Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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II

Jetzt hatten die zwei »Neuen« Suez hinter sich, standen an der Schwelle des Ostens. Und zwanzig Tage später empfing Mr. George Almeira in der hinterindischen Hauptstadt seine Vertrauensleute, den neuen Ingenieur und den Geologen. »Sie sind also trotz dem Unterseebootskrieg gut durchgekommen!«

14 »Es war nicht halb so schlimm!« meinte Ingenieur Zahler.

»Schlimm genug war diese Reise – zusammen mit Dir, Dicksack,« dachte Imfeld. Er hatte den Ingenieur kennen gelernt. Hatte er anfänglich seinen Kollegen, der bereits drei Jahre erfolgreich im Kongo tätig gewesen war, bewundert, und war er ihm für manchen Rat zu Beginn der Ausreise wahrhaft dankbar gewesen, ebensosehr hatte Zahler, ohne dies zu ahnen, während des Zusammenlebens innerhalb der engen Geländer des Dampfers bei Imfeld verloren. Robert Imfeld war jung, war Wanderer, und die Schönheit der Welt das Fundament seiner Philosophie. Jakob Zahler dagegen war nichts als Ingenieur, Rechner, Zahlenbeiger. Nicht daß die beiden deshalb wirklich Streit bekommen hätten mit wüsten Worten und Boxereien, bewahre, aber Imfeld war dem durch und durch normalen Zahler möglichst ausgewichen, um still für sich das Erlebnis der Reise zu genießen. Einige schwache Versuche hatten sie zwar gemacht, miteinander von der gemeinsamen Aufgabe zu reden, aber da hatte der Ingenieur jedesmal so selbstbewußte Töne angeschlagen, daß Imfeld meist rasch und gerne wieder verstummt war. Auch ohnedies ging ihm dieser Ingenieur auf die Nerven, dieser unausstehlich regelmäßige Mensch, der einmal morgens und einmal abends seine drei Chronometeruhren, die er in einer Art Ledersarg mitführte, aufzog und kontrollierte, dazwischen rechnete und in technischen Büchern las, und dem fortwährend der Rechenschieber aus der Brusttasche schaute.

Und dann hatte sich noch etwas anderes zwischen 15 die beiden gestellt: Keiner wollte recht mit der Sprache heraus, sobald von seiner Anstellung in der Firma die Rede war.

Erst kurz vor Singapur war es Imfeld gelungen, von Zahler ein paar Andeutungen über sein Anstellungsverhältnis zu bekommen: »Der fixe Lohn ist mir ganz unwesentlich,« hatte Zahler stolz erklärt, »die Hauptsache sind die Ausbeuteprozente. Ich bin an Gadscha puti beteiligt!« Und da hatte sich Robert Imfeld sofort an diesen Namen erinnert. »Gadscha puti – direkt neben der Fortunamine, die jeden Monat zweitausend Pfund Reingewinn abwirft – unsere Gadscha puti-Mine allein schon rechtfertigt es, wenn wir extra Ingenieure von Europa hinaussenden!« So hatte Arthur Almeira, der alte Chef in Genf geschwärmt.

Jetzt waren sie glücklich »draußen«, und das Ueberseeleben, das Zahler während der Reise etwa gerühmt hatte, konnte beginnen. Wie im Osten üblich, ließ man den beiden Neuen einige Tage die goldene Freiheit – vielleicht um sie später umso mehr von Arbeit zu Arbeit zu hetzen. Sie wohnten prächtig in einem Laubenzimmer des Oriental Hotels, auf den Strom hinaus, der von Booten wimmelte und der bald aufwärts, bald meerwärts floß, so stark machte Ebbe und Flut sich bemerkbar; der große hinterindische Strom – allein schon eine Welt für sich! Fremde Bäume von japanisch zierlichem Wuchs standen im Garten, der Himmel hing voller Möven und Geier, abends funkelte die Nacht von Feuerfliegen, und der eintönige 16 Jagdruf mückenjagender Gekos tönte geheimnisvoll aus dem Dunkel.

»Man ist jetzt endlich so etwas wie ein Herr,« dachte Imfeld, »wohnt schön und ißt besser.« Lange Speisekarten standen morgens schon auf dem Frühstückstisch, zehn Gänge und mehr. »Zum Auswählen!« erklärte Zahler. Weißgekleidete chinesische Boys in Filzpantöffelchen standen bereitwillig an den Türen, indische Wächter bei allen Häusern, Prachtskerle mit hochgetürmten Turbanen, die vom Nichtstun herrlich zu gedeihen schienen. Man befahl – Almeira & Co. würde bezahlen. Man zückte nicht mehr den armen Geldsäckel wegen jeder Bagatelle, man unterschrieb einen Scheck. Das ging leichter und schneller, und wozu hatte man sonst seinen Namen! Es hieß nicht mehr: Fräulein, einen Becher, bitte! Nein, man klatschte schallend in die Hände, wenn man bedient sein wollte und polterte mit runder Stimme heraus: »Boy! Boy!« daß das Echo lustig durch die Hotelhallen rollte. –

Wer war der schöne Herr, der so gelassen wie eine Marmorstatue im Automobil saß? Sah er in der Armseligkeit der lottrigen Chinesengäßchen nicht aus wie ein Gouverneur? War der vornehme Herr ein Konsul? Er war nicht in gewöhnliches weißes Tropenleinen gekleidet, bewahre, Rohseide und zitronengelbe Musseline hatte er an, und aus dem meerschaumfarbigen Gesicht unter dem schneeweißen Tropenhelm stach ein aufwärtsgebürstetes, brandschwarzes Schnäuzchen heraus.

