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Der alte Mr. Arthur hatte neuen Antrieb in die Firma gebracht, ganz im Sinn seines grandiosen Programmes. George schien tüchtig vorgearbeitet zu haben, jetzt suchte und fand der alte Almeira in eigener Person neue Informationen über neue Reichtümer, die unausgenützt im Dschungel lagen, auch die wollte er haben, wollte noch mehr Minen.
Dürr und mager, aber elastisch wie Meerrohr konnte man jetzt Arthur Almeira mit weißen Haaren im chinesischen Kostüm mit seinen alten chinesischen und indischen Freunden unter den Ladentüren in Bangkok plaudern und diskutieren sehen. Nach jahrelanger Abwesenheit in jener sauengen Schweiz, nach jahrelangem, saurem Dasein voll verzwickter Arbeit, nach manchen schwierigen geschäftlichen Spitzkehren im konkurrenzneidigen, übervölkerten Abendland, 227 fühlte Arthur sich im steuerlosen Osten mit der doppelt und dreifachen Geldwährung wieder wohlig daheim. Er stieg seinen alten Kollegen im Reis-, Tuch-, Pfeffer- und so weiter -Handel, dem Siamwallah, Ramshang, Pu Si Eng, Akbaralli Mullah und wie sie alle hießen, auf die Bude, erzählte ihnen von seinen Minen, und daß er gern noch mehr Minen möchte, da viele Ingenieure zu beschäftigen seien. Und diese Indier und Chinesen hatten inzwischen gemerkt, was es hieß, »in Minen zu machen«. Manchen von ihnen hatte der europäische Krieg sehr wohl getan, mancher von diesen großen Bangkok-Chinesen leistete sich jetzt neben seiner Hauptfrau zwei oder drei siamesische Nebenfrauen.
Und jeder wußte etwas Neues. Siamwallah wußte Blei, »irgendwo unbekanntes hochoben im Norden von Siam«, Pu Si Eng hörte von Kupfer, der Schlaueste aber berichtete sogar von Goldminen.... aber Gold.... das war Bluff, Gold sah dem alten, gewiegten Kaufmann denn doch allzu goldig aus.
Arthur Almeira sammelte seine Notizen in ein extra Taschenbuch, ähnlich fleißig und genau wie George, und im Stillen, als wären sie beide die Vertreter von zwei Konkurrenzfirmen und nicht miteinander verwandt. Er addierte blei- und zink- und kupferhaltige Morgen. Jetzt hatte er schon 30,000, das genügte vorläufig; dann schrieb er nach Sridharmaray einen äußerst wichtigen Brief:
»Meine neuen Verträge und Rekognoszierungen machen es wünschenswert, daß der Geolog seinen Wirkungskreis mehr nach dem Norden verlege, am 228 besten Bangkok selbst. Er wird noch viel mehr reisen müssen, gegen Cochinchina hinaus, an die birmenische Grenze und in den äußersten Norden. Sig. Arthur Almeira«.
»Und mein schöner Platz am großen Waldberg, den ich eben fand?« schrieb Imfeld nach Bangkok zurück. »Ich muß diesen Platz noch ein wenig erforschen.« Aber Arthur Almeira wollte nichts davon wissen: »Lassen Sie diese Arbeiten durch einen Vorarbeiter ausführen, Mr. Imfeld, wir brauchen Sie hier im Norden.«
Ein klein wenig freute sich Robert doch auf die große Stadt, manches würde nach langen, entbehrungsreichen Dschungelmonaten leichter sein, man würde dann und wann ordentlich zu essen bekommen und einen eisgekühlten »drink«, statt des ewigen lauwarmen Tees, was alles in diesen heißen Ländern nicht nur eine Annehmlichkeit, sondern geradezu eine Existenzfrage ist. Jahrelang wie ein Schwein im Urwald leben, tut keinem Europäer gut.
In Bangkok nun sollte Robert seinen hohen Chef um so schneller und gründlicher kennen lernen, als er ziemlich deutlich und unzweideutig eingeladen wurde, bei ihm in der Firma Wohnsitz zu nehmen, ganz zu innerst im Chinesenviertel am Menamfluß. Arthur Almeira wohnte da wie ein Junggeselle, ohne seine Familie, die er vorläufig in der Schweiz gelassen hatte. Im Juchheeh oben des Hinterhauses und Warenspeichers, unmittelbar unterm Wellblech, war für Imfeld eine Art Kammer gerüstet, wo er sein schmales Feldbett aufschlagen durfte, – keine Spur von 229 irgendwelcher Hotelpracht erwartete unsern müden Reisenden! – und zu den Mahlzeiten hatte er sich fortan mit dem Alten und zwei andern europäischen Angestellten an den gemeinsamen Tisch zu setzen.
