Hjalmar Johansen
Durch Nacht und Eis - Band 3
Hjalmar Johansen

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Elftes Kapitel

Land in Sicht!

Auf der Stelle, wo wir den bärtigen Seehund schossen, blieben wir einen ganzen Monat liegen; wir nannten den Ort das »Sehnsuchtslager«. Dies war er auch sicher. Es erforderte Geduld, so still zu liegen und darauf zu warten, daß der Schnee schmelzen sollte, damit das Eis fahrbar würde und wir weiter, nach dem unbekannten, ungesehenen Lande, das in der Nähe sein mußte, ziehen könnten. Es war nur merkwürdig, daß wir das Land noch immer nicht sehen konnten. Unausgesetzt dachte ich an Welhaven's Gedicht:

Westlich von Helgelands-Klippen in der See
Schwimmt eine Insel auf glänzenden Wogen;
Doch kommt ein Segler in ihre Näh',
Gleich sind die Wolken davorgezogen.

Verhüllet ist dann der winkende Strand,
Und die Insel darf keiner erblicken.
Der Seemann kann nur die Gedanken schicken
Gen Westen ins herrliche Elfenland.

Ich kann mich bei dem Gedanken an den Unterschied zwischen dem Elfenlande, nach dem der Dichter den Seemann sich sehnen läßt, und dem, nach welchem unser Sinn stand, des Lachens nicht erwehren. Doch denke ich, daß unsere Sehnsucht, wenn sie auch keinem Elfenlande galt, trotz alledem nicht hinter jener zurückstand.

In dieser Zeit lebten wir von Fleisch, das wir auf Thranlampen kochten oder brieten. Nansen war ja bei den Eskimos in Grönland gewesen; er war beinahe ein ausgelernter Wilder, und seine Erfahrungen aus dem Eskimoleben kamen uns sowol hier, wie später auf der Reise gut zu statten.

Die Lampe bestand nur aus einer Schale, die wir aus einem Theile des Neusilbers, das wir zur Reparatur der Schlittenbeschläge mitgenommen hatten, anfertigten; Dochte machten wir von dem Segeltuche unserer Proviantsäcke und nahmen dazu aus dem »Doctorsacke« die feinen sterilisirten Binden, die wol kaum bessere Verwendung finden konnten. Auch sonst kamen die Sachen des Doctors uns auf andere, erfreulichere Art, als beabsichtigt war, zu Nutze; die Pflaster, die uns bei einem Schlüsselbeinbruche dienen sollten, fanden ebenfalls praktische Verwendung, da wir ausfindig machten, daß sich die Fugen der Kajaks mit dem Klebestoffe vorzüglich verkitten ließen. Hierzu brauchten wir übrigens auch einige von Nansen mitgenommene Pastellfarben, die wir fein schabten und mit Thran verrührten. Die Kajaks setzten wir nämlich im »Sehnsuchtslager« ordentlich in Stand; dazu machten wir uns eine Malerfarbe von Ruß und Thran zurecht und beschmierten dann die Kajaks tüchtig mit einem Pinsel von Bärenhaaren.

Eines Tages sollten wir nichts Geringeres als Pfannkuchen von Seehundsblut zum Abendessen haben. Nansen begann zu backen und erzielte mit vielen Dochten eine herrliche Hitze. Es ging wunderschön, bis er an den vorletzten Pfannkuchen kam; da wurde die Hitze beunruhigend stark, weil die Speckstücke, die in die Schale gelegt waren, um beim Schmelzen die Dochte mit Thran zu versorgen, auch Feuer fingen. Im Zelte war es bei all den Tassen und Geschirren eng, das Löschen war also nicht so leicht. Da nahm Nansen eine Hand voll Schnee vom Boden auf, um die Hitze damit zu dämpfen. Doch dies geschah nicht, eine hohe Flamme schlug bis an die Zeltdecke empor und zündete das Seidenzeug an. Wir fuhren in einem Nu aus dem Sacke und aus der Thür, die wir aufrissen, daß die Knöpfe nur so umherflogen, hinaus ins Freie. Da war auch schon die Feuersbrunst, die sich auf die eine Ecke beschränkt hatte, zu Ende. Wir mußten eines unserer Segel nehmen, um das Zelt damit zu flicken.

Dies passirte am Johannisabend; es war also ganz in der Ordnung gewesen, daß wir das Zelt ansteckten, damit auch wir etwas zur Ehre des Johannisfestes verbrennen konnten. Wir schmückten unsern Zeltboden mit frischer Streu, die aber weder Wachholderreis, noch Birkenlaub war, die hier knapp sind, sondern eine Streu von Schnee, der hier sogar mitten im Sommer reichlich vorhanden ist.

