Balduin Möllhausen
Die Familie Melville
Balduin Möllhausen

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Siebentes Kapitel.

Der Kaper.

Noch zwei Stunden und die Sonne taucht ins Meer hinab. Kein Lüftchen regt sich. Mit glatter Oberfläche rollen die nimmer rastenden Dünungen von Osten her in den Floridakanal hinein. Purpurne Reflexe schmücken Riff und Klippe, die sich, argwöhnischen jedoch trägen Wächtern ähnlich, mehr oder minder hoch über den Meeresspiegel erheben.

Da schleicht es plötzlich schwarz und schlank hinter einer der in der Ferne verschwimmenden Südküste von Florida gegenüberliegenden höheren Inseln hervor, mit katzenartiger Gewandtheit und Vorsicht bald hier, bald da den Schutz der Felsenwälle suchend. Ein dreimastiger, verhältnismäßig kleiner eiserner Schraubendampfer ist es, mit durchaus harmlosem Äußeren. Es braucht indessen nur auf jeder Seite der Verschluß von sechs Stückpforten zurück zu fallen, um ebenso viele Geschütze aus dem Inneren drohend hervorlugen zu lassen. Ein schwereres Geschütz, auf Ringschienen laufend und daher nach allen Richtungen verwendbar, steht auf dem Vorderdeck. Mit geteertem Segeltuch verhangen, gleicht es einer gegen Regen und Sprühwasser gesicherten Warenanhäufung. Die Segel sind eingeholt und dicht befestigt. Ein Dutzend verwitterter, sorglos dareinschauender Matrosen verschiedener Rasse und Farbe und in allen nur denkbaren Seemannsanzügen, nur nicht in solchen, die an das Kriegshandwerk erinnern, beleben das Deck. Fünfmal so viele weilen unterhalb desselben in der Batterie. Barfuß und halb entkleidet liegen und sitzen sie träge umher, jedoch in jedem Augenblick bereit, an die Geschütze zu springen oder zu Revolver und Enterbeil zu greifen. In der Mitte des Schiffes, hinter dem hochgelegenen Steuerrad, steht ein untersetzter struppiger Bursche wie eine Bildsäule. Nur seine Arme regen sich hin und wieder, wenn er in die Speichen greift und das Ruder nach backbord oder steuerbord dreht. Seine Augen sind beinahe starr auf die sich vor ihm erhebende Kommandobrücke gerichtet. Ein hagerer, knochig gebauter Mann im einfachen Seemannsanzuge wandelte daselbst langsam auf und ab, jenem durch leichte Handbewegungen den Kurs vorschreibend. Ein eigentümlicher, gleichsam verbissener Ernst charakterisierte sein etwa fünfzigjähriges, wetterzerrissenes Gesicht mit der glatt geschorenen Oberlippe und dem langen, schwarzen, grau gemischten Kinnbart. Aufmerksam um sich spähend und die Stellung der verschiedenen Klippen zueinander sorgfältig prüfend, sandte er gelegentlich einen Blick nach oben, wo ein jüngerer Seemann vom Mastkorbe aus mittels eines Fernrohrs Umschau hielt. Eine Viertelstunde mochte dieser auf seiner luftigen Warte verbracht haben, als er auf den Wanten seinen Weg gemächlich abwärts nahm und sich sogleich nach der Kommandobrücke hinauf begab.

Bei seinem Eintreffen blieb der alte Offizier stehen, sah etwas schärfer in seine Augen, und noch finsterer wurde das gebräunte Antlitz. Was er wissen wollte, hatte er in den Augen des jüngeren gelesen. Zu fragen brauchte er nicht weiter. Er nahm daher seinen Gang wieder auf, aber seine Finger knackten vor der Gewalt, mit der er die Fäuste ballte.

Der jüngere Offizier, trotz der verschlissenen Bekleidung eine vornehme Erscheinung, sandte einen prüfenden Blick über das Deck.

»Kit Kotton!« rief er nach dem Vorderschiff hinüber.

»Kapitän Melville!« antwortete eine etwas belegte Stimme neben dem Buggeschütz.

»Halte die holländische Flagge zum Hissen bereit! Wecke den Unterleutnant. Sage ihm, ich ließe ihn bitten, mit dem Fernrohr nach oben zu gehen!« lauteten die schnell aufeinanderfolgenden Befehle.

»Aye Aye,Zustimmende Antwort der englischen oder amerikanischen Seeleute anstatt des im Winde leicht verklingenden yes (ja). Kapitän!« hieß es diensteifrig zurück, und ein barfüßiger Geselle mit offenem blauen Hemde und aufgerollten Ärmeln verschwand durch eine Luke unter Deck.

Einige Minuten stand Gilbert Melville, der Kommandant des Kapers »Seeigel«, nachdenklich, die Blicke westlich in die Ferne gerichtet, wo eine schwarze Rauchsäule einer Klippengruppe zu entsteigen schien. Sein Gesicht war nicht minder düster, als das seines älteren Gefährten, jedoch einnehmender und von jenem Ausdruck, den man auf eine tiefe Gemütsverbitterung hätte zurückführen mögen. Sonnverbrannt, trugen seine Züge ein gleichsam Achtung gebietendes Gepräge von Entschlossenheit und ruhiger Überlegung. Der starke braune Bart um Mund und Kinn vervollständigte das Bild eines unerschrockenen Kriegers. Die sprechenden Merkmale eines unauslöschlichen Hasses vermochten selbst die großen blauen Augen nicht zu mildern.

