Balduin Möllhausen
Die beiden Jachten
Balduin Möllhausen

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

An Bord der Pandora. Das Festmahl. Der Willkommsgruß.

Folgenden Tages erfüllten die Bewohner des Landhauses ihr Versprechen. Zu der anberaumten Stunde brachte Wellinghams zierliches Segelboot sie an Bord der Pandora. Hier hatte man unterdessen alle Vorbereitungen zu einem feierlichen Empfange getroffen. Zahlreiche Flaggen in leuchtenden Farben waren ringsum an den Brüstungen und über diese hinaus künstlerisch als Gardinen und Vorhänge befestigt worden. Dazwischen blitzten dann wieder die polierten Messingbeschläge wie lauteres Gold; kurz, wohin man sich wenden mochte, überall begegnete das Auge der ausgeprägten Absicht, der Jacht ein festliches Aussehen zu verleihen. So hatten auch die Matrosen ihre etwas phantastischen Paradekleider angelegt, daß sie an die Vorstellungen auf einer bevorzugten Bühne erinnerten, wo die Lichtseiten des Seelebens in verlockender Weise veranschaulicht werden.

Bild: Max Vogel

Die Gräfin selber, wie immer einfach gekleidet, empfing die Gäste mit vornehmer Würde. Zuvorkommend zeigte sie ihnen zunächst die Einrichtungen des Schiffes. Was auch in ihr wirken mochte: die Lobeserhebungen, die man der Jacht zollte, riefen auf ihrem strengen Antlitz einen unzweideutigen Ausdruck der Befriedigung hervor. Sie war im Begriff, ihre Gäste in die unteren Räume hinabzuführen, als abermals ein Boot neben der Falltreppe anlegte und gleich darauf Lowcastle an Bord erschien. Mit seiner schmächtigen Gestalt und in der gewählten Kleidung bot er gleich der Gräfin eine vornehme Erscheinung: dagegen wurde dieser Eindruck durch eine gewisse Unsicherheit beeinträchtigt, die sich in seiner Haltung offenbarte und mehr noch auf dem farblosen, glatt geschorenen, von weißem Haar umrahmtem Antlitz mit den kalten, hellgrauen Augen zeigte. Seit vielen Jahren war er der Gräfin nicht begegnet; es mochte daher die Veränderung ihn stören, die während dieses langen Zeitraumes in ihrem Äußeren stattgefunden hatte und namentlich in den streng verschlossenen Zügen hervortrat. Sich vor der Gräfin verneigend, erklärte er etwas befangen, sich glücklich zu schätzen, ihr seine Aufwartung machen zu dürfen, wozu er die Gelegenheit schon lange herbeigesehnt habe.

»Wovon Sie vielfach Beweise lieferten,« antwortete die Gräfin mit einem Anfluge von Spott; »ich gehöre indessen nun einmal zu jenen Menschen, die sowohl in gesellschaftlicher, wie in jeder anderen Beziehung sich keinen Zwang auferlegen lassen; daher kenne ich auch keine Entschuldigungen für das von mir beliebte Tun. Aber wir sind nicht die einzigen hier. Als Gast heiße ich Sie an Bord der Pandora willkommen; zugleich spreche ich den Wunsch aus, daß Sie im Kreise der anderen Herrschaften sich wohl und heimisch fühlen mögen.«

Eine kurze Vorstellung folgte. Nicht blind dafür, daß ein Gefühl der Unbehaglichkeit allen mehr oder minder Zurückhaltung auferlegte, nahm sie alsbald die Unterhaltung wieder auf.

»Obwohl fast ausschließlich auf dem Meere lebend,« sprach sie klangvoller, als es sonst ihre Art war, »verlor ich doch nicht die Empfindung dafür, daß nach dem ersten Bekanntwerden Fremder die Unterhaltung unter dem Drucke gesellschaftlicher Formen leidet. Dem gegenüber halte ich es als Wirtin für meine Pflicht, bis zum Eintritt eines vertraulicheren Verkehrs meine eigene Person etwas mehr in den Vordergrund zu stellen, als es im allgemeinen üblich ist. Es geschieht, indem ich Ihnen einen freien Blick in meine Pandorabüchse verschaffe. Ja, Pandorabüchse,« wendete sie sich an Lowcastle, dem es offenbar willkommen war, sich mehr in Schweigen hüllen und Vorzugsweise auf Beobachtungen beschränken zu dürfen, »eine Pandorabüchse, die für jeden etwas birgt, das sein besonderes Interesse verdient. Doch begeben wir uns hinab. Die Kajüte besuchen wir später, wenn wir uns zu einem anspruchslosen Mahl um meinen Tisch reihen.«

