Artur Fürst / Alexander Moszkowski
Meister Robinson
Artur Fürst / Alexander Moszkowski

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Vierzehnter Nachmittag

Peter: Was machte Robinson denn nun am nächsten Morgen?

Vater: Mit einem lauten Schrei fuhr er aus seinem Schlaf auf. Er hatte geträumt, daß aus der Luft ein Riese herabgekommen sei mit mächtig aufgeblasenen Backen, der sich erst vor das Feuer in der Höhle, dann vor den Brand im Freien gestellt und beide ausgepustet habe. Dieser Traum hatte den Schlafenden natürlich furchtbar erschreckt und ihn jäh aufgejagt. Ein frohes Lächeln glitt über seine Züge, als er beide Feuer in Wirklichkeit lustig prasseln hörte und sah.

Ursula: Machte er sich nun gleich einen Braten?

Vater: Nein! Er wollte zunächst etwas Wichtigeres erledigen. Es war ihm nämlich der Zugang zu seiner Höhle unmöglich geworden, so sehr hatte das Feuer über Nacht den ganzen Raum verqualmt.

Peter: Da mußte er also gleich den Schornstein machen!

Vater: An diese Arbeit wollte Robinson sofort herangehen. Er glaubte nicht, daß sie ihn lange aufhalten würde, denn er besaß ja den Steinmeißel und das Beil, mit denen er den Fels in der Nähe des ihm bekannten Lichtspalts wohl bald würde durchschlagen können. In Ruhe und Genuß frühstückte er mit dem freudigen Bewußtsein, zum letztenmal zu einem Essen mit reiner Pflanzenkost gezwungen zu sein. Er fühlte mit seinem Gaumen bereits die Freuden vor, die ihm der erste, so lang entbehrte Braten bereiten würde.

Doch als Robinson aufgestanden war und ans Werk gehen wollte, ließ er plötzlich recht ratlos die Arme sinken. Daß er das nicht bedacht hatte! Eine solche Unvorsichtigkeit! Die 164 mußte sich natürlich rächen! Der Meißel und das Beil lagen ja in der Höhle dicht beim Feuer, und da konnte er nun nicht hinzu, weil er keinen Rauchhelm besaß wie die Feuerwehrleute. Was nun tun? Er konnte unmöglich warten, bis das Feuer ausginge, denn er hatte, bevor er sich zum Schlafen niederlegte, eine sehr große Menge trockenen Holzes ringsherum gehäuft, und es mochte wohl bis zum nächsten Tag dauern, bis die Flamme von selbst erlosch. Wenn ihm kein rettender Gedanke kam, mußte er solange tatenlos hier draußen sitzen. Nicht einmal auf die Jagd konnte er gehen, denn dazu brauchte er ja auch das Beil.

Johannes: Ich denke, der Robinson wird sich schon wieder aus der Verlegenheit helfen, er ist ja so gescheit.

Vater: Ja, die Not hatte ihn, wie schon so manchen andern, erfinderisch gemacht. Jetzt aber sah er sich in größter Verlegenheit. Doch der Tatendrang ließ ihn nicht ruhen. Er überlegte hin und her, was wohl zu tun sei. In die Höhle hineinzulaufen und rasch Beil und Meißel zu ergreifen, wagte er nicht, denn er fürchtete sich vor einer Rauchvergiftung. Einen Schlauch herzustellen, durch den er beim Aufenthalt in der Höhle frische Luft von außen her atmen könnte, vermochte er nicht. Es fiel ihm zunächst kein Ausweg ein. Um aber doch wenigstens etwas zu tun, stieg er auf den Hügel hinauf, unter dem die Höhle lag. Aus dem schmalen Spalt stieg Rauch empor. Aber die Öffnung war eben nicht groß genug, um genügenden Abzug zu gewähren. Robinson sah, wie langsam und müde der Ranch hier hinauskroch.

Da dachte er: »Wenn es mir gelingen würde, einen kräftigen Zug zu erzeugen, so könnte ich die Höhle vielleicht rauchfrei machen. Doch dazu müßte ich einen hohen Schornstein aufsetzen. In dem bildet sich ja infolge des unten brennenden Feuers eine Säule erwärmter Luft. Diese steigt, weil sie leichter ist als die Außenluft, stets geradeso auf wie die erhitzte Bodenluft in der Nähe des Äquators, die der Albatros für seinen Segelflug ausnutzt. Aber ich kann ja nicht mauern, da ich keine Steine habe, also auch keinen Schornstein herstellen. Aber halt, da fällt mir etwas anderes ein! Wenn es nur darauf ankommt, warme Luft über dem Spalt zu erzeugen, um den nötigen Zug herbeizuführen, dann kann ich vielleicht auch 165 anders zu Werke gehen. Ich will hier oben rings um den Spalt im Kreis Reisig aufhäufen und es anzünden. Die Luft innerhalb des Kreises wird sich dann erwärmen und lebhaft aufsteigen. Damit muß doch auch ein tüchtiger Zug hervorzurufen sein.« Die Freude über diesen Gedanken belebte unsern Freund, und er ging sogleich ans Werk. Rasch waren trockene Zweige herbeigetragen, rund um den Spalt aufgeschichtet und angezündet. Mit Spannung wartete Robinson das Ergebnis ab.