Der Seeigel verfolgte unterdessen mit gemäßigter Eile seinen Weg östlich, jedoch sich fortgesetzt in der Nähe der Inselreihe haltend.

»Sind Sie Ihrer Sache noch immer sicher, Robinson?« fragte der Kommandant endlich den alten Offizier, einen früheren Lotsen, dessen Glieder aus Eisen, und dessen Blut aus Gift und Galle zu bestehen schienen.

Ein grimmiges Lächeln eilte über die harten Züge Robinsons, indem er antwortete: »Geben Sie mir so viel Licht, wie erforderlich, um auf hundert Ellen einen Schiffszwieback von einer Boje zu unterscheiden, und ich führe den Seeigel im lustigsten Zickzack über die Bahamabänke.«

»Es gibt mehr Lotsen in diesem Teil der Welt,« versetzte der Kapitän, und sich einem in den Maschinenraum führenden Blechrohr zuneigend, rief er hinab: »Heizt auf! Schlagt einer Tonne Teer den Boden ein und fettet damit Kohlen und Holz! Mit einem Viertel Dampf vorwärts! Drei Viertel laßt ins Wasser schießen bis auf weiters!« Dann sich Robinson zukehrend: »Wenn der heutige Abend nicht unser letzter ist, will ich zugeben, noch nie in meinem Leben einen richtigen Schluß auf die nächste Zukunft gezogen zu haben.«

»Sollte es wohl!« meinte Robinson so gelassen, als hätten sie über den Wert eines Glases Grog gesprochen.

»Unzweifelhaft, beide sind Kriegsdampfer, und überraschen sollte es mich nicht, tauchte ein dritter auf, eine schlechte Zugabe in dieser Enge. Wir sind vor den Bahamabänken beobachtet worden, da hat der Telegraph uns nach Mobile und New-Orleans verraten.«

»Die Mannschaft der letzten Prise, die wir mit ihren Böten freigaben, hat's besorgt. In vierundzwanzig Stunden konnten sie die Küste bequem erreichen, da werden sie die Mäuler aufgerissen haben. Es war gescheiter, sie in dem angebohrten Schiff zu belassen.«

»Nicht doch, Robinson; wir führen gegen den Handel der Union Krieg, nicht gegen wehrlose arme Teufel.«

»Weshalb es jetzt uns selbst an die Kehle geht.«

»So schließen wir als brave Seeleute ab,« bemerkte der Kapitän ruhig.

»Trifft's uns,« erklärte Robinson nachlässig, »so tragen sie wenigstens die Spuren unserer Zähne davon.«

»Wir haben das Unsrige getan,« erwiderte Melville kaltblütig, »geht der Seeigel ein, geschieht's mit Ehren; bezahlt gemacht hat er sich hundertfach.«

»Wir müssen uns indessen bald entscheiden,« riet Robinson. »Einer von ihnen muß der erste sein; jede neue Minute bringt sie einander näher.«

»Soll geschehen, sobald außer Zweifel, welcher von den beiden der schwächere ist. Nebenbei bringt jede neue Minute uns selber der Nacht näher, und die wird pechschwarz, nach der Gewitterwand da drüben zu schließen, was für uns von unschätzbarem Werte. Glückt es uns, den einen über den Haufen zu rennen, so gebe ich die Hoffnung nicht auf.«

Während des letzten Teiles seiner Rede war der Mann, den er kurz zuvor mit Kit Kotton angeredet hatte, die teerige Mütze in der Hand, auf die Kommandobrücke getreten.

»Alles in Ordnung, Kapitän,« meldete er dienstlich, jedoch mit einer gewissen Vertraulichkeit, die darauf hindeutete, daß er, ursprünglich Schiffskoch, in das Verhältnis eines Dieners und Faktotums des Kommandanten emporgestiegen war. »Holländische Flagge zum Hissen bereit; Unterleutnant auf dem Wege nach oben.«

»Gut, Kit,« antwortete Melville, »dir will ich noch besonders anvertrauen, daß es heute wahrscheinlich harte Arbeit gibt. Lege also ein Faß Whisky auf und schraube den Hahn ein. Stelle auch Flaschen zur Hand. Im Vorbeigehen sage dem Chirurgen, er fände vielleicht bald etwas zu tun und möchte daher seine Vorkehrungen treffen. Die Geschützmeister und Bootmannsmaats sollen sich unten bei der Treppe versammeln. Ich will sie sprechen.«

»Dem Kapitän zu Befehl,« erwiderte Kit Kotton, und wie bei einem Renner, der des Zeichens zum Ablauf gewärtig, sprühte helle Kampfeslust aus seinen kleinen Augen; mit zwei Sätzen war er von der Kommandobrücke herunter und verschwand gleich darauf unter Deck.

