Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Vater: Bevor ich heute mit meiner Erzählung fortfahre, müssen wir zunächst etwas Erdkunde treiben. Ich habe einen Atlas mitgebracht, und wir wollen darauf Robinsons Fahrt über einen großen Teil der Erdkugel verfolgen. Dietrich soll uns die Meere, durch die er fahren wird, sagen und die Küsten nennen, in deren Nähe das Schiff vorübersegeln muß.
Dietrich: Oh, das macht mir viel Spaß, Vater! Ich denke, ich werde es schon richtig machen.
Zunächst fuhren sie durch den Ärmelkanal, auch kurz Kanal genannt, einen schmalen Meeresteil zwischen England und Frankreich. Alsdann wurde nach Süden umgebogen, und es ging, wie ich denke, in großer Entfernung an der französischen Westküste vorbei, weil die Bucht von Biscaya so tief einspringt.
Vater: Auf diesem Teil des Wegs hatten sie auch einen tüchtigen Sturm zu überstehen, denn die Biscaya ist selten ruhig. Alle Schiffer fürchten sie wegen ihrer vielen schweren Stürme. Hier lernte Robinson auch die Seekrankheit kennen, die sein kräftiger Körper aber rasch überwand.
Dietrich: Dann ging's nach Umschiffung der Nordwestspitze von Spanien an der portugiesischen Küste entlang bis zu der Stelle, wo das Mittelländische Meer durch die Straße von Gibraltar mit dem Atlantischen Ozean in Verbindung steht. Nun weiß ich aber nicht, Vater, ob sie ostwärts ins Mittelländische Meer eingebogen sind oder südwärts weiterfuhren, um ganz Afrika zu umsegeln.
Vater: Das letzte ist richtig. Wenn Robinson auf einem Dampfer gefahren wäre, so hätten sie jetzt sicher Kurs nach Osten genommen, wären durch die schmale Straße von Gibraltar 50 geglitten und hätten das Mittelländische Meer in seiner ganzen Ausdehnung durchfahren. Sie wären nordwärts der Küsten von Marokko, Algier, Tunis, Tripolis und Ägypten dahingezogen, um alsdann dem Roten Meer zuzusteuern. Wie wären sie in dieses hineingekommen, Johannes?
Johannes: Durch den Suezkanal.
Vater: Ja. Und gerade weil alle Schiffe, die aus dem östlichen Teil des Mittelländischen Meers nach Süden weiterfahren wollen, durch den Suezkanal hindurch müssen, vermeiden Segelschiffe diesen Kurs.
Johannes: Das ist aber eigentümlich! Warum denn?
Vater: Weil die Fahrt durch den Suezkanal sehr kostspielig ist. Dieser ist ja keine natürliche Wasserstraße wie der Ärmelkanal, sondern von Menschen erbaut. Hier auf der Karte könnt ihr, Peter und Ursula, sehen – die beiden Größeren werden es ohnedies wissen – daß der Suezkanal die schmale Landbrücke zwischen dem Mittelländischen Meer und dem Roten Meer durchquert. Er trennt damit welche Erdteile voneinander?
Johannes: Asien und Afrika.
Vater: Seit seiner Fertigstellung im Jahre 1869 nach den Plänen des Franzosen Ferdinand von Lesseps ist das Mittelländische Meer, das bis dahin eine Sackgasse war, auch im Osten für die Weltschiffahrt endgültig aufgeschlossen. Es wird euch gewiß interessieren, wenn ihr hört, daß schon die alten ägyptischen Pharaonen Sethos I. und Ramses II. vor dreitausenddreihundert Jahren an dieser Stelle einen Kanal gebaut hatten, der später aber wieder versandete. Immer von neuem sind dann Versuche dieser Art gemacht worden, aber erst der hochentwickelten Technik der Neuzeit gelang es, die Natur hier vollkommen zu besiegen und eine Hochstraße des Weltverkehrs aufzurichten.
Das Werk hat außerordentliche Kosten verursacht. Etwa vierhundert Millionen Mark sind ausgegeben worden, die allmählich wieder eingebracht werden müssen. Deshalb hat jedes Schiff, wenn es den Kanal durchfährt, sehr hohe Gebühren zu bezahlen. Wenn ich euch fragen würde, wie hoch ihr die Abgabe schätzt, die jeder unserer großen Hamburger Personendampfer zu entrichten hat, wenn er durch den Suezkanal 51 fährt, würdet ihr bestimmt eine viel zu niedrige Summe nennen. Es sind nämlich siebzig- bis achtzigtausend Mark.
