Balduin Möllhausen
Der Fährmann am Kanadian
Balduin Möllhausen

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Die Stromfahrt.

Die Nacht schritt vor. Wie oben auf der Ebene, herrschte auch in dem Zeltdorf der Komanches geräuschvolles Treiben. Nur in dem Zelt, das Molly zur Wohnung angewiesen worden war, und in dessen näherer und weiterer Umgebung war es still. Beängstigenden Träumereien hingegeben, lag sie auf den für sie übereinandergeschichteten weichen Büffelhäuten dicht an der Lederwand dem Ausgange gegenüber. Gleichsam ohne sie zu sehen, ruhten ihre Blicke auf der ihr als Hüterin beigegebenen jungen Indianerin. Ihr den Rücken zukehrend kniete diese vor dem Feuer, mit einem Stäbchen auf dem nächsten Stück angekohlten Brennholz den Takt zu der seltsam eintönigen Melodie schlagend, die sie über die unstet flackernden Flammen hinsang. Von dem Schatten des Komanchemädchens bedeckt, blieb nur Mollys Antlitz der Beleuchtung ausgesetzt. Es hatte sich wenig verändert. Ruhig blickten ihre Augen; eine gewisse düstere Entschlossenheit lugte aus ihnen und prägte sich noch schärfer um den lieblichen Mund aus. Denn ob tödliches Entsetzen sie ergriff, als sie, aus der dem Sturz folgenden Betäubung erwachend, sich in der Gewalt der verrufensten Steppenräuber sah: ihr Mut hatte dadurch nicht gebrochen werden können. Es trug sie die feste Überzeugung, daß Charon, gleichviel wann, Mittel finden würde, sie auf die eine oder die andere Art zu befreien, und leichter fügte sie sich in das Unabänderliche. Außerdem hätten die alten Freunde in den Reservationen ihr nicht ehrerbietiger begegnen können, als die Komanches, die so Großes von ihr erwarteten. Mittelst der ihr geläufigen Kreeksprache gelang es ihr, sich einigermaßen zu verständigen; und so begriff sie bald, daß man ein höher begabtes Wesen in ihr verehre, von ihren nächtlichen Zaubergängen ein Ende der herrschenden Not erhoffe. Die dumpfe Ahnung, in jener verhängnisvollen Nacht schlafend den Sykomorenast beschritten zu haben, erhielt dadurch ihre Bestätigung. Und Grausen erfüllte sie bei dem Gedanken an die Wege, die sie gewandelt sein mochte, an ihre eigene geisterhafte Erscheinung, vor der die ihr zu solcher Stunde Begegnenden wie vor einem bösen Gespenst sicher entsetzt flohen, und endlich bei dem Gedanken an ihren treuen Beschützer, dem sie während ihres ganzen Lebens nur eine Quelle unablässiger Angst und Sorgen gewesen.

So grübelte Molly vor sich hin, während die junge Indianerin fortfuhr, ihren melancholischen Gesang mit dem ausdruckslosen Klopfen zu begleiten. Wohl drang aus dem Zeltdorf der wilde Jubel gedämpft herüber; in der nächsten Nähe war es dagegen still, zumal auch ihr Wächter der Jagdlust nicht hatte widerstehen können und an dem Herrichten und Herbeischaffen des Fleisches sich eifrig beteiligte. Still war es, und doch regte gerade hier sich ein Leben, das man mit dem nachtliebender Raubtiere hätte vergleichen mögen.

Die gegen vierzig Fuß hoch gelegene Ebene trat in der Nachbarschaft von Mollys Zelt und weithin stromabwärts dem Arkansas so nahe, daß deren mit Gestrüpp bewachsenen steilen Abhänge das Tal zu einem bald mehr, bald minder schmalen Streifen einengten. Von der Talfläche bis zum Wasserspiegel hinab betrug der Höhenunterschied kaum acht Fuß.