Das war niemand anders als Almeiras Vertreter, Almeiras Neffe, George Almeira, der Begründer des 17 neuen Lebensaftes der großen Firma. Kein anderer als er hatte das Wohlergehen der mächtigen Firma im Osten in der Hand. George war es, der die neuen Ingenieure in Europa bestellte, George Almeira, daß ihr es ein für alle mal wisset. Almeira war ein reiches altes Handelshaus, machte aus Tuch und kondensierter Milch, aus Pfeffer und Reis Millionen. Jetzt schickte Almeira & Co. sich an, eine große Minenkompagnie zu gründen – Zinn, Gold, Edelsteine. Almeira war im Werden.

Jeden Morgen setzten sich Zahler und Imfeld in die Rickshaw, den »Kinderwagen für Große«, und fuhren durch die Chinesenstadt zur »Hang Almeira«, zur Firma, und da sie der Arbeit nicht ganz abgeneigt schienen, gab es für sie bald regelmäßig zu tun. Imfeld bekam die ersten Erzproben zu bestimmen: »Was halten Sie davon?« Zahler rechnete das Kamin zu einer Reismühle aus. Almeira, der jugendliche Chef, sagte: »Wir wollen alle einander helfen!« – War das nicht ein schönes Wort?

George war fleißig, saß von morgens bis abends im Kontor, schrieb, studierte und befahl. Was für ein Leben im Hauptkontor herrschte! Zwei weitere Weiße und ein halbes Dutzend chinesischer Schreiber in Seidenhosen, Glanzhalbschuhen und seidenen Blusen waren emsig, die gleichen dicken Bücher wie in Europa wurden mit Zahlen gefüllt, in allen indischen Sprachen wurden Geschäfte forciert. Ununterbrochen liefen chinesische Athleten, nichts am Leib als eine Schambinde, vom Ufer des Stromes durch das Kontor in den Hof und türmten hunderte von Kisten auf, die von Europa 18 angekommen waren oder löschten die Ladung einer chinesischen Dschunk, Pfeffer aus Tschantabun, Sticklack oder Cochinchina-Gummi. Arbeit, Leben, Schweiß herrschte im Kontor, und vor den Fenstern stickige, flimmrige indische Hitze.

Zahler rechnete ächzend vor einem Pult, er rechnete fleißig und wie es schien sehr genau. Robert war mit dem Lötrohr beschäftigt. Die chinesischen Schreiber waren wichtiger als europäische Schreiber, hatten feinere Ohren, schärfere Federn und waren, wenn lange beim gleichen Herrn im Dienst, wertvoll wie Gold. Sie verhandelten für den Europäer mit den Mitchinesen als Compradoren und sahen ebenso tief in ihres Chefs Firma hinein wie dieser selbst, wenn nicht tiefer. Imfeld fühlte manchen schlauen Schlitzaugen-Blick auf sich ruhen, über sich wandern; von oben bis unten wurden Robert und Zahler erforscht: Das sind jetzt die beiden! Ein Krani zupfte Zahler am Aermel: »Sir, die Firma Almeira ist eine der größten!« Ein anderer fragte Imfeld: »Kommt Herr Arthur, der Senior nicht bald von Europa heraus?« – »Nicht vor Ende des Krieges.«

Abends, frei vom Beruf in den Straßen der großen hinterindischen Stadt, fühlte Imfeld manchmal: »Wo will es jetzt mit mir hinlaufen? Es dünkte ihn, er habe mit der alten Heimat vieles weggegelgt, das ihn früher sehr bedrückte. Die wenigen Miteuropäer kannte er noch nicht, also kümmerte er sich nicht um sie. Es schien ihm, hier im Osten könne er es an Weisheit mit jedermann aufnehmen, und alle Eingeborenen dienten ihm getreulich wie einem König. Immer wieder zog es ihn 19 hinaus, besonders an warmen Mondabenden, wenn die Luft erfüllt war von den zackigen Weisen chinesischer Musik. Jede Stunde war ihm Gottesdienst. Jeder Kuli, jeder Bettler, jede Magd in diesem braunen Lande hatte Stil. Imfeld kannte noch keines von den Gesetzen des Ostens, noch irgendwelche Vorschriften, lief naiv zu Fuß in der Stadt herum – was unter Europäern verpönt ist! – von Merkwürdigkeit zu Wunder lief er träumend, von Chinesenplunderladen zu Opiumspelunken, ohne sich im geringsten eines Vergehens gegen seine eigene Würde bewußt zu sein. Wie zum Herrn einer ganzen Welt befördert, fühlte er sich und dachte: Paradies ist – wo ich keine Gesetze kenne! In welchen Märchenpalast will es jetzt mit mir laufen, was für eine braune Naturgöttin wird mich heute Abend umarmen? – So ist das Leben schön, so ist das Leben gut, wenn man keinen Augenblick klar weiß, ob oder ob nicht, aber unbegrenzte Möglichkeiten hinter allen Wänden ahnt.

