Balduin Möllhausen
Die Familie Melville
Balduin Möllhausen

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Dreizehntes Kapitel.

Im Zirkus.

Vor einer Straßenecke in New-Orleans, auf welcher riesenhafte buntfarbige Plakate den Vorübergehenden Wunderbares verkündigten, stand jener Pedlar, der tags zuvor Melvillehouse besuchte. Den Warenballen hatte er in einem Kosthause, seinem zeitweiligen Heim, abgelegt, um, gleichsam rastend, die Straßen zu durchwandeln. Im Vorbeigehen streiften seine Blicke das Plakat. Als wäre irgend etwas an demselben ihm aufgefallen, trat er näher, und befremdet las er: »Nachdem die Geschwister Gregor von ihrer vieljährigen Kunstreise durch alle europäischen Staaten in ihre Heimat zurückgekehrt sind, ist es uns gelungen, dieselben für zehn Vorstellungen zu gewinnen.

Die Geschwister Charles und Thusnelda Gregor in ihren Übungen auf zwei ungesattelten Pferden.« Ferner: »Der Chinese Tsung-Tsang als Zauberkünstler,« und endlich am Schluß: »Die Pferde sind Eigentum des Mr. Gregor und von ihm selbst dressiert.« –

»Gregor und Thusnelda,« wiederholte der Pedlar, sichtbar betroffen, halblaut. »Und doch kann es nicht sein,« spann er seine Betrachtungen in Gedanken weiter, ohne die Blicke von den beiden Namen abzuziehen. »Der Zufall treibt oft sein wunderbares Spiel, und von der Gemütsstimmung ist es abhängig, ob man darüber hinwegsieht oder sich von ihm in die Irre führen läßt.«

Zweifelnd schüttelte er sein Haupt.

»Gregor – Thusnelda,« lispelte er wiederum; »wie diese alten befreundeten Namen mich anheimeln! Woher mögen deren Träger stammen?«

Er sah nach der Uhr und verglich die Zeit mit dem auf dem Plakat verkündeten Anfang der Vorstellung und den Nummern des Programms. Der Abend senkte sich bereits feucht und kühl auf die sonnendurchglühte Stadt. Der erste Teil der Vorstellung mußte bald sein Ende erreichen. Dann eine Pause, und die Träger der beiden für ihn rätselhaften Namen folgten als dritte oder vierte Nummer.

Abermals sah er nach der Uhr.

»Es wäre Torheit,« folgten seine Gedanken aufeinander; »ich als neugieriger Besucher eines Zirkus,« und ein unsäglich herbes Lächeln trat auf sein vernarbtes Antlitz. »Ginge ich nicht hin, so würde das eine neue Quelle beunruhigender Grübeleien für mich sein. Ich muß wissen, wer sich hinter diesen Namen verbirgt, ich muß es wissen, um sie zu vergessen, oder – es könnte doch sein, daß gerade ein Zufall –«

Wie sich selbst verspottend, lächelte er in seinen weißgemischten, durch die schreckliche Krankheit gelichteten Vollbart hinein. Einen letzten Blick warf er auf den Zettel und ungesäumt verfolgte er die Richtung, die ihn ganz aus der Stadt hinausführte.

»Alles ausverkauft bis auf den letzten Platz,« lautete die mit einer gewissen Erhabenheit erteilte Antwort, als er am Kassenschalter des Zirkus eine Eintrittskarte verlangte, »morgen findet indessen dieselbe Vorstellung statt.«

»Schade,« versetzte der Pedlar und am wenigsten mit dem Ausdruck jemandes, der seinen Abend bei heiteren Genüssen zu verbringen wünscht, »wer weiß, ob ich morgen noch hier bin. Vielleicht fände ich im Eingange ein bescheidenes Plätzchen? Nur einen Blick möchte ich auf die beiden Hauptkünstler werfen –«

»Dann beeilen Sie sich: die sind eben in die Manege geritten,« fiel der Mann am Kassentisch nunmehr zuvorkommend ein, und als der Pedlar einen Dollar vor ihn hinlegte, fügte er hinzu: »Die Hälfte der Vorstellung ist vorbei, ich kann nur die Hälfte des Preises für einen elenden Stehplatz beanspruchen.«

»Lassen Sie,« unterbrach der Pedlar ihn mit unverkennbarer Hast, und gleich darauf verschwand er hinter dem grünen Friesvorhang.

