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Es war am zweiten Tage nach Hawkins' Besuch der von ihm ins Leben gerufenen und begünstigten Irrenstation und in der zweiten Hälfte des Vormittags, als vor der Veranda des Strandhauses sich etwas regeres Leben entwickelte. Alle Männer, der Seminole an der Spitze, hatten sich zu einem größeren Ausfluge gerüstet; gesattelt und bepackt stand der Mustang, es brauchte nur noch Abschied von Flora genommen zu werden. Was zu dem heimlich geplanten Unternehmen erforderlich erschien, war dem geduldigen Tier aufgebürdet, nichts vergessen worden, was auch nur ein wenig zu einem günstigen Erfolg beitragen konnte. So wurde auch Wasp gezwungen, ungern, wie er sich von seiner jugendlichen Gebieterin trennen mochte, an dem abenteuerlichen Zuge teilzunehmen. Schweren Herzens und von bangen Ahnungen bestürmt, sah Flora die Freunde auf demselben Wege, den Dark mit seinem Pflegebefohlenen eingeschlagen hatte, hinter Baum und Strauch verschwinden; dann aber wuchsen ihre Besorgnisse zur wahren Angst. Eingedenk der ihr erteilten Ratschläge, zumal ohne Wasp, schickte sie sich an, Tür und Fenster zu verschließen und bis zum Eintreffen weiterer Nachrichten sich zu ihren Freunden nach der Stadt zu begeben. Zum letztenmal schritt sie von Gemach zu Gemach, die Ordnung, in der sie alles zurückließ, ihrem Gedächtnis gewissermaßen einprägend, und als sie dann auf die Veranda hinaustrat, stand Hawkins vor ihr.
In ihrer ersten Bestürzung vermochte sie kaum, seinen Gruß zu erwidern: um so mehr entging ihr, daß auch auf des Doktors Antlitz gewaltsam bekämpfte Unruhe sich ausprägte.
»Ich bin erstaunt,« redete dieser sie erregt an, »da hörte ich von Besuchen, die hier eingetroffen seien, und beeilte mich, meine Dienste zu irgendwelchen gemeinschaftlichen Schritten rücksichtlich meines verschwundenen Freundes anzubieten, und das nächste, was ich erlebe, ist, daß das Strandhaus wie ausgestorben daliegt,« und indem er in Floras Augen sah, verschärften hinter den zuckenden Lidern hervor seine Blicke sich eigentümlich.
Über Floras Antlitz hatte sich dunkle Glut ausgebreitet. Es konnte als Ausdruck der Befangenheit gelten, erzeugt durch den frei spähenden Blick Hawkins', aber auch als eine unbewußte Kundgebung peinlichen Erstaunens, sogar des Entsetzens, den Kapitän von jemand verleugnet zu hören, der, nach Blackbirds glaubwürdigen Berichten, vor zwei Tagen erst in nahem, wenn auch nur mittelbarem Verkehr mit ihm gestanden hatte. Über alles aber verwirrte sie der Zwang, zu Täuschungen ihre Zuflucht nehmen zu müssen, das Gefühl, einem scharfsinnigen Beobachter gegenüber solcher Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Stotternd antwortete sie daher, indem sie die Blicke von Hawkins abzog: »Zwei Verwandte des Kapitäns waren hier, um Erkundigungen über ihn einzuziehen. Was ich ihnen mitteilen konnte, wissen sie; da entfernten die beiden Herren sich heute wieder.«
Hawkins preßte die Lippen flüchtig aufeinander. Ein Blitz versteckter Wut schoß aus seinen zwinkernden Augen auf das liebliche Haupt. Er hätte ja nicht der geübte Beobachter menschlicher Regungen sein müssen, wäre ihm verborgen geblieben, daß Flora ihn hinterging, man also Ursache gefunden zu haben glaubte, ihm zu mißtrauen. Er verstand es indessen, sich zu beherrschen, und bemerkte wie in argloser Verwunderung: »Schon fort? Und heute? Da hätte ich ja in der Stadt von ihnen hören, ihnen wohl gar auf dem Wege dahin begegnen müssen.«