Ihren Gästen voraus, denen Simpson sich anschloß, stieg sie die Treppe hinunter, und gleich darauf traten alle in das große Prunkgemach ein. Wenn aber auf Deck Ausdrücke der Bewunderung für die sinnig geschmückte Umgebung laut wurden, so zeigte sich nun meist Erstaunen. Waren doch mit kluger Berechnung des Orients reichste Schätze aus den Kisten und Schränken der Pandora hervorgesucht worden, um das Auge zu blenden und die Phantasie zu reizen. Die Wirkung war um so überwältigender, als auf verhältnismäßig doch beschränktem Raum alles zusammengetragen und geordnet worden war, ohne indessen den Eindruck geschmackloser Überhäufung hervorzurufen. Dazu gesellte sich, daß statt des gedämpften Tageslichtes prachtvolle Lampen und Wachskerzen den ganzen Raum bis in die entlegensten Winkel hinein mit strahlender Helligkeit erfüllten. Den schweren Teppichen entsprachen die kostbar überzogenen Polstermöbel, die heute von den sie mit dem Fußboden verbindenden Schrauben gelöst worden waren und daher nach Belieben geschoben werden konnten. Ambra- und Moschusduft hing in der Atmosphäre und zeugte dafür, daß die Gräfin alles Mögliche aufgeboten hatte, die Sinne zu berauschen.

Bild: Max Vogel

Und bis zu einem gewissen Grade war es ihr gelungen; denn erst nachdem ihre Gäste einige Schritte in das Prunkgemach hineingetan hatten, wurde deren Aufmerksamkeit nach dem Hinterschiff hinübergelenkt, wo ein malerisch aufgeschürzter persischer Teppich einen kleineren Teil des Raumes abgrenzte. Ein mit kostbarem Gewebe überzogener Diwan erstreckte sich an der Spiegelwand halbmondförmig über die ganze Schiffsbreite; auf diesem aber saß, ein lebendes Bild von bezaubernden Reizen, in nachlässiger Stellung die junge Hindu, mit ihren großen, träumerischen Glutaugen befangen zu den Fremden hinüberspähend. In schwarzen Wellen floß das Rabenhaar von ihrem Haupt über Schultern und Brust nieder. Zu der sammetweichen braunen Hautfarbe kontrastierte gefällig der ihre schlanke Gestalt umhüllende weiße Kaschmirrock, der durch einen breiten, goldgestickten Gürtel um die Hüften zusammengehalten wurde. Auch die nackten Arme beschwerten goldene Reifen, während ein aus Goldmünzen sinnig zusammengefügter Schmuck vom Halse bis auf die Brust niederreichte. So bot sie ihrer anmutigen Stellung im vollsten Sinne das Bild einer morgenländischen Märchenprinzessin, das dadurch noch erhöhte Reize erhielt, daß ihr zu Füßen die beiden Jagdpanther sich ausgestreckt hatten.

Wohl eine Minute dauerte das plötzlich eingetretene Schweigen. Es war, als hätte man sich gescheut, die Stimme zu erheben, aus Besorgnis, die wunderbare Gruppe alsbald in Duft zerrinnen zu sehen. Und doch lebten nur Bruce und Jane unter einem derartigen Eindruck, während die übrigen Anwesenden ihre Aufmerksamkeit vorzugsweise, wenn auch nur verstohlen, der Gräfin zuwendeten. In Lowcastles Blick wohnten Zweifel, ob das, was vor ihm lag, als der Ausfluß eines gesunden Gemütszustandes betrachtet werden dürfe. Wellingham sah zu ihr auf, wie zu einem Rätsel, dessen Lösung er fürchtete. Sogar Simpson war nicht frei von Bangigkeit. Es schwebte ihm vor, daß die mit so viel Aufwand und kluger Voraussicht getroffenen Vorbereitungen dem Empfange zweier tödlich gehaßten Feinde galten, und es unabsehbar sei, welches Ende die Zusammenkunft bei der Unberechenbarkeit der Gräfin nehmen würde. Diese selbst aber bewahrte fortgesetzt ihre vornehme Ruhe.

