Hans Morgenthaler
Gadscha puti
Hans Morgenthaler

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XV

Die abenteuerlichsten Gerüchte zirkulierten im Volk, Gadscha puti betreffend. Alte Chinesen tauchten auf mit wichtigen Gebärden: »Tuan, ich war dabei, als Tuan Morison bohrte: Gadscha puti ist sehr gut!« Andere mehr oder weniger Sachkundige wollten eher warnen: große Steine machen die Arbeit nicht leicht, einiger Grund sei schon von den Chinesen ausgearbeitet...., es war sogar für diesen entschlossenen Schneider nicht ganz einfach, sich eine vorurteilslose Meinung über die ganze Gegend zu machen. Einige unumstößliche, fixe Tatsachen, nach denen man auf die Zukunft der Mine schließen konnte, waren zwar vorhanden, aber manches unbegreifliche Vorgehen der Australier, manche Widersprüche erschwerten die genaue Kalkulation unheimlich und fraßen an der Ruhe und Sicherheit in Schneiders Herz wie die Sturmwogen an einer kleinen Meerinsel. Es scheint doch Dinge im Leben zu geben, die auch ein Ingenieur nicht ohne weiteres konnte!

Und jetzt hatte auch George Almeira unsern Schneider wieder enttäuscht. Der Ingenieur und prozentual beteiligte Herr von Gadscha puti hatte, als handelte es sich um ein paar neue Stiefel, bei George einen Bagger bestellt, kurz und bündig: »Im Format von Morisons Dredger 50.000 Cubikyard im Monat.« Dieser George hatte aber »halt!« gesagt, »halt, so schnell geht das nicht!« Man müsse, um einen Bagger zu kaufen, die genaue Tiefe des Grundes kennen, die Größe der vorhandenen Steine, ein Bagger koste eine Million, man 117 tue gut, alles reiflich zu überlegen, so dick gedenke Almeira & Co. nicht auf einen Schlag ins Minengeschäft zu rennen.

»Und meine Prozente?« schrieb Schneider zurück. Inzwischen hatte er sich aber wieder beruhigt. Er konnte sich umso leichter beruhigen, als man gar noch nicht baggern konnte, da er noch gar keine Arbeitserlaubnis hatte. Als praktischer Ingenieur hatte man mehrere Wege, und die obersten und vielleicht gerade reichsten, aber auch steinigsten Partien am Fuß der Berge konnte man überhaupt mit dem Bagger gar nicht ausnehmen, sagte sich Schneider. Ihn interessierte plötzlich der Gadscha puti-River. Der wälzte seine Wassermassen ununterbrochen herab bei Tag und bei Nacht, wenn man sich die irgendwie nutzbar machen könnte! Eine Druckleitung, ein kleines Kraftwerk, Elektrizität zum späteren Betrieb der Maschinen? Ein rascher Ueberblick zeigte, daß mit Elektrizität nichts zu machen war, dazu war der Fluß dann doch zu klein.

Aber noch zu etwas anderem konnte man das Wasser einer Druckleitung in einer Zinnmine brauchen. Gab es nicht eine herrlich billig schaffende Sorte Pumpen, die hydraulischen, die Elevatoren!

Und jetzt war es jedem, der sich für Minen interessierte, bekannt, daß es sogar Pumpen gab, die nicht nur das Wasser schluckten, sondern den Sand und die Erde und, was besonders wichtig war, auch das Erzmaterial mit empor hoben. Einige solche »Gravelpumps und Elevatoren«, Sand- und Kiespumpen gedachte Schneider zu installieren, vorläufig, bis die Baggerpreise billiger wurden. Und George in 118 Bangkok, der wußte, daß Pumpen billiger sind als eine ganze Baggermaschine, stimmte eifrig bei: Die Ausbeute würde so nicht groß werden, aber das war wenigstens ein Anfang bei wenig Unkosten. Der Fluß war tüchtig und groß und genügte für vieles, er genügte für mehrere große Gravelpumpen, dachte Schneider, aber wieviele solcher Pumpen brauchte es, um den Grundwassersee zu bewältigen, die Mine trocken zu legen, ohne daß sie jede Regenzeit ersäufte? Schneider rechnete, rechnete und dachte.