Der Rauch stieg sogleich kräftig nach oben. Aber er konnte nicht unterscheiden, ob das nicht vielleicht nur der von dem Hilfsbrand entwickelte Qualm sei. Rasch kletterte er hinab, um die Höhle zu untersuchen. Und zu seiner großen Freude fand er sie schon jetzt weit weniger verqualmt. Der Rauch des innen brennenden Feuers stieg scharf nach oben, er wurde durch die saugende Wirkung der über dem Spalt aufsteigenden erhitzten Luft emporgerissen. Stolz und freudig ging Robinson nach einer Weile in die Höhle, in der es zwar noch immer recht brenzlig roch, wo aber der Aufenthalt für ein atmendes Wesen nicht mehr gefährlich war.

Johannes: Das ist aber eine großartige Leistung von Robinson! Wie er nur auf so etwas kommen konnte!

Vater: Er hatte eben einen regen Geist und die Gabe, einmal Beobachtetes oder Gehörtes zu behalten und bei Gelegenheit zweckmäßig zu verwerten. Es steckte wohl so etwas von einem Erfinder in ihm.

Peter: Machte er denn den Spalt nun noch größer?

Dietrich: Ich denke, daß er das tat, denn er wollte doch wohl nicht immer das Feuer dort oben brennen lassen, weil er es dann ständig hätte versorgen müssen.

Vater: Gewiß! Es war bequemer für ihn, den künstlichen Zug durch den Brand mittels des natürlichen zu ersetzen, den eine große Öffnung hervorruft, da durch diese ein großer Luftstrom emporsteigen kann. Der nicht allzu harte Felsen gestattete ihm, die Arbeit in etwa zwei Stunden zu erledigen.

Ursula: Dann holte er sich den Braten.

Vater: Dies war nun natürlich das nächste, was ihm am Herzen lag. Er versah seine lieben Feuerchen sehr sorgsam mit großen Holzmengen, steckte das Beil ein, nahm seinen 166 Sonnenschirm und begab sich zu dem kleinen See, wo, wie er wußte, die Gemsbüffel zu weiden pflegten. Er traf die Herde dort auch wieder an und schlich sich leise hinzu. Eigentlich meinte er, diese Vorsicht gar nicht nötig zu haben, denn die Tiere hatten ja, wie er schon gesehen, gar keine Scheu vor den Menschen. Aber auch hier erwartete ihn eine herbe Enttäuschung. Als er aus dem Wald in die Lichtung trat, hob ein alter großer Bock den Kopf und ließ ein offenbar warnendes Meckern hören. Im nächsten Augenblick stob die ganze Herde davon. Nicht ein einziges Tier blieb stehen.

Peter: Ach, wie kam denn das bloß?

Vater: Wir dürfen nicht vergessen, daß Robinson bei seinem ersten Besuch zwei der Tiere mitten aus der Herde fortgeschleppt hatte. Und das war ziemlich gewaltsam geschehen, da die Tiere sich ja so lebhaft gegen ihre Gefangennahme sträubten. Wenn die Büffelchen den Menschen vorher auch nicht gekannt hatten, so war ihnen durch diesen Vorgang genug Gelegenheit geboten, sein Wirken kennenzulernen und zu fürchten.

Johannes: Hatten sie denn das behalten?

Vater: Die Tiere sind nicht so dumm, wie die meisten glauben. Bis zu einem gewissen Grad können sie wohl Erwägungen anstellen und ihr Verhalten danach einrichten. Es gibt auch eine Verständigung unter ihnen und Laute, deren Bedeutung jedem Stammesgenossen bekannt ist. Warnrufe insbesondere sind bei allen herdenweis lebenden Tieren verbreitet. Gewöhnlich hat ein altes Exemplar die Aufgabe des Wärters, und es gibt Nachricht, sobald etwas Verdächtiges sich naht. Der alte Büffel hier am See erkannte offenbar den Menschen wieder, der so gröblich in die Ruhe der Herde eingegriffen hatte. So sorgte er dafür, daß sein ganzes Volk sich geschwind vor dem bösen Gast in Sicherheit brachte.

Ursula: Da stand Robinson nun und hatte keinen Braten!

Peter: Sicher fällt ihm gleich wieder etwas ein, wodurch er sich helfen kann.

Vater: O nein! Er war ja kein Zauberkünstler, sondern nur ein nachdenksamer Mensch. Das Fortlaufen der Herde verdroß ihn sehr. Er sah auch gleich ein, daß es ihm kaum jemals wieder gelingen würde, so dicht an ein Tier 167 heranzukommen, um es mit dem kurzen Steinbeil erschlagen zu können. Er mußte also daran denken, sich eine Waffe zu verschaffen, die von fern her wirken konnte.

