Balduin Möllhausen
Die beiden Jachten
Balduin Möllhausen

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Erstes Kapitel.

Die »Pandora« und ihre Herrin. Der geisterhafte Matrose. Junge Gäste.

Bild: Max Vogel

In gleicher Höhe mit der Südspitze von Patagonien, und östlich über die Falklandsinseln hinaus, tauchen in der endlosen Wasserwüste des Atlantischen Ozeans mehrere unwirtliche Eilande, die Aurora-Inseln, empor. Felsig und verhältnismäßig wenig den Meeresspiegel überragend, sind sie ein Hort der Seevögel. Gelegentlich sprechen auch Robben in größerer Zahl auf ihnen vor. Zur Zeit, als deren Reihen noch nicht erheblich gelichtet waren, mag hin und wieder ein Tranfahrer seine Besatzung zum Robbenschlag dort gelandet haben; im übrigen waren auf jenen gottverlassenen Eilanden menschliche Wesen von jeher eine ebenso seltene Erscheinung, wie der Walfisch auf einem Jahrmarkt.

Der Januar neigte sich seinem Ende zu. Trotz der Nähe der südlichen Polarbreiten, zeichnete er sich als Hochsommermonat durch eine Wärme aus, die man mit der eines schönen Märztages der gemäßigten Zonen hätte vergleichen mögen. Unter dem Einfluß der andauernden Windstille hatte das Meer sich beruhigt. Das regelmäßige Heben und Senken der sich gemächlich einherschiebenden Wasserhügel erinnerte an das ruhige Atmen eines schlafenden Riesen. Wie mit einem bösen Fluch belastet, lagen die schaumumkränzten Inseln.

Seltsam kontrastierte zu der menschenfeindlichen Einöde ein Fahrzeug, das, durch keine andere Kraft, als die der Meeresströmung, fortbewegt, von Süden herauf allmählich bis in gleiche Höhe mit der nördlichsten Insel getrieben war. Ein befahrener Kapitän würde auf den ersten Blick in dem scharf gebauten, zweimastigen Schoner eine Lustjacht erkannt haben. So zeugte auch die Höhe der Masten, die einen die Sicherheit mehrenden Tiefgang voraussetzen ließ, daß schon beim Strecken des Kiels die Schnelligkeit der Fahrt als Hauptbedingung gegolten hatte.

Die Segel waren lose aufgegeit, anscheinend, um sie beim ersten Erwachen einer Luftströmung dieser sofort preisgeben zu können. Wohin man an Bord sich wenden mochte: überall begegnete man nicht nur der peinlichsten Sauberkeit, sondern auch einer Ausstattung, als wäre der Schoner ursprünglich zu einem Modell für ein Schaufenster bestimmt gewesen. Alles glänzte und blitzte, zumal nach den Tagen der Windstille, die dazu benutzt worden waren, die letzten Merkmale der rauhen Fahrt ums Kap Horn herum zu verwischen. Politur wechselte mit blankem Messing ab, und auf dem weißgescheuerten Deck hätte man vergeblich nach einem verunzierenden Fleckchen gesucht. Als Gallionfigur war unterhalb des Bugspriets eine kunstvoll gemeißelte, vergoldete antike Frauengestalt angebracht worden, die mit dem rechten Arm in die Ferne wies, in der linken Hand dagegen eine seltsam geformte Büchse hielt. Sie versinnbildlichte die mit guten und gefährlichen Göttergeschenken reich bedachte Pandora, deren Name, weithin lesbar, in goldenen Buchstaben auf dem Heck prangte.

Bild: Max Vogel

Wie das Schiff, zeichneten sich auch die Deckhände und Topgasten durch ihr gefälliges Äußere aus. Gleichförmig bekleidet, wich ihr Anzug nur wenig von dem der Matrosen der englischen Kriegsmarine ab; als Kopfbedeckung trugen sie dagegen die blaue, schottische Filzmütze, auf deren schwarzseidenem Band ebenfalls der Name Pandora zu lesen war.