Das Essen war streng puritanisch. Es gab vierzehnmal in der Woche (nämlich je einmal mittags und einmal abends) »Curry and rice« als ersten Gang, und als zweiten die neuesten Zinn- und Gummipreise. Curry ist scheußlich scharfe Pfeffersauce mit etwas gehacktem Fleisch und wird demjenigen bald sehr vertraut, der sich dran zu gewöhnen vermag. »Das Zinn ist noch hinauf! Das Zinn ist über 150. Weiß der Teufel, wie hoch das Zinn noch will.« Das war kein sehr gemütvolles Familienleben.
In der Hauptstadt nun kam Robert Imfeld, so kurz und selten er da war, etwas mehr in Berührung mit westlichen Dingen. Rasch und selbstverständlich, wie es in diesen kolonialen Städten geht, lernte er eine ganze Anzahl Landsleute und andere Europäer kennen. Mit den andern Schweizern in Bangkok fand Imfeld, besonders sobald er ein paar Stengah im Leibe hatte, den Ton ganz hübsch. Es gab da sieben oder acht Landsleute (die Halbmillionenstadt zählte keine tausend Weiße!); so war man ein kleiner Club. Etwas in diesen Tropenschweizern war unserm Imfeld sehr sympathisch, Robert hatte früher als Bergsteiger viel Frevelhaftes getrieben – viel Unbedachtes, Drauflosgängerisches taten jetzt auch diese Kameraden hier.
Wenn Imfeld von einer seiner lebenzermürbenden Fahrten ruhebedürftig aus dem Urwald »heim« kam, konnte es vorkommen, daß der Alte ihn mit 230 folgenden Worten begrüßte: »Es war gewiß wieder nichts, oder? Wo wollen Sie das nächstemal hin?« Und wenn er den Geologen länger als drei Tage untätig in dem arbeitsschwangeren Firmahaus herumlaufen sah, wo Imfeld weder regelrecht ausruhen konnte, noch Arbeit hatte, wurden die alten grauen Augen derart drohend, daß Robert, trotzdem er wirklich müde und abgehetzt war, es vorzog, sich schleunigst wieder in die Wildnis zu verziehen.
Umgekehrt besaß Arthur Almeira doch auch seine Weisheit. Er war vielleicht mehr Mensch, als er zu zeigen wagte, und damit trotz seinem portugiesischen Namen ein richtiger, schwerblütiger Schweizer. Von einem seiner Angestellten, nämlich dem dicken Josef, dem Buchhalter, sagte er einmal, so daß Imfeld es hörte: »Der da ist nichts wert, er ist immer zufrieden.« Das war doch sicher ein menschlich höchst interessantes Wort! Uebrigens ja, dieser dicke Josef, das war ein ganz williger, brauchbarer Mensch. Primitiv im Geschmack und anspruchslos poussierte er eine Fleischlawine von Polakin, Bardame in einem Hotel siebenter Güte, war früher wie Jakob Zahler im belgischen Kongo und auch in Brasilien tätig gewesen, zog aber – man denke sich! – dennoch, um sich beim Alten nicht unbeliebt zu machen, die Schuhe auf der Straße vor dem Hofportal aus, wenn er erst gegen Morgen nach Hause kam, und das kam er fast jede Nacht.
Im intimern Leben, innerhalb seiner eigenen Wände, zeigte nun auch der alte Herr Almeira einige Eigentümlichkeiten und Sitten, die bemerkenswert waren. So erzählte er bei jeder passenden und auch bei 231 mancher andern Gelegenheit, zum Beispiel während und unmittelbar nach dem Essen von seinen Flügeln, daß man fast hätte auf die Vermutung kommen können, er sei trotz ausgebildeter Geschäftsroutine ein Engel. Da er aber einen hartnäckigen Katarrh hatte, meinte er seine Lungenflügel. Er ging immer früh zu Bett, stand bei Tagwerden auf, wanderte bis zum Frühstück ruhlos im Haus auf und ab und spie in kräftigen Bogenlinien über die rings ums Haus laufende Veranda hinaus. Das sei eine gesunde Lebensweise.