»Sie wählten eine andere Richtung,« versetzte Flora in ihrer Ratlosigkeit, »Blackbird versprach, ihnen einen kürzeren Weg zu zeigen.«
»Und doch führt von hier aus der einzige Weg nach Einschiffungsstellen und Eisenbahnstationen durch unseren Ort,« wendete Hawkins ein, und Floras wachsende Verwirrung gewahrend, fügte er erkünstelt sorglos hinzu: »Also der Seminole? Nun ja, der ist vertraut mit jedem Pfade auf Tagereisen im Umkreise; da mögen unter seiner Leitung die Herren etwas Zeit ersparen. Aber wo ist Kit Kotton? Ich setze voraus, man hat Sie nicht gänzlich schutzlos hier gelassen?«
»Kit Kotton begleitete sie,« hieß es mit unsicherer Stimme zurück, »er glaubte, den Verwandten seines Herrn die kleine Aufmerksamkeit schuldig zu sein, und ich billigte seinen Entschluß.«
»So kehrt er heute noch zurück?«
»Er wußte es selbst nicht genau.«
»So, hm, meine teure Miß Flora,« nahm Hawkins wieder zögernd das Wort, und in seinen verschleierten Augen verdrängte heimlicher Triumph vorübergehend den Ausdruck tiefer Unruhe, »so wären Sie gezwungen, die Nacht hier ganz allem zu verbringen? Nein, mein liebes Kind, das kann ich nimmermehr dulden, und geschähe es, so würde ich es vor meinem Freunde Melville nicht verantworten können. Nein, Sie müssen fort. Drüben steht mein Wagen; den besteigen Sie mit mir, und in einer halben Stunde sind Sie bei Ihren Freunden.«
Flora, über das verräterische Treiben Hawkins' unterrichtet, schauderte bei dem Gedanken, an seiner Seite zu sitzen. Sie faßte sich indessen und antwortete mit notdürftiger Ruhe:
»Es ist meine Absicht, auf einige Tage nach der Stadt überzusiedeln; aber ich gehe lieber. Komme ich etwas später an, so erfreue ich mich dafür eines freundlichen Spazierganges.«
»Nein, Miß Flora,« erklärte Hawkins dringlicher, und er ergriff des bebenden Mädchens Hand, »dergleichen dulde ich nicht, und müßte ich, um von Ihrer Sicherheit überzeugt zu sein, neben Ihnen einherfahren. Doch wo ist Wasp? Ich bin erstaunt, das getreue Tier nicht bei Ihnen zu sehen.«
»Wasp?« fragte Flora, und wie nach ihm suchend sah sie um sich, »Wasp?« und die Stimme schien ihr versagen zu wollen, »ah, ich entsinne mich: Kit Kotton nahm ihn mit. Der erzog ihn nämlich, da folgte er ihm gern,«
Hawkins sah aufs Meer hinaus, um zu verheimlichen, daß er die Farbe wechselte. Bezweifelte er doch nicht länger, daß die Gesellschaft zu einem bestimmten, wohlüberlegten, für ihn selbst bedrohlichen Zweck ausgezogen war. Er klammerte sich indessen an die Hoffnung an, daß Dark, im Falle ihm der Besuch galt, zurzeit samt seinen Pflegebefohlenen das Fort verlassen habe, und Flora sich wieder zukehrend, versetzte er anscheinend wohlwollend: »Das Fehlen des Hundes ist ein anderer Grund, auf meinen Vorschlag zu bestehen. Ist es Ihnen also genehm, so rüsten Sie sich zum Aufbruch.«
Flora, die keinen anderen Ausweg mehr sah, vielleicht auch in Erinnerung der gemeinschaftlich mit Frank überwachten unheimlichen Szene im nahen Gehölz, willigte nunmehr ein. Sie verschloß die Haustür, und den Schlüssel ihrer Verabredung mit Kit gemäß unterhalb des die Veranda begrenzenden Gitters in eine Fuge schiebend, erklärte sie sich bereit. Ihr war entgangen, daß während sie sich bückte, Hawkins ihr Tun mit dem Ausdruck eines Geiers überwachte und das Versteck des Schlüssels mit einem tückischen Lächeln begrüßte.