Peter: Ein Gewehr hatte er doch aber nicht. Oder machte er sich vielleicht eins?

Dietrich: Na, das ist doch wohl nicht gut möglich! Ein Gewehr! Wo sollte er hierfür die Teile herbekommen? Dazu gehört doch ein Lauf aus Stahl, ein Hahn und Schlagbolzen, Geschosse und vor allen Dingen Pulver. Von all dem besaß Robinson doch gar nichts.

Vater: Das Gewehr kam ihm natürlich auch gar nicht in den Sinn, als er jetzt recht verdrossen nach Hause zurückging. Vielmehr sann er, während er den Strand entlang schritt, über die Herstellung einer anderen Fernwaffe nach.

Johannes: Er dachte wohl an einen Bogen mit Pfeilen!

Vater: Gewiß, darauf waren seine Gedanken gerichtet. Der Bogen ist eine einfache Fernwaffe, und unser Freund war wohl berechtigt, in Erwägung zu ziehen, ob er sich einen solchen nicht verfertigen könne. Im Augenblick überlegte er sich aber noch keine Einzelheiten, denn er ärgerte sich zu sehr darüber, daß ihm sein Braten sozusagen davongelaufen war. Ein Stück aus seiner eingezäunten Herde zu schlachten, wollte er sich keinesfalls entschließen. Dazu war ihm jedes einzelne der Tiere viel zu sehr ans Herz gewachsen. Und er wußte ja nun auch, daß es fast unmöglich sein würde, Ersatz von draußen in die Hürde zu schaffen. Und noch einmal an diesem Tag sollte ihm eine Verheißung vorgegaukelt werden, deren Erfüllung er dann zum größten Teil wieder verschwinden sehen mußte, als wollte jemand ihm deutlich zeigen, wie ohnmächtig er, der Einsame, auf die wilde Insel Verbannte, von allen Kulturmitteln Entblößte sei, obwohl er jetzt die hohe Gabe des Feuers besaß.

Als unser Freund so am Strand hinschlenderte, sah er in einiger Entfernung mehrere große, dunkle Körper sich auf dem hellen Sand bewegen. Leicht erkannte er, was es war, nämlich Schildkröten, große, wunderschöne Exemplare. »Hei,« dachte Robinson, »hier habe ich ja etwas zum Essen, das mir nicht so geschwind davonlaufen kann. Eine Schildkröte mit dem Steinbeil zu beschleichen, will ich mich wohl getrauen.« Er brauchte 168 auch wirklich nur die Hand auszustrecken, um ein Riesentier dieser Art festzuhalten. Nicht ohne Mühe, denn die Schildkröte wog sehr schwer, drehte er sie auf den Rücken, um sie am Fortlaufen zu verhindern. Die Schale war sehr hart und kräftig, so daß es manchen Schlags mit dem schweren Beil bedurfte, bis diese aufgesprengt war. Dann konnte Robinson das Fleisch des geschlachteten Tiers herausnehmen. Und gleich wässerte ihm der Mund nach einem Gericht Schildkrötensuppe mit geschnittenen Fleischstückchen darin.

Ursula: Hatte er denn einen Topf, um die Schildkröte darin zu kochen?

Vater: Einen richtigen Topf zwar nicht, aber er dachte, daß die Kokosnußschalen ihm wohl als Ersatz würden dienen können. Robinson ließ sich nicht verdrießen, die schwere Masse der Schildkröte über die recht weite Strecke bis zu seiner Wohnung zu schleppen, um sich ein leckeres Mahl zu bereiten. Doch als er eine Anzahl Fleischstückchen mit Wasser zusammen in eine Kokosschale getan und diese ins Feuer hineingesetzt hatte, sah er zu seinem nicht geringen Verdruß, daß das Gefäß zersprang, ehe das Wasser noch zu kochen begonnen hatte.

Auf das Kochen mußte er also verzichten. Er richtete sich daher rasch einen Bratspieß her und steckte ein Stück Schildkröte darauf. Als das Fleisch knusprig zu werden begann, roch es zwar recht appetitlich und Robinson dachte, daß er nun doch noch am heutigen Tag eine Magenfreude erleben würde. Aber trotz seines Heißhungers auf ein Fleischgericht schmeckte ihm die gebratene Schildkröte gar nicht. Das Fleisch war in diesem Zustand ledern und kaum recht genießbar. So endete dieser Tag, der so verheißungsvoll begonnen hatte, mit Verdruß und der Rückkehr zur frugalen Mahlzeit.

Ursula: Armer Robinson, wie tust du mir leid!

Vater: Er tat sich auch selbst leid in seiner Hilflosigkeit, und mit lebhaftem Schmerz vermißte er wieder einen Menschen, dem er seinen Kummer anvertrauen konnte. Denn in Gemeinschaft trägt sich jeder Verdruß leichter. 169


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