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Es handelt sich hier um ein amtliches Formular: und ich darf wohl annehmen, daß jedermann mit diesen Papieren so ungefähr Bescheid weiß. Sie gehören zu den regelmäßigen Gästen, die den Zeitgenossen mit der Frühpost ins Haus und auf den Schreibtisch flattern. Sie symbolisieren in schönster Weise den Begriff »die Hülle und die Fülle«: hat man die Hülle des papiernen Umschlags abgestreift, so strömt eine Fülle von Fragen heraus, die allesamt das liebevolle Interesse des Staates für den Empfänger, – lies: Steuerzahler – ausführlich bekunden. Und bei weiterem Studium des anmutigen Formulars fühlt man sich wie von Röntgenstrahlen durchleuchtet. Die geheimsten Fasern der eigenen Wesenheit werden offenbar, und aus dem Unterbewußtsein steigt die Mahnung auf: Beantworte! Beichte! Fülle die Rubriken aus! Das werden feierliche Momente. Und selbst wenn der Mensch gar keine Anlagen besitzt, hier gewinnt er den Trost, in Bälde eine gut »veranlagte« Person zu werden.
Freilich gerät man bei der Formularbeichte auch an allerlei Hemmungen. Man sehnt sich nach einem präzisen Ausdruck und kann ihn nicht finden. Da steht zum Beispiel als Ausfluß behördlicher Neugier die Frage: »Beruf?«
Hier stocke ich schon, wer hilft mir weiter fort? Es ist nicht aus der Welt zu schaffen, daß ich in meinem Leben viele Tausende von Versen geschrieben habe, und daß diese reimspielerische Unsumme einen wesentlichen Bestandteil meiner Tätigkeit ausmacht. Ich habe sogar fünf Minuten vor Empfang der amtlichen Fragen eine jambische Romanze über das Thema »Opferfreude und Steuersegen« fertiggestellt, eine sehr schwungvolle Poesie, bei deren Niederschrift mich der Gedanke beherrschte: das ist dein Beruf! Also hätte ich die Fragerubrik mit dem prägnanten Bescheid auszufüllen: »Beruf – Dichter.«
Wenn mir diese Auskunft bloß nicht Weitläufigkeiten und Rückfragen zuzieht! Mich beschleicht eine leise Ahnung, daß die Angabe »Dichter!« bei den Autoritäten der Steuer nicht sonderlich beliebt sei. Für parnassische Anklänge fehlt vermutlich in den Finanzämtern die empfängliche Resonanz. Man könnte mir per Reskript zu verstehen geben, das Dichten wäre eine Angewohnheit, eine Leidenschaft, eine Besessenheit, ein Laster, aber kein Beruf im bürgerlichen Sinne.
Soll ich lieber vermelden: Redakteur, Schriftleiter, Pressemensch? Diese Notiz ließe man mir vielleicht durchgehen, allein ich selbst könnte mich dabei nicht beruhigen. Hier heißt es doch, den vollen Tatbestand erkennen, und sich nicht in Umschreibungen verlieren, die der Wahrheit nur nahekommen, ohne sie zu erschöpfen. Eine literarische Empfindung schiebt sich in den Vordergrund: ich habe doch einen ganzen Posten philosophischer Schriften veröffentlicht, die ich in meinem Register nicht missen möchte. Also darf ich sie auch bei diesem Anlaß nicht verschweigen. Da wäre ich endlich bei einer zweckdienlichen, allgemeinen Begriffsbestimmung. – Feder eingetaucht und hingeschrieben: »Beruf – Philosoph«.
Aber nunmehr entsteht eine neue Fatalität, denn der unermüdliche Fragebogen will wissen, ob ich den Beruf selbständig ausübe.
Eine höchst verzwickte Frage, die noch zudem verschiedene andere umschließt: sind Gehilfen vorhanden, Mitarbeiter? wie viele? von welcher Beschaffenheit?
Das werde ich pflichtgemäß genau erklären und erläutern. Zuerst: den Philosophen möchte ich sehen, der ganz ohne Gehilfen auskommt! Was mich betrifft, so brauche ich bei meinen Arbeiten eine ganze Menge, zum Beispiel den Spinoza, der mir andauernd ausgezeichnete Dienste leistet. Schön, da steht mein Gehilfe Spinoza, und dicht daneben vervollständige ich die Liste mit Buddha, Konfutse, Plato, Cartesius, Kant, Schopenhauer, Nietzsche . . .