Gleich darauf bestiegen sie den Wagen. Hawkins nahm Zügel und Peitsche aus den Händen des hinter der Bank auf einer Art Bock sitzenden Burschen, und dahin ging es in scharfem Trabe der Stadt zu.
Gregor, Frank und Kit Kotton hatten um diese Zeit bereits einen weiten Weg zurückgelegt. Durch Gehölze und über Wiesen, durch Moore und über Sümpfe hinweg führte der Seminole sie auf Pfaden, die, ursprünglich vom Wild gebrochen, oft streckenweise nur von einem scharfen Auge ermittelt werden konnten; auf Pfaden, von denen man nur einen Schritt abzuweichen brauchte, um zu versinken und, wenn keine Hilfe zur Hand, elendiglich zu ersticken. Es war eine mühevolle Wanderung, allein sie wurde dadurch gefördert, daß zahlreiche Umwege erspart blieben, und die Nacht hatte sich noch nicht lange auf die EvergladesGroßes, mit Cedern, Palmettos und Riedgras bewachsenes Sumpfgebiet im südlichen Florida. gesenkt, als die vier Gefährten in der Entfernung einer guten Viertelstunde von Melvilles Gefängnis auf den alten Waldweg stießen.
Auch heute suchte Blackbird die kleine Lichtung auf, die er schon einmal zum Versteck für den Mustang wählte. Dort entledigten die Männer sich alles dessen, wodurch sie in ihren Bewegungen hätten behindert werden können. Die Waffen wurden geprüft und handgerecht auf dem Körper geborgen, Kit Kotton nahm den Hund an eine Leine, und von dem Seminolen geführt, begaben sich alle in den Weg zurück.
Es war nicht weit mehr von Mitternacht, als sie daselbst eintrafen und mit äußerster Vorsicht auf das Haus zuschlichen. Hatten sie zu ihrem Verdruß von dorther bereits Stimmen vernommen, die von der Wachsamkeit der Bewohner zeugten, so überraschte sie noch mehr, hinter einer Biegung des Weges hervor ein hell loderndes Feuer zu entdecken, das auf dem Vorplatz brannte. Außerdem bemerkten sie einen mit zwei Pferden bespannten Wagen, zwischen dem und dem Hause mehrere nicht genau erkennbare Gestalten lebhaft verkehrten.
Ihr ursprünglicher Plan, unter harmlosem Vorwande Einlaß zu begehren und die erste Verwirrung der aus dem Schlaf Gestörten zu einem, wenn nötig, gewaltsamen Eindringen in die geöffnete Haustür zu benutzen, mußte natürlich als gescheitert betrachtet werden. Dagegen befestigte sich ihr Argwohn, daß trotz aller Vorsicht ihr Unternehmen verraten worden und die Bewohner des Forts nicht nur im Begriff, mit ihren Gefangenen zu flüchten, sondern auch darauf vorbereitet seien, etwaige Angriffe mit der Waffe in der Faust zurückzuweisen; wie hoch aber die gewiß beherzten Feinde sich bezifferten, wußte selbst der Seminole nicht. Auf alle Fälle schien die Hoffnung, ihren Zweck ohne einen ernsten Zusammenstoß zu erreichen, sich nicht erfüllen zu sollen.
Nach kurzer Beratung setzten sie indessen, jedes Geräusch sorgfältig vermeidend, ihren Weg auf das Feuer zu fort. Durch kleine Zwischenräume voneinander getrennt, war es ihnen erleichtert, den Schatten von Baum und Strauch zu halten, und endlich, als die Beleuchtung der Flammen sie verräterisch streifte, ihrem Ziel kriechend Zoll um Zoll näher zu rücken.
