Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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IX

Jakob Zahler erfreute sich, während Imfeld und Schneider ihre Not auf dem Kau Dam hatten, der schönsten Einsamkeit. Niemand besuchte ihn, niemand kümmerte sich um seine Mine, kaum daß er von Zeit zu Zeit aus Bangkok einen Brief mit Instruktionen erhielt.

74 Sofort, nachdem einmal dieser Imfeld gegangen war, hatte Zahler sich freier gefühlt; er war ein etwas schwerfälliger Mensch, scheu und mißtrauisch und gern allein, als hätte er von Kindsbeinen an sich dann und wann, wenn er unter die Menschen ging, nicht ganz zurecht gefunden. In seiner Mine war er jetzt König. Auch sein Nachbar und Vorgesetzter, Parker, war aus Long Rek fort, so konnte Jakob endlich schalten und walten wie es ihm paßte. Zwar die Koffern und Kisten mit all den Arbeitsherrlichkeiten wagte er in diesem armseligen Bambushaus noch nicht auszupacken; die schönen Bücher und Instrumente würden verschimmeln und rosten. Nur den Badekoffer hatte er natürlich leeren müssen, da er ihn benützen wollte.

Der Hauptraum von Zahlers Boutique war knapp so lang, daß sein Kampbett notdürftig Unterkunft fand, ein Tisch hatte daneben nicht Platz. Ein kleiner Tisch stand aber auf der Veranda, die wie das ganze Haus mit Ataps aus Palmenblättern gedeckt war, so daß es dem Ingenieur wenigstens nicht in die Bücher hineinregnete. Zu irgend welchen größeren An- und Umbauten konnte sich Zahler aber noch nicht entschließen, solange die Mine nicht produzierte. Er wollte sich bei George nicht durch allzu große Ansprüche unbeliebt machen. Er kannte das Urwaldleben schon vom Kongo her und wußte: ein Mensch kann manches aushalten, ohne ganz kaput zu gehn.

Platz hatte er eigentlich genug. Wo vorher Imfeld hauste, da hatte er ein Volk Hühner einquartiert; das gackerte und krähte und legte Eier. Und in dem gleichen kleinen Raum, aber durch ein Bambusgeflecht 75 von den Hühnern getrennt, hatte er seinen Badekoffer aufgestellt, hatte er hinten die Hüttenwand herausgebrochen und dort den einzigen kleinen Anbau erstellen lassen, der nötig schien: wer ihn zum erstenmal sah, verstand nicht recht, sollte es eine Vogelscheuche sein oder ein Galgen. Tatsache war aber, daß es von dem Gestell schön tief ins Loh Hut Bachbett hinunterging, und alles, was etwa fallen gelassen wurde, lustig im Wasser unten aufspritzte. Das war ein schöner, luftiger Ort hinter der Hütte, aus starken elastischen Stangen zusammengefügt, die sich jeden Morgen federnd bogen, wenn der schwere Jakob Zahler andächtig mit der Zeitung in der Hand drauf saß.... Hierauf nahm Zahler Platz in seiner Badewanne, plätscherte ein wenig mit der Hand vor dem Bauch, goß sich Wasser über die Schultern, frühstückte nachher hastig und brach zur Arbeit auf.

Loh Hut verglichen mit dem Kau Dam war wie ein kleiner Karpfen neben einem Walfisch, ähnlich, aber doch ganz anders, und nicht nur viel kleiner. Wenn an jenem Berg, wo jetzt Imfeld und Schneider um die ersten siamesischen Lorbeeren rangen, viele Dutzende von mehr als metermächtigen Erzgängen zu finden waren, wenn am Kau Dam hunderte von Kuli fieberhaft das Erz aus dem Boden kratzten – hier auf Zahlers Mine zählte man knapp fünf oder sechs Gänge mit einem Dutzend alter Arbeitsstellen, die aber von den Chinesen längst aufgegeben waren.

Von früh bis spät war Jakob Zahler dick in der Arbeit und fleißig. Schwer wie ein Lastschiff oder ein vollgefressener Elephant schwamm er schwitzend durchs 76 Dickicht. Mit peinlicher Genauigkeit nahm er seine Mine mit dem Theodolithen auf, belegte die paar Gänge liebevoll mit Nummern, merkte sich die Stellen, wo er einst richtig beginnen wollte, ebnete Plätze, ließ einige Bäume endlich doch fällen, schnitt Balken und Gerüstholz, alles dreimal solider berechnet als nötig, wie es sich für ein Lebenswerk ziemt. Und wenn ein seltenes Mal ein Kuli wirklich Erzkörnchen fand, verdoppelte Jakob Zahler sofort seinen Eifer.