Einen Staudamm in geeigneter Höhe zu errichten, war ohne zu große Schwierigkeit möglich, also ging Schneider an die Arbeit. Krachend fiel Baum um Baum, in straßenbreiter Schneise legte der Ingenieur eine Lücke durch den Wald, Platz wurde gemacht für die Druckleitung. Hundert Meter über der Ebene am ersten Knie seines Gadscha puti-Rivers hatte Schneider Maurer und Pflästerer an der Arbeit, schoß, sprengte, schaffte er wie wütend im Granit; er hatte zwar noch keine eigene Dynamiterlaubnis, aber ein paar Schüsse hatte er sich ohne »permit« erlaubt. Und niemandem fiel es ein, einen tüchtigen Ingenieur, der Millionen herausschaffen würde, bei der Arbeit zu stören.

Was ein Staudamm ist, wußte Schneider als Schweizer sehr gut, und den seinigen baute er solid und massiv, daß er, fest im Granit verankert, auch den Fluten der Regenzeit standhalten würde. Wie schneidig Schneider alles, was er unternahm, zu gutem Ende führte! Hemdärmlig, in gelben Kakihosen konnte man ihn selber tätig sehen, früh morgens war es hier am Fluß oben kühl, auch ein Weißer konnte es riskieren, 119 selber tätig mitzuwirken. »Wo zum Teufel hat dieser Schneider seine Muratori herbezogen?« möchte man fragen, »gibt es denn hier in Indien hinten so etwas wie italienische Pflasterbuben?« – Alles muß man in diesen unkultivierten Tropenländern selber können. Schneider hatte mit eigenen Händen seine chinesischen Maurer angelernt.

Arbeiterhütten standen jetzt in Gadscha puti, wo die Kuli wohnten, hübsch und sauber aus Bambus errichtet, eine kleine Schmiede zum Schleifen für Aexte und Pickel, alles praktisch und gut und den Zwecken entsprechend. Die Straße von Sridharmaray hatte Schneider sogar Zeit gefunden zu flicken, Knüppelbrücken hatte er gebaut, ein Gesuch war jetzt unterwegs ans Eisenbahndepartement: »Wann gedenken Sie eigentlich, nachdem wir Gadscha puti zum berühmten Minenzentrum starten, mit Ihrer lumpigen Eisenbahn in Gadscha puti Station zu machen? Schneider, Ingenieur.«

Einen halben Kilometer lang war die Waldschneise durch die Bäume gelegt, Baumleichen dörrten in der Sonne, die Blätter vergilbten, jetzt genügte es, jetzt war alles schön trocken, Schneider legte eigenhändig Feuer, und prasselnd und donnernd ging der halbe Wald in Flammen auf, daß die ganze Arbeitsstrecke kahl und übersichtlich wurde. Jetzt mußte nivelliert werden! Ein Knick im Terrain, ein Buckel wurde weggesprengt, eine kleine Mulde kurz vor der Mine, eine Vertiefung, wo wahrscheinlich früher Chinesen nach Zinn gegraben hatten, würde man einst mit der Röhrenleitung überbrücken müssen; das waren Details 120 bei der Arbeit, Kleinigkeiten. Schneider wurde bis zuletzt ein veritabler Dschungelmann. Die weißen Stadtgewänder und den »Smok« hatte er in die Schrankkoffer gehängt, auch die Tanz- und Glanzhalbschuhe warteten unbenutzt, bis einst die Villa des Direktors von Gadscha puti gebaut sein würde. Und Schneiders Stiefel! Die Sohlen waren durchgelaufen, die Nasen gesprungen, da hatte Schneider die Rohre kurzerhand abgeschnitten; die trug er jetzt über die Kakihosenbeine zu richtigen Waldläufer-Segeltuchschuhen, gegen Schlangenbisse jedenfalls eine ausgezeichnete Mode.