»Welch' wunderbare Erscheinung!« brach Jane endlich das Schweigen.

»Eine meiner Schützlinge,« nahm die Gräfin das Gespräch auf; kaum aber war ihre Stimme laut geworden, als die Geparde aufsprangen, ihre Glieder lang ausreckten und, unbekümmert um die vor ihnen zurückweichenden Fremden, zu ihrer Herrin hinüberschritten. »Auch diese zählen zu ihnen,« fuhr sie fort, die beiden Panther nachlässig liebkosend; »Freunde und Verwandte besitze ich nicht, wenigstens keine näheren, da suche ich mir solche, wo ich ihnen gerade begegne. Nebenbei sehr treue und gelehrige Tiere, mögen sie immerhin mit dem Katzengeschlecht verwandt sein, wenigstens treuer als die Menschen« – sie lachte herbe und fügte hinzu: »Oder nennen Sie mir jemand, der ohne bestimmte, eigennützige Zwecke, also aus reiner Zuneigung, sich wie ein Schatten an die Fersen seines Mitmenschen heften möchte?« Und wiederum lachte sie geräuschlos, als sie entdeckte, daß Lowcastle die Richtung seiner Blicke änderte. »Auf meine junge Hindu da drüben findet das freilich keine Anwendung,« sprach sie weiter; »noch nicht hinlänglich mit den Sitten der Zivilisation vertraut, wohnt in ihr die unerschütterliche Treue eines – nun, mag es manchem Ohre nicht schmeichelnd klingen: die Treue eines Hundes.«

Sunbeam hatte sich auf einen Wink von ihr erhoben und näherte sich. Mit über der Brust gekreuzten Händen verneigte sie sich vor den sie mit stummem Erstaunen betrachtenden Fremden, um gleich darauf an ihnen vorüber und gefolgt von den Panthern hinter einem schmaleren Vorhang zu verschwinden.

»Nehmen Sie Platz, wenn ich bitten darf,« unterbrach die Gräfin nunmehr wieder die unter ihren Gästen gewechselten Bemerkungen über die sie auf beschränktem Raume umringende Pracht, und nachdem sie selbst sich ebenfalls niedergelassen hatte, sprach sie weiter mit beinah heiterem Ausdruck: »Das ist also meine Wohnung. Fremde haben nur bei ganz außergewöhnlichen Gelegenheiten Zutritt. Sie werden einräumen, daß, so lange man nicht mit ganzer Seele an eitlem Tand und hohlen Phrasenergüssen der verwöhnteren Gesellschaftskreise hängt, es sich hier schon leben läßt. Verlangt mich wirklich einmal nach einer phantastischen Unterbrechung des zeitweise allerdings etwas eintönigen Daseins, so brauche ich nur meine Pandorabüchse zu schütteln, um die freundlichste Augenweide vor mich hinzuzaubern, die nicht von Zwang oder klingendem Lohn abhängig ist. – Sie blicken ungläubig,« schaltete sie gleichmütig ein, »da bleibt mir freilich nichts anderes übrig, als Ihnen einen kleinen Beweis für meine Behauptung zu liefern, selbst auf die Gefahr hin, einen bösen Verdacht in Ihnen anzuregen. Geschähe es doch nicht zum erstenmal, daß jemand meiner als der ›verrückten‹ Gräfin gedächte.«

Sie klingelte. Zugleich lächelte sie seltsam vor sich hin. Sie glaubte, durch die letzte Erklärung den Zweifeln an ihrer Zurechnungsfähigkeit Vorschub geleistet zu haben, daher in allen Gemütern mehr oder minder die Furcht vorherrsche, durch Widerspruch oder auch nur durch ein unbedachtes Wort einen gefährlichen Paroxismus heraufzubeschwören. Und das war es in der Tat, was sie zunächst bezweckte.