In der Entfernung von etwa fünfzig Metern stellten sie ihre Bewegungen ganz ein. Dort befanden sie sich nahe genug, um nicht nur jedes vor dem Hause gewechselte Wort zu verstehen, sondern auch durch Augenschein mit dem äußeren Charakter der daselbst beschäftigten Menschen, wie mit der nächsten Umgebung sich vertraut zu machen. Zunächst unterschieden sie, daß neben der Haustür drei Büchsen an der Mauer lehnten, deren Besitzer also nur die Hand auszustrecken brauchten, um kampfbereit dazustehen. Dark, in der roten Beleuchtung das Urbild eines verworfenen trägen Wegelagerers, stand neben dem Feuer, zwischen den Zähnen die brennende Tonpfeife und die Arme auf der Brust verschränkt. Er sprach nach dem Wagen hinauf, auf den Jessie die ihr von dem boshaft spottenden Toby dargereichten Gegenstände zwischen die bereits verladenen schob. Aus ihrer Unterhaltung ging hervor, daß sie eher an den Einbruch des Himmels, als an die Nähe irgendeiner Gefahr geglaubt hätten. Gewissermaßen unter dem Schutze dieses Sicherheitsgefühls rückten die vier Gefährten einander so nahe, daß eine Verständigung zwischen ihnen, wenn auch nur durch Zeichen, möglich wurde. Kit Kotton hatte sich dicht neben Gregor hingeschoben; etwas weiter abseits lagen Frank und Blackbird, letzterer ein wenig voraus. So verharrten alle regungslos, daß sie in dem Schatten sich kaum von den Unebenheiten des dicht bewucherten Erdbodens unterschieden. Was bei den Männern klare Überlegung, das bedingte bei Wasp scharf unterscheidender Instinkt. Er fühlte gleichsam, daß auf ihn gerechnet wurde, und mit der seiner Rasse eigentümlichen tückischen Ruhe wartete er geduldig auf das Zeichen, um, ohne einen Laut von sich zu geben, diesem oder jenem an die Kehle zu springen. Eng zwischen Gregor und Kit geschmiegt, erkannten diese an dem Zittern seiner Muskeln, wie die Kampfeslust sich in ihm regte.
»Ich sag's noch einmal,« keifte Jessie von dem Wagen herunter, »hier oben findet kein Sechswochenkind mehr Platz, geschweige denn zwei ausgewachsene Menschen; denn laßt Ihr den Harry zu Fuß laufen, verschwindet er euch unter den Händen, wie 'n Mundvoll Tabaksrauch vor deinem Kalkstummel.«
»Wer sagt, daß die noch hinauf sollen?« fragte Dark gleichmütig, ohne seine Stellung zu verändern; »zuerst schaffen wir die Sachen in den Prahm, hernach holen wir die beiden Gentlemen mit dem leeren Wagen ab; da drauf werden sie schon Platz finden.«
»Hätten wir das vor Abend besorgt, so wären wir jetzt fertig,« gellte das erzürnte Weib, »aber von euch ist einer fauler als der andere. Der Henker mag viel arbeiten, wenn er nur mit den Fingern sieht.«
»Du redest ins Gelag hinein,« versetzte Dark unter dem zustimmenden Lachen seines hoffnungsvollen Sohnes, »waren wir vor Abend fertig, so hätten wir mit dem Abschied immerhin bis zum Morgen warten müssen. Der Teufel mag im Dunkeln den Prahm, ohne zu kentern, auf dem elenden Wasser regieren. Verdammt, Jessie, in Reiseangelegenheiten bin ich 'ne große Hand, das merke dir. Geht die Sonne auf, dann gleiten wir zu viert gemächlich stromabwärts, wogegen Toby mit dem Gespann seinen Weg weiter sucht. Wer dann nach uns sucht, mag zusehen, wo er bleibt.«