Es hat sich herausgestellt, daß wir, obgleich der Wind in letzter Zeit westlich und südwestlich gewesen, doch gar nicht wenig nach Süden getrieben sind, da die Sonnenhöhe am 22. Juni 82º 4' nördlicher Breite ergab. Nach Osten sind wir nicht gekommen. Die Länge betrug 57º 48' östlich von Greenwich.

Am 25. schlief ich barfuß und in Hemdärmeln oben auf dem Sacke mit den nackten Beinen außerhalb des Zeltes, so warm und schön war das Wetter, das beste, das wir gehabt haben. Da weckte mich Nansen: »Johansen, jetzt gibt es Klappmützenbraten!« Er hatte eine kleine Klappmützenrobbe geschossen.

Am 28. Juni waren wir auf 82º nördlicher Breite. Wir müssen auf Land zutreiben, denn dieser starke Wind würde uns viel schneller weiter treiben, wenn nicht etwas dem Eise halt geböte. Die Temperatur ist über Null, es gibt immerfort Niederschläge, theils nassen Schnee, theils Eisregen.

Es ist jetzt naß beim Liegen, wir müssen Schneeschuhe und Stöcke unter den Schlafsack legen, um die Nässe einigermaßen abzuhalten; manchmal tropfte es vom Zeltdache auf den Sack und es kam vor, daß wir das Wasser mit unsern Tassen ausschöpfen mußten, aber doch wünschten wir nicht, mit der Kälte, die wir früher gehabt haben, zu tauschen.

Der Nordwind hat heute den ganzen Tag in einer Stärke von 6-7 Meter in der Secunde geweht, ich bin aber doch draußen gewesen und habe Griffe für die Kajaks gearbeitet. Heute war ein Unglückstag; ich habe die Säge an meinem Messer und einen Schraubenzieher abgebrochen und unser letztes Quecksilberthermometer zerschlagen. Trotzdem bin ich guter Laune, vermuthlich, weil ich auf das Essen warte und es heute Abend Dessert gibt.

Der Juni endet mit schönem, gutem Wetter; es ist still und warm. Ganz klar wird es nicht leicht, aber wir haben warmen Nebel am liebsten, denn dann schmilzt der Schnee am schnellsten, und wir werden unserm Ziele näher gerückt. Wir liegen hier bei offener Zeltthür auf dem Schlafsacke und machen unsere Notizen, während ein Windhauch ab und zu die Zeltwand bewegt, sodaß sie Schatten auf das Buch wirft und mich dadurch glauben machen kann, ich sei daheim unter den Kronen der Laubbäume. Man kann sich ja soviel einbilden!

Wir speisen zweimal am Tage, morgens Fleisch und Suppe, abends in Thran gebratenes Fleisch. Den Speck essen wir gewöhnlich roh.

Unser Aussehen hat sich in dieser Zeit sehr verändert; wir sind von dem Ruße und dem Thranrauche so schwarz geworden, daß wir uns selbst nicht wiedererkennen; wir besahen uns nämlich gestern in dem künstlichen Horizonte aus Quecksilber, der uns als Spiegel dient.

4. Juli. Gestern passirte weiter nichts Besonderes, als daß der »Hase« geschlachtet wurde. Armes Thier! Ich glaube, er war der allerbeste der Hunde, so hat er sich von Anfang bis zu Ende angestrengt, und noch immer zog er, obwol sein Rücken schon ganz krumm war. Es that mir leid, daß ich ihm den Hals abschneiden mußte, und besonders, daß der Schnitt nicht so gut gelang, wie ich gewünscht hätte; aber er war so dürr, daß es schwer war, die Halsschlagadern auf einmal zu fassen. Nun sind von den 28 nur noch »Suggen« und »Kaiphas« übrig.

Nansen fabricirte gestern eine Knochenfarbe zum Bemalen der Kajaks und probirte sie, sie war jedoch zu grob; das Knochenmehl so fein zu bekommen, wie es sein muß, dazu gehörte wol ein Jahr.

5. Juli. Es ist häßliches Wetter, Schneeregen und Ostwind, der uns nach Westen treibt. Er rüttelt tüchtig am Zelte und macht es so naß, daß das Wasser auf unsern guten Freund, den Schlafsack, niedertropft, in welchem wir uns in Erwartung des Abendessens befinden; dieses besteht, wie gewöhnlich, aus gebratenem Seehundfleisch.