Obwohl der Schoner mit zwölf Matrosen ausreichend bemannt gewesen wäre, befanden sich deren sechsundzwanzig an Bord, ein anderes Zeichen, daß man alles Mögliche aufgeboten hatte, die Sicherheit des Schiffes, unbekümmert um die Kosten, nach jeder Richtung hin zu erhöhen. Sogar auf eine etwaige Begegnung mit Piraten war Bedacht genommen worden, denn außer dem drehbaren, schweren Buggeschütz auf dem Deck schauten vier leichte Messingkanonen durch die geöffneten Luken in den sonnigen Morgen hinaus.

An Bord herrschte Stille. Hinter dem Steuerrad stand, regungslos wie eine Bildsäule, ein alter Matrose von ungewöhnlich langem, hagerem Körperbau. Wie Schraubstöcke hielten seine knochigen Fäuste die Speichen des feiernden Rades umspannt. Nicht an Kompaß und Kurs gebannt, hingen seine Blicke beinahe starr an dem etwa eine Viertelmeile entfernten Eilande. Starr, wie aus Holz gemeißelt, erschienen auch seine verwitterten, glattrasierten Gesichtszüge, deren Farbe an die eines Gestorbenen erinnerte. Unter der auf dem Hinterkopf hängenden Mütze sah vollständig ergrautes, dünnes Haar hervor, jedoch ohne der mächtigen Gestalt zugleich die äußere Würde des Alters zu verleihen. Im Gegenteil, es erhöhte den eigentümlichen Ausdruck des Unheimlichen und Gespenstischen, womit der Name Ghastly,ghastly (engl.) = geisterhaft. unter dem allein der Mann bekannt war, in seltsamem Einklange stand. Andere Deckhände befanden sich auf dem Vorderschiff, wo sie gruppenweise umhersaßen oder lagen und mit Plaudern und Tabakrauchen sich die Zeit verkürzten.

»Es gehört immerhin ein ordentlich Stück Geld dazu, 'ne Kraft, wie die ›Pandora‹, zu erbauen und samt der doppelten Besatzung in frischer Fahrt zu erhalten. Und wenn's noch Vorteil eintrüge. Verdammt! Die Kosten eines einzigen Monats möcht' ich in der Tasche fühlen,« erklärte eine jüngere Deckhand dem neben ihr sitzenden Bootsmann.

Dieser, mit der geschorenen Oberlippe und dem langen, braunen Kehlbart das Urbild eines verwitterten englischen Matrosen, fragte nachlässig zurück: »Trägt dein Tabaksverbrauch dir Vorteil ein?«

»Das nicht, aber Vergnügen, oder ich möcht' ihn drangeben lieber heut als morgen,« antwortete jener lachend.

Der Bootsmann schraubte die struppigen Brauen nach der Stirn hinauf und erwiderte herablassend: »Befändest du dich etwas länger als sechs Monate an Bord, so möcht's dir klar geworden sein, daß unserer Gräfin zehntausend Pfund Sterling gerade so viel wert sind, wie dir ein Knoten Schiemannsgarn zwischen den Zähnen. Wie dir der Tabak, ist ihr das Seefahren 'ne Lust. Auch unter den Weibern hat's richtige Salzwassernaturen, und sie zählt nicht zu den schlechtesten.«

»Bist schon geraume Zeit bekannt mit ihr, kalkulier' ich.«

»An die zwölf Jahre, und bis auf den heutigen Tag ist mir's nicht leid geworden, mich an Bord der Pandora verheuert zu haben. Auf der kommt man herum in der Welt.«

»Es ist erstaunlich, wenn man bedenkt, daß solche Lady mit ihrem unmenschlichen Reichtum in jeder Hauptstadt leben könnte, wie eine Königin.«

»Sie hat eben ihre Schrullen; manche wollen ihr sogar den gesunden Menschenverstand absprechen; die aber ist so hell, wie 'ne Robbe im Wasser. Sie führt aus, worauf sie verfällt, und kümmert sich den Henker um die Mäuler anderer. Verdammt! Um nichts segelt sie dir mit derselben Gemächlichkeit um die halbe Erde herum und anderen Tages den gleichen Kurs zurück, mit der du zwischen 'nem Alehause und 'ner Whiskyschänke kreuzest. Einen mäßigen Trunk gönnt sie übrigens jedem rechtschaffenen Jan Maat, dafür ist sie Christin. Nur schlingern und stampfen will sie keinen sehen, dem 's Gallion schwerer, als die Beine geworden; höchstens die Pandora bei rauhem Seegange.«

Ein schriller Pfiff drang von dem Quarterdeck herüber.