Der plötzliche Übergang von dem letzten scheidenden Tageslicht zu einer durch Hunderte von Flammen erzeugten, glänzenden Beleuchtung war so jäh, daß der Pedlar sich anfänglich geblendet fühlte. Über die Köpfe der vor ihm Stehenden hinweg unterschied er nur vorüberflatternde farbige und glitzernde Gewänder. Seine Augen gewöhnten sich indessen schnell an das künstliche Licht, und sich nach vorn schiebend, erreichte er eine Stelle, von der aus er die Manege notdürftig zu überblicken vermochte. Und als auf ein Zeichen des die Peitsche führenden Chinesen die Pferde in einen gemächlichen Schritt verfielen, Reiter und Reiterin zur kurzen Rast sich auf deren Rücken niederließen und statt der Musik betäubender Beifallslärm das geräumige Zelt erfüllte, fand er Gelegenheit, auch deren Gesichtszüge aufmerksamer zu betrachten. Als sie aber gleich darauf dicht vor ihm vorübergetragen wurden, da war es, als ob ein Vorhang vor seinem Geiste zur Seite gezogen worden wäre, die holdesten Bilder einer fernen Vergangenheit entschleiernd. Tief atmete er auf. Gespannt folgten seine Blicke der schönen Gruppe, die Gregor und Thusnelda in ihrer Zusammenstellung mit den beiden edlen Pferden bildeten. Er sah nicht, wie ein von bronzierten Weiden geflochtenes leeres Füllhorn hereingebracht und dem Chinesen übergeben wurde, nicht, wie dieser den leichten Behälter nach allen Seiten schwang, schließlich umkehrte und mit einer tiefen Verbeugung Gregor nach dem Pferde hinaufreichte. Kaum aber hatte er seine Stelle in der Mitte der Manege wieder eingenommen, als die Musik ertönte und die Pferde sich in Galopp setzten.

Gregor und Thusnelda schnellten auf ihre Füße empor. Einen Rundlauf vollendeten sie wie zur Probe; dann schwang Thusnelda, von dem Gefährten unterstützt, sich auf dessen vorgebeugtes Knie, und in gleichsam schwebender Stellung sich nach vorn neigend, nahm sie das Füllhorn in Empfang. Fast gleichzeitig griff sie in dasselbe hinein, zum Erstaunen der in einen Beifallssturm ausbrechenden Zuschauer ein Blumensträußchen hervorziehend. In weitem Bogen warf sie es unter die Menge, und wieder und immer wieder holte sie neue Blumenspenden hervor, um sie nach allen Richtungen auszustreuen. Wilder tobten, stampften und kreischten die begeisterten Zuschauer. Der Blumenvorrat schien kein Ende nehmen zu wollen. Woher er kam, blieb selbst dem nüchternsten Beobachter rätselhaft, und daß keine Sinnestäuschung waltete, davon vermochte sich jeder leicht zu überzeugen, der in den Besitz einer der kleinen duftenden Gaben gelangte. Als endlich das letzte Sträußchen Thusneldas Hand entglitten war, kehrte sie den Behälter um, und es entströmte demselben eine solche Fülle zarter Rosenblätter, daß sie, durch die Schnelligkeit der Bewegung bedingt, wie die Flocken bei einem Schneetreiben davonwirbelten.

Der betäubende Jubel, der diese letzte Szene begleitete, dauerte noch, nachdem Gregor den Lauf der Pferde abermals zu einer langsamen Gangart gemäßigt hatte. Er schwand und steigerte sich wieder. Durchdringender erschollen die Beifallsrufe und Aufforderungen zur Wiederholung, als Singsang dadurch wieder eine erträgliche Ruhe herstellte, daß er das Füllhorn nach einigen seltsamen Schwingungen in der Mitte der Manege umgestürzt hinstellte. Die wenigsten achteten auf ihn. Beinahe alle Blicke waren unverwandt auf Gregor und Thusnelda gerichtet, die nachlässig auf ihren Pferden saßen und aufmerksam den bezopften und trotz seiner Wohlbeleibtheit unerklärlich gewandten Gefährten beobachteten.

