Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XIX

Und Imfeld, wo war denn Imfeld jetzt? – Im Dschungel. Am hohen weißen Ufer eines Flusses saß er eines Tages irgendwo im ungeheuren, unendlichen siamesischen Wald. Die Trockenzeit herrschte, seit Wochen war kein Regen gefallen, der Fluß stand tief, fraß sich langsam durch den Wald. Hellblendend, ein weißes Band, flimmerte der Sand im Licht der nicht mehr hochstehenden Sonne, und an der Hochwassergrenze setzte drüber mit undurchdringlicher lebender Mauer der dunkle Urwald ein, mit vereinzelten schimmernden Säulenstämmen, die helleuchtend aus dem dunkelgrünen Niederholz aufragten.

Es ging gegen Abend, in Gedanken versunken saß Imfeld am Ufer, ganz allein, nichts als das Rauschen der höchsten Bäume war zu hören. Jetzt wurden plötzlich Stimmen laut, um die nächste Biegung des Flusses kam bedächtig ein langer Kahn geschwommen. Vorn im Boot stand ein gelber Mönch, hinten ein gelber 144 Priester, in der Mitte lag ein kleines Bündel: Charon fuhr den Toten in den Tempel zur Verbrennung. Die Grippe wütete durch das Land. Wie totgeschossene schwarze Vögel aus der Luft, fielen die unheimlichen Keime der Krankheit auf die ahnungslosen Waldbewohner, der Hexen- und Teufelsglauben feierte Feste. Die guten Geister wurden angerufen, die bösen mit Opfern überhäuft.

Leider ging es auch Imfeld in letzter Zeit durchaus nicht sehr gut, aber die Regenzeit war jetzt etwas höher im Norden vorbei, man konnte jetzt in diesem sumpfigen Reisfelderland schöne Strecken mit Ochsenkarren reisen. Und das wollte der Geolog in Zukunft tun. Auch Imfeld hatte die Grippe gehabt, hatte blutig gespuckt, doch das hatten alle andern auch, sogar die stärksten Chinesen. Merkwürdig war es mit dieser Grippe, es fehlte einem nicht sehr viel, man hatte keine sehr langen Fieber, aber dann und wann spuckte man Blut. Imfeld gedachte nicht, sich deswegen von seinem nächsten Reischen abhalten zu lassen – es war noch so viel zu tun! – in weniger als zehn Reisetagen konnte er den neuen Platz erreichen, er fühlte sich zwar wirklich etwas müde, aber das war ja gleich. Sollte jemand dies wünschen, so konnte er noch stundenlang auf einem Bein stehn. Vielleicht war die neue Mine gut. Almeira & Co. sollte unbedingt noch eine oder zwei gute Minen bekommen!

Imfeld auf allen seinen Reisen, bei Tag und bei Nacht, dachte hart über Almeiras Minenunternehmen nach, und die tausendfältigen Schönheiten und Wunder des Tropenlandes genoß er nur nebenbei wie im 145 Traum. – Merkwürdig eigentlich, daß die Australier so weit nebenaus vom Fluß den Bagger starten. Aha! Wäre es denkbar, daß der Gadscha puti-River früher in anderer Richtung floß? Direkt durch die Fortuna Konzessionen? Ja, das ist möglich. Aber halt, und jener Hügelsporn, der sich vom Kau Dam her bis weit in die Ebene herunterstreckt! Der hätte doch den Fluß nie zu den Australiern hinübergelassen. Oder ist er unterm Sand durchbrochen, hört er vielleicht plötzlich auf? Alles Mögliche ist möglich.