Der Ton der Glocke war kaum verhallt, als der Vorhang, hinter dem Sunbeam verschwunden war, sich wieder öffnete und die beiden Schlangenkinder, jetzt aber in heiter glitzernden und funkelnden Akrobatenkostümen, eintraten. Das wohlgeordnete üppige Lockenhaar fesselten diademartig Goldtressen. Atlasschuhe umschlossen die schmalen Füße. Hand in Hand standen sie da. Und so boten sie in ihrer Schüchternheit und Jugend ein Bild, das um so wirkungsvoller war, weil es derartig am wenigsten erwartet wurde. Wie in Furcht vor den sie überrascht betrachtenden Fremden, hingen ihre großen, schwermütigen Augen an den Lippen der Gräfin. Diese erriet, daß nach dem längeren Verkehr mit ihr und den jugendlichen Gefährtinnen und in dem festen Glauben, allen Schaustellungen endgültig entsagt zu haben, Susanna von jungfräulicher Scham ergriffen wurde, und solche Empfindungen bis zu einem gewissen Grade auf ihren Bruder übertrug. Sie erhob sich daher und zu ihr tretend, ordnete sie anscheinend etwas an ihrem Anzuge; in Wahrheit beabsichtigte sie, einige ermutigende Worte an sie zu richten.

»Eure augenblickliche Lage ist euch peinlich, ich sehe es euch an,« sprach sie leise, »und das gereicht mir zur Freude. Heute geschieht es indessen zum letztenmal, daß ihr eine Probe eurer Gewandtheit ablegt. Nachher mögt ihr den Flitterstaat über Bord werfen. Als Beweis eurer Dankbarkeit gilt mir, wenn ihr vor den Fremden hier euer Bestes leistet. Sollte euch jemand anreden, so gebt keine Antwort. Ich habe meine bestimmten Gründe, das von euch zu verlangen.«

Die Geschwister entfernten sich, um ihre einfachen Geräte herbeizuholen. Die kurze Zeit ihrer Abwesenheit benutzten die Gäste dazu, ihr Erstaunen über alles auszudrücken, was wie durch Zauberspruch vor ihren Blicken erstand. In ihren gedämpften Stimmen offenbarte sich, daß die rätselhafte Schiffsherrin sie vollständig beherrschte. Ob Scheu, ob achtungsvolle Teilnahme den einzelnen bewegte: in Haltung und Wesen verriet sich beinah ängstliches Entgegenkommen.

»Zwei Waisen, die ich einer Gauklergesellschaft abkaufte,« bemerkte sie wie beiläufig, »ich entdeckte sie in einem Morast der Sittenlosigkeit. Da die zersetzenden Elemente ihrer Umgebung augenscheinlich am wenigsten entsittlichend auf sie selbst eingewirkt hatten, erbarmte ich mich ihrer. Im Grunde gab ich einer der so vielfach an mir getadelten Launen nach, und nie fand ich Ursache, es zu bereuen. Obwohl nur Gauklerkinder, wie solche in der menschlichen Gesellschaft im allgemeinen als verächtlich gelten, sind es doch dankbare Gemüter. Forderte ich ihr Leben, so würden sie es mit Freuden für mich hingeben. Freilich, unter den geistigen und körperlichen Qualen, die sie schon im zartesten Kindesalter über sich ergehen lassen mußten, lernten sie nicht den Wert des Lebens nach Gebühr schätzen. Trotz ihrer Jugend machten sie sich mit dem Gedanken vertraut, daß der Tod nicht das Schrecklichste, was den Menschen bedroht. Von der Ruhe des Grabes sprachen sie zu mir wie alte Philosophen, und doch sollen sie heute noch den ersten Buchstaben lesen und schreiben lernen.«

Während die Gräfin in dieser Weise die Unterhaltung allein führte, hingen die Blicke aller Anwesenden mit tiefer Spannung an ihr. Ein dämonischer Zauber durchwebte ihre fließenden Mitteilungen. Man lauschte, wünschte und scheute zugleich, mehr zu hören, und doch wagte keiner, sich zu einer Gegenbemerkung zu erheben. Nur Simpson verstand, daß sie, ein ihm selbst noch unklares Ziel vor Augen, ihre Worte zuvor in gleißendes Gift tauchte, dessen vernichtende Nachwirkung sich erst später vollziehen sollte. Ihr Schweigen fiel mit dem abermaligen Öffnen des Vorhangs zusammen, und herein schritten mit Stuhl und Flaschen die Geschwister. Während sie daraus in der Mitte des schnell geschaffenen freien Raumes ihr schwankendes Gerüst errichteten, wendete, zumal nach der vorausgegangenen Erklärung, die Aufmerksamkeit aller sich ihnen mit erhöhter Teilnahme zu. Wellinghams Blicke hafteten mit eigentümlicher Starrheit an den beiden ungewöhnlich schönen Gesichtern. Wie mit magnetischer Kraft schienen die großen, schwermütigen Augen ihn anzuziehen. Es war, als hätte er in den jugendlichen Physiognomien nach etwas gesucht. Die Adern auf seinen Schläfen schwollen mächtig an. Sein sonst so farbloses Antlitz rötete sich in dem Kampfe, den es ihn kostete, seine äußere Ruhe zu bewahren. Die beobachtenden Blicke Janes und Bruces fürchtete er nicht minder, als die der Gräfin. Wie ein böser Geist erschien sie ihm. Die wildesten Bilder schuf seine krankhaft erregte Phantasie.