Wir sind tagsüber beide schweigsam, und wenn wir von etwas sprechen, ist es gewöhnlich vom Weiterkommen, von der Heimat und davon, wie herrlich es sein muß, dorthin zu kommen. Von der Ueberwinterung auf Spitzbergen oder auf Franz-Joseph-Land reden wir auch; besonders angenehm würde es uns sein, wenn wir die Engländer auf Franz-Joseph-Land treffen würden; wir glauben, daß die Jackson-Harmsworth-Expedition um diese Zeit dort sein müßte, da sie sich das Jahr nach uns dorthin begeben sollte. Auch die eine Frage kehrt immer wieder: wo sind wir?

Nansen hat heute mit Rußfarbe gemalt; ich habe Fleisch in Streifen geschnitten und zum Trocknen aufgehängt und begonnen, den noch vorhandenen Proviant zu wägen. Wir haben noch 10 Kilogramm Pemmikan und 7 Kilogramm Fischmehl. Wenn der Abend sich nähert, holt Nansen Fleisch und Speck aus unserm Vorrath, ich bringe süßes und Salzwasser, füttere die Hunde, räume ein wenig im Zelte auf und messe Temperatur, Wind u.s.w., worauf wir ins Zelt kriechen und auf das Essen warten. Dann kommt unsere beste Zeit, da es abends Dessert gibt, das aus einem Löffel Bril-Speise, 15 Gramm Butter und 30 Gramm Brot besteht. Dann vergessen wir das »Sehnsuchtslager« und sind im Traume in der Heimat.

Am nächsten Tage hatten wir vorzügliches Wetter; es regnete in einem fort und nahm den Schnee sehr mit. Wir wünschten nur, daß es einstweilen jeden Tag so bleiben möchte. Durch das gute Wetter veranlaßt, verfielen wir darauf, uns bei unserer Fleischdiät zur Abwechselung einmal etwas Gutes zu spendiren; Nansen machte daher Feuer an und begann Cacao zu kochen. Während ich darauf wartete, bis dieser fertig würde (ich hatte eine Tasse bekommen, und Nansen seine durch ein Mißgeschick verschüttet), hörten wir plötzlich die Hunde ganz anders als sonst bellen und erkannten sogleich, daß etwas Außergewöhnliches los sein müsse.

Wir hinaus, Nansen voran, ich hinterdrein. Ein dicker Bär beschnüffelte »Kaiphas«; Nansen griff nach dem an der Zeltthür stehenden Gewehr und brannte ihm eins auf den Pelz, traf ihn aber nicht ordentlich. Der Bär ergriff hierauf die Flucht, während das Blut an ihm hinunterlief; Nansen sandte ihm noch einen Schuß nach, aber ohne Wirkung. Ich nahm ebenfalls mein Gewehr, dann setzten wir beide dem Bären nach. Da erblickten wir plötzlich hinter einem Hügel noch zwei Bären, die den Kopf über den Eisrand steckten; es waren zwei einjährige Junge.

Nun begann auf dem schlechten Terrain mit dem losen, tiefen Schnee die Jagd über Rinnen und Eisrücken. Wir kamen den Bären manchmal recht nahe, wollten sie aber in guter Schußweite haben, da wir nicht viele Patronen hatten. Da gelangten wir an eine Stelle, wo sie seitwärts ausgebogen waren. Nansen folgte der Spur, ich ging ein wenig außen herum in der Absicht, den Bären von zwei Seiten nahen zu können. Nachdem ich aber eine Weile in dem tiefen Schnee weitergestampft war, gebot mir eine Rinne halt, und Nansen und die Bären waren mir entschwunden. Das war ärgerlich, aber im Jagdeifer setzte ich auf ein paar kleinen Eisstücken hinüber, wobei ich mich kaum vor einem kalten Bade bewahren konnte. Ich war auf der andern Seite noch nicht weit gegangen, als ich auch schon Knall auf Knall hörte. Als ich bald darauf bei Nansen ankam, lagen die drei Bären auf einem gräßlichen Eisrücken bei einer Rinne; das eine Junge war todt, das andere und die Bärin selbst waren aber noch am Leben, obgleich sie entsetzlich bluteten. Die Bärin bekam schließlich eine Vollkugel, das Junge eine Schrotladung in den Kopf.

Wir brachen sie auf und kehrten dann auf einem bessern Wege nach unserm Lager zurück. Die Chocolade war kalt geworden und die Lampe erloschen. Nansen zündete sie wieder an und wir genossen unsere unterbrochene Mahlzeit. Dann nahmen wir beide Hunde und einen Schlitten und holten erst das eine Junge.