Johannes: So schrecklich viel Geld würde ich aber nicht ausgeben, wenn ich Kapitän wäre. Es gibt doch noch einen anderen Weg, wie Dietrich gesagt hat, wo einem doch sicher nicht so viele Tausende abverlangt werden. Warum fahren sie denn nicht alle anders herum?
Vater: Um das zu erklären, soll Dietrich uns nun erst einmal den anderen Weg beschreiben.
Dietrich: Ich war bis zur Straße von Gibraltar gekommen. Von dort aus führt der Seeweg nach Ostindien und Australien südwärts an der Westküste von Afrika entlang. Dann wird nach Osten umgebogen und um das Kap der Guten Hoffnung herumgefahren.
Ursula: Wie heißt das? Kap der Guten Hoffnung? Ist das aber ein komischer Name!
Vater: Es hat auch eine ganz besondere Bedeutung in der Weltgeschichte. Früher, als die Schiffe noch nicht so weit fuhren wie heute, und man auf der Erde daher längst nicht überall Bescheid wußte, gelangten die Waren aus dem reichen Indien nur mühsam auf dem Landweg durch Wüsten, über große Gebirge, durch Länder voll wilder Völker zu uns. Da sandte im Jahre 1497 der König Emanuel der Große von Portugal den Vasco da Gama mit drei Schiffen aus, damit er versuche, ob man nicht um Afrika herum Indien zu Wasser erreichen könne. Als Vasco da Gama mit seinen Leuten, nachdem er lange, lange immer südwärts hatte steuern müssen, endlich dort drunten den Kurs nach Osten, in die ersehnte Richtung, wenden konnte, da wurde er frohen Muts, indem er dachte, nun könne es nicht mehr schwer sein, Indien zu finden. So erhielt denn die Südspitze von Afrika den noch heute erhaltenen Namen: Kap der Guten Hoffnung.
Dietrich: Nach Indien geht es von hier aus erst ein Stück ostwärts und dann nach Norden. Unsere Australienfahrer aber brauchen vom Kap der Guten Hoffnung aus nur immer nach Osten zu fahren, dann gelangen sie zu diesem Erdteil.
Vater: Nun kann ich die Frage beantworten, die Johannes vorher stellte. Ein Blick auf die Karte zeigt euch, daß der Weg 52 sehr viel kürzer ist, wenn man statt von der Straße von Gibraltar ab um Afrika herumzufahren, durch das Mittelländische Meer, den Suezkanal, das Rote Meer, die Straße von Bab el Mandeb, das Arabische Meer und dann durch den großen Indischen Ozean steuert. Die Abkürzung beträgt ungefähr siebentausend Kilometer, und es sind nicht weniger als etwa zwanzig Tage, welche man in diesem Fall für die Reise weniger gebraucht. Dampfer verbrennen aber in zwanzig Reisetagen eine Unmenge Kohle, und außerdem haben sie, wie wir schon hörten, ein sehr großes Interesse daran, möglichst rasche Fahrt zu machen. Deswegen ist es immer noch billiger für sie, durch den Suezkanal mit seiner hohen Gebührenerhebung zu fahren, als um Afrika herumzugehen. Segelschiffe aber haben Zeit, sie können nicht daran denken, den gewaltigen Kanalzoll zu entrichten.
Also nahm das Schiff, auf dem Robinson sich befand, den Kurs um das Kap der Guten Hoffnung.
Wenn ich euch nun alles schildern wollte, was Robinson auf der langen Fahrt zu schauen bekam, so müßte ich allein hierfür die ganze Zeit der großen Ferien verwenden und vielleicht noch die Herbstferien dazu. Immer weiter glitt das Schiff nach Süden. Bald befanden sie sich inmitten der ungeheuren Fläche des Atlantischen Ozeans, wo Tage und Tage lang nichts anderes zu sehen war als das Wasser unter ihnen und des Himmels Gewölbe über ihren Häuptern. Dieses erstrahlte in einem so tiefen Blau, wie Robinson es früher nie erschaut hatte. Die Sterne schimmerten nächtlicherweile in unerhörter Pracht. Das Gemüt Robinsons war fähig, derartige Eindrücke aufzunehmen. Er ging nicht achtlos an den Herrlichkeiten der Natur vorbei, wie es so viele Leute tun. Die südliche Sternennacht rührte sein Herz oft mit seltsamem, freudigem Weh, während in seiner Brust ein Gefühl aufstieg, das ihn dunkel darauf hinwies: du bist bis jetzt kein Mensch von rechter Art gewesen, suche zu lernen und zu schaffen!