»Schade um solch Material,« bemerkte Melville zu Robinson, der seines Gespräches mit Kit anscheinend nicht geachtet hatte, »aber es wird wohl keinen anderen Ausweg mehr geben, als hinunter mit uns allen.«

»Verdammt,« meinte Robinson nachlässig, »die Jungens haben wenigstens etwas geleistet bei ihrem Seefahren; ewig können sie doch nicht leben wollen.«

»Auf alle Fälle hätte ich ihnen ein besseres Los gegönnt,« erklärte Melville mit einem Anfluge von Mitleid, »doch gleichviel: wo sie bleiben, bleiben wir, und ich hoffe, eine gute Anzahl Unionisten begleitet uns.« –

Melville, der die Geschützmeister und Bootsmannsmaats mit einigen Worten auf die schwierige Lage des Seeigel aufmerksam gemacht hatte, traf gerade früh genug auf der Kommandobrücke ein, um vom Mastkorbe herunter den Ruf zu vernehmen:

»Dampfer vor dem Turmfelsen vollständig in Sicht! Er wendet nördlich; wird bald unser Kielwasser kreuzen!«

Robinson stieß einen grimmigen Fluch aus und lachte höhnisch, wogegen Melville sich dem Sprechrohr zuneigte und in den Maschinenraum hinab befahl: »Vollen Dampf auf! Heizt, daß die Kessel bersten!« Dann zu Robinson, indem er östlich spähte, wo der andere Dampfer jetzt deutlicher hinter den ihn bisher zum Teil verbergenden Klippen hervortrat: »Nach der dürftigen Rauchsäule zu schließen, hat er keine große Eile.«

»Der da hinten desto mehr,« warf Robinson wie beiläufig ein, »und duftet's aus seinem Schornstein nicht nach Pech und Schwefel, wie aus 'nem leibhaftigen Höllenpfuhl, will ich einräumen, noch nie eine feindliche Kraft richtig taxiert zu haben – da – da tauchen seine Spieren auf. Bei Gott, er kreuzt die Klippen, das verrät einen feinen Lotsen. Jetzt strengt er sich an, heraufzukommen, bevor wir dem anderen die Seiten eingeschossen haben. Freilich, aus unserer Esse riecht's ebenfalls nicht nach Sandelholz,« fügte er mit einem hämischen Blick nach oben hinzu, wo es mit unheimlichem Getöse schwarz und von unten rötlich angehaucht dem eisernen Schlot entquoll. »Bei der ewigen Verdammnis, meine linke Hand gäbe ich drum, wäre unser Fahrwasser um ein halb Dutzend Seemeilen breiter. Steuerbord, Mann, hart steuerbord,« zu dem in die Radspeichen greifenden Matrosen; und wiederum zu Melville: »Wir sind jetzt aus der unsicheren Nachbarschaft heraus, da möchten Sie vielleicht selber die Wache hier übernehmen.«

»Gern, Robinson. Sie kennen Ihre Aufgabe besser, als es Ihnen jemand sagen könnte. Schicken Sie noch einen Mann ans Rad und kommandieren Sie zwei andere für den Fall, daß einer weggeschossen wird; auch zwei Mann ans Reserverad im Schiffsraum. Ferner wählen Sie die geeignetsten Hände zum Beseitigen der Havarie aus. Im Vorbeigehen richten Sie ein aufmunterndes Wort an die Kanoniere.«

»Dessen bedürfen sie nicht,« versetzte Robinson achselzuckend, »die wissen, daß es ihnen ans Leben geht, da tut man gern ein übriges.«

Er sandte einen Ruf nach dem Mastkorb hinauf, wo der Unterleutnant nunmehr überflüssig geworden, und gemächlichen Schrittes verließ er die Kommandobrücke.

Die Entfernung zwischen dem nunmehr im Kielwasser nachfolgenden Dampfer und dem Seeigel hatte sich kaum verändert; höchstens war sie um eine Kleinigkeit gewachsen. Dagegen betrug es bis zu dem entgegenkommenden nur noch etwa vier englische Meilen, die bei der rasenden Gewalt, mit der die Maschinen des Seeigels arbeiteten, schnell abnahmen. Bis zum letzten Augenblick wollte Melville seinem Schiff den äußeren Charakter eines friedlichen Kauffahrers bewahrt wissen; so entschied er sich auch dafür, seinen bisherigen Kurs, der ihn ziemlich nahe an dem Gegner vorüberführen mußte, vorläufig beizubehalten. Selbst als auf den beiden feindlichen Dampfern zur gegenseitigen Verständigung die Signalflaggen spielten, änderte er nichts an den bereits getroffenen Anordnungen. Nur den auf Deck zerstreuten Männern gebot er, in der Nachbarschaft des Buggeschützes zu bleiben und seines Winkes gewärtig zu sein.

Der Seeigel verfolgte unterdessen unbeirrt die ihm vorgeschriebene Bahn. Die Maschinen ächzten und stöhnten. Schnaubend entwichen die ausgenutzten Dämpfe. Das ganze Schiffsgebäude erzitterte unter der Gewalt, mit der die Schraube das Wasser aufwühlte. Ein langer schwarzer Rauchstreifen lagerte, schwerfällig zerrinnend, in geringer Höhe oberhalb des Meeresspiegels und bezeichnete den zurückgelegten Weg. Robinson schaute nach alter Weise giftig darein. Nicht die leiseste Wandlung fand auf seinen Zügen statt; gleichviel wohin er spähte, ob auf die feindlichen Dampfer, ob auf die Klippen oder die im Westen emporwachsende Gewitterwand. Melvilles Antlitz hatte sich gerötet und zugleich verhärtet. Finster, sogar grausam blickten seine Augen, während die Nasenflügel sich hin und wieder erweiterten und es dann seltsam um seine Lippen zuckte. Er war nur noch Kommandant, kannte nur noch das Streben, wenn ihm selbst der Untergang beschieden sein sollte, so viele der verhaßten Feinde mit fortzureißen, wie irgend möglich.

