September zum letzten male in der Höhle aufstand und ans Ablesen der Temperatur ging, gewahrte ich hinten auf dem Speckhaufen einen Bären und glaubte anfangs, es sei eines der kleinen Jungen, das wiedergekommen, sah aber bald, daß es ein gut ausgewachsener Kerl war. Ich sagte es Nansen, der noch in der Höhle lag, ergriff die Flinte und schlich mich vorsichtig soweit als möglich heran, um sicher schießen zu können.
Der Bär schien sich um mich nicht zu kümmern; ganz ruhig lag er mitten im Speckhaufen auf dem Bauche und fraß. Als ich anlegte, erhob er den Kopf; im nächsten Augenblick fiel der Schuß. Ich hatte auf den Schädel gezielt und geglaubt, der Bär würde auf der Stelle liegen bleiben. Nachher sahen wir, daß die Kugel der Bestie dicht unter dem Gehirn quer durch die Kehle gegangen war. Zunächst sah man das dem Petz jedoch nicht an; ruhig und ohne Hast erhob er sich aus dem Specke, würdigte mich eines mißbilligenden Blickes und begann majestätischen Ganges nach dem Eise hinzuschreiten, bis er einen Schuß in das Hintertheil erhielt, durch den das Rückgrat gelähmt wurde; das brachte Leben in den Burschen.
Jetzt war auch Nansen herzugekommen, der ihm ebenfalls zwei Schüsse gab; von mir erhielt er auch noch einen. Dann bekam er den letzten, tödlichen ins Gehirn. Es war ein außergewöhnlich großer Bär, der größte, den wir je gesehen haben, aber schrecklich mager. Er hatte sich so mit Speck vollgepfropft, daß ihm der Bauch wie eine Trommel vorstand; gewiß hatte er seit Monaten nichts Ordentliches gefressen. Gott mag wissen, von wo er hergewandert kam, vielleicht direct vom Nordpol!
Im Todeskampfe hatte er eine Menge Speck wieder von sich gegeben; nun drückte das schwere Thier mit solcher Wucht das Eis hinunter, daß es beinahe versank und wir uns beeilen mußten, es auf sicheres Eis zu bringen. Nirgends war an ihm eine Spur von Fett zu entdecken, weshalb wir ihn den »magern Bären« genannt haben. Nach einem Gegenstücke zu seinem Felle kann man lange suchen! Ein langer, feiner, glänzender Pelz und dichtbehaarte Beine.
»Das Fell ist seine 1400 Mark werth«, sagte Nansen. Wir benutzten es den Winter über als Unterlage auf unserm Steinbette.
Der Bär hatte außer dem Herumwirthschaften in unserm Speckhaufen auch noch etwas anderes gethan; denn unten am Strande fanden wir das eine der beiden Bärenjungen erschlagen zwischen den Eishügeln liegen. Das andere lag dort ebenfalls starr und leblos, doch fanden wir es erst den Tag darauf.
Vermuthlich haben sich die kleinen Bären dem Speckhaufen und der Stelle, wo ihre Mutter den Tod gefunden, unter dem Schleier der Nacht wieder genähert; dabei haben sie den alten Brummbär getroffen und vielleicht Freundschaft mit ihm schließen wollen. Doch dieser hat von Concurrenten beim Futterberge nichts wissen wollen und hat ihnen ganz einfach mit seiner fürchterlichen Tatze einen Klaps verabreicht. Dem einen von ihnen war er noch auf das Eis hinaus nachgelaufen, wie wir an den Spuren sehen konnten.
Beim Abhäuten der Bären konnten wir nicht umhin, die großartige Muskulatur der Vorderbeine zu bewundern; doch als ich die Tatzen des »magern Bären« erblickte, erreichte diese Bewunderung ihren Höhepunkt. Solch ein Gewirr von Muskeln und Sehnen, die sich vom Schulterblatt herab bis an die langen gekrümmten Krallen zogen, hätte man sich gar nicht vorstellen können. Nun durfte man sich nicht darüber wundern, daß die jungen Bären mit zerschmettertem Schädel dalagen. Der Kerl mußte alles haben zerschmettern können. Es war ein fürchterliches Thier, das sich nicht einmal aus einer Kugel durch die Kehle und beide Kinnbacken etwas machte.
Am Abend desselben Tages hielten wir endlich den Einzug in unsern neuen Palast.
