David Christie Murray
Die Jagd nach Millionen
David Christie Murray

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Siebzehntes Kapitel.

Prickett zwei Tagereisen entfernt und noch nicht einmal benachrichtigt, die Expedition auf unbekannten Pfaden weiter und weiter ziehend, mit jeder Viertelstunde unerreichbarer, die Polizei durch dienstliche Bedenken gebunden, Ungewißheit, Spannung, Angst. Trotz all dieser Gedanken und Empfindungen that es Marie wohl, daß sie sich wieder frei bewegen durfte, ist doch in Stunden gespannter Erwartung jede Bethätigung eine Wohlthat. Die Telegramme waren wenigstens abgegangen, eins nach Calgary an die vorgesetzte Behörde des Polizisten, eins an Prickett, und der Vertreter der Ordnung zeigte ihr jetzt ein freundlicheres Gesicht.

»Sie brauchen mir nicht zu antworten, wenn Sie keine Lust haben,« sagte er, selbst etwas verlegen, aber doch mit einer gewissen ritterlichen Höflichkeit, »aber darf ich fragen, wie Sie eigentlich zu diesem Knabenanzug kommen, Fräulein?«

»Ich hatte Engel und seine Begleiter schon auf dem Bahnhof in New York entdeckt. Sie wollten damals nach San Francisco fahren und ich stieg in denselben Zug.«

Er nickte, als ob er andeuten wollte, daß ihm dieser Hergang bekannt sei.

»Unterwegs aber erkannten sie mich und verließen den Zug. Ich hatte an Inspektor Prickett telegraphiert, der auch sofort herbeieilte, leider zu spät. Er machte mir keine Vorwürfe, aber war doch sehr ärgerlich, daß ich die Herren überhaupt verfolgt und durch meine Anwesenheit gewarnt hatte. Ich aber war entschlossen, sie zu verfolgen und wenn's bis ans Ende der Welt ginge, da ich aber um keinen Preis ein zweites Mal erkannt werden durfte, suchte ich mir diese Verkleidung aus.«

Sie errötete dabei unter dem Nußbraun, das ihre Wangen deckte, verlor aber die Fassung keineswegs und sprach mit einer inneren Würde, die seltsam genug von ihrer äußeren Erscheinung abstach.

»Diese Verkleidung,« fuhr sie fort, »mag ja gewagt und unpassend erscheinen, aber mein Vater ist in Gefahr – ihm soll gestohlen werden, was vielleicht ein großes Vermögen ist, und seinetwegen würde ich noch viel Schlimmeres auf mich nehmen.«

»Das kann wenigstens leicht gut gemacht werden,« sagte der junge Mann, der so verlegen wie sie selbst war, indem er sich zu ihr niederbeugte, als ob er ihr etwas ganz Vertrauliches zu sagen hätte. »Ich kann Sie in ein Geschäft führen, wo man Sie auf meine Empfehlung mit allem Erforderlichen versehen wird – wenn Sie allein kämen, würden die Leute den Fall vielleicht verdächtig finden, das heißt, verdächtig gerade nicht, aber – wunderlich.«

Marie erklärte sich dankbar einverstanden, und er führte sie in einen Laden, wo alles Nötige zu haben wäre. Auf das Geklingel der Ladenthüre trat ein junges Mädchen aus einem dahinter liegenden Zimmer und fragte nach ihrem Begehren.

»Diese Dame ...« begann der Polizist, auf den Mulattenjungen weisend, um, als er das verblüffte Gesicht der Ladnerin sah, erklärend hinzuzusetzen, »diese Dame ist in unsrem Interesse genötigt gewesen, sich einer Verkleidung zu bedienen, jetzt möchte sie wieder ihre normale Erscheinung annehmen. Wollen Sie, bitte, dafür sorgen?«

Damit verschwand er sehr erleichtert aus dem Geschäft und trieb sich wohl drei Viertelstunden auf der Straße herum. Er konnte nicht recht einig mit sich werden, ob er Maries Geschichte buchstäblich glauben solle oder nicht, nahm sich aber vor, die seltsame Person nicht aus den Augen und sich jedenfalls nicht nasführen zu lassen. Noch immer pendelte er daher auf dem Fußsteig hin und her, als endlich die Ladenthür wieder aufging und eine fremdartige Erscheinung geradeswegs auf ihn zukam. Er kannte doch so ziemlich die ganze Stadt, aber diese Dame hatte er nie im Leben gesehen, das mußte eine Fremde sein. Sie mit dem Mulattenjungen in Zusammenhang zu bringen, fiel ihm gar nicht ein, auch nicht, als sie jetzt ein wenig errötend vor ihm stehen blieb und ihm lächelnd die zierliche behandschuhte Rechte hinstreckte. Er starrte sie in heller Verwunderung ratlos an. Marie hatte einen niedlichen bescheidenen Anzug vorgefunden, der wenigstens Spuren der herrschenden Mode zeigte und ihrer schlanken Gestalt tadellos saß.

»Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar,« sagte sie, und beim Klang ihrer Stimme ging ihm endlich ein Licht auf.

»Das ist gar nicht nötig,« erwiderte er, die dargereichte Hand ergreifend, »aber ich habe Sie wirklich nicht erkannt – Sie sind ja, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, um einen halben Fuß größer geworden.«

»Wenigstens um einen halben Zoll,« erwiderte sie lächelnd, indem sie den Fuß ein wenig hob und den Absatz ihres Stiefels zeigte. »Wenn Sie mir jetzt noch einen Ort angeben wollen, wo ich den Erfolg unsres Telegramms abwarten kann, würde ich Ihre Güte nicht weiter in Anspruch nehmen.«

Er begleitete sie in einen Gasthof und warf dabei manchen verstohlenen Blick der Bewunderung und Verwunderung auf seinen Schützling. Die anmutige junge Dame, die in Gang und Haltung, Sprache und Benehmen schlichte Vornehmheit zeigte, war so grundverschieden von dem, was er zuerst in ihr vermutet hatte, daß er sich von seinem Erstaunen nicht recht erholen konnte.

»Das macht also der Firlefanz,« überlegte er in männlicher Einfalt. »Werd' mir's mein Leben lang merken – ja, ja, Kleider machen Leute!«

Sie machten sie in diesem Fall zwar nicht, aber sie zeigten die weibliche Anmut der Trägerin, und das war genug. Nachdem der Führer seine Schutzbefohlene untergebracht hatte, ging er in stillem Sinnen seines Weges, unterließ aber nicht, sich bei Abfahrt des einzigen Zuges, der Edmonton an diesem Tage verließ, auf den Bahnhof zu begeben. Er verstand sein Handwerk ganz leidlich und mußte doch auf der Hut sein, daß ihm der seltene Vogel nicht entschlüpfe.

Vor- und Nachmittag waren langsam verstrichen, ohne die ersehnten Nachrichten, endlich gegen Abend kam ein Telegramm von der Polizei in Calgary, das die Worte enthielt: »Die Expedition verfolgen. Alle drei festnehmen« und kurz darauf eins von Prickett mit der kurzen Mitteilung: »Ich komme.« Das zweite erhielt Marie im Gasthof, und kaum hatte sie es eröffnet, als ihr Beschützer kam, um über das erste ihr Bericht zu erstatten.

»Wann werden Sie aufbrechen?« fragte sie mit funkelnden Augen.

»Wann? Selbstverständlich auf der Stelle.«

Einen Augenblick stand sie ganz ruhig und sah ihn fest an, dann sagte sie: »Ich begleite Sie!«

Er schüttelte erschrocken ablehnend den Kopf.

»Ich will aber dabei sein,« fuhr sie fort. »Reiten kann ich, und Angst habe ich nicht. Ich werde Ihnen auch keine Mühe machen. Jetzt bin ich diesen Leuten quer durch Amerika gefolgt und soll nicht dabei sein, wenn's zum Halali kommt? Sehen Sie nur, wie schön der Abend ist, ganz sternhell. In ein paar Stunden haben wir den vollen Mond. Die Leute im Gasthof sagen, eine größere Strecke als fünfundzwanzig Meilen könne der Zug unmöglich zurückgelegt haben – lassen Sie mich mit! Ich bitte, lassen Sie mich mit! Sie brauchen mich ja, um die Persönlichkeiten festzustellen.«

»Nein, nein,« entgegnete er sehr bestimmt. »Das ist keine Arbeit für eine Dame. Ich kann die Verantwortung nicht auf mich nehmen.«

»Aber Sie können mich auch nicht hindern, dabei zu sein?« sagte sie ruhig.