Er hatte das Fernrohr abgesetzt und kehrte sich Robinson zu.

»Acht Geschütze, aber schwerer als die unsrigen,« sprach er, nach dem vorderen Dampfer hinüber weisend. »Auf alle Fälle sind wir erkannt; denn zum Vergnügen macht man drüben nicht zum Gefecht klar. Den Unterleutnant kommandieren Sie in die Batterie. Sie selbst beaufsichtigen Deck und Takelage. Falle ich, so treten Sie an meine Stelle, als ob sich gar nichts ereignet hätte, und dann tun Sie ihr Bestes. Kit soll mir Säbel und Revolver bringen – da – man hißt die Sterne und Streifen« – er warf einen Blick nach dem Hinterschiff hinüber, gab ein Zeichen mit der Hand, und an dünner Leine flog ein Knäuel zum Gaffel empor, um sich dort als holländische Flagge zu entfalten.

»Spielerei,« bemerkte er spöttisch, »aber vorläufig genügt das. Je mehr Zeit wir gewinnen, um so sicherer die Wirkung der Geschütze, um so näher die Nacht.«

Robinson entfernte sich. Gleich darauf legte Kit Kotton die verlangten Waffen auf die Kommandobrücke. Er selbst war unbewaffnet, um beim Bedienen des Buggeschützes nicht behindert zu sein.

»Kit,« sprach Melville zu ihm nieder, »ich gebrauche dich jetzt nicht länger. Du hast ein scharfes Auge. Kein Schuß darf da vorn abgefeuert werden, bevor du deine Nase über das Rohr hinstrecktest.«

»Aye, Aye, Herr,« hieß es zurück. Kit begab sich auf den ihm angewiesenen Posten, dann herrschte auf dem Schiffe unheimliche, erwartungsvolle Stille.

Der Seeigel befand sich um diese Zeit dem feindlichen Dampfer schräge gegenüber. Wie um einem möglichen Zusammenstoß vorzubeugen, ließ Melville das Schiff nunmehr aus seinem Kurse weichen. Sein Gegner schien auch in der Tat geneigt, ihn als Handelsschiff gelten zu lassen, um dann aber von seinem Durchsuchungsrecht Gebrauch zu machen, denn durch einen Kanonenschuß forderte er ihn auf, beizulegen. Da der Seeigel, wie seine Absicht nicht verstehend, trotzdem weiter dampfte, schickte er ihm eine Vollkugel zu, welche zwischen der Takelage hindurchfuhr und eine Spiere zersplitterte.

Melville befahl in den Maschinenraum hinab, die Geschwindigkeit der Fahrt zu mäßigen. Doch sein Gegner, damit nicht zufrieden, ließ nach kurzer Pause eine zweite Kugel folgen, die indessen harmlos vorbeiflog.

»Stopp die Maschinen!« rief Melville nunmehr hinab, und einem anderen Sprechrohr sich zuneigend, fuhr er fort: »Alle Hand klar zum Gefecht! Geschütze geladen! Fertig zum Feuern! sobald die Klappen fallen!«

Funkelnden Blickes sah er nach dem feindlichen Schiff hinüber. Dasselbe hatte seine Schnelligkeit gemäßigt, augenscheinlich um dem herbeieilenden Gefährten immer noch einige Minuten Zeit zu verschaffen.

Melville begriff den Zweck dieser Bewegung vollkommen.

»Was meinen Sie, Robinson,« rief er diesem zu, der mit einem gewissen gallichten Behagen die Bewegungen des feindlichen Schiffes überwachte, »sollen wir fliegen lassen, oder lohnt es sich, noch eine Minute zu warten?«

»Ich kalkuliere, je schneller jetzt, um so besser,« antwortete Robinson gedehnt.

»Voll Dampf auf!« kommandierte Melville wieder hinab. Dann zu den beiden Männern am Steuerrad: »Hart backbord!«

Das Schiff schwang so weit herum, daß es dem sichtbar überraschten Gegner die Breitseite voll zukehrte, zugleich sandte Melville einen schrillen Pfiff über Deck, der unverzüglich an fünf, sechs Stellen ähnlich beantwortet wurde.

Wie durch Zauberschlag sank die Hülle von dem Buggeschütz und öffneten sich die Stückpforten; beinahe gleichzeitig entluden sich die dem Gegner zugekehrten sechs Geschütze, welchen die schwere Deckkanone ihr Feuer sofort beigesellte. Unter betäubendem Krachen hüllte der Rumpf des Seeigels sich in weißen Rauch. Durch den furchtbaren Druck bedingt, lehnte er sich ein wenig über, während ein wahrer Hagel von Kartätschen in Begleitung von Sprenggeschossen den Gegner förmlich überschüttete.

Doch die Antwort folgte beinahe in derselben Sekunde, in der die eiserne Frage gestellt wurde. Dann aber entspann sich ein regelmäßiger Geschützkampf, der um so verderblicher, weil der Seeigel noch immer vorbeizuschlüpfen, der feindliche Dampfer dagegen ihm in demselben Maße den Weg zu verlegen trachtete, daher die zwischen ihnen bestehende Entfernung sich noch verminderte.