»Suggen« sah aus, als wäre es mit ihr nun auch vorbei; sie konnte nicht gehen, wir mußten sie fahren, und da schrie sie und jammerte, daß ihr solche Schande angethan werde. Es war ein Mißgriff gewesen, den »Hasen« zu schlachten und die »Sau« leben zu lassen.

Wir hatten jetzt drei schöne Bärenfelle als Unterlage statt der Schneeschuhe, die sich durch den haarlosen Schlafsack hindurch hart anfühlten. Am ersten Abend, als wir so weich lagen, hatten wir Blutpfannkuchen und Preiselbeergrütze, wobei unsere letzten Preiselbeeren draufgingen; sie waren genügend von süßem und von Salzwasser durchweicht.

Um 8 Uhr abends legten wir uns schlafen; als wir aufwachten war es 6 Uhr. Wir glaubten natürlich, es sei 6 Uhr morgens, doch als sich die Sonne nun plötzlich am Nordhimmel zeigte, begannen wir nachdenklich zu werden und kamen dahinter, daß es 6 Uhr abends war, was man wirklich gut geschlafen nennen kann, besonders wenn man auf Eis gelegen hat.

Die Hunde bekamen jetzt so viel zu fressen, als sie verzehren konnten, und erholten sich sehr bei dem kräftigen Fleische; wir selbst verspeisten morgens und abends eine unmäßige Menge Bärenfleisch. Eine Hausfrau würde unsern Herrgott bitten, sie davor zu bewahren, Leute wie uns beköstigen zu müssen, wenn sie gesehen hätte, welche Klinge wir schlugen; es waren aber auch lange Pausen zwischen jeder Mahlzeit, 12 bis 14 Stunden war das Gewöhnliche.

Bei klarem Wetter spähten wir vom »Ausguckhügel« nach Land aus. Es fiel uns auf, daß sich im Süden eine weiße Wolkenbank beständig an derselben Stelle zeigte; es mußten gewiß Wolken sein, die über dem Lande standen, meinten wir. Später stellte sich jedoch heraus, daß es keine Wolken waren, sondern das Land selbst, das wir gesehen hatten; die weiße Wolkenbank war das Landeis selbst gewesen!

Als ich eines Tages mit dem Kajak in einer Rinne war, um es auf seine Dichtigkeit zu prüfen, fand ich im Wasser einen todten Fisch von Häringsgröße, aber dünn und schmal, mit langer Schnauze und feinen Schuppen, einem Hornhechte ähnlich. Nansen wußte auch nicht, was für eine Art Fisch es war.

Die Zeit näherte sich, daß wir weiterziehen konnten; die Schlittenbahn war viel besser geworden. Wir hatten uns nun von allem befreit, was wir irgendwie entbehren konnten, von Kleinigkeiten, die an und für sich nichts wiegen, aber doch viel ausmachen, wenn sie zusammenkommen, wie Gips- und andere Bandagen, Baumwolle, Reserveheber des Petroleumfasses, Reservebrenner für den Primus, Kleidungsstücke, Finnenschuhe, Photographirlaterne, Segelhandschuh, eines Theils des Inhalts des Werkzeugsackes und des Nähzeugbeutels, einer Feldflasche u.s.w. Die Schlitten waren von ihren Verstärkungen befreit, die Kajaks waren dicht und ruhten auf mit Socken und Bärenfell gefütterten Holzgriffen, die Hunde waren neugestärkt und voll Feuer, »Kaiphas« hatte einen Rücken wie ein Scheunenthor, und wir selbst waren darauf erpicht, diesem Orte, der uns so lange festgehalten und uns Geduld gelehrt hatte, Lebewohl sagen zu können.

Den Schlafsack ließen wir zurück; wir hatten die Absicht, uns in die Kajaks zu legen, mußten dies jedoch nach einem Versuche wieder aufgeben und machten uns aus unsern beiden wollenen Decken einen Sack, der sich auch als ausreichend erwies.

Am 22. Juli brachen wir aus dem »Sehnsuchtslager« auf. Nachdem wir unser Gepäck in zwei Haufen getheilt und das Los darum gezogen hatten, ging es fort.

Wir hatten vorn an die Schlitten Bambusstangen als Zugdeichseln befestigt, außer dem am Geschirre befestigten Zugseile. Getrocknetes Fleisch und circa 8 Kilogramm Speck nahmen wir mit. Es zeigte sich, daß es über Erwarten gut ging. Obgleich das Eis so schlecht war, wie es nur sein konnte, zogen wir doch unsere Schlitten überall mit nur je einem einzigen Hunde. Der Schneeschuhe bedurften wir die ganze Zeit über nicht; wir befanden uns auf einem wenig beschneiten Gürtel und marschirten daher zu Fuß. Im ganzen waren wir mit unserm ersten Tage auf der »Heimreise« nach der neuen Ordnung sehr zufrieden.