Indessen lief das Schiff etwa jede Woche einen anderen Hafen an. Lissabon, wo sich am Ufer des mächtigen Tejo die Stadt in prächtiger Lage terrassenförmig aufbaut, lag bereits hinter ihnen, ebenso Santa Cruz auf der kanarischen Insel Teneriffa mit dem berühmten hohen Spitzberg, dem Pik, im 53 Hintergrund; später kamen sie nach Kapstadt, wo die seltsam abgeplatteten Tafelberge Robinsons Aufmerksamkeit fesselten.
Dazu hatte er noch mancherlei andere Erlebnisse. Eines Tages war das Meer recht stürmisch gewesen, und die Sonne hatte den ganzen Tag hinter den dichten Wolken nicht hervorlugen gekonnt. Als sie aber gänzlich hinter den Horizont gesunken war, wurde es nicht finster, sondern heller, als es vorher gewesen. Robinson blickte erstaunt am Himmel umher, um die Ursache dieser Helligkeit zu finden, die hier mitten im Weltmeer unmöglich von einem Leuchtfeuer herrühren konnte. Waren sie doch mehrere hundert Kilometer von jeder Küste entfernt. Endlich fiel sein Blick auf das Wasser, und völlig gebannt blieb er stehen beim Anblick eines Schauspiels von so unerhörter Schönheit, wie wir es uns nicht erdenken könnten, wenn es nicht Wirklichkeit wäre. Die ganze Wasserfläche erstrahlte, so weit das Auge reichte, ringsum in einem rötlich-bläulichen Schimmer. Es schien, als bestünde das Meer aus geschmolzenem Metall. Jeder Wellenkopf sah aus wie brodelndes Silber; die vor der Spitze des fahrenden Schiffs aufspritzenden Wassertropfen schienen lauter Brillanten, und hinter sich zog das Fahrzeug schwere, rotsamtene Falten. Robinson schaute und schaute und konnte sich nicht satt sehen an diesem wunderprächtigen Spiel der Natur.
Fragend blickte er um sich, ob wohl jemand da wäre, der ihm eine Erklärung für diese seltsame Erscheinung geben könnte. Da trat neben ihn ein junger Mann, der in Le Havre an Bord gekommen und mit dem er schon immer bei den Mahlzeiten zusammengesessen hatte. Zu einer richtigen Unterhaltung mit dem wortkargen Reisegefährten aber war Robinson noch niemals gekommen. Dieser war kein Mitglied der Schiffsmannschaft, sondern gleichfalls ein Fahrgast wie Robinson. Meist pflegte er still und verschlossen in Büchern zu lesen, die er nacheinander einer umfangreichen Kiste entnahm, jetzt aber befand er sich in großer Aufregung. Offenbar war es das über alle Beschreibung schöne Schauspiel, das auch ihn in Begeisterung versetzte. Als er Robinsons Augen fragend auf sich gerichtet sah, wies er mit der Hand hinaus, und ehe jener noch ein Wort zu sprechen vermochte, rief er: »Ist das nicht über die Maßen schön? Ist es nicht herrlich? Ja, so Wundervolles schafft nur die Natur!«
54 Robinson erfuhr nun von dem Fahrtgenossen, daß die Erscheinung, welche er sah, zwar nicht sehr häufig, aber doch auch durchaus nicht unbekannt sei. Man nennt sie Meeresleuchten. Seine Ursache ist mindestens so seltsam wie der Eindruck, den es macht. Im Meer leben unendliche Millionen von Tierchen, die so klein sind, daß man sie nur mit Hilfe eines überaus starken Vergrößerungsglases, des Mikroskops, überhaupt zu sehen vermag. Während des Tags halten sie sich in größeren Tiefen auf, nach Sonnenuntergang steigen sie zur Oberfläche des Meers empor und bedecken sie oft vollständig. Wenn durch eine gewisse Wellenbewegung ein Reiz auf sie ausgeübt wird, beginnen sie in ähnlicher Weise zu strahlen wie die Leuchtkäfer in unseren Wäldern. Es ist ein eigenartiges, ein kaltes Licht, das von ihnen ausgeht. Was jedes einzelne dieser so überaus kleinen Lebewesen ausstrahlt, ist nur der Bruchteil eines Fünkchens, aber alle zusammen verbreiten sie eine so starke Helligkeit, daß man auf dem Deck der Schiffe beim Meeresleuchten ganz bequem lesen kann. Der junge Mann, von dem Robinson diese Erklärungen erhielt, hatte einen kleinen Eimer bei der Hand. Er ließ ihn hinunter und schöpfte etwas Meerwasser damit auf. Als der Eimer auf dem Deck stand, erschien die Flüssigkeit darin zunächst dunkel. Aber als das Gefäß lebhaft geschüttelt wurde, begann das Wasser auch in dem Gefäß prächtig zu leuchten. Sie gossen den Eimer aus und sahen ein Silberband niederfallen.