So verstrich eine Viertelstunde, während hüben und drüben Planken splitterten, Eisenwände sich bogen und zerrissen, hüben und drüben Sprenggeschosse und Kugeln die Reihen der Bedienungsmannschaften lichteten und die beiden Gegner unter dem Schleier des weißen Dampfes durch ihre Bewegungen einer über den anderen Vorteile zu erringen suchten. An Zielen war kaum mehr zu denken. Nur die über die auf dem Wasser lagernden schweren Dampfschichten hinausragenden Mastspitzen ermöglichten es noch, den Geschossen eine einigermaßen sichere Richtung zu geben.

Melville hatte Robinson zu sich nach der Kommandobrücke herausgewinkt und übertrug ihm die Führung des Schiffes.

»Alles arbeitet wie ein gut geöltes Uhrwerk, nachdem es aufgezogen worden,« schrie Robinson dem Kapitän zu, indem er, um durch das Getöse hindurch sich verständlich zu machen, seine Lippen dessen Ohr näherte, »hätt's nicht geglaubt, daß wir es zu dreien schaffen würden mit dem Kommando!« und boshaft wie ein Höllengeist lachte er in den Pulverdampf hinein.

»Jeder kennt seinen Dienst und arbeitet um den höchsten Preis,« erwiderte Melville gelassen, während er die Brücke verließ, um sich nach dem Buggeschütz hinüber zu begeben.

Die Sonne war bereits untergegangen. Die nunmehr mit erhöhter Eile emporwachsende Wolkenschicht hatte sie in sich aufgenommen. Nur noch eine halbe Stunde, und der Tag verwandelte sich mit der den Tropen eigentümlichen Schnelligkeit in schwarze Nacht.

Düsteren Blickes näherte Melville sich dem Geschütz. Ein Drittel der Bedienungsmannschaft lag mit zerrissenen Gliedern etwas abseits, wohin sie, um nicht zu hindern, geschoben worden war. Ein die Schanzverkleidung zertrümmerndes Geschoß hatte vier Mann auf einmal fortgerissen. Zwei waren tot. Die anderen beiden, grauenhaft zerschmettert und die geschwärzten Physiognomien in rasendem Schmerz verzerrt, sahen zu dem Kommandanten empor, als wäre von ihm noch Rettung zu erwarten gewesen.

»Arme Burschen,« rief er ihnen im Vorbeigehen tröstlich zu, »den einen trifft's früher, den anderen etwas später, hinunter müssen wir alle, da wollen wir wenigstens bis auf den letzten Mann unsere Schuldigkeit tun.«

Die beiden Verwundeten versuchten eine Erwiderung. Das Krachen des nahen Geschützes hinderte indessen das Verständnis. Mit einem einzigen Blick umfaßte Melville die bei denselben beschäftigten pulvergeschwärzten Gestalten. Ihre Gesichter glühten infolge der furchtbaren Anstrengung. Schwere Schweißtropfen rieselten ihnen von den Stirnen in die wirren Bärte hinab. Sie arbeiteten mit dem Ausdruck von Schmiedegesellen, welche die rote Bildsamkeit des Eisens bis aufs äußerste auszunützen trachten und daher keine Schonung weder der Arme noch der Lungen kennen.

Ruhig beobachtete Melville, wie ein Hohlgeschoß in das Rohr geschoben wurde und Kit förmlich begeistert über dasselbe hinspähte.

»Fertig!« hieß es.

Näher neigte Kit sich dem Rohr und wilder funkelten seine kleinen Augen. Die beiden Männer mit den zum Richten dienenden Hebeln folgten pünktlich den Zeichen seiner Hand. Mit dem gellenden Ruf »Feuer!« sprang er zur Seite; gleichzeitig entsandte das Rohr mit betäubendem Krachen seinen Todesboten in einen Berg weißer Dampfwolken hinein, aus welchem in unregelmäßiger Folge eisensprühende Flammengarben donnernd hervorschlugen.

»Wenn der Schuß nicht saß, mögt Ihr mich selber ins Rohr bugsieren und über Bord schicken!« meinte Kit Kotton gellend. Triumphierend schwang er die Mütze ums Haupt und hastig griff er wieder zur Handspeiche.

»Der andere wird bald heran sein,« kehrte Melville sich dem Geschützmeister zu, »sollten wir zwischen zwei Feuer geraten, so wartet keinen Befehl ab, sondern gebt's dem neuen Feinde. Berechnet die Entfernung und haltet die Augen offen. Vergeßt nicht Kartätschen und Flintenkugeln, sobald Ihr ein Deck bestreichen könnt.«

»Aye, Aye, Herr,« lautete die rauhe Antwort, »möchten Sie uns nur Ersatz für die armen Jungens da schicken. Holt der Teufel noch zwei oder drei von uns, so schaffen wir's nicht mehr.«

»Ich werde dafür sorgen,« versetzte Melville, Gleich darauf schritt er unter der Kommandobrücke hindurch, auf der Robinson eifrig damit beschäftigt war, unter Benutzung der Sprechröhren die Gangart der Maschinen bald mehr, bald minder zu beeinflussen und das Schiff dem Steuer gefügiger zu machen.

»Robinson, gelangen wir vorbei?« fragte er hinauf.

»Schwerlich,« antwortete dieser, »der Schurke ist im Vorteil, kann sich jederzeit an uns hängen wie 'ne Klette an 'nen ungeschorenen Hammelbauch. Bei der ewigen Verdammnis! Wir müssen versuchen, ihn lahmzulegen –«

Von unten herauf drang polterndes Getöse, welchem alsbald ein eigentümliches Stoßen und Knirschen folgte, als ob der Schiffsboden über ein scharfes Riff hinweggeschrammt wäre.