Am 24. Juli heißt es im Tagebuche:

Endlich ist das Große eingetroffen: wir haben Land gesehen! Und aller Wahrscheinlichkeit nach ist es nur ein paar Tagereisen entfernt. Das Land war in der That recht schwer zu sehen; es ist dort Eis wie das, auf dem wir gehen; nur ein schräger schwarzer Streifen am Horizont, wol ein Gebirge, machte, daß wir es erkennen konnten. Diesen Streifen sah ich gestern um die Mittagszeit, als ich auf einem Hügel stand, während Nansen auf Recognoscirung aus war; aber ich glaubte, es sei nichts anderes als das gewöhnliche mit Schlamm bedeckte Schwarzeis, das sich in der letzten Zeit oft genug gezeigt hat; ich erwähnte dies auch Nansen gegenüber. Als der Abend kam, erblickte Nansen von einem Eisrücken aus denselben schrägen Streifen, nahm den Feldstecher, um ihn genauer zu untersuchen, und sagte dann: »Nein, dies müssen Sie sich auch ansehen, es ist sicher Land.«

Berge waren die schwarzen Streifen, die wir sahen, dies ließ sich deutlich unterscheiden, Berge, die aus dem Eise emporragten. Im Osten der beiden kleinen schwarzen Streifen sahen wir den Horizont von Eis, vermuthlich Inlandeis, begrenzt, das dieselbe Farbe hat wie das, auf dem wir gehen, aber eine gewölbte Form mit scharfen Linien besitzt; obenauf konnte man eine kleine Unregelmäßigkeit beobachten. Es war dieselbe Erscheinung, die ich vom »Ausguckhügel« im »Sehnsuchtslager« aus gesehen und für Wolken über dem Lande gehalten hatte. Am Abend sah ich auch im Westen der schwarzen Streifen eine ähnliche Begrenzung des Horizonts, die aber viel kleiner war, und halte auch dies für Land.

So ist es denn gefunden, das gepriesene Land, auf das wir so lange Zeit gewartet haben! Nun können wir bald von diesem Treibeise, das uns solange in Banden gehalten hat, Abschied nehmen! Wir können entweder in Rinnen an der Küste entlang oder über das Landeis nach Spitzbergen gelangen, und von da nach dem gelobten Lande, der Heimat. Wie gut das ist; ein neuer Abschnitt beginnt in unserer Reise! Schade, daß wir einen Monat im »Sehnsuchtslager« gelegen haben, da doch das Land sozusagen in der Nachbarschaft war. Aber was blieb uns weiter übrig? Weiterkommen konnten wir nicht, Land sahen wir auch nicht, wir mußten also hübsch geduldig auf bessere Zeiten warten. Nun sind diese gekommen. Alles ist schön, trotzdem wir nicht wissen, was für ein Land es ist. Jetzt ist auch erklärlich, weshalb wir trotz des Windes nicht von der Stelle gekommen sind und weshalb wir neulich so viele Krabbentaucher hin und herfliegen sahen!

Das Vordringen geht trotz der einzig dastehenden schlechten Beschaffenheit auf diesem Eise gut, da es bei dem beständigen Nordwind gegen das Land getrieben wird. Ein großer Vortheil ist, daß wir ohne Schneeschuhe fertig werden; wir können zu Fuß gehen und ziehen. Kommen wir an Rinnen, so fahren wir einfach hinein und an der andern Seite wieder hinauf.

Ein paarmal machten wir die Hunde bei solchen Ueberfahrten los. »Suggen« benutzte dabei die Gelegenheit, uns, der alten Spur folgend, zu entlaufen; sie gedachte vermuthlich all des schönen Fleisches, das sie im »Sehnsuchtslager« verlassen hatte. Ich mußte die Beine tüchtig gebrauchen, um sie wieder einzufangen, da sie in Galop fiel, wenn ich sie beinahe erreicht hatte; aber mir zu entkommen, ist so eine alte Dame wie dieser Hund denn doch nicht flink genug.

Wir feierten das Land gestern Abend mit einem großen Feste. Ja, nun lächelt uns alles; Land haben wir gesehen und hoffen, es in ein paar Tagen zu erreichen, so nahe scheint es zu sein. Die Ueberwinterung hier oben, die uns in der letzten Zeit immer drohender bevorgestanden hat, kann jetzt dem Gedanken an baldige Heimkehr Platz machen. Dies hat die Gewißheit, daß Land da ist, bewirkt – ein Land, das gewiß so unfruchtbar ist, wie es nur sein kann, das aber doch Land ist!