Johannes: So etwas Herrliches möchte ich auch einmal sehen.
Vater: Hoffentlich ist es dir beschieden. Robinson und auch sein Genosse gingen in dieser Nacht erst spät zu Bett. Sie konnten sich von dem Anblick des leuchtenden Meers nicht losreißen. Und als der junge Mann sah, daß Robinson seinen Erklärungen mit großer Lebhaftigkeit folgte, als er merkte, daß der Jüngling aufgeweckt und wißbegierig sei, da war es ganz natürlich, daß sie bald in ein lebhaftes Gespräch miteinander kamen, obgleich der andere das Deutsche nur recht holperig sprach.
Robinson erfuhr, daß sein Reisegenosse ein junger Ingenieur aus dem französisch sprechenden Teil der Schweiz, aus Genf, war, der sich auf der Fahrt nach einer der Inseln 55 in der Südsee befand, wo er bei der Auslegung eines Kabels, einer Telegraphenleitung durch das Meer, helfen sollte. Er hatte die Überfahrt auf einem Segelschiff der Reise auf einem Dampfer vorgezogen, einmal, um die so abwechslungsreiche Reise um das Kap der Guten Hoffnung machen zu können, dann aber auch, weil man nur auf einem Segelschiff wirklich innig mit dem Meer und allen seinen Schönheiten in Berührung kommt, die der junge Mann sehr liebte.
Fortab waren die beiden gute Freunde, und der Ingenieur belehrte Robinson viele Stunden lang, wenn das Meer einförmig um sie herumlag, über unzählige Dinge, von denen dieser früher nie etwas gehört hatte. Es zeigte sich immer deutlicher, daß unser junger Freund im Grund seiner Seele weder faul noch gleichgültig war, sondern daß seine Fähigkeiten nur durch die schlechte Anleitung zu Hause verkümmert waren. Die starken Reiseeindrücke hatten ihn mächtig aufgerüttelt und schon jetzt einen ganz anderen Menschen aus ihm gemacht.
Eines Tages herrschte besonders munteres Leben an Bord des Schiffs. Schon vom frühen Vormittag an ergossen sich wahre Wasserfluten über das Deck; alles wurde besonders sauber gebürstet und gescheuert, obgleich auf einem guten deutschen Schiff eigentlich ununterbrochen geputzt wird und alles vor Sauberkeit blinkt. Man sah, daß sich etwas Besonderes, etwas Festliches vorbereitete.
Als das Deck abgetrocknet und ein ziemlich weiter Raum am Heck des Schiffs von allem Tauwerk und sonstigen Ausrüstungsstücken, die dort lagerten, geräumt war, wurde gar der Sessel aus der Kammer des Kapitäns mühsam über die steile Treppe nach oben getragen und feierlich aufgestellt. Robinson fragte bald den einen, bald den anderen Matrosen, was denn vor sich ginge, aber alle machten ein geheimnisvolles Gesicht und gaben ihm keine Antwort. Der Ingenieur wußte ebensowenig Bescheid wie Robinson. Gegen Mittag legten alle Matrosen, die nicht gerade mit dem Ausguck oder sonstigen unentbehrlichen Diensten beschäftigt waren, ihre Festtagskleider an, und auch der Kapitän erschien feierlich geschmückt. Vor den Sessel hatte man noch eine sorgfältig zugedeckte Tonne gestellt. Robinson wußte sich vor Neugierde gar nicht zu lassen, und schließlich sagte 56 ihm der Kapitän: »Bereite dich auf etwas ganz Besonderes vor! Bald wird der Wassergott Neptun uns einen Besuch abstatten.« Und wirklich dauerte es nicht lange, da sah Robinson, wie die Matrosen sich stramm in einer Reihe aufstellten, als wenn hier mitten auf dem Meer wirklich ein hoher Gast erwartet würde. Nach kurzer Zeit tauchte draußen an der äußeren Schiffswand über dem Deck ein Kopf auf mit goldener Krone geschmückt, von einem weißen Bart und weißen Locken umwallt. In wenigen Augenblicken stand ein prächtig gekleideter alter Mann auf dem Deck. In der Hand hielt er eine dreizinkige Gabel, den Dreizack des Neptun, der euch ja allen aus der griechischen Sage bekannt ist. Robinson staunte den aus dem Meer Emporgestiegenen an. Über des Ingenieurs Gesicht huschte ein Lächeln; er hatte jetzt verstanden. Neptun, dessen Haar, Bart und Kleider von Wasser trieften, trat einen Schritt vor und sprach dann mit tiefer, feierlicher Stimme:
»Ist einer unter euch,
Ein Armer oder Reicher,
Der noch nie gefahren über'n Gleicher?