»Da sind wir selber lahmgelegt worden,« fuhr Robinson grimmig auf, und sich dem Blechrohr zuneigend, kommandierte er hinab: »Stopp die Maschinen! Schaft oder Schraube zertrümmert! Nachsehen, ob geholfen werden kann!«

Zu dem Donner der Geschütze gesellte sich nunmehr das durchdringende Zischen, mit dem die eingeengten Dämpfe den geöffneten Ventilen entströmten. An eine Verständigung durch Zurufe war nicht mehr zu denken. In zwei Sprüngen war Melville auf der Brücke. Sein Antlitz war noch ruhiger geworden, wogegen das Robinsons gleichsam in Gift und Galle schwamm.

»Robinson,« redete er diesen an, »es ist alles vorbei. Es handelt sich nur noch darum, das Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.«

»Richtig, Kapitän,« meinte Robinson, »etwa noch 'n hundert Ellen wirkt der Druck nach vorne, und der Seeigel liegt so still wie 'n verfaulter Hulk im Binnenhafen. Dadurch werden wir beide hier oben überflüssig –«

In diesem Augenblick drang von der Westseite der Donner eines schweren Geschützes herüber, und einige Taue zerreißend flog eine Kugel durch die Takelage.

»Der hat's eilig, bei Gott,« fuhr Robinson höhnisch grinsend fort, indem er sich nach dem Verfolger umkehrte, »ein Bummboot käme früh genug heran, seitdem uns die Beine unter dem Leibe fortgeschossen worden sind.«

Melville sann einige Sekunden nach. Die Kanonade hatte bisher noch keine Unterbrechung erfahren, höchstens auf so lange, wie es dauerte, ein demontiertes Geschütz durch eins von der anderen Seite zu ersetzen. Wie es mit dem ersten Gegner stand, war durch den massigen Dampfschleier hindurch nicht zu unterscheiden. Auf alle Fälle waren keine Masten mehr sichtbar. Der Seeigel befand sich dagegen in einer Verfassung, die sein allmähliches Sinken kaum noch bezweifeln ließ. Die Außenwände waren förmlich zerfetzt, das Verdeck geborsten und zersplittert. Nur die Stützen der Brücke und das Steuerrad standen noch ziemlich unversehrt, während die zerschossenen Masten und Rahen durch das Tauwerk in der Schwebe gehalten wurden.

»Bei der ewigen Verdammnis, hier oben wird's unkomfortabel,« meinte Robinson grinsend und zähneknirschend, »die ganze Geschichte fängt überhaupt an, lächerlich zu werden. Hier angenagelt zu stehen, wie 'ne Scheibe auf dem Schießstand – beim Satan, wär's nicht schade um jedes Stück Eisen, das sich noch in Unionistenfleisch graben könnte, möchten wir gleich ein Ende damit machen.«

»So wollen wir das letzte tun, was uns noch übrig bleibt,« antwortete Melville dem alten unverzagten Maat, und beide stiegen die zersplitterte Treppe hinunter, »die Jungens kämpfen wie die Löwen. Sie sollen uns wenigstens neben sich sehen. Gehen Sie nach vorn. Ich selbst werde die Batterie überwachen. Ein Geschütz nach dem anderen soll schweigen. Sie müssen wähnen, wir hätten den letzten Widerstand aufgegeben. Mit dem Anrammen wird's wohl nicht viel mehr; aber einen Hagel können wir ihnen noch über Deck senden, daß kein Mann darauf verschont bleibt. Und nun auf Wiedersehen, gleichviel wo.« Er reichte Robinson die Hand, die von diesem in Begleitung eines bezeichnenden Grinsens kräftig gedrückt wurde, und förmlich heiter klang des alten Lotsenoffiziers Stimme, indem er hinzufügte: »Wiedersehen? Zum Henker damit. Aber nebeneinander liegen da unten,« und er wies über Bord, »wie's sich geziemt für Männer, die manch liebes Mal Schulter an Schulter gefochten haben.«

Er kehrte sich ab und schritt nach dem Vorderdeck hinüber, wogegen Melville in die nächste Luke hinabtauchte.

Der neue Gegner war unterdessen bis auf etwa sechshundert Faden herangekommen und ließ sein Buggeschütz fortgesetzt mit verderblicher Sicherheit spielen. Trotz der bereits herrschenden Dämmerung und des Pulverdampfes hatte Robinson in ihm eine Korvette mit allen Geschützen auf Deck erkannt, und teuflische Freude leuchtete in seinem verbissenen Antlitz auf. Er glich einem Raubtier, das die Beute in den Bereich seines Sprunges treten sieht. Keinen Blick wendete er von dem feindlichen Schiff. In dem Maße aber, in dem es sich näherte, wurden die Schüsse auf dem Seeigel seltener, bis sie endlich ganz verstummten. Infolgedessen wurde auch auf den Unionsdampfern das Feuer eingestellt. Langsam schoben die weißen Rauchmassen sich zur Seite, und jetzt erst wurde man gewahr, wie verheerend auf den beiden Kämpfern die von geübten Händen und mit sicheren Augen bedienten Geschütze gewirkt hatten. Wie der Seeigel, glich auch der östliche Unionistendampfer nur noch einem Wrack, jedoch mit dem Unterschiede, daß die Maschinen des letzteren trotz des Verlustes des Schornsteins noch arbeiteten. Die gänzliche Hilflosigkeit des Seeigels war unverkennbar. Sein Schweigen konnte daher nur für ein Ergeben ins Unabänderliche gehalten werden. Als Robinson aber, von unauslöschlichem Rachedurst beseelt, auf dem Seeigel selbst unbeachtet, eine weiße Flagge aufhißte, beschleunigte der neue Gegner seine Eile, um, solange noch ein Restchen Tageslicht es begünstigte, dem Gegner nahe zu kommen.