Wir beobachteten in dieser Zeit viele Exemplare der seltenen Rosenmöve. Leicht und graziös kamen sie mit lautlosen Flügelschlägen dahergeflogen und waren gar nicht ängstlich, sondern hielten sich so dicht über uns, daß wir die rosenrothe Farbe ihres Bauches sehen konnten. Vielleicht war dies das Land, wo dieser räthselhafte Vogel nistet?

»Morgen erreichen wir es wol noch nicht, aber sicher übermorgen«, sagten wir zu einander, als wir auf das Land loszugehen begannen. Ach nein, vierzehn schwere Tage brauchten wir, um uns bis zur Gletscherwand durchzuarbeiten!

Theils war das Land weiter entfernt, als wir glaubten, theils war das Eis derartig, daß es für einen Mann allein ein Kunststück war, darauf vorwärts zu kommen, wieviel mehr mit Schlitten und Kajak Manchmal war das Wasser voll kleiner Schollen, zu klein, um einen Mann zu tragen, aber groß genug, uns zu verhindern, im Kajak überzusetzen. Wir mußten dann von Scholle zu Scholle springen und Schlitten und Kajaks an einem Seile nachziehen. Unsere turnerische Fertigkeit fand hier gute Verwendung.

Das Allerschlimmste war, daß das Eis sich vom Lande fortbewegte, während wir auf ihm dem Lande entgegenzogen. Wenn wir abends das Lager aufschlugen, sahen wir oft, daß die blaue Gletscherwand uns näher gekommen war, morgens beim Aufbruch aber war sie wieder weiter weg. Damit es noch schlimmer würde, erkrankte Nansen; er bekam Rückenschmerzen, wahrscheinlich einen Hexenschuß, und war ein paar Tage so hülflos, daß er nur auf Schneeschuhstöcke gestützt hinter der Karawane herhinken konnte, die nicht sehr schnell dahinzog, da ich sie auf einem fürchterlichen Eise allein leiten mußte. Es that mir weh, Nansen abends und morgens beim Aus- und Anziehen der Kleider und der Komager helfen zu müssen; er hatte heftige Schmerzen, klagte aber nicht und ging weiter, statt sich hinzulegen. Glücklicherweise war er nach drei Tagen wiederhergestellt; aber es war doch lange genug gewesen, um uns erkennen zu lassen, wie es werden würde, wenn einer von uns ein Bein brechen oder ernstlich erkranken sollte.

Am 31. Juli habe ich in das Tagebuch eingetragen:

Der Marsch verlief gestern geradeso wie die beiden letzten Tage. Nansen thut der Rücken immer noch recht weh, sodaß ich die Schwierigkeiten allein zu bekämpfen habe. Das Wetter war gestern unfreundlich, das Barometer stand auf 723 Millimeter. Dabei wehte ein sehr starker Südwest mit gelegentlichen Schneeböen, sodaß wir uns trotz der angestrengten Arbeit ebenso warm anziehen mußten wie mitten im Winter. Doch dies wäre noch angegangen, wenn uns nur der Wind nicht jegliches Vordringen dadurch unmöglich gemacht hätte, daß er alle Rinnen der ganzen Breite nach mit Schlammeis und Eisstücken füllte; es ist das Schlimmste, was uns passiren konnte. Eine solche Bewegung im Eise haben wir bisher noch nicht bemerkt. Hatte ich nach vielem Suchen einen Weg gefunden, so war er meistens schon zerstört, wenn ich wieder zurück wollte. Dann hieß es wieder von neuem suchen. Wenn man dazu nimmt, daß Nansen recht hülflos ist, so können uns eigentlich nicht viel mehr Schwierigkeiten in den Weg treten.

Dessenungeachtet sahen wir gestern einen Erfolg, als wir das Lager aufschlugen: der blaue Eisrand auf dem Lande ist uns sehr nahe gekommen, so nahe, daß wir die Hoffnung hegen, ihn trotz aller Schwierigkeiten noch heute zu erreichen. Für die Hunde haben wir jetzt kein Futter mehr; ich schoß gestern zwei Elfenbeinmöven für sie. »Suggen« verzehrte die ihre mit sichtbarem Wohlgefallen, »Kaiphas« dagegen macht sich aus Geflügel nichts. Gestern sahen wir auch einige Rosenmöven. Ueber die Rinnen, selbst wenn sie noch so schmal sind, wollen die Hunde nicht gehen und oft fallen sie hinein. Nachts haben wir unter den dünnen Decken gefroren und sehnen uns nun mehr als je nach dem Ende dieses Lebens. Noch wird es freilich lange dauern, aber Geduld, und du wirst alles überwinden und wirst nach Hause kommen!