Dann wieder dachte manchmal Imfeld: »Der Alte ist wie ein Professor unter seinen Schülern.« Gleich einem solchen schien er sich verpflichtet zu fühlen, immer alles besser zu wissen als seine Untergebenen. Ueberall drängte er sich befruchtend vor, anregend, mitwirkend, und soweit es das Geschäftliche betraf, hatte er gewiß ein Recht dazu, wenn auch der schönste Kaufvertrag eine schlechte Mine nicht günstiger zu machen vermag. Imfeld und sein Chef, so verschieden sie im Grunde sein mochten, starke, rechthaberische Gewaltsmenschen waren beide. Jeder war an seiner Stelle groß, im Recht, am Platz. Robert sagte: »Diese schöne Mine! Hier ist mein Rapport. Erhandelt sie Euch, wenn Ihr könnt. Wie Ihr das macht, ist mir egal, oder bin ich vielleicht ein Krämer?« Arthur Almeira meinte: »O mein schöner Kaufvertrag mit Lien Kui! Er hat mir, weil ich sein Freund bin, eine günstige Option gegeben – Sie, Herr Geolog, ich wünsche, daß Lien Kuis Kau Dam Mine gut sei!«
So verkehren Herr und Knecht miteinander oft 232 wie zwei querköpfige Kamele. Heißblütler waren sie beide, und alles war gut, solange sie nicht mit ihren langen Beinen auszuschlagen begannen. Robert ahnte Sternschnuppen jedesmal, wenn er von einer Wanderung in die Stadt zurückkam; darunter stellte er sich, wie jeder gebildete Mensch, etwas vor, das plötzlich vorbei ist....
Und jetzt hatte Arthur Almeira wirklich zu einem Schlag ausgeholt – aber niemand brauchte vorläufig zu erschrecken. Der Chefsenior hatte nächtelang schaffend alle seine siamesischen Sprachkenntnisse unter seinen weißen Haaren hervorgeholt, und im schönen, senkrechten, eckigen Druck seiner siamesischen Schreibmaschine eigenhändig und unter seines chinesischen Kompradoren Assistenz eine Haupt- und Staatsakte verfaßt. Jetzt meldete er stolz in den Süden: »Almeira & Co. ist von heute an als siamesische Handelskompanie registriert und damit allen übrigen Firmen im Land, gleichgültig welcher Nation, an Rechten ebenbürtig.«
Jetzt »adieu« ihr mächtigen Engländer. Almeira wußte, was er wollte. Schade, daß es so lange ging. Die Zinn- und Wolframpreise waren inzwischen leider stark gesunken. Und noch war keine einzige von den Konzessionen bis jetzt transferiert, weder in Long Rek, noch in Gadscha puti. Nein! Bei Schneider war zwar ein Sohn unterwegs, aber noch kein einziges Prozent. Kein Wunder, daß es diesem armen tüchtigen Schneider, der doch gewiß ein anständiges Leben verdient hätte, wirklich nächstens bange wurde.
Ja, sogar in diesem beherrschten, stämmigen 233 Schneider begann sich die philosophische Ader zu regen unterm Druck des schwülen Daseins. Hatte es einen Sinn, die Blütenjahre seines Lebens hinter den Wäldern im Dämmerlicht des Dschungels zu verzehren? Hatte man dazu »Aesthetik« gehört an der Hochschule, »Stillehre« studiert, um hierauf in Sumpf und Wald wie ein Bauer, wie ein Holzklotz zu leben? Nur um das viele Geld zu verdienen, das heute nötig war zu einem anständigen Leben. Und dabei zu riskieren, daß man starb, bevor man es hatte. Konnte man das verantworten, vor sich selbst, vor seiner Frau, vor dieser armen Frau, die in Wirklichkeit für ein sanftes, schönes Leben geschaffen war? Und vor seinen Kindern, die man bekommt, hier mitten im Urwald, exakt wie irgend ein Tier?
Aber – blieb denn etwas anderes übrig, als da das Glück zu suchen, wo es möglicherweise noch zu finden war? Mußte nicht ein jeder, der im überfüllten Kontinent Europa sein Leben fristen will, unangenehmeres, trostloseres und oft menschenunwürdigeres durchmachen? Barg dieses Siam mit Haus und Diener, mit Ponystall und eigenem Gärtner nicht trotz allen troubles, barg es nicht trotzdem eine Hoffnung, eine Lösung und Möglichkeit in der Unmöglichkeit des Daseins, eine Zuversicht, nach der tausend andere Europäer mit fiebernden Händen greifen würden!
So ist dieses heutige, auf seine Maschinen stolze Europa: Jeder zweite seiner Bürger ist ein Märtyrer, leidet und muß leiden und vermag sich kaum durchs Leben zu bringen. Aber und hier? Sieht es hier in 234 Gadscha puti etwa nach Erfolg und Reichtümern aus? »Herrgott, was willst Du mit mir?« brüllte Schneider wild geworden wie ein hungriger Tiger, eingesperrt in seinem schönen Bungalow, jetzt manchmal in den abendlichen Dschungel hinaus – das tönte wie ein Fluch oder wie ein Gebet! –