Endlich gab Gregor ein Zeichen nach dem Orchester hinauf, welches das letzte Rennen sofort mit einem Geschwindmarsch einleitete. Beim ersten Ton der Musik sprang das Reiterpaar empor, nunmehr aber nebeneinander auf den Pferden festen Fuß fassend. Gregor hielt mit der ausgestreckten rechten Hand, Thusnelda mit der linken eine Endquaste der Scharlachtoga, daß dieselbe sich hinter ihnen bauschte, und ein Ritt begann, als hätte es sich um Leben und Tod gehandelt. Auf Singsang und seine geheimnisvollen Bewegungen achtete jetzt keiner mehr. Erst nachdem er das Füllhorn emporgehoben hatte, eine neue Blumenflut unter demselben hervorquoll und dieser zwei weiße Tauben entflatterten, richteten sich alle Augen auf ihn. Ein neuer Beifallssturm brach los, als die beiden Tierchen, anfänglich geblendet, bis zur Höhe des Kronleuchters hinaufflogen, dann aber dem Reiterpaar folgten und, fortgesetzt lebhaft die Schwingen rührend, auf dessen Schultern und ausgestreckten Armen sich niederzulassen suchten.

Einige Male vollendeten die beiden Renner in dieser Weise ihren Rundlauf; die Barriere wurde geöffnet, und anstatt abzusteigen und für den Beifall zu danken, verschwanden Gregor und Thusnelda, noch immer umflattert von den Tauben, hinter einem vor ihnen geöffneten Vorhang.

Singsang, die Beseitigung der Blumen und des Füllhorns den Stallbediensteten anheimgebend, folgte ihnen ungesäumt nach. Einige Sekunden herrschte noch Schweigen auf den dichtgefüllten Bänken. Dann aber erhob sich ein Poltern, Pfeifen und Brüllen, als hätte die Hölle ihre Pforten geöffnet gehabt und einen Teil ihrer wahnwitzigen Bewohner entsendet. Wohl trachtete eine Anzahl Glieder verrenkender Clowns, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und beschwichtigend zu wirken, allein vergeblich. Wann immer der Lärm sich ein wenig legte, genügten einige Rufe nach Gregor und Thusnelda, die Begeisterung wieder auf den Gipfel zu treiben. Mit Gewalt wollte man sie wiedersehen, um ihnen eine letzte, alles Vorhergegangene übertreffende Huldigung darzubringen. Doch während auf den Bänken das Toben seinen ungestümen Fortgang nahm, waren Gregor und Thusnelda hinter dem Vorhang von den Pferden gestiegen.

»Wollen wir noch einmal hinein?« fragte Thusnelda, die beiden Tauben nunmehr auf den Schultern.

»Nein,« antwortete Gregor kurz, »du weißt, es verstößt gegen meine Anschauungen.«

»Hör', wie sie toben. Ich fange an, mich zu ängstigen –«

»Du wirst dich bald an die amerikanischen Sitten gewöhnen,« erklärte Gregor; »geh' und kleide dich um. Das braune Voltigierpferd!« rief er nach den Stallräumen hinüber, und wieder zu Thusnelda: »Ich werde sie allein befriedigen – beeile dich also.«

Thusnelda schickte sich zum Gehen an, als ein junger Offizier vor sie hintrat und ihr einen Strauß der schönsten Blumen überreichte.

Finster betrachtete Gregor zuerst ihn, dann Thusnelda, deren Blicke seine Augen suchten, wie um aus denselben das von ihr zu beobachtende Verfahren herauszulesen. Nur einer Sekunde bedurfte sie, um sich zu entscheiden. Hochmütig dankend neigte sie das Haupt kaum merklich und sich abkehrend, schritt sie davon.

Der junge Mann erschrak. Seine Verwirrung wurde aber dadurch gesteigert, daß der Raum sich mit Zugehörigen des Zirkus füllte, unter diesen mehrere im Flitterstaat, die ihm Blicke der Schadenfreude zusandten.

»Nehmen Sie vorlieb mit dieser Lehre,« wendete Gregor sich an ihn, sobald Thusnelda fortgetreten war, und seine Beschämung mochte ihn dauern, zumal er in ein frisches, beinahe mädchenhaft zartes Antlitz sah, »glauben Sie mir, hätte ich hier zu befehlen, dürfte kein Fremder auch nur einen Blick hinter diesen Vorhang werfen.«

»Der Eintritt wurde mir nicht verwehrt, da hielt ich mich für berechtigt, einer hervorragenden Künstlerin in aller Ehrerbietung meine Huldigung darzubringen. Ich wählte vielleicht nicht den richtigen Weg, und dafür empfing ich allerdings eine demütigende Lehre,« erwiderte der junge Mann, und sich stolz umkehrend, begab er sich in den Zirkusraum zurück.