»So können die paar Kleinigkeiten zu den beiden Gentlemen in den leeren Wagen geworfen werden,« erklärte Jessie und sie sprang zur Erde, »ich hab's satt, mich hier oben zu quälen wie jemand, der verstreute Kaffeebohnen aus der Asche sammelt.«
»Jessie, das ist das vernünftigste Wort, das heute über deine Zähne gekommen, und da wollen wir denn ein Ende damit machen,« erwiderte Dark nachlässig, »geh nur hinein, schür 's Feuer und halte einen ordentlichen Whiskypunsch bereit. Wir verladen unterdessen die Sachen. Kehren wir zurück – und das dauert keine halbe Stunde – muß er fertig sein; aber nicht zu matt, hörst du? Die feuchte Nachtluft verlangt Hitze von innen, oder das Sumpffieber packt einen schneller, als du 'n halb Dutzend Speckscheiben röstest.«
Unwillig grunzend entfernte sich das Weib. Während Dark zu den Pferden trat, um die Geschirre zu ordnen, suchte Toby aus dem Feuer einen Brand hervor, der nach einigen Schwingungen fackelartig flammte und leuchtete. Auf einen Zuruf seines Vaters, der Leine und Peitsche nahm, schritt er voraus, und schwer ziehend folgten die Pferde ihm mit dem Wagen.
»Das nenne ich Glück,« raunte Gregor Kit Kotton zu, als das Schlagen und Stoßen des Wagens auf dem unebenen Wege in der Ferne verhallte, »wer auch in dem Hause weilen mag, wir sind jetzt Herr desselben.«
Er sandte einen Blick zu dem Seminolen hinüber. Derselbe hatte sich auf die Knie erhoben, bedeutete aber die Gefährten, liegen zu bleiben. Dann beobachteten diese ihn, wie er, fortgesetzt den Schatten suchend, nach dem Hause hinüberschlich. In der Nähe des Eingangs dicht an die Mauer geschmiegt, lauschte er; dann bemächtigte er sich der drei Büchsen, mit welchen er hinter dem Hausgiebel verschwand. Gleich darauf erschien er ohne dieselben wieder in der Beleuchtung des niederbrennenden Feuers und nunmehr erst winkte er die Gefährten zu sich heran.
Bei ihm eintreffend unterschieden sie im Innern des Hauses, durch dazwischenliegende Mauern und Räumlichkeiten gedämpft, das Krähen eines Hahns, dann wieder das Klappern einzelner Küchengeräte. Dasselbe begleitete die keifende Stimme des Weibes, das in Ermangelung lebender Wesen eine üble Laune an gefühllosen Gegenständen ausließ. Flüsternd berieten die vier Männer noch über die jedem zufallende Rolle, als das Geräusch schlurfender Schritte laut wurde, welche sich der Haustüre schnell näherten. Frank, Kit und Blackbird verschwanden, indem sie sich zur Erde warfen und dicht an das Mauerwerk anschmiegten. Gregor war dagegen neben der Tür stehengeblieben. Gleich darauf trat Jessie auf die Schwelle. Eine Lampe vor sich tragend, richtete sie die Blicke, wie etwas suchend, auf die noch auf dem Rasen zerstreut umherliegenden Hausgeräte.
»Haben die Esel den Zuckersack auf den Wagen geworfen,« grollte sie vor sich hin, »so mögen sie ihren Grog mit Holzasche versüßen –« sie verstummte. Wie durch dessen Anblick gelähmt, starrte sie auf Gregor, der vor sie hingetreten war und ihr den Weg ins Freie hinaus verlegte.