»Das gilt dem Kapitän,« meinte der Bootsmann, »und der sitzt oben auf der Saling und betrachtet das Eiland durchs Fernrohr, als wär's seine Liebste – da – jetzt hat sie's mit dem Ghastly. Wenn der nicht reden will, ziehen ein halb Dutzend Gräfinnen ihm kein Wort über die Zunge.«

»Mich wundert's, daß sie den überhaupt an Bord genommen hat,« erwiderte der Gefährte; »eine ordentliche Scheu befällt mich, so oft ich ihm begegne. Mein ganzes Leben lang könnt' ich mit ihm keine Freundschaft schließen.«

»Dafür paßt er der Gräfin um so besser,« versetzte der Bootsmann geheimnisvoll. »Menschen, deren zwölf auf ein Dutzend gehen, sind weniger nach ihrem Sinn. Je verrückter einer, um so mehr macht sie davon – bei Gott, Maat, schau hinüber. Hängen will ich, wenn der Ghastly in diesen zwei Minuten nicht mehr geredet hat, als sonst in zwei Wochen,« und abbrechend wendete er seine Aufmerksamkeit der Schiffsherrin zu.

Diese hatte sich kurz zuvor erst nach dem Quarterdeck hinaufbegeben. Einen prüfenden Blick sandte sie nach der Insel hinüber, an deren Gestaden die Dünungen, Schaumstreifen erzeugend, träge emporstiegen; dann hob sie die an silberner Kette von ihrem Halse niederhängende Pfeife an die Lippen, und nachdem sie Simpson, ihrem Schiffskommandanten, das bekannte Signal gegeben hatte, kehrte sie sich Ghastly zu.

Hoch und schlank gewachsen, offenbarte sich in ihrer vornehmen Haltung ein gewisses männliches Selbstbewußtsein. Ob jemals blendende Reize ihr hageres Antlitz schmückten, auf dem der Jahre mindestens zweiundvierzig ihre Spuren ausprägten, wäre schwer zu entscheiden gewesen. Dessen edle Formen hatten zwar nicht zerstört werden können; alles übrige fiel dagegen in einen strengen, undurchdringlichen Ernst zusammen. Kalt schauten die großen, hellblauen Augen, während um die schmalen, verblühten Lippen ein unsäglich herber Zug lagerte. Ein kleiner Hut von lackiertem Leder bedeckte ihr zuversichtlich getragenes Haupt, von dem das blonde Haar lose und schlicht bis auf die Schultern niederfiel. Ihren Oberkörper umhüllte eine Bluse von blauem Flanell. Ein Rock von ähnlichem Stoff fiel nicht ganz bis zu den mit festen Schnürstiefeln bekleideten Füßen nieder und vervollständigte einen gewissen seemännischen äußeren Charakter.

»Ghastly,« redete sie diesen eintönig an, »wie lange befinden Sie sich an Bord der Pandora?«

Ghastly kehrte ihr sein fahles Antlitz zu. In seinen tiefliegenden dunklen Augen webte es wie die versteckte Neigung, die Ursache zu ergründen, die die Gräfin zu der Frage bewegte.

»Etwas über acht Jahre,« antwortete er nach kurzem Sinnen.

»Kamen Sie auf Ihren früheren Fahrten jemals diesen Weg?« forschte die Gräfin weiter.

Ghastlys Züge erstarrten förmlich. Er fühlte die aus seinem Gesicht sich vollziehende Wandlung. Sie zu verheimlichen, kehrte er sich dem Eilande wieder zu. Er schien den Blick der Gräfin zu fürchten.

»Diesen Weg?« versetzte er zögernd; »nun ja, ich rechne, den kam ich mehrfach.«

»Entsinnen Sie sich, drüben auf der Insel drei Kreuze bemerkt zu haben?«

Ghastly schluckte einige Male heftig, wie um zur Antwort seine Kehle zu klären. Die Gräfin beobachtete es gleichmütig. Sie war zu sehr an die wunderliche Weise des schweigsamen alten Matrosen gewöhnt, um in seinem Benehmen Auffälliges zu entdecken.