Ingenieur Zahler, der seit Wochen schon jede Nacht von Gadscha puti geträumt hatte, war natürlich begierig, möglichst viel von seiner Mine zu hören. »O ich werde fest arbeiten!« sagte er zu George, »Chronometer und Theodolith habe ich selber mitgebracht!« – »Zuerst kommen Sie nach Loh Hut,« antwortete George, und sein Gesicht fragte ohne Worte: Was legen Sie eigentlich so viel Wert auf Gadscha puti, mit welchem Recht? und laut sagte er: »Gadscha puti ist noch nicht spruchreif.«

Robert Imfeld saß vor seinen Erzproben. Es fehlte in seinem improvisierten Laboratorium ein wenig an 20 allem. Er feilte, kratzte, schmolz Proben über einem Spirituslämpchen, suchte in petrographischen Leitfaden herum. Auf einmal stand George Almeira hinter ihm: »Sie, Mr. Imfeld werden am besten mit Ingenieur Zahler zusammen nach Loh Hut gehen, bis Sie genügend an die Landeseigentümlichkeiten gewöhnt sind, so daß Sie selbständig reisen können. Wir haben dort eine kleine Mine gekauft und besitzen eine Kaufsofferte, eine Option über das angrenzende Los – schauen Sie sich Loh Hut an, Sie haben zwei, drei Wochen Zeit.« Imfeld sagte »so«. Was hätte er anderes antworten können! Ob nach Loh Hut oder nach Huh Lot war ihm einerlei, nur bitte recht bald, recht bald hinaus aus diesem Büroloch, wo er jetzt schwitzte, hinaus an die frische Luft. George fuhr fort: »Sie werden reisen müssen! Viel reisen werden Sie müssen. . . .« »Müssen!« hätte Imfeld am liebsten laut herausgelacht. Er schwieg jedoch vorsichtigerweise. – –

»Lesen Sie da!« Zahler streckte Robert beim Abendwhisky die ›Eastern Gazette‹ hin, »lesen Sie da!« Unterm Titel »Sridharmaray« stand: Mr. Robinson und Gemahlin, Vertreter der altbekannten Firma Almeira & Co., ist in sein Bungalow übergesiedelt, das herrlich vor der Stadt draußen liegt. Es ist ein Wunder, wie hübsch Mr. Robinson sich einzurichten verstand. Beste Gratulation!

»Das ist unser Mitarbeiter. Er hat jedenfalls tüchtig für seine Firma gearbeitet. Jetzt wohnt er im eigenen Haus, fein,« sagte Zahler. Robert sah wie im Traum einen Zweispänner im Galopp in einen Park einbiegen, Palmen zur Rechten, Palmen links. Ein schlanker, 21 hagerer Gent saß in der Kutsche, die englische Pfeife im Gesicht – aber das war ein kühnes Bild!

Als Zahler am nächsten Morgen Mr. George Almeira die Zeitung vorlegte, sagte dieser: »Ja!« und sonst nichts. Nach einer merkwürdigen, längern Pause schien George es schließlich doch für besser zu finden, einige Aufklärungen zu geben: »Robinson – nicht wahr, Sie müssen nie denken, in Indien sei alles genau so wie... Robinson spielt gerne den wichtigen Herrn... und er ist uns auch wichtig bis zu einem gewissen... und kennt sich in Sitten und Gebräuchen des Landes ziemlich aus...« Aber... dachte Imfeld belustigt. Es war, als ob tausend innere Stimmen, die George nicht liebte, ihn zwingen möchten, zu sagen: aber... Ihr, die Ihr Neukommer seid in diesem komischen Land, versucht einiges zu ahnen! »Angenehmer wird für Sie natürlich der Verkehr mit Mr. Parker sein. Er ist studierter Ingenieur wie Sie!« fügte George noch wie erleichtert bei.

Zahler und Imfeld bekamen nun jeder einen Diener und eine Feld- und Reiseausrüstung, so daß sie schließlich wohlausstaffiert wie junge Rekruten dastanden. Die Fahrt im Motorboot den Menamstrom hinauf zur Eisenbahnstation war frisch, aber die Sonne rüstete sich für einen heißen Tag. Glitzernd stieg sie hinterm Türmchenwerk des siamesischen Königspalastes herauf. George, der Chef erklärte noch: »Man muß in diesen Tropenländern zu sich schauen, nicht wahr, wenn unsere Herren Engländer reisen, bringen sie jedesmal eine ganze Kompagnie Extrakuli mit für Bier- und Whiskyflaschen. Nicht, daß dies 22 unbedingt nötig wäre, aber die Firma bezahlt die Reiseunkosten. Sobald die Geschäfte hier in Bangkok es mir gestatten, komme ich auch nach Sridharmaray!« Und der Zug rollte.

 


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