»Sie werden so gut sein und das Haus nicht verlassen,« redete er sie gebieterisch an und in Stimme und Haltung offenbarte sich eine Strenge, die das Weib sichtbar einschüchterte. Es tat wenigstens einen Schritt zurück, hob die Lampe empor und Gregor ins Gesicht leuchtend fragte es stotternd:
»Wer sind Sie, daß Sie sich getrauen, in fremder Leute Haus einzudringen und gar Befehle zu erteilen?«
»Das kümmert Sie nicht,« antwortete Gregor kurz, »Sie haben nur meinem Befehl Folge zu geben. Was mich überhaupt hierherführt, wissen Sie besser, als es Ihnen jemand sagen könnte. Zuvörderst leuchten Sie mir in das nächste Zimmer. Ich habe mit Ihnen zu reden; von Ihrer Willfährigkeit allein hängt es ab, wieweit Sie von dem Ihnen drohenden Verhängnis betroffen werden.«
Mochte Jessie immerhin von unbestimmter Besorgnis erfüllt sein, so war sie doch keine Person, die der ersten Bestürzung lange Einfluß auf sich eingeräumt hätte; denn während Gregor noch sprach, sann sie schon auf Mittel, sich seiner Gewalt zu entziehen und den Beistand Darks und Tobys herbeizuschaffen.
»So?« fragte sie höhnisch, und fortfahrend steigerte sie ihr Gellen zu durchdringendem Kreischen, »in meine Wohnung soll ich Sie führen? Ihnen zu Diensten sein? Hüten Sie sich, daß das Verhängnis nicht auf Sie selber hereinbricht –«
»Mäßigen Sie Ihre Stimme,« fiel Gregor, des hinterlistigen Weibes Absicht durchschauend, herrisch ein, »die Ihrigen kehren ohnehin früh genug zurück, um einen Empfang zu finden, wie sie ihn verdienen.«
Einige Sekunden sann Jessie nach; diese kurze Zeit genügte ihr, einen Plan zur Reife zu bringen, in dessen Ausführung sie gemeinschaftlich mit Dark und Toby das Übergewicht über den Fremden zu gewinnen hoffte.
»So?« fragte sie wiederum höhnisch, »also einen warmen Empfang meinen Sie? Wenn's Ihnen nur nicht leid wird,« und die Lampe abermals erhebend, wie um Gregor zu beleuchten, warf sie dieselbe nach seinem Kopf. Zugleich flüchtete sie in den Gang hinein, augenscheinlich in der Absicht, das Haus auf einer anderen Stelle zu verlassen.
Gregor, der ihre Bewegungen fortgesetzt argwöhnisch überwachte, entging dem Wurf mit genauer Not. Dicht an ihm vorbei flog die Lampe auf den Rasen hinaus, auf dem Wege dahin verlöschend.
»Kit, den Hund her!« rief er aus, als das Weib vor ihm in der Finsternis gleichsam versank.
»Wasp, pack sie!« ertönte Kits Stimme, und blitzschnell schlüpfte der Hund in den Gang hinein.
Im Hintergrunde erklang ein gellender Aufschrei; ein schwerer Fall folgte. Dann war nur noch das gurgelnde Knurren vernehmbar, mit welchem Wasp sein Opfer niederhielt, und das Wimmern des entsetzten Weibes.
»Kit Kotton, er wird sie zerreißen!« rief Gregor verstört aus, »Kit, wehren Sie der Bestie –«
»Nicht so arg,« fiel Kit wohlgemut ein, »der beißt nur auf Kommando. Mag er sie halten, bis ich Licht geschafft habe,« und nicht eher erlöste er das Weib aus seiner Not und Gregor aus seiner Besorgnis, als bis es ihm mit Blackbirds Hilfe gelungen war, die verbogene Lampe wieder einigermaßen herzustellen und anzuzünden.
Als Frank ihm folgen wollte, hielt der Seminole ihn zurück, um gemeinschaftlich mit ihm die Tür zu bewachen und einer Überraschung durch Dark und Toby vorzubeugen. Aber im Flurgange selber stellten sie sich auf, wo sie von den Heimkehrenden nicht zu früh entdeckt werden konnten.
Gregor und Kit waren unterdessen dem Knurren des ergrimmten Hundes nachgefolgt. Ihr erster Blick streifte Wasp. Auf dem Weibe stand er, welches mit dem Gesicht zu Boden geschlagen war. Am ganzen Körper zitternd und den Nacken seiner Gefangenen mit der schwarzen gespaltenen Nase beinahe berührend, mühte er sich, durch Wedeln des unansehnlichen Schweifrestes seinen Triumph zu offenbaren.