Einen Blick des Wohlgefallens sandte Gregor ihm nach.

»In dem steckt bei aller Zudringlichkeit Anstandsgefühl,« sprach er vor sich hin; dann zu dem herantretenden Singsang: »Ich muß noch einmal hinein, oder die Menschen brechen mit den Bänken zusammen. Sorge für das Springtuch. Dessen Ausspannen wird sie vorläufig etwas beruhigen. Du hältst das eine Ende. Acht Fuß hoch, senken kannst du es jederzeit.«

Singsang entfernte sich.

Keine zwei Minuten dauerte es, und Gregor erschien wieder, jetzt aber ohne Kopfreif. Den Scharlachrock hatte er abgelegt, dafür schmückte ihn ein funkelnd gestickter Schurz. Zugleich wurde unter dem gehobenen Stallvorhang ein ungewöhnlich hohes, kräftig gebautes Pferd sichtbar.

Gregors Züge verklärten sich förmlich. Schnell trat er zu dem Pferde heran. Sorgfältig prüfte er den Zaum und den mit einem starken Griff versehenen Gurt; dann lauschte er in den Zirkus hinaus, wo man eben einige lustige Streiche der Clowns belachte. Ja, alles lachte. Nur einer nicht, und das war der Pedlar, der seit seinem Eintritt seine Stellung noch nicht verändert hatte. Das Haupt auf den ihn stützenden Arm gelehnt, schien das, was ihm vor Augen flirrte und flimmerte, seinen Blicken verloren zu gehen. Selbst Gregor und Thusnelda hatten, nachdem seine erste Erregung sich einigermaßen ebnete, keine Wandlung mehr in dem gramdurchfurchten Antlitz zu bewirken vermocht. Nur ein aufmerksamer Beobachter hätte vielleicht entdeckt, daß seine Brust wie vor einem verhaltenen schmerzlichen Seufzer sich erweiterte, hin und wieder eine Träne an seinen Wimpern zitterte.

Nachdem Gregor und Thusnelda seinen Blicken entschwunden waren, wollte er sich entfernen. Doch voraussehend, daß sie auf die dringenden Zurufe noch einmal erscheinen würden, beschloß er, bis dahin auszuharren. Seine Vermutung erhielt ihre Bestätigung, als unter des Chinesen Leitung oberhalb des Eingangs ein roter Zeugstreifen ausgespannt wurde. Die Musik begann, die Clowns stoben nach allen Richtungen auseinander und alle Blicke richteten sich auf den Vorhang. Er öffnete sich, doch nur ein leeres Pferd stürmte unter ihm hervor. Indem es aber mit einem gewaltigen Sprunge über den Zeugstreifen hinwegsetzte, wurde oberhalb desselben eine in horizontaler Lage schwebende Gestalt sichtbar, die mit ihm zugleich den sandigen Boden der Manege berührte, augenblicklich aber wieder emporschnellte und beim nächsten Sprunge auf des Tieres Rücken saß.

Betäubender Jubel folgte, sobald man Gregor erkannte, der nunmehr, bald mit der rechten Hand, bald mit der linken, bald mit beiden den Griff des Gurtes packend, im vollsten Rennen eine Reihe von Voltigen ausführte, bei denen in erhöhtem Grade seine ungewöhnliche Kraft und Gewandtheit zur Geltung gelangten. Schon beim dritten Rundlauf streifte er den Zaum vom Kopf des Pferdes, für dieses ein Zeichen, seine Kräfte aufs äußerste anzuspannen. Und so ging es dahin in wildem und doch regelmäßigem Galopp. Man wußte nicht, befand Gregor sich mehr auf der Erde oder in den verschiedensten Stellungen auf dem glatten Rücken des Pferdes. Wie bei diesem, war auch sein Blut in ungestüme Wallung geraten. Nichts hörte er, als das Keuchen des ihm pünktlich dienenden Tieres, und das klang in seinen Ohren wie zärtliches Liebesgeflüster.

Wie er in die Manege gesprengt war, verließ er diese wieder, und kaum hatte der Vorhang sich hinter ihm geschlossen, als auch betäubender Lärm das Zelt bis in seine äußersten Winkel erfüllte. Wohl erreichte er ihn, allein er achtete nicht darauf. Das Pferd liebreich klopfend und ihm schmeichelnd, schritt er um dasselbe herum. Einige Augenblicke drückte er dessen sammetweiche Nüstern an seine Wangen, und nachdem er es der Fürsorge eines Stallknechtes streng anempfohlen hatte, kehrte er sich dem herzutretenden Singsang zu.