Am 2. August hatten wir die Nordspitze des Landes genau im Westen vor uns und waren also nach Osten getrieben. Wir sind auf derselben Breite wie das Land; es muß 35-40 Kilometer entfernt gewesen sein, als wir es erblickten, aber dieser Abstand ist bei so schlechtem Eise widerwärtig genug.

Wenn wir keine Vögel für die Hunde schießen konnten, mußten wir ihnen ein Stückchen Speck geben. »Kaiphas« blieb manchen Tag ohne Futter; er war nicht im Stande, Möven zu fressen, obgleich er sich sehr dafür interessirte, daß wir sie bekamen. Einmal lief er auf ebenem Eise einem angeschossenen Eissturmvogel nach, Schlitten und Kajak hinter sich; doch ihn fressen, nein, davon wollte er nichts wissen. Wir hören bei Tage die Brandung tosen, können aber außer den blauen Reflexen am Himmel keine Spur von Wasser sehen. Nansen versuchte mehrmals, in den Rinnen Seehunde zu schießen, aber ohne Erfolg.

Am 4. August passirten wir das schlimmste Treibeis, das wir je gehabt oder gesehen haben, und kamen natürlich nicht weit; aber es ist doch ein Trost, daß wir ein Ende absehen können. Wir sahen gestern durch den Feldstecher offenes Wasser diesseits des Gletscherrandes.

Auf diesem Marsche fehlte nicht viel, daß ich von einem Bären aufgefressen worden wäre. Es ging dies so zu:

Als wir gestern aufbrachen, war das Wetter sehr nebelig und wurde es immer mehr; das Eis war unpassirbar, überall nur Berg und Thal und tiefer Schnee, mit Rinnen, die zum Theil halb zusammengeschoben, zum Theil offen und mit unpassirbarem Grus gefüllt waren. Als der Nebel am dichtesten war und die Eisrücken am höchsten waren, wurden wir durch eine Rinne aufgehalten, über die wir setzen mußten. Dies machten wir so, daß wir beide Schlitten mit den Kajaks nebeneinander bis dicht an den Rand des Wassers zogen; dann verbanden wir sie mit Schneeschuhen und Stöcken, die wir quer über die Kajaks legten, und damit war die Flotte fertig, um in See zu stechen.

Nansen hatte seinen Schlitten gerade an den Rand des Wassers gefahren und hielt ihn fest, weil das Eis leicht nach dem Wasser zu abfiel. Mein Kajak war noch ein wenig zurück, und ich ging voll Eifer hin, es zu holen. Ich beugte mich nieder, um das Zugseil zu ergreifen und erblickte dicht hinter dem Kajak ein Thier, das sich zum Sprunge zusammenkauerte. »Aha, Suggen!« dachte ich erst, merkte aber in demselben Augenblick, daß es nicht »Suggen« war. Noch ehe ich mich aus meiner gebückten Stellung aufrichten konnte, war der Bär über mich hergefallen, stand auf zwei Beinen und drängte mich nach hintenüber, wo ein schwach geneigter Abhang nach einem kleinen Süßwasserteiche hinunterführte. Mit seiner gewaltigen Vordertatze gab er mir eine solche Ohrfeige auf die rechte Backe, daß mir der Kopf brummte. Zum Glück verlor ich davon nicht die Besinnung; ich fiel nur auf den Rücken und lag nun zwischen den Beinen des Bären. »Schnell die Büchse!« rief ich Nansen hinter mir zu; ich sah den Kolben meines geladenen Gewehrs auf dem Kajak neben mir und es juckte mir in den Fingern, danach zu greifen. Ich sah den Bären seinen Rachen dicht über meinem Haupte öffnen und sah die fürchterlichen Zähne glänzen; ich hatte ihn beim Fallen an der Gurgel gepackt und hielt sie nun mit der Kraft der Verzweiflung fest. Der Bär wurde darüber ein wenig stutzig: dies war ja kein Seehund, sondern ein fremdes Thier, das er nicht kannte, und dieser Verwunderungspause verdanke ich gewiß mein Leben.

