Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XXIII

Wie kam es eigentlich, daß Baby Robinson so selten zu Hause war, immer in die Stadt fuhr: »Pai talat, pai talat. Ich will zum Markt!« »War es, weil Baby so gern im Motorcar fuhr? Aber das war doch alles durchaus begreiflich: Frau Robinson hatte doch ihren Vater in der Stadt, ihre Familie. Auch wenn dieser Vater nicht ganz echt sein sollte, nur eine Art Schwiegervater war, wie es hieß, konnte man sie begreifen. Auf alle Fälle schien ihn Mrs. Robinson gern zu haben. Das war vielleicht nicht der schlechteste Zug an unserer Chinesin und sogar verzeihlich, daß sie Heimweh und Liebe für ihre Mitchinesen hatte.

Und dann war bei diesem Sun Huat immer etwas los, weil er ein chinesisches Restaurant und überhaupt einen rechten, tüchtig großen Haushalt führte. Auch Imfeld zum Beispiel, nachdem er einmal dort war, ging 174 immer wieder gern hin. Er wurde von Robinson persönlich eingeführt. Der alte Sun Huat hatte schöne Reichtümer, silberne siamesische Kunstgegenstände, Schwarzlacksachen, seltene Buddhas in Gold und ölglatten Bronzen, Stickereien aus dem Norden. Wer bei dem Alten gut angeschrieben war, durfte in seinem Museum mit ihm auf dem bloßen Boden zu einem »Whisky Siam« hocken – das war für langbeinige Europäer ein lustiges Kunststück! – und während Sun Huat seine Schätze ausbreitete, kicherte es rund um den Gast, zerwühlte, sofaartige Bettecken luden zu angenehmen Ruheviertelstündchen, und etwas kleine, aber verdammt schön rundliche Fräuleins bedienten. Das waren nicht richtige Sklavinnen, sondern sehr freie Menschen, eine Art jedermann sympathischer Haustierchen, immer lustig, immer fröhlich und voll schlecht versteckter Bereitschaft, so daß Gäste sich wohl aufgehoben fühlten, auch wenn sie vorläufig auf dem harten Bretterboden hockend, das unverständliche, halb siamesische, halb chinesische Vortragsgemurmel ihres Gastgebers anhören mußten. Also, das war Frau Robinsons Ziel, wenn sie »zum Markt« fuhr. Sie konnte da schön mit ihren Verwandten plaudern, das war interessanter, als mit ihrem Mann, der auch nicht gut hörte wie Zahler. Frau Robinson hatte einen Haufen naher und ferner Verwandter (Chinesen sind ein fruchtbares Geschlecht, voll Drang, sich zu vermehren, und sie haben dazu wie kaum ein anderes Volk auf Erden das Recht). Und obendrein waren immer noch einige von diesen kleinen, barfüßigen, vom Knie an aufwärts aber hübsch uniformierten siamesischen 175 Offizieren aus der nahen Garnison da. Nicht wahr, man konnte Baby Robinson begreifen!

Aber – und Elsy? Elsy spielte unterdessen irgendwo ungestört hinter Robinsons Palast, oft auch in der Küchenecke beim Koch, irgendwo im Garten hinter den Tomaten, hinterm Bambus der Zisterne, oder es hatte etwa ein kleines, nacktes, braunes Siamesenbubi gefunden und übte sich bereits ein wenig in dem, was es einst, in ein paar Jahren, bis zur Virtuosität würde können müssen, wenn es nicht verhungern wollte....

War das vielleicht das Schöne, das Imfeld sich als Lohn für seine Reisestrapazen wünschte, dieser neue unerträgliche Abend bei Robinson? War er dazu nach heißer, verzehrender Wanderung »heim« nach Sridharmaray gekommen? Und Imfeld durfte sich nicht einmal beklagen. Robinson tischte herrlich auf, spendete Whisky wie kein anderer, hatte Imfeld jedenfalls lieber als alle andern Schweizer. Auch Robinson war verkappter Idealist, hatte einst sein Leben und anderes mehr an splitternackte Negerweibchen in Nigerien prachtvoll unbekümmert und restlos hingegeben, verstand den Ruf der Natur ähnlich wie Robert, hatte ein Herz gehabt und an die Welt verloren, hatte gelebt, hatte geliebt.

Robinson schwatzte, schwatzte und schwatzte. »Es nimmt mich wunder, was dieser Parker treibt, sein Postkuli sagt, er sitze immer zu Hause und sei offensichtlich krank, sehe aus wie ein Leichnam, so bleich und kaput. Der Parker ist ein Schwein, er hat sich verrechnet. Zwei Frauen, das wird für einen Mann wie Parker, der sonst schon unsolid lebt, etwas viel, was meinen 176 Sie dazu, Imfeld? Und wissen Sie, diese Chinesin, Meh Sih oder wie sie heißt, gibt Parker ›spanish fly, Yohim-bin‹ zu essen, jetzt ist er krank davon; das tötet auf die Dauer einen Stier. – Ist das nicht eine herrliche Tomatecatsup, die ich Ihnen serviere? Elsy ist meine Sünde, aber Gott vergib uns armen Sündern, Imfeld, glauben Sie nicht auch?«

»Laß mich in Ruhe,« hätte Imfeld rufen mögen, wenns etwas geholfen hätte. Er war ganz in Gedanken versunken, hatte etwas Scheußliches entdeckt: Elsy schien wirklich den giftigen roten Fleck von diesem unseligen Vater geerbt zu haben.