Schleunigst tret' hervor er aus dem Haufen,
Denn Neptun ist hier und will ihn taufen.«
Dabei schwang der Meergott den Dreizack und blickte mit gebietenden Augen umher. Niemand rührte sich, und Neptun fuhr fort:
»Keiner folge gehorsam meinem Wort?
Alle sind getauft sie schon an Bord?
Ich entstieg den Fluten nicht, den nassen,
Um zum Narren halten mich zu lassen.
Einer ist's von euch, der mir gehört,
Der den Frieden dieser Gegend stört.
Gebt den Ungetauften schnell heraus,
Sonst versinkt das Schiff mit Mann und Maus.«
Drohend hob er den Dreizack.
Da lief der Kapitän rasch auf Robinson zu, zog den an allen Gliedern Zitternden bis vor die Füße des Meergotts und sagte: »Da ist er, hoher Neptun, schont unser Schiff!« »Gut,« antwortete der Gott, indem er den Dreizack auf die Brust Robinsons senkte, »er folge mir!« Und mit majestätischen Schritten begab er sich zu dem Sessel, wo er sich feierlich niederließ.
57 Sogleich traten auf seinen Wink zwei Matrosen vor, die beide Schürzen umgebunden und weiße Mützen auf dem Kopf hatten. Der eine trug in seiner Hand einen Eimer mit einer weißen Flüssigkeit, in der ein gewaltiger Pinsel lag. Der andere hielt ein großes Rasiermesser.
»Tut eure Pflicht!« gebot Neptun.
Sofort wurde Robinson von vier kräftigen Fäusten gepackt und auf die Tonne gesetzt. Der eine weißbeschürzte Matrose rührte mit dem Pinsel in der Flüssigkeit, bis ein mächtiger Schaum entstand. Damit seifte er dem Robinson das Gesicht und den ganzen Kopf ein. Alle anderen standen herum und lachten, während Robinson zappelte. Auch Neptun lächelte herablassend. Als Robinson über und über eingeseift war, öffnete der andere Matrose das Rasiermesser, das nur eine hölzerne Klinge besaß, und begann wie ein Barbier den Schaum von Robinsons Gesicht zu entfernen. Alle Matrosen hatten sich jetzt im Kreis herumgestellt und tanzten singend um Neptun und die Tonne. Auf einmal fühlte Robinson den Boden unter sich weichen. Und, plumps, lag er in der Tonne, so daß das Wasser einen Augenblick über seinem Kopf zusammenschlug. Sogleich aber packten ihn hilfreiche Hände und zogen ihn hinaus. Vor Nässe triefend, ganz bestürzt und außer sich stand er auf dem Deck, während Neptun, der sich vom Sessel erhoben hatte, sprach:
»Aufgenommen bist, mein Sohn, du heute
In den Bund der weitbefahrnen Leute.
Stolz und ruhig kannst du's jetzt riskieren,
Unsrer Erde Gürtel zu passieren.«
Zugleich nahm der Meergott seine Krone und seinem weißen Bart ab, und Robinson erkannte in ihm zu seinem nicht geringen Erstaunen einen der Schiffsmatrosen.
Ursula: Na so was! Was haben die denn nur mit Robinson gemacht?
Vater: Denkt einmal darüber nach. Wenn ihr's nicht findet, werde ich's euch morgen erklären. 58