»Einmal hörte ich davon,« bemerkte er, anscheinend in der Vergangenheit suchend, »gesehen habe ich sie nicht.«

Bild: Max Vogel

In diesem Augenblick erschien Simpson auf dem Quarterdeck. Vor die Gräfin hintretend, meldete er ehrerbietig, indem er mit dem zusammengeschobenen Fernrohr nach der Insel hinüberwies: »Dem Gerücht liegt Wahrheit zugrunde. Von oben unterschied ich Unebenheiten des Bodens, die als mehrere Kreuze nicht zu verkennen sind.«

Die Gräfin sann. Simpson beobachtete sie unterdessen mit sichtlicher Spannung. Er war ein Mann von etwa sechsundfünfzig Jahren. Weniger kräftig gebaut, jedoch in Haltung wie Bewegung große Zähigkeit verratend, offenbarte sich in seinem ganzen Äußeren, daß er in vornehmen Kreisen sich heimisch fühlte. Sein wohlgebildetes Gesicht mit dem schwarzen, jedoch bereits zum Teil ergrauten Vollbart war stark gebräunt. Tiefer Ernst sprach aus seinen Zügen, während aus seinen dunkelblauen Augen eine eigentümliche, schnelle und feste Entschlüsse zeitigende Ruhe hervorlugte.

»Wie beurteilen Sie die Aussichten?« fragte die Gräfin ihn nach einer längeren Pause, »wird die Windstille länger anhalten?«

»In diesen Breiten sind Windstillen eine Seltenheit.« antwortete Simpson, »von der augenblicklich herrschenden läßt sich indessen voraussetzen, daß sie noch zwölf bis achtzehn Stunden andauert.«

»Bringt die Strömung uns der Insel näher?« fuhr die Gräfin fort.

»Nur wenig. Nach Ablauf zweier Stunden wächst der Zwischenraum wieder.«

»So möchten wir uns lieber gleich übersetzen lassen.«

»Sie wollen die öde Scholle in der Tat besuchen?« fragte Simpson, und als die Gräfin zustimmend das Haupt neigte, fügte er mit Entschiedenheit hinzu: »Trotzdem muß ich davon abraten. Betrachten Sie die Brandung und das weiße Wasser oberhalb der blinden Klippen; schon allein der Versuch des Landens ist nicht ungefährlich.«

»Ihre Fürsorge erkenne ich dankbar an,« versetzte die Gräfin, »allein Sie kennen mich. Handelt es sich um das Erreichen irgend eines mir vorschwebenden Zieles, und wäre es noch so phantastisch, so gibt es für mich keine Gefahren. Seitdem ich von den drei Kreuzen hörte, hat es mir keine Ruhe mehr gelassen. Ich muß durchaus deren Bedeutung kennen lernen. Haben wir doch um geringerer Ursachen willen – nennen wir sie meinetwegen Launen – die halbe Erde umschifft.«

»Bestehen Sie ernstlich darauf,« erwiderte Simpson mit einem argwöhnischen Blick auf die weiß schäumenden Brandungen, »so möchte ich mir den Rat erlauben, keine Minute zu säumen. Je früher dort, um so früher zurück. Trotz der günstigen Anzeichen ist in diesen Regionen dem Wetter nie zu trauen.«

»Ich bin bereit,« erklärte die Gräfin. Fast gleichzeitig ertönte Simpsons Stimme über das Schiff hin, indem er befahl, das Großboot hinabzulassen und mit acht Ruderern zu bemannen.