»Bleibe, bis die Tiere sich ausgiebig beruhigt und abgekühlt haben,« riet er ihm, »ich begleite Thusnelda nach Hause, Ich fürchte, der heutige Abend erschöpfte sie mehr, als je einer zuvor. Einen derartigen Beifall erlebte sie nie. Man hätte glauben mögen, daß die Menschen uns ans Leben wollten.«

»Thusnelda ist kräftiger, als wir beide zusammengenommen,« erklärte Singsang stolz und er wiegte sein rundes Haupt unendlich weise, »je toller das Rennen, um so lustiger schaut sie darein.«

»Ich leugne es nicht, Singsang; den Wagen möchte ich sie indessen nicht ohne Begleitung besteigen lassen. Hatte ich doch meine Not, einen zudringlichen Burschen, der ihr Blumen darbrachte, ohne viel Aufsehen fern zu halten. Sorge auch für die Tauben – morgen mögen wir deren vier nehmen. Einen neuen Blumenvorrat bestelle ebenfalls. Es ist erstaunlich, was die Menschen auf derartige harmlose Ausschmückungen geben; aber Klappern gehört zum Handwerk, so widerwärtig, wie es mir sein mag.«

»Gilt alles als Zauberei,« meinte Singsang, verständnisinnig lächelnd, »morgen lasse ich ein Bäumchen aus der Erde wachsen, blühen und Früchte tragen. Thusnelda könnte unterdessen einige Dutzend Bilderbriefe nach den höchsten Bänken hinaufwirbeln lassen.«

»Nein, Singsang, für sie ist das nichts – doch wir sprechen noch darüber,« und den alten Freund vertraulich auf die Schulter schlagend, begab er sich in seinen Ankleideraum.

Der Pedlar hatte um diese Zeit den Zirkus verlassen. Was er wissen wollte, hatte er erfahren, und jetzt erst wirkte das Beobachtete mit voller Gewalt in ihm nach. Denn am wenigsten hätte er erwartet, Gregor sowohl wie Thusnelda als Leute wiederzufinden, die ihren Erwerb in öffentlichen Schaustellungen suchten.

Er blieb stehen und sah um sich. Sommerliche Dunkelheit hatte sich unter dem südlichen Sternenhimmel auf die Stadt gesenkt. Bei dem Licht mehrerer Laternen erkannte er eine mit zwei Pferden bespannte geschlossene Kutsche, die neben einem Ausbau des Zeltes hielt und offenbar jemand erwartete.

Langsam schritt er hinüber.

»Ich vermute, Sie warten auf die Geschwister Gregor?« redete er den Kutscher an.

»Sie sprechen es aus,« antwortete der Mann auf dem Bock gelangweilt.

»Wo wohnen die Herrschaften?« forschte der Pedlar weiter. »Ich vermute, Leute, wie die, suchen ihre Unterkunft nicht in einem Gasthofe zweiten Ranges.«

»Bei Gott, Herr,« versetzte der Kutscher etwas lebhafter, »wenn ich je gute, freundliche und freigebige Herrschaften fuhr, so sind's die beiden Geschwister und ihr wunderlicher Chinamann; und wenn je einer verdiente, im ersten Hotel der Welt einquartiert zu werden, so sind's die beiden jungen Herrschaften ebenfalls. Nein, Herr, dies sind keine alltäglichen Reiter. Hatte nämlich Gelegenheit, vor einem Viertelstündchen einen Blick in den Bau zu werfen. Die reiten wie Teufel und nicht wie sterbliche Menschen.«

»Also in einem Gasthofe erster Klasse?

Der Kutscher nannte bereitwillig den Namen eines der ersten Hotels der Stadt.

Der Pedlar wünschte einen guten Abend und schritt weiter.

»Besser heut, als morgen,« sprach er vor sich hin, nachdem der Wagen seinen Blicken entschwunden war, »aber nicht gleich, nein, nicht gleich,« und das Haupt geneigt und die Schultern gebeugt, wie nach Aufnahme seines Warenballens, folgte er langsam dem um die Stadt herumführenden, noch immer sehr belebten Wege nach.

 


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