David Christie Murray
Die Jagd nach Millionen
David Christie Murray

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Elftes Kapitel.

Ein Teil der Geheimnisse, die diesen seltsamen Vorgang umgaben, wurde aufgeklärt, ehe die Geschichte der Silberscheiben ihren Abschluß fand, aber ein Teil hüllt sich bis auf den heutigen Tag in ein Dunkel, das wahrscheinlich nie ganz gelichtet werden kann. So viel sprang ja in die Augen, daß einer von der Gaunerbande, die jetzt im Besitz der Münzen war, die Gefahr erfaßt hatte, worein Pricketts Tod die Gesellschaft bringen müßte, und ihm Gelegenheit gegeben hatte, sich zu retten. Ob die andern Verbündeten von seinem Thun gewußt hatten oder nicht, ließ sich vorläufig nicht erkennen, aber man hatte Sorge getragen, daß die drei, die Prickett wieder erkannt haben würden, das Weite suchten, ehe er in Freiheit kam. Der Schreiber des gefälschten Briefes war drei volle Tage, ehe Prickett der Menschheit zurückgegeben war, in Besitz der heiß begehrten Gegenstände gelangt. Im ganzen war Prickett fünfmal vierundzwanzig Stunden gefangen gewesen. Das Publikum nannte seine Rückkehr zum Leben ein Wunder, die Aerzte aber versicherten, daß andre sogar länger ohne Speise und Trank gelebt hätten. Prickett selbst faßte das Ereignis, sobald er wieder hergestellt war, als ein Stück Berufsarbeit auf und machte nicht viel Aufhebens davon.

Zu seinem Mißvergnügen mußte er aber entdecken, daß die Presse sich der Geschichte bemächtigt hatte. »Der vermißte Detektiv« hatte sogar mehrere Tage lang eine eigene Spalte erhalten, und sein Wiedererscheinen war haarklein geschildert worden. Dagegen war nun nichts mehr zu machen; man mußte sich mit der Thatsache abfinden. Es wurde auch mitgeteilt, daß der in den Ruhestand getretene hochverdiente Beamte der Fahndungspolizei sich vollständig erholt habe und daß für ihn und die Behörde kein Zweifel darüber bestehe, daß er das Opfer eines Racheaktes von seiten früher durch ihn bedrängter Verbrecher geworden sei. Prickett schwieg dazu und behielt die wahren Gründe, soweit sie ihm klar waren, für sich. Nur dem Präsidenten selbst, unter dem er fast seine ganze Dienstzeit gestanden hatte, vertraute er sich an, worauf er sofort wieder mit allen Vollmachten ausgestattet wurde, die der Beruf erheischte. Denn Prickett war fest entschlossen, seine jetzige Aufgabe zu Ende zu führen.

Als Rekonvalescent war er immer noch eines Teils seiner Freiheit beraubt und konnte vorderhand nichts andres unternehmen, als Marie Harcourt zu verhören. Am Tage nach der Enthüllung des gefälschten Briefes ließ er sie zu sich bitten.

»Guten Morgen, Frau Harcourt,« lautete sein Gruß. Sie erschrak darüber und sah ihn verdutzt an.

»Wir wollen's vorläufig bei dem Frauentitel lassen,« bemerkte Prickett. »Ich habe unsrer Frau Perks bis jetzt keine Aufklärung gegeben; ob ich's überhaupt thun werde, hängt von den Umständen ab. Setzen Sie sich, bitte; ich habe einiges mit Ihnen zu besprechen.«

Sie gehorchte schweigend und er saß ihr wieder mit der alten unergründlichen Miene gegenüber.

»Sind Sie eigentlich der Ansicht, daß ich's gut meine mit Ihrem Vater, Frau Harcourt?« begann er.

»Ich bin überzeugt davon,« versicherte sie lebhaft.

»Und ich soll wohl annehmen, daß Sie es gut mit mir meinen?«

Die Antwort blieb aus und Prickett fuhr fort: »Sie haben Ihr Möglichstes gethan, die Polizei zu Hilfe zu rufen. Wie kamen Sie auf den Gedanken, daß ich in Gefahr sei?«

»Ich wußte es,« erwiderte sie.

»Und warnten mich nicht?«

»Das hätte ich thun sollen, aber ich nahm an, Sie wüßten es auch und ...«

»Und?«

»Ich scheute mich, aufdringlich zu erscheinen,« gestand sie zögernd. »Daß Ihr Leben eigentlich immer in Gefahr gewesen war, wußte ich, und ich dachte ...«

»Sie dachten?«

»Selbst Ihre Feinde rühmen Ihre Klugheit und Vorsicht,« sagte Sie unsicher und leicht errötend.