Imfeld war vier Wochen weit nebenaus im Dschungel, jetzt mußte er rasch nach Sridharmaray zurück. Diesmal war das eine freundliche Fahrt. George, der Chef würde diesmal selber im Office sein und Ordnung und Zuversicht um sich verbreiten. Imfeld betrat mit frohen Gefühlen das Office: »Ist Mr. Almeira da?«

»No, Sir.«

Imfeld brach neu in den Urwald auf, kehrte nach Sridharmaray zurück: »Ist Mr. Almeira gekommen?«

»No, Sir.« Es sah also nicht aus, als ob George je wieder in den Süden wolle. »Möglicherweise nach Neujahr, Mr. Imfeld,« meinte Keng Hui. Aber George, statt selber zu kommen, schrieb seine schönen langen Briefe auf der Maschine, die alle sehr wichtig aussahen mit vielen Zahlen, mit manchen Nullen, bis zu sechs Nullen nacheinander und eine Ziffer vorne dran. Fehlerlos, mit viel Liebe, unter Opferung mancher Stunden schienen diese Briefe geschrieben und redigiert zu sein. George kannte die Formen und 146 Satzgebilde, die Effekt machten und nach etwas aussahen; knapp und präzis wirkte sein Plural »wir«, und autoritativ, als wäre George, der einzelne schmächtige Herr, ein ganzer Verwaltungsrat: Wir gedenken....

Imfeld ging in den Wald zurück, Imfeld war wieder in Sridharmaray, George kam nicht, George würde nie kommen und – jetzt plötzlich war George doch da! »Halloh, Imfeld!«

»Grüß Gott, Mr. Almeira, schön, daß Sie da sind.«

»Es ist nicht für lange, auf Weihnachten muß ich nach Bangkok zurück.«

»Weihnachten, das liebliche Fest im Kreise der Seinen!« dachte Robert spöttisch.

»Haben Sie etwas gefunden, was macht Kau Lek, Kau lam Tscham, Gadscha puti?«

Nein, Imfeld hatte immer noch keine rechte Mine gefunden, kein gutes, freies Kronland, das halb umsonst aufgenommen werden könnte, alles was einigermaßen versprechend aussah, war längst belegt von andern Europäern, von Siamesen, Chinesen. Nein, keine einzige von den Propositionen, die der Geolog selber im Urwald entdeckte, hielt später den strengen Anforderungen stand. Kurze Prospektionen zeigten immer wieder, daß entweder der Platz zu arm und klein oder abgelegen sei, oder dann war zu wenig Wasser vorhanden. Nie waren die Aussichten so, daß Imfeld mit gutem Gewissen Almeira & Co. zu entscheidendem Vorgehen hätte ermuntern mögen. Aber vielleicht war er doch einem Bijou-Plätzchen auf der Spur.

Statt Robert hatte indessen George einige schöne 147 Nachrichten: »Mein Onkel in Europa hat ein ganzes Riesenprogramm herausgesandt. Er will wirklich alles treiben, was nur getrieben werden kann. Mr. Arthur Almeira ist tatsächlich phänomenal. Neben seinem ordentlichen Import und Export will er Unternehmer für alle möglichen technischen Branchen werden, Schiffe will er eigene bauen, eine eigene Linie fahren: Bangkok-Hongkong-Shanghai-Yokohama. Kontrakte für die Regierung gedenkt er später zu übernehmen im Straßenbau, Eisenbahnbau, in Bewässerungsfragen.« Ingenieure, schien Arthur Almeira sich zu sagen, habe ich bereits, so sollen sie bitte etwas bauen. Ein eigenes großes Geschäftshaus wollte Mr. Arthur Almeira in Bangkok errichten und einen herrschaftlichen Wohnsitz, (der Schneider konnte ihm die Pläne dazu in einem arbeitsfreien Nachmittag entwerfen!) So viel Großes und Schönes plante der alte Herr, daß sein gesamtes Minenwesen schließlich nur ein bescheidenes Zweiglein am Baumriesen seines Geschäftes sein würde. Und das würde er nach wie vor seinem Neffen anvertrauen. Also war es klug, dachte Imfeld, sich mit George nicht zu überwerfen.