Die Gräfin schritt nach dem Kompaßhäuschen hinüber, um sich von dem Stande der Magnetnadel zu überzeugen. Über Ghastly, der den Inhalt ihres Gesprächs mit Simpson zum größten Teil verstanden hatte, schweiften ihre Blicke gleichgültig hinweg; es möchte ihr sonst schwerlich entgangen sein, daß sein fahles Gesicht sich noch mehr versteinert hatte. Das Lärmen der Matrosen, die herbeieilten, um das an den geschweiften Davids hängende Boot zu lösen und die durch die Flaschenzüge laufenden Taue klar zu legen, mahnte sie, ihre kleinen Vorbereitungen zu der Fahrt zu treffen. Bevor sie, das Quarterdeck verlassend, die von starken Messingstäben umrahmte Luke erreichte, durch die man auf bequemer Treppe zu den im Zwischendeck eingerichteten Gemächern hinabgelangte, stürmte es ihr von unten herauf mit leichten Füßen entgegen. Sie blieb stehen; ein Schimmer von Wohlgefallen milderte flüchtig die Strenge ihrer Züge, als zwei Jagdpanther auf Deck sprangen und gleich darauf behaglich schnurrend ihr prachtvoll gezeichnetes Fell an ihr glatt strichen. Ihr zutrauliches Wesen erinnerte an das friedlicher, gut gezogener Haustiere.

Die Gräfin sprach noch liebkosend zu ihnen, als abermals leichte Schritte auf der Treppe laut wurden und zwei liebliche Mädchengestalten vor ihr auftauchten. Die eine, blond gelockt, mit der zarten Hautfarbe und den blauen Augen, konnte die englische Abkunft nicht verleugnen; wogegen die andere mit den atlasweichen braunen Zügen, dem tiefschwarzen, leicht gewellten Haar und den großen, träumerischen Augen das bezaubernde Bild eines jungen Hindumädchens darbot.

»Gräfin Marley von Marleyhouse,« hob die erstere mit einer anmutigen Verneigung an, und Jugendlust sprühte aus ihren Augen, offenbarte sich in dem um die vollen Rosenlippen spielenden, mutwilligen Lächeln, »wir hörten die Vorbereitungen zum Hinablassen des Bootes, da führte uns die Hoffnung, ein Stündchen festen Boden unter den Füßen zu fühlen, nach oben.«

»In welcher Hoffnung meine gute Nichte Maud sich leider getäuscht haben dürfte,« antwortete die Gräfin ruhig, und gewahrend, daß die beiden Gefährtinnen mißvergnügt schauten, fuhr sie etwas wärmer fort: »Die Fahrt ist nichts für euch. Betrachtet die Brandung da drüben. Ich selber werde meine Not haben, wenn überhaupt, ohne ein Sturzbad den Strand zu erreichen.«

Sie nickte den Mädchen freundlich, jedoch in einer Weise zu, die alle Einwendungen abschnitt, und begab sich in die unteren Räume hinab, während jene, gefolgt von den Geparden, nach dem Quarterdeck hinaufstiegen, um von dort aus die Abfahrt des Bootes zu überwachen.

Als die Gräfin, auf dem Arme einen blauen Sammetschal nebst Regenmantel, einige Minuten später wieder auf Deck erschien, lag das Boot vor der Falltreppe. Die acht Ruderer hatten ihre Plätze eingenommen und hielten die Riemen in der Schwebe. Auf der untersten, zu einer Plattform sich erweiternden Stufe stand Simpson, um der zu ihm Herabsteigenden auf ihren Sitz zu helfen. Er selbst ließ sich neben ihr nieder und griff nach dem kleinen Steuer. Das Zeichen zur Abfahrt folgte, plätschernd tauchten die Riemen in die Fluten, und schon nach dem dritten von den kräftigen Armen geführten Schlage schoß das Boot davon. Den ihr von den Mädchen nachgesendeten Scheidegruß beantwortete die Gräfin mit einer matten Handbewegung, dann versank sie in Schweigen.

Kein Wort wurde in dem Boot gewechselt. Man hörte nur das Stoßen der Riemen zwischen den Pflöcken, das Plätschern des aufgestörten Wassers und das leise Zischen, mit dem der scharfe Bug die Fluten teilte. Hinauf und hinunter ging es die schwerfällig einherrollenden breiten Dünungen. Abwechselnd begrenzten sanft ansteigende Wasserabhänge die Fernsicht, dann wieder die weitgeschweifte Linie, wo der tiefblaue Ozean mit dem wolkenlosen Himmel zusammenstieß. Kein Lüftchen regte sich. Hier und da, wo eine Robbenfamilie ihr harmloses Wesen trieb, tauchte es zeitweise wie schwarze Kugeln auf der Oberfläche des Wassers empor. Vereinzelte Möwen und Kormorans rasteten schwimmend. Andere schweiften mit trägem Flügelschlage planlos umher. Sie schienen übersättigt zu sein.