Auch abends ruhte er nicht. Er saß vor der Hitchook Lampe, die man wie eine Uhr aufzieht, worauf ein Windflügel im Fußgestell für Luftzug sorgt (wenns eine wirkliche amerikanische Lampe und nicht etwa japanische Schundware ist!), so daß ein schönes, weißes Arbeitslicht entsteht. War es tagsüber Pflicht – jetzt abends rechnete Jakob aus purem Vergnügen irgend einem Stern das Licht nach. Endlich war auch die letzte Nachsendung aus Europa gekommen. Abends trug jetzt der Theodolith ein prachtvolles kleines Reiseteleskop.

So verging Zahler die Zeit in idyllischer Ordentlichkeit, Tag um Tag ausgefüllt und voll Geschäftigkeit, Zahler war noch ein Mensch mit Nerven, nie hörte man ihn fluchen, und wenn er noch fluchte, so war es doch nicht richtig geflucht; denn er regte sich nicht auf dabei. Dreihundert chinesische Zentner hoffte er durch Schaffen von möglichst vielen Arbeitsstellen im Monat aus seiner Mine herauszubringen. Die waren etwas wert, nämlich 30,000 Dollar. Die Frage war nur, wieviel bei der Arbeit draufging. Mit Dynamit wußte Zahler zweifellos umzugehen; das hatte ihn sein 77 Vater-Baumeister gelehrt. Nur Techniker sein, dann kommt's gut! 30,000 Dollar monatlich, das machte 360,000 im Jahr, das war in der Schweiz eine Million, man konnte damit eine stattliche Kirche bauen. Herrgott, mit Hülfe von Dynamit und elektrischer Kraft wird heute ein Misthaufen zu einer Goldmine gemacht.

Als eines vom ersten schien Zahler das folgende nötig: ich muß Erzaufbewahrungskasten konstruieren, in denen das teure Zinn und Wolfram, von dem eine Handvoll einen Kulitaglohn wert ist, aufbewahrt werden kann. Diese Kasten müssen ebenso leicht geleert wie gefüllt werden können und diebessicher sein. So ließ er sich von seinem chinesischen Zimmermann eine ganze Batterie harthölzerner Käfige bauen, stark wie Zuchthauszellen und groß, und ziemlich genau im Format schweizerischer Eisenbahnstations-Abtritte. Und – wie es bei solchen schwerhörigen Menschen, die immer allein sind, geht – jedesmal wenn Zahler hübsch ungestört so schöne und wichtige Dinge beschlossen, floß ein Sprutz Worte aus ihm heraus, die für niemanden bestimmt waren, die aber so präzis und klar klangen wie Gedichte, die man, wenn es so etwas gäbe, technische oder Betriebsgedichte nennen könnte.

Aber das waren alles noch Pläne – was Zahler am definitiven Vorgehen hinderte, war der fehlende Dynamit. Zahler hatte noch keine Erlaubnis, mit Dynamit auf seiner Mine zu schießen. Zwar hatte er früher mit Imfeld zusammen gesprengt, ja, aber das war Lien Kuis Dynamit. Almeira, der neue Besitzer, mußte um eine neue Sprengbewilligung nachsuchen, mußte warten, bis er die Erlaubnis bekam, seine Mine wirklich 78 zu bearbeiten. So bürokratisch war dieses Land trotz seinen Urwäldern.

Jakob mußte warten. Zweimal im Tag setzte er sich vor den Uhrensarg, lüpfte seine silbernen Wickelkinder aus den flanellenen Windeln, betete mit ihnen morgens und abends, fuhr ihnen liebevoll über den spiegelnden Rücken, eins, zwei, drei, hm, und bettete sie sanft in ihre schwarze Sargwiege zurück. Zahlers Leben war regelmäßig wie ein gepflegter Stuhlgang, und sogar die Kost, die, solang keine Prozente liefen, sehr einfach bleiben mußte, war dem Fleischklumpenmann zuträglich.

Zur Morgen- und Abendtoilette kam, nicht zu vergessen, wieder der Hals dazu, Zahlers Nebenauskopf, wie man die rosarotblaue Kugel bald ohne Uebertreibung nennen darf. Er pflegte ihn jetzt mit der Sorgfalt, die ein ernsthafter Gärtner seinen Kabisköpfen erweist, wie sein eigenes Kind, das er ja in der Tat war. Jakob schmierte Vaseline drauf, Kokosnußöl oder Lederfett, band einen Streifen von einer abgelegten Flanellunterhose drum, fuhr schließlich mit der Hand drüber: »Hm!«

 


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