Auf Kits Ruf ließ er von seinem Opfer ab, und in dem Bewußtsein glänzender Pflichterfüllung grinste er offenen Rachens zu den Herzutretenden empor. Jessie hatte sich schwerfällig herumgewälzt und in eine sitzende Stellung aufgerichtet. Ohnehin schon ein Bild häßlichster Verworfenheit, glich sie jetzt kaum noch einem menschlichen Wesen. Wut und Todesangst verzerrten ihr leichenfahles, von wirren Haarsträhnen halb verschleiertes Gesicht, aus welchem die tückischen Augen unheimlich zwischen den Männern und dem Hunde hin und her schweiften.
Von Widerwillen erfüllt, sah Gregor auf sie nieder. Es kostete ihn förmlich Überwindung, ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen.
»Behandelte der Hund Sie unsanft, so haben Sie es sich selbst zuzuschreiben,« begann er nach kurzem Sinnen. »Sie eröffneten die Feindseligkeiten, da kann es Sie kaum überraschen, wenn man Ihnen nicht zuvorkommend begegnet.«
»Ich besitze ein Recht, mein Haus gegen fremde Eindringlinge zu verteidigen,« entgegnete Jessie giftig.
»Und ich besitze das Recht, jemand, der hier gefangen gehalten wird, gewaltsam zu befreien, solange keine Aussicht vorhanden, auf gütlichem Wege seine Entlassung zu bewirken,« versetzte Gregor mit eisiger Ruhe, die sichtbar nicht ohne Einfluß auf die Verrat brütende Megäre blieb. »Nach dem Vorhergegangenen erscheint es also ratsam, zunächst Ihrer Person mich zu versichern,« und zu Kit: »Wir müssen sie fesseln, die Hände auf dem Rücken und die Füße so weit, daß sie dadurch am Entlaufen gehindert wird.«
»Nur Schurken vergreifen sich an Weibern,« hob Jessie wieder kreischend an, als Gregor ihr mit einer schweren Drohung Schweigen gebot. Wie stumpfsinnig brach sie in sich zusammen. In ihrer verzehrenden Wut duldete sie lautlos, daß Kit, nachdem er die Leine von dem Halsbande des Hundes gelöst hatte, sichtbar hochbefriedigt in der vorgeschriebenen Weise mit ihr verfuhr. Dann half er ihr auf die Füße empor, und unter Hinweis auf die Klugheit des Hundes, der schon früher aufsässige Menschen in Lämmer verwandelt habe, bewog er sie leicht dazu, von dem ersten Versuch, jede Bewegung störrisch zu verweigern, abzustehen. Unter demselben Einfluß verriet sie die Stelle, wo der Schlüssel zu Melvilles Gefängnis aufbewahrt wurde, worauf sie mit kurzen Schritten die beiden Männer an dessen Tür führte.
Kit öffnete. Zugleich wurde die Tür mit Heftigkeit nach außen gestoßen, und bevor Kit recht begriff, um was es sich handelte, war der blödsinnige Harry an ihm vorbeigeschlüpft und in dem finsteren Gange verschwunden.
»Harry!« gellte Jessie ihm mit wunderbarer Geistesgegenwart nach, »Harry, lauf an den Fluß, sage dem Mr. Dark, es seien Räuber eingebrochen« – weiter kam sie nicht, indem Kit sie an der Kehle packte und Wasp sich wieder an ihr aufrichtete.
»Laß sie,« wehrte Gregor anscheinend gleichmütig, »trifft sie oder einen der ihrigen ein Unglück, so fällt es ihr selbst zur Last. Ihnen aber sage ich,« wendete er sich an das Weib, »verläßt noch ein einziger Laut Ihre Lippen, so bleibt uns kein anderes Mittel, als einen Knebel zwischen Ihre Zähne zu zwängen.«