»Also Waisen sind es?« fragte er in dem dumpfen Bestreben, kühle Unbefangenheit zur Schau zu tragen.

»Waisen, von denen man nicht ahnt, wo ihre Eltern mit Erfolg gesucht werden könnten,« antwortete die Gräfin gelassen. »Vielleicht ein Glück für sie. Wer weiß, welchen – Verbrechernaturen sie ihr Leben verdanken. Erführen sie ihre Herkunft, möchte dadurch ein ihr ganzes Dasein vergiftender Stachel in die arglosen Gemüter gesenkt werden.« Bei den letzten Worten blitzten ihre Augen auf Wellingham. Sie entdeckte, daß er mehr, als jeder andere, mit atemloser Spannung die unnatürlichen Bewegungen der beiden jungen Künstler verfolgte, und daß ihre genau abgewogenen Erklärungen peinlich in ihm nachwirkten. Lowcastles achtete sie kaum noch. Von ihm wußte sie, daß die den Geschwistern zugewendete Aufmerksamkeit eine erheuchelte war und all sein Sinnen sich ausschließlich mit ihrem eigenen Gemütszustande beschäftigte. Nur gelegentlich warf sie den Geschwistern einen aufmunternden Blick zu, der von ihnen mit einem matten Lächeln und erneuten Anstrengungen beantwortet wurde. Die sie belebende Kraft schien von ihrem Willen abhängig zu sein, ein billigendes Neigen ihres Hauptes deren oft gefährliche Figuren überhaupt erst zu ermöglichen. Milde berührte sie die schrankenlose Bewunderung Janes und ihres Geliebten; aber aufjauchzen hätte sie mögen in zügellosem Triumph, indem sie sich den Ideengang Lowcastles vergegenwärtigte und in Wellinghams Zügen las, wie alte Wunden plötzlich aufs neue zu bluten begannen, böse Erinnerungen ihn marterten und der Anblick der Geschwister ihn in eine fern liegende Vergangenheit zurückversetzte. –

Bild: Max Vogel

Auf einen Wink von ihr stellten die jungen Künstler ihre Übungen ein. Gewandt von dem schwankenden Gerüst springend, verneigten sie sich kindlich; dann ergriffen sie ihre Geräte, und in der nächsten Sekunde verschwanden sie hinter dem Vorhang. In ihren flinken Bewegungen offenbarte sich die heimliche Freude, mit dieser Vorstellung ihre Gauklerlaufbahn abgeschlossen zu haben.

Wellingham atmete auf. Wie eine wüste Vision verscheuchend, strich er mit der Hand über seine Augen. Die an ihn gerichteten Ausdrücke von Mitleid getragener Bewunderung seiner Stieftochter und Bruces schnitt er dadurch ab, daß er, unverkennbar tief erregt, sich der Gräfin zuwendete.

»Ich konnte des Schauspiels nicht recht froh werden; Sie müssen es mir angemerkt haben,« begann er, die Augen unwillkürlich vor deren durchdringendem Blick senkend, »es schwebte mir fortgesetzt vor, was dazu gehört haben mag, die zarten Körper zu einer derartigen unerhörten Gelenkigkeit zu erziehen. Und dann die Familienverhältnisse der Ärmsten – ich komme abermals darauf zurück: Wo mögen ihre Eltern leben?«

»Wahrscheinlich in einem Pfuhle des Lasters,« fiel die Gräfin achselzuckend ein, »doch lassen wir die Kinder. Bei mir sind sie auf alle Fälle besser daran, als je zuvor in ihrem Leben; verlange ich doch nicht mehr von ihnen, als ein wenig Vertrauen und Aufrichtigkeit.«

Eine Aufwärterin erschien und meldete, daß angerichtet sei. Die Gräfin erhob sich; ihrem Beispiel folgten die Gäste. Da trat Wellingham zu ihr heran, und ein Paketchen hervorziehend, überreichte er es ihr mit der Bitte, vor allem die kleine Geschäftsangelegenheit zu erledigen. Sorglos warf die Gräfin das Geld auf den Tisch.