Himmel! wie soll ich denn da die ganze Fakultät aufs Papier kriegen? Eine dürftige Zeile läßt mir der Fragebogen zur Beantwortung offen, und ich bin erst am Anfang meiner Aufzählung der dienenden Geister, die mir den Beruf ermöglichen! Nicht einmal für den Demokrit und den Aristoteles reicht das Blatt, meine Ausfüllung wird sonach unvollständig, und wie ein Felsen wälzt es sich auf mein Gewissen, das die Verantwortung tragen soll. Denn das Formular beruft sich ausdrücklich auf das beste Gewissen und stellt mir für Unvollständigkeit eine ganze Horde von Strafparagraphen vor das erschauernde Gemüt.
Und was wird die nächste Zeile bringen, die mich mit dem Vorzeichen Id anstarrt? Da haben wir die Bescherung: »Wo wird der Beruf ausgeübt?« Aber, meine verehrten Herren, da möchte ich doch gegenfragen: »wo nicht?« – Wenn einer seinen philosophischen Beruf bekennt, so gibt er damit zu verstehen, daß er nie und nirgends davon loskommt, und daß jeder Fleck Erde, den er berührt, sein Arbeitsbureau ist. Es gibt auf diesem Gebiet keine Seßhaftigkeit, keine feste Stelle, an die man sich binden darf, und in der Götzendämmerung können Sie es lesen, daß nur die »ergangenen« Gedanken, nicht die ersessenen, einen Wert haben. Schriebe ich also in die Frageliste, daß ich den Beruf am Schreibtisch ausübe, so wäre das zum mindesten sträflich lückenhaft. Denn wenn ich selbst zufällig nicht wandere, sondern mich zur Ruhe ausstrecke, so hört das Grübeln auch in der Horizontallage nicht auf. Da wäre mithin besonders zu vermerken: wo ich meinen Beruf ausübe? – »unter anderm auch im Bett«.
Wieder ein Stückchen weiter: »Unter welcher Firma wird der Beruf ausgeübt?« Aber, meine Finanzherren, sagen Sie mir doch, bitte, unter welcher Firma beispielsweise Rabindranath Tagore philosophiert? Nicht, als ob ich mich im entferntesten mit dem indischen Kollegen vergleichen wollte, aber hier kommt es ja nicht auf die Bedeutung an, sondern lediglich auf das Fach, und ich habe im ganzen Leben noch keine Philosophie mit handelsrechtlich eingetragener Firma kennen gelernt. Aber ich will mich trotzdem bemühen, Ihren Wünschen zu entsprechen, und werde mir demnächst über meine Manuskripte ein Firmenschild annageln lassen, vielleicht mit der Inschrift: »Problem und Kompagnie, Telegramm-Adresse Probleko«.
Noch bin ich nicht fertig, denn hinterher kommt noch eine neugierige Linie mit einer verfänglichen Frage: ob am Ende Nebenbeschäftigung vorhanden mit außerberuflichen Einnahmen. Da wird man also sein Gedächtnis gehörig aufzumuntern haben und die Schlundsonde tief in das Organ der Erinnerung versenken müssen.
Richtig! Ich habe im Laufe des Kalenderjahres einmal an einer Spieltafel gestanden und dabei auf den ersten Coup fünf Reichsmark gewonnen. Hört, hört: gewinnbringende Beschäftigung! Daß ich diesen Verdienst sofort wieder der Bank in den Rachen warf und obendrein noch das Zehnfache verlor, kommt nicht in Betracht, denn der Fragebogen interessiert sich grundsätzlich nur für die Einnahmen, nie für die Ausgaben. Aber aus diesem Spielbankerlebnis habe ich eine gelehrte Abhandlung über Wahrscheinlichkeitsrechnung gemacht, mithin waren die vorbemeldeten fünf Emm nicht außerberuflich, sondern kommen auf das Konto Beruf.
Ferner habe ich einmal auf das Inserat eines Drogistengeschäfts ein Preisrätsel gelöst und dafür einen Karton mit parfümierter Seife im Barwert von einer Mark 25 empfangen. Gut, daß mir das noch zum Zweck der Deklaration beizeiten eingefallen ist.
Ich wiege mich noch immer in der Hoffnung, daß meine Ausfüllung des Vordrucks an maßgebender Stelle, wenigstens in einigen Zeilen, helles Entzücken erregen wird. Denn es wäre mir selbstverständlich nicht angenehm, wenn die vorgesetzten Mächte mein Schriftstück etwa als minderwertig erachten sollten, und wenn sie demzufolge beschlössen, mir zur Strafe künftig überhaupt keinen Fragebogen mehr zu überreichen. Aber in diesem Falle wüßte ich allerdings auf jene zuvor noch offene Frage die zutreffende, wenn auch negative Antwort: nämlich daß ich zum Listenfüller auch nicht den allermindesten Beruf besitze!