Ich wartete auf Nansen's Schuß und merkte, daß der Bär dorthin blickte, wo Nansen stand; es schien mir im Liegen, als dauere es sehr lange, und ich rief daher Nansen zu: »Schieß schnell, wenn es nicht zu spät sein soll!« Der Bär erhob die eine Tatze ein wenig, langte damit über mich weg und versetzte »Suggen«, die an der Seite sitzend zusah, eins, daß sie heulend über das Eis flog. Dasselbe Tractament erhielt »Kaiphas«. Als ich dies sah, ließ ich den Hals des Bären schnell los, wälzte mich aus dem Bereiche seiner Tatzen fort, sprang auf die Füße und ergriff mein Gewehr: da fielen zwei Schüsse von Nansen, und der Bär lag todt am Teiche.

Nansen hatte sich natürlich sosehr er konnte gesputet. Doch als er mich unter dem Bären sah und seine Flinte, die im Futteral oben auf dem Kajak lag, ergreifen wollte, glitt dieses mit dem Schlitten ins Wasser. Hier lag ich unter dem Bären, dort stand Nansen, und auf dem Kajak unten im Wasser lag das Gewehr! Sein erster Gedanke war, ins Wasser zu springen und von dort aus zu schießen, doch gab er ihn wieder auf; dabei hätte er ja ebensogut mich wie den Bären treffen können. Er mußte sich also die Zeit nehmen, die ganze Bescherung erst wieder aufs Eis zu ziehen. Dies ging sehr schnell, aber mir, der ich unter dem Bären lag, erschien natürlich die Zeit dennoch lang.

Der Bär stürzte schon bei dem ersten Schusse, der aus einer Schrotpatrone bestand. Nansen hatte in der Eile den Hahn dieses Laufs gespannt, da er ihm zuerst bei der Hand war. Der Sicherheit wegen schickte er ihm darauf noch die Kugel in den Kopf.

Ich hatte kein anderes Merkzeichen von der Umarmung des Bären behalten als einige weiße Streifen auf meinen Wangen, die im »Sehnsuchtslager« von Ruß und Fett ganz schwarz geworden waren, und zwei kleine Wunden an der rechten Hand. Darüber können wir jetzt – glücklicherweise – scherzen.

Als der Bär todt dalag, erblickte ich plötzlich noch zwei Bären. Sie standen aufrecht hinter einem Hügel und hatten den Auftritt aufmerksam verfolgt; es waren zwei einjährige Junge, die auf Futter warteten, und die Bärin war es, die mich angefallen hatte. Ich eilte hinzu um sie zu schießen, denn junges Fleisch ist besser als altes, und überdies war mein Blut in Wallung gerathen; sie nahmen aber reißaus, und da ließ ich es sein. Als wir das Fleisch der Bärin ausschnitten – wir ließen uns nicht einmal Zeit, sie abzuziehen – erblickten wir die Jungen wieder; ich von neuem hinterdrein, konnte ihnen aber nicht auf Schußweite nahekommen. Trotzdem schickte ich ihnen eine Kugel nach. Ein wüthendes Gebrüll verkündete, daß sie getroffen hatte, aber nicht tödlich, denn sie liefen beide fort. Wir sahen sie nachher noch mehrmals, durften aber keine Patronen mehr an sie verschwenden. Dem einen rann das Blut an der Seite hinab und es brüllte beinahe wie eine Kuh; sie gingen in einem großen Bogen um den Platz herum, wo die Bärin lag, und wir hörten das Brüllen noch lange, nachdem wir schon weitergezogen waren.

Die Hunde durften fressen, soviel sie konnten; sie waren unverletzt geblieben, »Kaiphas« hatte nur einen Riß auf der Schnauze. Wir selbst nahmen auch eine gute Mahlzeit ein; wir schnitten dünne Scheiben von dem rohen Fleische ab, legten sie auf den Schnee, bis sie abgekühlt waren, und genossen sie dann mit großem Wohlbehagen. Es war für unsern Proviant ein guter Zuwachs; die beiden Keulen nahmen wir mit, ebenso das Fett des Innern, denn zum Brennen war dieses sehr gut zu verwenden.

Es kommt selten vor, daß ein Bär so direct zum Angriff schreitet wie dieser – auf Menschen wenigstens; aber dieser muß sicher sehr hungerig gewesen sein.

Ich nahm die Krallen von der Tatze mit, mit der ich geschlagen worden war, und Nansen die Krallen der andern Tatze; wir durften uns eigentlich nicht mit überflüssigen Dingen beschweren, aber es schien uns doch, als müßten wir ein Andenken an diese Begebenheit haben.

Auf dem Marsche auf das Land zu wimmelte es kreuz und quer von Bärenspuren. Hier schienen Bären in Hülle und Fülle zu sein, aber wir kümmerten uns jetzt nicht um sie; während wir schliefen, war einer sogar an unserer Zeltwand gewesen.


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