»Sie erlassen mir gewiß gern, die zweiundzwanzig Tausendpfundnoten durchzuzählen,« sprach sie ablehnend, »ich glaube nämlich, meinen verehrten Gästen diese Rücksicht schuldig zu sein. Die abschließende geschäftliche Form vollziehen wir, wenn Sie sich zum Aufbruch rüsten, oder morgen abend. Ich weiß, Sie werden mir bis dahin noch einmal den Vorzug Ihres Besuches schenken. Und nun nach oben, wenn, ich bitten darf.«

Und nicht achtend des Befremdens, das sich in allen Gesichtern über die nachlässige Art ihrer Geschäftsführung offenbarte, schritt sie voraus.

In die Kajüte eintretend, erwartete die Gäste, als hätten sie gar nicht zu Atem kommen sollen, eine neue Überraschung. Ihre ersten Blicke fielen auf eine reich gedeckte, von Silber strotzende Tafel. Neben dieser stand Maud, nach kurzer Vorstellung die Fremden mit unbeschreiblich holder Befangenheit willkommen heißend und dann in die Obliegenheiten der Wirtin mit der Gräfin sich teilend. Diese hatte die Plätze so geordnet, daß Wellingham sich ihr gegenüber befand. Ihm zur Seite saß Lowcastle. Auch ihn wollte sie während des Mahls im Auge behalten. Zur Bedienung hatte sie eine Aufwärterin und zwei Matrosen befohlen, darunter Niels. Letzterer war angewiesen worden, sich hinter ihrem Stuhl aufzustellen und nur auf ihr Geheiß sich an der Aufwartung zu beteiligen. Was sie durch dies Verfahren bezweckte, geschah. Sie entdeckte, daß Wellingham beim Anblick des jungen Mannes die Farbe wechselte, dann aber, nach Überwältigung des ersten Entsetzens, ängstlich vermied, wieder zu ihm hinüber zu schauen. Seine Bestürzung zu verheimlichen, zwang er sich zu einer lebhaften Unterhaltung mit seinen Nachbarn. Doch so redselig er sich zeigen mochte: der Gräfin entging nicht, daß er unter dem Banne des Bewußtseins lebte, von zwei ehrlichen Augen überwacht zu werden, wie ähnliche im Laufe vieler Jahre wohl oft in seinen Träumen sich vorwurfsvoll auf ihn gerichtet haben mochten. Sie triumphierte.

»Dieses Glas gilt meinen Gästen als Willkommsgruß,« sprach sie im Laufe des Mahls, und ihre strengen Züge erhellten sich flüchtig, jedoch war schwer zu entscheiden, ob in Befriedigung oder verhaltenem Hohn, »nehmen Sie meine aufrichtige Versicherung hin, daß, wenn ich je durch einen Besuch an Bord meiner Jacht wahrhaft erfreut wurde, es heute geschah.«

Die Gläser klangen aneinander. Das Wellinghams traf sie zuletzt, dann aber mit einer Gewalt, daß das ihrige zersprang und die Scherben klirrend auf den Tisch fielen. Ein häßlicher Mißton zitterte durch die Kajüte, ein Mißton, der seinen Weg verstimmend bis in das Mark jedes einzelnen Anwesenden hinein fand. In dem darauffolgenden Schweigen verriet sich verständlich, daß man die Gastgeberin auf der Grenze angekommen wähnte, auf deren anderer Seite die Verantwortlichkeit für ihre Handlungen ihr nicht mehr zur Last gelegt werden durfte. Lowcastle triumphierte bei dieser Bestätigung seines Argwohns. Wellingham fühlte sich beruhigter. Die ihm vorschwebenden Schreckbilder verloren einen Teil ihrer bedrohlichen Schatten. Die Gräfin dagegen zuckte die Achseln und forderte gleichmütig ein anderes Glas. –

 


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