Alexander Moszkowski
Von Genies und Kamelen
Alexander Moszkowski

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eine schaurige Nacht

Winter im Riesengebirge – wundervolle Sache! Bloß man kann dabei böse in die Bredullje kommen – erzählte mir Freund Melchior, der es am eigenen Leibe durchgemacht hatte:

»Also ich kam bei sinkender Dunkelheit von Schreiberhau her totmüde nach der Schneegrubenbaude, wo nur noch ein einziges kleines Uebernachtungszimmer mit zwei sogenannten Betten unbelegt war. Gleichzeitig mit mir erschien von der böhmischen Seite her ein anderer Bergpilger, und man wies uns natürlich den Raum zu gemeinsamer Benützung an. Daß er Wondraschek hieß, störte mich wenig, von mir aus hätte er noch viel tschechischer heißen können, wenn er sich nur über Nacht erträglich benahm. Woran ich eigentlich nicht zweifelte, denn der Mensch machte einen leidlich manierlichen Eindruck. Wir zogen auf der schmalen Holzdiele einen Kreidestrich zur Abgrenzung der Raumkompetenzen, wir warfen uns unausgekleidet auf unsere Lagerstätte, und der Mond sandte uns flimmernde Nachtgrüße durch das kleine Fenster.

Aber ich konnte nicht einschlafen, denn der andere schnarchte, und zwar mit einer Vehemenz, die an das weltberühmte Dampfsägewerk von Rockefeller in Nebraska erinnerte. Ich rief ihm zu: »Herr, mäßigen Sie Ihre Evokationen! Sie schnarchen wie ein ganzes Regiment auf Kriegsfuß! Nehmen Sie Rücksicht auf Ihren Zimmergenossen!« Als das nichts half, sprang ich auf und rüttelte ihn wach, indem ich meinen Flehruf wiederholte. Damit war aber Wondraschek nicht einverstanden. Er meinte, auf seiner Seite des Kreidestriches könnte er schnarchende Auspuffe loslassen, so laut ihm beliebte, und ich sollte ihm sonst was! »Flegel!« rief ich, nunmehr entschlossen, die Zimmergemeinschaft mit dem Unhold aufzugeben und die Nacht lieber auf dem Hausflur zu verbringen. Aber einen Denkzettel wollte ich dem Räuber meiner Ruhe doch hinterlassen; ergriff den Waschkrug und goß ihm den Inhalt über sein infames Schnarchorgan. Dann öffnete ich die Tür und schritt hinaus.

Wondraschek kam mir nachgestürzt. Es entwickelte sich ein Handgemenge, das sich über Flur und Treppe verlängerte bis über die Baude hinaus. Ringend und puffend gerieten wir an den Rand der Schneegruben, die sich nahebei in entsetzlichen Felsstürzen vertiefen. Auf dem schmalen Zwischengrat, den man den »Sattel« nennt, kämpften wir weiter. Da kam ein herkulischer Impuls über mich: ich umklafterte den Kerl mit beiden Armen, hob ihn hoch und schleuderte ihn mit mächtigem Schwung in den Abgrund des eisigen Gebirgstrichters. Hörte ihn dumpf aufschlagen in der Tiefe der Schlucht, mit dem befreienden Gefühl: der Bube wäre erledigt!

Aber schon nach wenigen Sekunden packte mich die Reue. Mir war es, als hörte ich die Furienstimmen aus der Orestie: Mörder! Mörder! Und besinnungslos begann ich zu rennen, planlos, richtungslos, nur hinweg von dem Tatort meines Frevels. Ich durchstürmte die abenteuerlichsten Strecken in einem Tempo, die in keiner Sportchronik vorkommen. Dort der Reifträger? Hinauf! Dort das Hohe Rad und die Sturmhaube? Hinüber! – Plötzlich war ich wieder in der Schneegrubenbaude. Schleiche hinauf ins Zimmer. Hatte mich etwa nur eine Halluzination genarrt? Nein, es ist grausige Wirklichkeit: keine Spur von dem anderen Menschen; der lag zerschmettert im Abgrund!

Laut aufstöhnend werfe ich mich aufs Bett, grabe den Kopf verzweifelt ins Kissen und verfalle in Betäubung. Als ich mich wieder aufraffe, graut der Morgen herein. Auf der Treppe treffe ich den Baudenwirt: »Hören Sie, Herr Wirt, Sie müssen sogleich nach Schreiberhau zur Polizei telephonieren; ich stelle mich zur Selbstanzeige: ich habe in dieser Nacht meinen Zimmergenossen, den Herrn Wondraschek ermordet!« –

»Scheinen gut zum Spaß aufgelegt, Herr! Der Wondraschek sitzt unten in der Wirtschaft beim Kaffee. Hat die ganze Nacht da in der Schwemme zugebracht, weil er's oben im Schlafzimmer vor Ihrem fürchterlichen Geschnarch nicht aushalten konnt'. Die Zimmerbezahlung kommt nun natürlich ganz allein auf Ihre Nota!«

 


 


 << zurück weiter >>