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Arnheim als Freund der Journalisten

 

Diotima hatte wiederholt Gelegenheit, die Imponderabilien der Haltung an Arnheim zu beobachten.

So wurden zum Beispiel auf seinen Rat den Tagungen des »Konzils« (wie Sektionschef Tuzzi etwas spöttisch den »Ausschuß zur Fassung eines leitenden Beschlusses in Bezug auf das siebzigjährige Regierungsjubiläum Sr. Majestät« getauft hatte) manchmal auch die Repräsentanten großer Zeitungen zugezogen, und Arnheim erfreute sich, obgleich er nur als Gast ohne Amt anwesend war, einer Aufmerksamkeit bei ihnen, vor der alle andere Berühmtheit zurücktrat. Denn aus irgendeinem imponderablen Grund sind ja die Zeitungen nicht Laboratorien und Versuchsstätten des Geistes, was sie zum allgemeinen Segen sein könnten, sondern gewöhnlich Magazine und Börsen. Es würde Platon – um ihn als Beispiel zu nehmen, weil man ihn neben einem Dutzend anderer den größten Denker nennt – ganz bestimmt, wenn er noch lebte, entzückt sein von einem Zeitungsbetrieb, wo jeden Tag eine neue Idee erschaffen, ausgewechselt, verfeinert werden kann, wo von allen Enden der Welt, mit einer Geschwindigkeit, die er nie erlebt hat, die Nachrichten zusammenströmen und ein Stab von Demiurgen bereit ist, sie augenblicklich auf ihren Gehalt an Geist und Wirklichkeit zu prüfen. Er würde in einer Zeitungsredaktion jenen Topos uranios, den himmlischen Ort der Ideen vermutet haben, dessen Vorhandensein er so eindringlich beschrieben hat, daß noch heute alle besseren Menschen, wenn sie zu ihren Kindern oder Angestellten sprechen, Idealisten sind. Und natürlich würde Platon, wenn er heute plötzlich in einer Redaktion vorspräche und nachwiese, daß er wirklich jener große Schriftsteller sei, der vor mehr als zweitausend Jahren gestorben ist, damit ungeheures Aufsehen erregen und die lohnendsten Anträge erhalten. Wäre er dann imstande, binnen drei Wochen einen Band philosophischer Reisebriefe zu schreiben und einige tausend seiner bekannten Kurzgeschichten, vielleicht auch eines oder das andere seiner älteren Werke zu verfilmen, so würde es ihm sicher auf längere Zeit ganz gut gehen. Sobald jedoch die Aktualität seiner Wiederkehr vorbei wäre und Herr Platon wollte dann noch eine seiner bekannten Ideen, die sich niemals ganz durchsetzen konnten, verwirklichen, so würde ihn der Chefredakteur nur noch auffordern, zuweilen für die Unterhaltungsbeilage des Blattes ein hübsches Feuilleton darüber zu schreiben (aber möglichst locker und flott, nicht so schwer im Stil, mit Rücksicht auf den Leserkreis), und der Feuilletonredakteur würde hinzufügen, daß er einen solchen Beitrag leider höchstens einmal im Monat unterbringen könne, weil doch noch so viele andere Talente zu berücksichtigen seien. Und beide Herren besäßen danach das Gefühl, sehr viel für einen Mann getan zu haben, der zwar der Nestor der europäischen Publizisten ist, aber doch etwas überholt und an Gegenwartswert keineswegs einem Mann wie etwa Paul Arnheim gleichzustellen sei.

Was nun Arnheim angeht, so würde er zwar niemals dem beipflichten, weil seine Ehrfurcht vor allem Großen dadurch verletzt würde, aber in mancher Hinsicht fände er es doch sehr begreiflich. Heute, wo alles Mögliche durcheinander geredet wird, wo Propheten und Schwindler die gleichen Redensarten gebrauchen, bis auf kleine Unterschiede, denen nachzuspüren kein beschäftigter Mensch die Zeit hat, wo die Redaktionen fortwährend damit belästigt werden, daß irgendwer ein Genie sei, ist es sehr schwer, den Wert des Menschen oder einer Idee richtig zu erkennen; man kann sich eigentlich nur auf das Gehör verlassen, um zu erkennen, wann das Gemurmel, Raunen und Scharren vor der Redaktionstür laut genug ist, um als Stimme der Allgemeinheit eingelassen zu werden. Von diesem Augenblick an tritt dann allerdings das Genie in einen anderen Zustand ein. Es ist nicht mehr bloß eine windige Angelegenheit der Buch- oder Theaterkritik, deren Widersprüche ein Leser, wie ihn sich die Zeitung wünscht, so wenig ernst nimmt wie das Gerede von Kindern, sondern es erhält den Rang einer Tatsache, mit allen Folgen, die das hat.