Eines Tages besuchte ihn ein Malaie: »Herr, durch die Arbeiten auf deiner Mine wurde mein Fruchtbaumgarten zerstört. Ich will entschädigt sein, ada duables pocol, yang mati!« – »Wieviel sagst du, zwölf Bäume sind kaput? Bagatelle! Werde das kontrollieren.« Und Schneider fand noch am gleichen Nachmittag heraus, daß der Halunke seinen Garten selber angezündet und verbrannt hatte. Keiner konnte bei Schneider schwindeln, Geld machen.

Und wenn er mit allem fertig war, zeichnete er Pläne, ai, was für Pläne! Das waren ja Aufrisse und Profile zu einem richtigen Herrschaftshaus! Ein Bauplatz war bald gefunden, wenn man den Dschungel rodete, gabs einen schönen Garten. Die Strünke im Boden wurden mit Dynamit gesprengt und an Ort und Stelle verfaulen gelassen, das ging für richtigen Dünger. Es war schön, ein eigenes lichtes Plätzchen in diesem Waldmeer zu schaffen; ähnlich wie der Salève auf die Stadt Genf, schaute bald der weiße Elephant in Schneiders Lichtung herein.

121 Im ganzen war allerdings Schneiders Verhältnis mit Almeira & Co. noch nicht erfreulich, glich vielmehr einem sanften Ringen. »Meine Frau ist unterwegs, bitte Mr. Almeira, Kredite für mein vertraglich versprochenes Haus! Ich bin gern zu Tag und Nacht dauernder Arbeit bereit, kommen Sie, Herr George Almeira, schauen Sie meine Arbeit an, überzeugen Sie sich persönlich, daß es sich für einen fleißigen, gebildeten Ingenieur lächerlich macht, in einer lumpigen Dschungelhütte zu wohnen. Und meine Frau kommt!«

Die Pläne waren fertig. 12 auf 12 Meter war ein anständiges Haus. Kleiner wäre es nichts. Die Küche gesondert. Neun Zementsockel, die die Stützen tragen sollten, waren schon im Boden. Ein Wort von George, und die Zimmermannsarbeiten wurden vergeben. Der chinesische Unternehmer war ein geriebener Kaufmann; erfahrener, gewandter als alle Chinesen war Schneider. Um 6000 Dollar errichtete er das schönste Bungalow, das je ein Europäer im Osten baute. Für den Notfall hatte Schneider auch eine Offerte für ein 9 mal 9 Meterhaus, doch wußte George davon vorläufig nichts.

Der hatte einen schweren Stand. Zwar begriff er Schneider sehr gut und verstand, daß ein Europäer im Dschungel, wenn er gesund bleiben sollte, anständig wohnen mußte. Doch war er nur Zwischenmann, nicht selbständiger Chef und wußte: Arthur Almeira, der Onkel-Senior in der Schweiz war ein alter nüchterner Kaufmann ohne das geringste Verständnis für Extravaganzen. »Mir scheint, 9 mal 9 Meter genügt vorläufig,« schrieb George deshalb nach Gadscha puti, 122 »wenn wir einmal output haben, können wir anbauen.«

»Nicht die Größe schreckt George, vielmehr der Preis,« dachte Schneider und drückte den Chinesen, rechnete selber mit chinesischen Zahlen, marktete in Uebersetzung via malaiisch über seinen Koch hinweg mit dem Unternehmer; halbe Nächte drückte er an seinem Haus, um endlich nach Bangkok zu melden: »Baue 12 auf 12 Meter zum Preis von 4000 Dollar!« Und Schneider baute! George mahnte immer wieder: »Machen Sie's nicht zu teuer!« – Schneider antwortete: »Eine ordentliche Wohnung ist mir vertraglich versprochen.« Das Bungalow wuchs empor, im Stil einer Villa, nichts verrücktes, gute Arbeit, ein solider Bau, und eigentlich erstaunlich billig: von unten bis oben prachtvolles, dunkelrotes Eisenholz.

 


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