»Nein,« gab er zu. »Ein gesetzliches Mittel, Sie abzuhalten, habe ich nicht. Doch bin ich jetzt im Dienst und darf keine Zeit vergeuden – ich darf mich nicht der Gefahr irgend einer Verhinderung aussetzen. Gesetzten Falls, Ihr Pferd stürzte? Gesetzten Falls, es stieße Ihnen ein Unfall zu? Ich müßte Sie einfach im Stich lassen. In solche Lage bringt man einen Mann nicht.«

»Ich werde Ihnen keinerlei Verantwortung aufbürden,« erklärte ihm Marie.

»Für mich ist's höchste Zeit,« sagte er rasch. »Ich hoffe, Sie überlegen sich's und bleiben ruhig hier. – Gute Nacht.«

Mit einem hastigen militärischen Gruß eilte er aus dem Zimmer und Marie ging ihm rasch nach, um sich zu überzeugen, daß er das Haus verlasse. Der Wirt trieb sich unterm Thor herum und Marie fragte, ob sie ein brauchbares Reitpferd von ihm bekommen könne.

»Gewiß, gewiß, gnädige Frau ... bis wann?«

»Sofort.«

Jetzt sah er sie verdutzt an, schob den Hut aus der Stirn und kratzte sich den Kopf.

»Wohin wollen Sie denn, wenn ich fragen darf?«

»Der Expedition nachsetzen,« erwiderte sie, fügte aber, weil sie dem Mann ansah, daß er sie für geistesgestört hielt, rasch hinzu: »Sie wird von der Polizei verfolgt, der Kommissär bricht jetzt gleich auf. Er hat Befehl, drei Männer zu verhaften, die meinen Vater beraubt haben. Ich selbst bin ihnen nachgereist von New York nach San Francisco, von San Francisco nach Vancouver und von dort hierher. Niemand außer mir kennt sie.«

»So–o ... ein verflucht schlechter Weg ...«

»Ich bin eine geübte Reiterin, habe in England Fuchsjagden geritten.«

»So ... o ... ist aber ein wertvolles Tier, seine zweihundert Dollars wert ... dem dürfte nichts zustoßen.«

»Ich will diese Summe für das Pferd hinterlegen!«

Jetzt war des Biedermanns Widerstand gebrochen, und er gab die nötigen Befehle, während Marie in ihr Zimmer eilte und sich reisefertig machte. Mit den Handschuhen in der Hand kam sie wieder herunter und suchte und fand den Weg zum Stall. Eben wurde beim Schein einer Laterne dem Pferde ein Damensattel aufgeschnallt; es war ein hochbeiniger Brauner, den sie mit Befriedigung in Augenschein nahm.

»Es ist eine Satteltasche da,« sagte der Wirt geschäftig und gefügig. »Da will ich doch ein Fläschchen Cognac hineinstecken und ein paar harte Eier. – Sie könnten in die Lage kommen, eine Stärkung zu brauchen.«

Hastig trippelte er davon, während sie selbst den Steigbügel kürzer schnallte. Der Knecht gab ihr eine Reitpeitsche.

»Nicht daß er's nötig hätte,« bemerkte er dabei. »Ist der gutmütigste Gaul, den ich je gehabt hab.«

Ihr Herz pochte wild, aber ihre Hände waren sicher, ihre Lippen fest aufeinander gepreßt. Sie schwang sich mit Hilfe des Knechts in den Sattel und faßte die Zügel. Der Wirt kam mit in Zeitungspapier gewickeltem Mundvorrat zurück und gab ihr auch einen Lodenmantel.

»Wenn der Wind umschlägt, wird's kalt,« ermahnte er, »nehmen Sie ihn nur!«

Sie dankte und hing sich den Mantel lose um die Schultern. Der Knecht riß das Hofthor auf und im selben Augenblick hörte man raschen Hufschlag draußen auf der Straße.

»Das ist Ihr Fall, wett' ich!« rief der Wirt.

»Weidmanns Heil, Mac!« hörte man eine Stimme sagen.

»Kann's brauchen! Gute Nacht!« erwiderte eine andre, die Marie wohl kannte.

Sie lenkte ihr Pferd hinaus und wählte die Richtung des verklingenden Hufschlags. Jetzt hielt der vorderste Reiter sein Pferd an und blickte zurück.

»So haben Sie sich's überlegt, Fräulein Harcourt?« begrüßte er sie in nicht sehr freundlichem Ton.

»Ja,« versetzte sie, »ich habe mir's wohl überlegt.«

Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, ritten die beiden in der hellen schweigenden Nacht zur Stadt hinaus.


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