»Eine schöne Fahrt,« brach die Gräfin endlich, zu Simpson gewendet, das Schweigen, »es ist dies für mich eine jener Stunden, in denen ich nichts wünsche und nichts vermisse.«

»Trotzdem lebe ich unter dem Eindruck, daß Sie größere Befriedigung fänden, vertauschten Sie, wenn auch nur zeitweise, den Aufenthalt auf dem Weltmeere mit dem in Marleyhouse,« erwiderte Simpson.

Die Gräfin lächelte herbe und sprach mit einem Anfluge von Spott: »Ich erstaune, von einem vielbefahrenen Seemanne solche Ansichten zu hören. Erscheint es mir doch als höchster Genuß, die ganze Erdoberfläche ähnlich zu betrachten, wie den heimatlichen Park, wo es von meiner Laune abhängig ist, welchen Weg oder Pfad ich lustwandelnd einschlage. Zum Kleben an der Scholle ist es früh genug, wenn das Alter erst seine strengen Anforderungen an mich stellt. Dann mag Marleyhouse sich wieder beleben, mögen Pferdeställe und Reitbahn sich bevölkern; bis dahin aber will ich nur das tun, was mir Freude bereitet, unbekümmert um das Urteil der Menschen, die ich schon in früher Jugend gründlich verachten lernte.«

»Sie wähnen es nur, weil Sie zu ängstlich den Verkehr mit Menschen meiden,« versetzte Simpson, »wäre es anders, so würden Sie schwerlich mit so viel Wärme sich der beiden Mädchen angenommen haben.«

Die Gräfin zuckte die Achseln. »Sie überschätzen meine Menschenliebe,« erwiderte sie. »In Hull war es, wo ich erfuhr, daß Mauds Eltern in Ostindien gestorben seien und ihre Tochter schutzlos zurückgelassen hätten. Sie entsinnen sich, ich war um ein Reiseziel in Verlegenheit, da hieß ich es willkommen, vom Geschick auf Madras hingewiesen zu werden. Egoismus war also im Grunde die Triebfeder, wenn ich die Ärmste einer traurigen Lage und dem ihren Frieden gefährdenden Einfluß des leichtlebigen Peldram entzog. Mit der kleinen Hindu verhielt es sich nicht viel anders. Da ruchbar geworden war, daß sie, trotz des strengen Verbotes, mit ihrem toten Gatten verbrannt werden sollte, reizte es mich, den verrückten Menschen die Freude zu verderben, und die Entführung gelang.«

»Wodurch Sie zwei reine, unschuldige Gemüter sich zum heißesten Dank verpflichteten.«

»Was ist Dankbarkeit? Wann ist sie verdient, wann nicht? Wer bürgt dafür, daß ich durch mein Eingreifen in ihr Geschick zugleich ihr Glück förderte? Wer dürfte vor dem Tode überhaupt glücklich genannt werden? Das höchste Glück und das tiefste Leid wohnen zu nahe beieinander.«

Mit den letzten Worten neigte die Gräfin das Haupt, für Simpson eine Mahnung, sie ihren Betrachtungen zu überlassen.

Abermals entschwand eine Zeit in Schweigen; plötzlich meldete Simpson: »Die Kreuze in Sicht.«

Die Gräfin richtete sich auf und sah in die angedeutete Richtung. Ein teilweise grüner Abhang, der so lange durch eine Bodenerhebung verdeckt gewesen war, neigte sich dem Meere zu, und es erheischte keine sonderlich scharfen Augen, drei hölzerne Kreuze zu unterscheiden, die in mäßiger Entfernung vom Strande nebeneinander standen.

»Das sind sie also,« bemerkte die Gräfin, wie zu sich selbst sprechend, und sie wendete keinen Blick mehr von den rätselhaften Zeichen. Die Matrosen aber, aus den Zügen ihrer Gebieterin das Verlangen herauslesend, bald zur Stelle zu sein, ruderten mit einer Anstrengung, daß die Riemen sich unter ihren sehnigen Armen und knochigen Fäusten bogen und der scharfe Bug des Bootes mit verstärktem Zischen die Fluten teilte.

 


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