Eines der letzten Dinge, die wir in Stand setzten, waren die Steinbänke, auf denen wir zu liegen gedachten. Es schien uns angenehm, jeder sein Bett zu haben, sodaß wir uns nach Belieben umdrehen könnten, ohne voneinander abhängig zu sein; denn bisher hatten wir uns beide gleichzeitig umdrehen müssen. Wir trennten also den wollenen Sack auseinander, damit jeder eine wollene Decke zum Zudecken bekäme. Die Felle, die das Dach der Höhle gebildet hatten, und einige von denen, welche noch nicht vom Specke befreit worden waren, benutzten wir zu den Betten. Es gelang uns schließlich auch, drinnen ein paar Thranlampen anzuzünden. Doch in jener Nacht froren wir auf den steifgefrorenen, bereiften Fellen gehörig und waren froh, daß die Nacht ein Ende nahm. Am Morgen machten wir mehr Feuer und kochten uns eine ordentliche Portion Fleisch. Es war uns, als könnten wir von der fetten, brühwarmen Bärenbouillon gar nicht genug trinken, denn seit den kältesten Tagen im Treibeise hatten wir die Kälte nicht so empfunden.
Das Erste, was wir thaten, war, daß wir die wollenen Decken wieder zu einem Sacke zusammennähten, d. h. sie nur hier und da mit einem Stiche zusammennestelten; wir mußten ja jetzt mit dem Zwirn sparsam umgehen. Vermittelst der Schneeschuhstöcke und einigen TreibholzesAuf einer Wanderung am Strande entlang hatten wir noch ein wenig Treibholz gefunden, einige Stücke von einem in Auflösung begriffenen Baumstamme. brachten wir quer über den Einzelbetten eine Bettstelle zu Stande und freuten uns, als wir die nächste Nacht wieder in dem gemeinsamen Sacke zueinander kriechen konnten, obwol wir sehr schlecht lagen. Die Unterlage von Stöcken verbesserten wir zunächst, bauten dann aber statt ihrer eine von Steinen auf.
Unsere Thranlampen erzeugten keine große Hitze, aber es wurde unter dem Dache doch so warm, daß die Walroßhäute aufthauten und wie große Beutel herabhingen. Dabei glitten sie an den Kanten auseinander, sodaß es, wenn der auf ihnen liegende Schnee schmolz und die Beutel voll Wasser waren, beständig zu uns herabtropfte. Wir spannten die Häute aufs neue und legten Haut- und Treibholzstücke in die Zwischenräume; das half für eine Weile, doch bald war es wieder ebenso schlimm.
Nun mußten wir uns daran machen, das Dach mit Bärenfellen zu verkleiden. Die steifgefrorenen Felle, die draußen vor der Hütte lagen, wurden zum Aufthauen hereingeholt und dienten uns dann als Lager, während wir diejenigen, auf welchen wir bisher gelegen hatten, über einem Schneeschuh abspeckten und darauf vermittelst kleiner Nägel und einiger Zeltüberreste oben an der Decke befestigten. Diese werthvollen Bärenfelle wurden schändlich behandelt. Wir brauchten lange Zeit zu unserer Arbeit, und eine elende Plackerei war es obendrein.
An jeder Längswand der Hütte hatten wir einen Schneeschuh, der in Schleifen gesteckt war, die zwischen der Mauer und der Dachhaut quer durch die erstere gingen. Zwischen diesen Schneeschuhen pflegten wir die Felle zum Trocknen auszuspannen. Wochenlang mußten sie dort hängen, bis wir sie abnehmen konnten und für neue Platz erhielten.
Außer dem eigentlichen großen Firstbalken mußten wir das Dach an den Seiten mit Schneeschuhen, Bambusstöcken und unsern beiden Rudern, so gut es sich machen ließ, verstärken. Als erst richtige Kälte eintrat, gefror das ganze Dach zu einer steifen Masse mit einer dicken Schneeschicht oben darauf.
In der Südostecke wurde ein Herd mit einem Rauchfange aus Bärenhaut errichtet; der Rauch entwich durch ein Loch in der Walroßhaut und durch einen Schornstein, den wir aus Schnee, Bärenknochen und Walroßfleisch erbauten. Wenn das Herdfeuer erloschen war, stopften wir ein Stückchen Fell in das Loch, um es zu schließen. Es kam allerdings manchmal vor, daß unser Schneeschornstein zu schmelzen begann. Besonders wenn es weniger kalt war und wir starkes Feuer anmachten, um uns Beefsteaks ersten Ranges zu braten, tropfte uns das rußige Wasser ins Gesicht, doch wir nahmen es nicht so genau.
In der Südwestecke hing ein Fell von der Decke herab, das die Oeffnung des Hausganges verdeckte. Durch diesen krochen wir ins Freie und stiegen aus einem Loche auf, über dem ein Bärenfell lag, das die Hausthür bildete. Oft war das Hinausgelangen morgens recht schwierig, wenn der Wind den Schnee im Laufe der Nacht zu einer festen Wehe zusammengewirbelt hatte, die schwer auf dem Thürfelle lag. Am schlimmsten war es für Nansen, denn er war so groß, daß er sich in dem engen Gange nicht genug zusammenzukauern vermochte, um die Thür, den Rücken ordentlich gegen das Fell gestemmt, mit einem Ruck öffnen zu können. Er mußte die Schneeklumpen an den Rändern des Felles mit dem Messer oder dem Schneschuhstock losmachen, ehe er es zurückschlagen konnte.