Imfeld sah sich plötzlich als Experte vor die konstituierende Versammlung geladen, lustig im leichten Paris in Frack und Zylinder am grünen Konferenztisch. Da würde er eine Rede halten müssen, siamesische Pläne ausbreiten, von Kubikyards, Wasserkräften, Zinnpreisen und Rendite erzählen, und in sämtlichen Tageszeitungen Europas käme gesperrt gedruckt sein Bericht. Und jetzt fuhr George, der Imfelds 148 Gedankenreise geahnt haben mochte, prächtig sicher und selbstbewußt fort: »Wissen Sie, Mr. Imfeld, wenn Sie auch fix angestellt sind und nicht die großen Chancen haben wie unsere Ingenieure – ich glaube, wenn Sie wirklich eine gute Mine fänden, würde Mr. Almeira, mein Onkel, sich dankbar erweisen.«

»Ja, ja, hoffentlich,« sagte Robert schmunzelnd. Diesen optimistischen George neben sich als Chef, so möchte er der ganzen Welt trotzen.

»Nur Großes bringt Großes!« sagte George, drum wollte er sein großes Unternehmen noch mächtig vergrößern, als wünschte er, daß ihm sein Minenkind recht bald über den Kopf hinauswachse. Immer wieder schlich er sich an Imfeld heran mit kühnen Plänen und optimistischen Reden, so daß es Robert immer schwerer fiel, mit in diesem Rummel kühl und der kleine Schweizer zu bleiben, der er war, nicht verrückt und größenwahnsinnig zu werden wie George.

Als Geolog eine Minenherrgotts-Rolle zu spielen war schön, aber gefährlich. Robert wußte das wohl. Er kam zwar weit im Land herum, hatte wenig Scherereien mit langweiligen Arbeiterhorden und peinlich-kleinlichen Untersuchungen, aber jedenfalls war es nötig, sich vorzusehen und seine Mutmaßungen umso vorsichtiger zu äußern, je weniger sie durch handgreifliche Dokumente belegt werden konnten. George bestand meist nicht einmal drauf, von Imfeld ein schriftliches Gutachten zu bekommen. Wenn dieser sich breiter hinsetzen und den Tintenstift zu einem dreimal durchgetriebenen Bericht spitzen wollte, sagte sein Chef regelmäßig: »Es ist nicht nötig. Wir kennen Ihre 149 Meinung schon. Besser, Sie nützen die Zeit, reisen weiter und schauen unser nächstes Unternehmen an. Es ist noch so viel zu tun!« War es da vielleicht erstaunlich, daß Robert, der aller Pedanterie fern stand, sofort das genaue Buch und die Akten zuklappte und dem ganzen Bürowesen jedesmal gern adieu sagte?

Robert hatte manchmal Mühe, zu verstehn, wie George Almeira Gefallen dran finden konnte, Zeit und Geld und seine Kraft und Zukunft, ohne es gerade dringend nötig zu haben, in einen solchen unsaubern Betrieb zu stecken, eine Rolle zu spielen, die dem Eingeweihten nichts weniger als stolz, ideal oder flott erscheinen konnte, der Narr seiner Engländer zu sein, den großen Herrn spielen zu wollen, in Wirklichkeit aber nach der Pfeife von ein paar verrückten, versoffenen Kerls zu tanzen. George in seiner geschäftsherrlichen Rolle als siamesischer Minenobertiger hatte, schien es Imfeld, fast etwas von jenem siamesischen Adeligen, der bei der Königskrönung trotz dem europäischen Frack und Stehkragen dennoch barfuß mitlief, Betel kaute, und durch die Finger schneuzte. Er, Robert, hätte bei soviel Geld und Möglichkeit zur Muße ganz andere schöne Lebenspläne als dieser minenhungrige George. Und jedesmal, wenn Robert auf diesem Punkt der Ueberlegung angelangt war, begann er mit seiner Zukunft zu liebäugeln. Sobald er einst hier in Siam fertig wäre mit seinem übernommenen Auftrag, würde er heimgehn und dann der Welt und diesen Geldfanatikern zeigen, was Schönes man machen kann, wenn man ein paar Dollarchen verdientes Geld auf der Seite hat. Bis auf den letzten 150 Cent würde er sein hartverdientes Geld in irgendetwas Schönes hineinverschwenden! Wie er einst seine Sehnsucht nach Harmonie und dem Schönen stillen würde, war Robert aber zu dieser Zeit noch durchaus unklar.

 


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