Törichte Eiferer übersehen das verzweifelte Bedürfnis nach Idealismus, das dahinter steckt. Die Welt des Schreibens und Schreibenmüssens ist voll von großen Worten und Begriffen, die ihre Gegenstände verloren haben. Die Attribute großer Männer und Begeisterungen leben länger als ihre Anlässe, und darum bleiben eine Menge Attribute übrig. Sie sind irgendeinmal von einem bedeutenden Mann für einen anderen bedeutenden Mann geprägt worden, aber diese Männer sind längst tot, und die überlebenden Begriffe müssen angewendet werden. Deshalb wird immerzu zu den Beiwörtern der Mann gesucht. Die »gewaltige Fülle« Shakespeares, die »Universalität« Goethes, die »psychologische Tiefe« Dostojewskis und alle die anderen Vorstellungen, die eine lange literarische Entwicklung hinterlassen hat, hängen zu Hunderten in den Köpfen der Schreibenden umher, und aus reiner Absatzstockung nennen diese heute schon einen Tennisstrategen abgründig oder einen Modedichter groß. Man begreift, daß sie dann dankbar sind, wenn sie ihre vorrätigen Worte ohne Verlust an den Mann bringen können. Aber es muß ein Mann sein, dessen Bedeutung bereits eine Tatsache ist, so daß man es versteht, daß die Worte an ihm Platz finden, wenn es auch gar nicht darauf ankommt, wo. Und ein solcher Mann war Arnheim; denn Arnheim war Arnheim, an Arnheim war Arnheim daran, als Erbe seines Vaters war er schon als Ereignis geboren worden, und es konnte keine Zweifel an der Aktualität dessen geben, was er sagte. Er brauchte sich nur der kleinen Anstrengung zu unterziehen, irgend etwas zu äußern, das man mit gutem Willen bedeutend finden konnte. Und Arnheim selbst faßte das auch in einen richtigen Grundsatz. »Ein großer Teil der wirklichen Bedeutung eines Mannes liegt darin, sich seinen Zeitgenossen verständlich machen zu können« pflegte er zu sagen.

Er kam also auch diesmal ausgezeichnet mit den Zeitungen aus, die sich seiner bemächtigten. Er lächelte bloß über ehrgeizige Finanzleute oder Politiker, die am liebsten ganze Wälder von Blättern aufkaufen möchten; dieser Versuch, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, erschien ihm so ungeschlacht und verzagt, wie wenn ein Mann einer Frau Geld für ihre Liebe anträgt, obgleich er alles doch viel billiger dadurch haben kann, daß er ihre Phantasie erregt. Er hatte den Journalisten, die ihn über das Konzil befragten, geantwortet, daß schon die Tatsache dieser Zusammenkunft ihre tiefe Notwendigkeit beweise, denn in der Weltgeschichte geschehe nichts Unvernünftiges, und damit hatte er so ausgezeichnet ihre Berufsstimmung getroffen, daß dieser Ausspruch in mehreren Zeitungen wiedergegeben wurde. Es war, wenn man ihn näher betrachtet, auch wirklich ein guter Satz. Denn Menschen, die alles, was geschieht, wichtig nehmen, müßte übel werden, wenn sie nicht die Überzeugung hätten, daß nichts Unvernünftiges geschieht; aber andererseits würden sie sich, wie bekannt, auch lieber in die Zunge beißen, als etwas zu wichtig zu nehmen, und sei es gerade das Bedeutende selbst. Die leichte Prise von Pessimismus, die in Arnheims Äußerung lag, trug viel dazu bei, dem Unternehmen reelle Würdigkeit zu geben, und nun konnte auch der Umstand, daß er ein Landfremder war, als Teilnahme des gesamten Auslandes an ungeheuer interessanten geistigen Vorgängen in Österreich gedeutet werden.

Die anderen Berühmtheiten, die am Konzil teilnahmen, hatten nicht die gleiche unbewußte Gabe, der Presse zu gefallen, aber sie bemerkten die Wirkung; und da Berühmtheiten im allgemeinen wenig voneinander wissen und sich im Ewigkeitszug, der sie alle miteinander führt, meist nur im Speisewagen zu Gesicht bekommen, wirkte die besondere öffentliche Geltung, die Arnheim fand, ohne Nachprüfung auch auf sie ein, und obgleich er sich den Sitzungen aller bestallten Ausschüsse nach wie vor fernhielt, fiel ihm im Konzil ganz von selbst die Rolle eines Mittelpunktes zu. Je mehr diese Zusammenkunft fortschritt, desto deutlicher stellte es sich heraus, daß er ihre eigentliche Sensation war, obgleich er im Grunde nichts dafür tat, ausgenommen vielleicht, daß er auch im Verkehr mit den berühmten Mitteilnehmern ein Urteil an den Tag legte, das man als bekennensfreudigen Pessimismus in dem Sinne deuten konnte, daß wohl kaum etwas von dem Konzil zu erwarten sei, andererseits aber eine so edle Aufgabe für sich allein schon alle vertrauende Hingabe erfordere, über die man verfüge. Ein solcher zarter Pessimismus erwirbt auch unter großen Geistern Vertrauen; denn aus irgendwelchen Gründen ist die Vorstellung, daß der Geist heute überhaupt niemals wirklichen Erfolg hat, sympathischer als die, daß der Geist eines der Kollegen diesen Erfolg haben sollte, und man konnte Arnheims zurückhaltendes Urteil über das Konzil als eine Anpassung an diese Chance auffassen.


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