»Feinde? Kannten Sie deren noch andre als Engel?«

»Ja, Hauptmann Anise und ein Herr Vogel waren mir als Ihre erbitterten Feinde bekannt.«

»Anise,« wiederholte Prickett, »ein vierschrötiger Geselle mit einem Feldwebelschnurrbart und krummen Reiterbeinen? Allem nach ein Säufer? Vogel, ein alter Geck mit gezierten Redensarten – stimmt das?«

»Genau, nur haben Sie die Namen verwechselt.«

»Wie kamen diese Leute dazu, mich zu hassen?«

»Sie haben wohl einmal einen ihrer Pläne durchkreuzt. Das ist übrigens nur eine Vermutung von mir.«

»Nun ja, ich bin manchem in die Quere gekommen!« gab Prickett zu. »Wie kam das Paar in Verbindung mit Engel?«

»Das weiß ich nicht. Sie kamen eines Tages mit ihm zu meinem Vater. Engel schien mir Angst vor diesem Anise zu haben; es muß ein roher, grausamer Mensch sein.«

»Grausam? Wie können Sie einen alten Herrn, der so schöne Reden hält, der Grausamkeit anklagen?«

»O, Herr Prickett!« rief Marie erstaunt. »Haben Sie ihm je in die Augen gesehen?«

»Ich hoffe, dieses Vergnügen noch einmal, aber nur ein einziges Mal zu haben,« sagte er mit trockenem Humor. »Nun, Frau Harcourt, und was glauben Sie, daß diese Männer thun würden, wenn sie im Besitz der Münzen wären?«

»Beider Münzen? Sich sofort auf den Weg machen! Wenn sie beide hätten, wüßten sie ja genau, was zu thun ist! Mein Vater sagte immer, nachdem die Inschrift der einen entziffert worden sei, könne jedermann die andre lesen.«

»So, das glauben Sie?« brummte Prickett, sichtlich mit andern Gedanken beschäftigt, um dann, wie erwachend, eifrig zu fragen: »Und wohin würden sie sich zuerst wenden?«

»Das kann ich nicht sagen – es ist ja nur die eine Hälfte der Inschrift übersetzt worden. In der war eine Reise durch den hohen Nordwesten Amerikas beschrieben. Wir deuteten sie uns auf Alaska, aber ohne die zweite zu kennen, kann man nichts Bestimmtes sagen.«

»Erzählen Sie, was Sie noch davon im Gedächtnis haben!«

»Eine Menge Namen kamen vor, Namen von Bergen, Flüssen und Städten, es mußten aber indianische Benennungen sein, denn wir fanden sie auf keiner Karte.«

Prickett versank in düsteres Nachdenken, und das Mädchen beobachtete und betrachtete ihn dabei. Die unfreiwillige Hungerkur und die Schmerzen hatten sein Gesicht bedeutend veredelt. Männlich hatte er immer ausgesehen, denn er hatte es von jeher ernst genommen mit der Pflicht; er war ein Veteran der Arbeit und zwar einer Arbeit voll großer Verantwortlichkeit. Er war über fünfzig Jahre alt, und um diese Lebenszeit sieht man dem Mann an, was er ist und war, und für Marie Harcourts Augen war in diesem Gesicht etwas, was zur Bewunderung, ja Anbetung zwang. Die Augen erschienen größer als sonst, weil die Wangen ihre etwas schwerfällige Rundung eingebüßt hatten. Frau Perks hatte sogar geäußert, ihr Mietsherr sehe seit seiner Krankheit »so vornehm« aus, und es war richtig, daß das Ausgestandene seiner Erscheinung zum Vorteil gereichte. Seine Seele verschwand nicht mehr unter der Leiblichkeit, und wie er so dasaß und gedankenvoll ins Feuer starrte, sah er ganz und gar mannhaft aus. Wohl war der kräftige, schwere Typus ursprünglich ein alltäglicher gewesen, aber durch seltsame Lebenserfahrungen und ein fast verzehrendes Pflichtgefühl erschien er über die Alltäglichkeit emporgehoben.

Er schlug jetzt so plötzlich die Augen auf, daß ihr keine Möglichkeit blieb, den Blick abzuwenden, dessen bewundernder Ausdruck ihr dabei jählings zum Bewußtsein kam. Vielleicht war diese Bewunderung Thorheit, aber vorhanden war sie, und es gibt solche Augenblicke, wo ein Mensch sich dem andern offenbart, unverhüllt vor ihm steht.

Prickett war von Natur und durch Gewohnheit zum Mißtrauen geneigt, aber dieser Blick zwang ihn zu vollständiger Offenheit.

»Ich weiß genug, um nach Vancouver zu gelangen. Ob die Insel oder die Stadt dieses Namens gemeint ist, hat nicht viel auf sich, da beide nur eine Tagereise auseinander liegen. Morgen reise ich ab.«

»Ist das der Weg, den jene einschlagen?« fragte sie in atemloser Spannung.