Die noch kampffähige Bemannung des Seeigels lauerte zu derselben Zeit bis zum Wahnwitz erbittert bei den bis zum Bersten mit Blei und Eisen überladenen Geschützen auf der Steuerbordseite. Melville stand neben dem Eingange zur Batterie und überwachte scharf die Bewegungen des noch unberührten Feindes. Ungestört ließ er ihn den vierten Teil eines Kreises beschreiben, ahnungslos, daß Robinson die weiße Flagge wie spielend hinauf und hinunter zog und dadurch Unterwerfung ankündigte. Sobald der Dampfer aber so weit gelangte, daß der Seeigel und dessen erster Gegner sich für ihn fast in derselben Linie befanden, die von ihm entsendeten Geschosse also beiden gefährlich werden konnten, führte Melville die Kommandopfeife an die Lippen. Noch aber vibrierte der von ihm erzeugte schrille Ton durch die Schiffsräume, da entluden die sorgfältig gerichteten Geschütze sich mit betäubendem Krachen. Breite Flammen schlugen aus den Stückpforten und von dem Bug, und ein solcher Hagel von Kugeln und Sprengstücken heulte auf das feindliche Schiff ein, daß es dadurch bis in seinen Kielraum hinunter erschüttert wurde und die fürchterlich dezimierte Bedienungsmannschaft auf Deck in Verwirrung geriet. Doch wenn je die Besatzung des Kapers unter Aufbieten der äußersten Kräfte arbeitete, so geschah es jetzt, um auch mit der zweiten Breitseite dem Gegner zuvorzukommen. Und es gelang, wenn auch nur insoweit, daß das Brüllen der Geschütze auf allen drei Schiffen sich zu einem einzigen Donner vereinigte, der nicht eher sein Ende erreichen sollte, als bis der Seeigel zum Sinken gebracht worden. Nachdem man durch Robinsons verräterische Signale getäuscht worden war, kannte man, zumal angesichts der unter der Besatzung angerichteten Verheerung, keine Gnade mehr.

Melville hielt seine Aufgabe nunmehr für abgeschlossen. Wie um den hereinsausenden Geschossen ein bequemes Ziel zu bieten, erstieg er die Schanze. Sein Ende war unausbleiblich, da hieß er es willkommen, je eher, um so lieber. Doch sein Leben schien gefeit zu sein; Eisen- und Holzsplitter flogen um ihn her, ohne ihn zu berühren. Kit Kotton trat heran, um zu verkünden, daß das Buggeschütz unbrauchbar geworden sei. Ein aus der Batterie emporsteigender Matrose meldete, daß bei der sich verdichtenden Dunkelheit man ebensogut auf das Blitze sprühende Gewölk feuern könne, wie auf den Feind; wieder ein anderer brüllte von unten herauf, die noch kampffähigen Männer wären im Begriff, das Magazin zu erbrechen und sich des Branntweins zu bemächtigen. Zu allem nickte Melville finster. Gleichmütig, sogar rauh erklärte er, daß man aufs Ärgste gefaßt sein müsse, und weiter splitterte und krachte es ringsum.

Endlich verließ Melville seine Warte. Gleichzeitig schlug ein Geschoß durch den Großmast, und unheimlich knirschend kam der obere Teil samt der bereits lose hängenden letzten Rahe nieder, Melville im Fallen unter sich begrabend.

Laut aufschreiend verkündete Kit Kotton, daß der Kommandant erschlagen sei, überzeugte sich indessen bald, daß das schwere Holz nur quer über seine Oberschenkel zu liegen gekommen war, sich aber zwischen Tauwerk und Schanzen so festgeklemmt hatte, daß es durch keine Gewalt von der Stelle bewegt werden konnte.

»Laß nur, Kit,« riet Melville diesem, »es lohnt nicht mehr der Mühe. Ich fühle, die Beine sind gebrochen.«

»Kappt die Taue!« brüllte Kit Kotton auf dem Gipfel der Verzweiflung einigen sich herandrängenden Maats zu, »los alles bis auf den letzten Bindfaden, oder der Kommandant erleidet einen Hundetod!« und mit Messer und Enterbeilen sprangen die zerfetzten Gestalten von Tau zu Tau, mit wuchtigen Hieben innerhalb kurzer Frist den Maststumpfen gänzlich freilegend. Bevor sie damit zustande gekommen waren, schritt Robinson, beide Hände in den Taschen, gemächlich vorüber. Als er Melville durch die Dunkelheit hindurch erkannte, reichte er ihm die Hand.

»Gute Nacht, Kapitän,« sprach er aufmunternd, »das Glück war wider uns, da mag der Henker die Oberhand behalten. Was sollten wir auch noch auf der Welt, Sie mit Ihrem Herzeleid, und ich, mit dem das Schicksal nicht minder rauh hantierte? Noch einmal gute Nacht!« und wie ein Dämon verschwand er in der nächsten Luke.