»Wissen Sie,« sagte Robinson, »mein Dachshund ist reiner europäischer Abstammung!«

Jetzt brüllte Robert laut heraus vor innerem Schmerz, vor Ekel, Entrüstung, Gestank. Er glaubte zu ersticken in dem Mistloch, in dem er saß. »You rotten.... Du Vieh, Robinson!« Er haute auf den Tisch, die Suppe spritzte aufs Klavier, Baby weinte chinesische Tränen, dann schüttelte sie ein Lachanfall, Robert rannte fort.

Durch die Nacht lief Robert, heim in seine Kammer im Officehaus. Dunkel und lang war diese Allee, Imfeld hatte den Weg von Robinsons Haus ins Office noch nie zu Fuß zurückgelegt. Menschen, die an ihm vorübergingen, konnte er nicht sehen, ahnte sie nur dumpf, so dunkel wars auf seinem Weg. Wenn heute im Abgrund der Nacht auch Imfeld zugreifen würde, wer könnte es ihm verargen? Und Trost, irgendeinen Trost und Liebe brauchte schließlich jeder in seinem Leben. Wie heißt das praktische englische Wort: 177 »Help yourself!« Der indische Wächter unterm Haus würde Imfeld im Dorf ein Mädchen auftreiben, es in sein Kämmerchen bringen – dieses merkwürdige, lieblose Leben im Osten halte der Teufel aus! »Ich habe eine Chinesin weinen gemacht....« sang unaufhörlich eine Stimme in Roberts Brust, »....und kurz darauf hat sie wieder gelacht!«

Am nächsten Morgen kam Robinson ins Office. Imfeld, den sein Gewissen plagte, der dachte, vielleicht doch etwas zu deutlich geworden zu sein am gestrigen Abend und der sich ein wenig schämte, einen entschiedenen Schritt zum eigenen Untergang in dieser denkwürdigen Nacht getan zu haben, wich Robinson aus. Aber dieser kam kurzwegs in Imfelds Stube, und den zerbrochenen Suppenteller erwähnte er mit keinem Wort. Hatte vielleicht auch ihn im Dunst seiner Whiskywelt das schlechte Gewissen gestochen? Jedenfalls hatte er heute das Bedürfnis, breiter als je aufzuschneiden. Er hatte für Almeira & Co. Gadscha puti, dieses Glanzstück von einer Mine erworben. Wer's etwa nicht glaubte, könnte auf's Minenbüro gehn, in Robinsons Namen, und nicht in Schneiders war das ganze »transfer« registriert. Was Robinson all die Zeit hindurch nicht schon zustande brachte! Er hatte die letzten beiden Jahre je 100,000 in Erzverkäufen gemacht. Er sprach siamesisch wie kein anderer Weißer im Land, war am intimsten mit den Chinesen, wurde zu schwierigen Wortführungen abgeordnet zum Gouverneur, zu Rattawutt dem »director of Mines«. Jetzt wünschte er Lorbeeren, jetzt war es Zeit, die Früchte der Arbeit zu ernten, – ehe es zu spät würde.

178 »Ich muß nach Gadscha puti zur Inspektion,« sagte Robinson, »ich bin der Zentralchef, muß überall nach dem Guten sehn. Auch zu Parker nach Long Rek sollte ich nächstens auf Inspektion, längst hätte ich dies schon getan, wenn ich nicht fürchten müßte, von diesem Biersäufer Parker totgeschlagen zu werden.«

Bei Schneider wollte er den Anfang machen, das war Robinsons Mine (dies konnte niemand bestreiten!) was verstand eigentlich Schneider, der Häuserbauer, von Minen! Robinson hatte Schneider immer zuvorkommend behandelt, wenn er etwa nach Sridharmaray kam, manches Abendessen hatte er dem Ingenieur gemixt, manchen Whisky, (den er nachträglich der Firma aufschrieb!) jetzt war Robinson bereit, Gegenbeweise der Freundschaft von Schneider anzunehmen.

Er bestieg den Ford mit Frau und Elsy, mit seiner chinesischen Schwägerin, mit der Schwiegermutter, und auch der Papa Sun Huat mit seinem eckigen Podex lehnte sich schmunzelnd in die Kissen, jener Kuliparvenu und vielleicht Millionär mit dem Diamant an schwarzer Klaue und dem Fünf-Zentimeter-Fingernagel, den er sorgsam hütete, weil er sein einziger Ausweis für seine Aristokratie war und dafür, daß er's nicht mehr nötig hatte, wie früher als Kuli im Dreck zu wühlen.

Frau Schneider würde sich freuen, so nette Einquartierung zu bekommen. »Würde Schneider den Robinson einfach rausschmeißen können? Er sollte es mal versuchen! Und Unterkunft hatte Schneider ja im Ueberfluß. Das hübsche Gastzimmer enthielt ein großes 179 Bett, zweieinhalb auf zweieinhalb Meter; da drin fanden drei oder vier Menschen östlicher Rasse ganz bequem Platz.

 


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