»Ja, den müssen sie wählen, falls sie der Anweisung gehorchen. Sie haben einen Vorsprung von acht Tagen, aber das macht nicht viel aus – ich reise morgen. Sie können Ihrem Vater sagen, daß ich Engels Fährte verfolge und ihn binnen kurzem in Amerika festsetzen lassen werde. Ich weiß etwas mehr über ihre Angelegenheiten, als diese Herren vermuten. Das habe ich Ihnen anvertraut,« setzte er mit einem Anflug der gewohnten Vorsicht hinzu, »und Sie dürfen's Ihrem Vater sagen, aber sonst keiner Seele.«

»Sie können mir vertrauen, Herr Prickett,« versetzte sie mit großem Ernst. »Wenn ich Sie zu täuschen versucht habe, so geschah es nur um meines Vaters willen. Jetzt, da Sie auf seiner Seite stehen, gehorche ich Ihnen unbedingt.«

»Gut. Wollen Sie die Freundlichkeit haben, der Wirtin zu sagen, daß ich auf ein paar Wochen verreise? Mehr braucht sie nicht zu wissen – ich gehe jetzt ans Packen.«

Marie begriff, daß sie damit entlassen war, stand auch auf, konnte sich aber nicht entschließen, zu gehen.

»Herr Prickett,« wagte sie zu sagen, »Sie reisen doch über New York? Mein Vater wird in den nächsten Tagen dorthin ausgeliefert werden – stünde es nicht in Ihrer Macht, auf der Durchreise ein gutes Wort für ihn einzulegen?«

»Was könnte ich zu seinen Gunsten sagen?«

»Daß er sich beinah freiwillig gestellt hat und daß Sie ihn für unschuldig halten!«

»Hat er das gethan? Halte ich ihn für unschuldig?«

Ein Schmerzenszug bitterer Enttäuschung legte sich über ihr Gesicht.

»Ich leugne ja nicht, daß ich sehr geneigt bin, seinen Aussagen Glauben zu schenken,« setzte er begütigend hinzu, »aber was nützt es, wenn ich das sage? Ich kann doch nicht einfach hingehen und sagen: ›Ich halte diesen Mann für unschuldig,‹ und dann erwarten, daß man hierauf Gewicht legt. Das wäre ebenso ungeschäftsmäßig als fruchtlos.«

»Aber wenn Sie der Polizeibehörde sagten, daß Sie dem wahren Schuldigen nachsetzen – wenn Sie bäten, das Gerichtsverfahren aufzuschieben, bis Sie ihn erreicht haben?«

»Das könnte eine gute Weile währen – vielleicht ewig!«

»Aber würde man ihn nicht ein wenig milder behandeln auf Ihre Fürsprache, Herr Prickett? Er ist nicht mehr jung und hat viel gelitten – Sie glauben nicht, wie viel!«

»Nun ja, nützt's nichts, so schadet's auch nichts,« lenkte Prickett ein. »Ich, will einem alten amerikanischen Kollegen einen Wink geben.«

»O wie dank' ich Ihnen!«

»Viel wird das gerade nicht ausmachen,« sagte Prickett, der sich scheute, mehr zu versprechen, als er halten konnte. »Was ich erreichen kann, ist höchstens, daß man ihn etwas gelinder anfaßt.«

Damit wollte er auf die Thür zugehen, aber sie hielt ihn durch eine flehende Gebärde zurück.

»Darf ich noch eins sagen? Hier kann ich gar nichts thun für meinen Vater, in New York dagegen könnte ich ihm vielleicht von Nutzen sein. Mein Vater hat Freunde drüben, die ich zu seinen Gunsten beeinflussen könnte, und möglicherweise würde es mir gelingen, einen Bürgen für ihn zu finden! Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mit demselben Schiff hinüberführe wie Sie?«

Prickett zog die Augenbrauen so erstaunt in die Höhe, daß sie verlegen und errötend hinzusetzte: »Ich würde Sie gewiß nicht in Anspruch nehmen, ja gar nicht mit Ihnen sprechen, auch muß ich auf dem billigsten Platz reisen, denn ich muß meines Vaters wegen unser bißchen Geld zusammenhalten. Aber zu wissen, daß jemand an Bord mich kennt, wäre mir eine Beruhigung – haben Sie etwas dagegen?«

»Mein liebes Fräulein, handeln Sie nach Ihrem Belieben.«

»Und Sie sind mir nicht böse, wenn ich's thue?«

»Dazu habe ich doch kein Recht. Das ist ganz Ihre Sache.«

»Dann gehe ich,« erklärte sie.


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