In der Batterie, die nur noch durch die ächzenden Stimmen der Verwundeten belebt wurde, sah er kaum um sich. Zu einem in seinem Wege mit dem Tode ringenden Verstümmelten neigte er sich nieder, und ihm sanft die Wange klopfend, tröstete er ihn mit den Worten: »Braver Junge! Ich gehe, um dir ein Pflaster zu holen, da wird's besser in einer und 'ner halben Minute!« und weiter wandelte er gleichgültig nach der Luke hinüber, durch die er in den untersten Schiffsraum hinab gelangte.

Und eine und eine halbe Minute dauerte es in der Tat nur noch, bis die Schmerzen aller Verwundeten endgültig gestillt wurden, die nach der furchtbaren Arbeit Erschöpften und zum Teil Trunkenen endlich Gelegenheit zu ungestörtem Rasten fanden.

Kit Kotton war wieder neben Melville hingetreten.

»Der Mast ist jetzt klar,« redete er ihn an. »Wenn Sie nur 'ne Kleinigkeit helfen könnten. Die Schurken von Maats haben alles aufgegeben und saufen den Whisky quartweise hinein, um dem Wasser keinen Raum in den Eingeweiden zu gönnen – zum Satan, wie's von beiden Seiten her kracht. Die Unionisten sollten uns wenigstens in Gemütlichkeit zugrunde gehen lassen – jetzt, Kapitän – richten Sie sich ein wenig auf und halten Sie diese Handspeiche – ich helfe mit der anderen nach.«

»Es lohnt nicht, Kit, in wenigen Minuten sinkt der ›Seeigel‹.«

»Doch, doch, es lohnt. Die Hölle über die Dunkelheit –«

Ein Krachen, als ob alle Geschütze noch einmal zugleich abgefeuert worden wären, nur dumpfer, schnitt ihm das letzte Wort ab. Eine Feuersäule loderte aus dem Hinterschiff empor, Holzwerk, Eisenstücke und menschliche Glieder mit sich in die grell erhellte Atmosphäre hinauf nehmend. Das Hinterschiff war vollständig zerschmettert, das Vorderdeck beinahe in seiner ganzen Länge aufgerissen und emporgehoben worden, sank aber sogleich wieder zurück.

Auf die schwefelige Helligkeit folgte um so schwärzer erscheinende Dunkelheit; auf das betäubende Krachen tiefe Stille; sogar die Kanonen auf den Unionsschiffen waren verstummt. Nur die niederprasselnden und plätschernden Trümmer erzählten noch hörbar von dem furchtbaren Ereignis. Doch keine Minute dauerte das Todesschweigen. Dann erhob sich im Innern des Schiffes grauenhaftes Fluchen und Heulen. Ein Knäuel Rettung suchender, berauschter Männer drängte sich der Batterietreppe zu, wo es sich staute, daß kein einziger das Deck zu erreichen vermochte.

»Gute Nacht, mein lieber Herr,« raunte Kit Kotton Melville zu, und er legte sich neben ihn, seinen Arm um dessen Nacken schlingend und ihn stützend. »Jetzt brauchen wir uns nicht länger zu sorgen. Wohin wir gehen, da finden wir die herzige Frau Edith und ihr kleines Kind.«

»Gute Nacht, Kit,« antwortete Melville sanft trotz der rasenden Schmerzen, die ihm aus seiner schrecklichen Lage erwuchsen; »ich hätte dir ein besseres Ende gewünscht – du bist gesund – versuch's, dich oben zu halten – magst noch aufgefischt werden –«

»Verdammt, um den Unionisten in die Hände zu fallen –« weiter kam der ehrliche Bursche nicht. Das Vorderschiff bäumte sich hoch auf und folgte dem sich schnell füllenden Hinterschiff in die Tiefe nach. Was noch an Deck, gleichviel, ob tot oder lebendig, ob Eisen oder Holz: es wurde von dem Strudel erfaßt und mit hinabgewirbelt. Wo eben noch der verwegene flinke Kaper Tod und Verderben spie, um dafür Tod und Verderben in Empfang zu nehmen, da herrschten jetzt das Schweigen des Grabes und unheimliche Öde. In den schäumenden Wirbeln blitzte und funkelte es, wo die gereizten Infusorien ihre phosphorische Leuchtkraft ausströmten. Es war wie ein geisterhafter Abglanz der dem Schiff den Untergang bereitenden Feuersäule. Aber als hätte der beendigte Kampf durch einen anderen ersetzt werden sollen, ertönte das Grollen des heraufziehenden Gewitters und flammte es bläulich zwischen dem schweren Gewölk hervor. Zugleich erwachte eine scharfe Nordwestbrise. Es kräuselten sich, an dem geisterhaften Leuchten erkennbar, die glatten Dünungen, um allmählich ihre Richtung zu ändern und brandend den nahen Inseln zuzurollen. –

Eine kurze Rundfahrt machte der zuletzt eingetroffene Unionsdampfer auf der Stätte, die das Grab des »Seeigel« geworden, um vielleicht noch den einen oder den anderen von dessen Besatzung aufzufischen, allein vergeblich. Nirgends verriet sich eine Spur von Leben. Eine halbe Stunde später, da schlug er, den arg zerschossenen Gefährten im Schlepptau, die westliche Richtung ein.

 


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