Begünstigt durch die Büffeljagd, deren Erfolg man allein Mollys Einfluß zuschrieb, war es Jung-Biber und Johnson gelungen, von unten herauf so nahe an das Zauberzelt heranzuschleichen, daß sie den durch die Ritzen zwischen den Lederwänden hindurchfallenden Lichtschein zu unterscheiden vermochten. Dort verdoppelten sie ihre Vorsicht, und keine Schlange hätte geräuschloser einherkriechen können, als sie ihre geschmeidigen, nackten Leiber an der Grenze der niedrigen Vegetation des Abhanges hin langsam nach vorne wanden.

Aufmerksam um sich spähend und lauschend, gelangten sie allmählich so weit, daß der Gesang des Mädchens gedämpft zu ihnen herüberdrang. Zugleich überzeugten sie sich, daß der Wächter seinen Posten verlassen hatte. Dadurch kühner gemacht, glitt Johnson nach dem Ufer hinüber, auf dessen äußerstem Rande er liegen blieb. Hart neben ihm gurgelte und sprudelte das Wasser. Es spielte mit einem Floß, das, aus Binsenbündeln und trockenem Treibholz hergestellt, die Tragkraft für zehn Menschen besitzen mochte. Mehrere Stangen, wie solche als Zeltstützen dienten, lagen auf ihm, um jederzeit, sobald Mustangs oder Büffel auf dem jenseitigen Ufer sich zeigen sollten, schleunigst übersetzen zu können. Ein Lasso, um einen in die Erde getriebenen kurzen Pfahl geschlungen, hielt das unlenksame Fahrzeug. Behutsam löste Johnson den Knoten, worauf er die Leine mit einer einfachen Windung um den Pfahl legte und, deren loses Ende fortgesetzt straffziehend, wie ein dem Netz entschlüpfender Aal über den Uferrand glitt. Unten auf dem Floß streckte er sich lang aus, den Kopf stromaufwärts, in beiden Händen die Leine, so daß er diese nur freizugeben brauchte, um alsbald von den wirbelnden Fluten davongetragen zu werden.

Jung-Biber war unterdessen, an dem Gestrüpp hinkriechend, dem Zelt gegenüber eingetroffen. Kaum dreißig Schritte trennten ihn davon. Nur eine Minute säumte er, dessen Umgebung mit argwöhnischen Blicken überfliegend, und seine äußerste Gewandtheit aufbietend, wand er sich schnell näher. Das Komanche-Mädchen sang noch immer, und nach wie vor regelte ausdrucksloses Klopfen die eintönige Melodie.

Um Molly gegen störende Blicke zu schützen, war auf Rat der alten Medizinmänner der niedrige Eingang durch ein Strick hart gedörrter Pferdehaut geschlossen worden. Nur schmale Fugen standen hier und da offen, und durch diese hindurch unterrichtete Jung-Biber sich über das Innere des Zeltes. Ein flüchtiger Blick verschaffte ihm Gewißheit über Mollys Lage. Dann schlich er nach der Rückseite herum. In jeder neuen Minute Störung befürchtend, beeilte er sich nunmehr; aber so sicher waren seine Bewegungen, und so geräuschlos glitt seine mit dem Messer bewaffnete Faust über die straff gespannte Zeltwand hin, daß Molly nicht eher die Nähe eines Freundes ahnte, als bis ein länglich gefalteter Papierstreifen, gehalten von einer braunen Hand, dicht vor ihrem Antlitz schwebte. Zum Tode erschrocken, sandte sie einen Blick zu der jungen Indianerin hinüber. Diese sang und klopfte unermüdlich. Molly, davon ausgehend, daß eine briefliche Botschaft nur von Charon herrühren könne, nahm das Papier, und unhörbar wurde die Hand durch den langen Einschnitt zurückgezogen. Doch erst als sie glaubte, daß der geheimnisvolle Bote sich in Sicherheit gebracht haben müsse, drehte sie sich so weit herum, daß der Schein des Feuers voll auf das entfaltete Blatt fiel, und bebenden Herzens las sie die mit Bleistift geschriebenen Worte:

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Molly, davon ausgehend, daß eine briefliche Botschaft nur von Charon herrühren könne, nahm das Papier und unhörbar wurde die Hand durch den langen Einschnitt zurückgezogen.

»Wir sind nahe. Erleichtere uns Deine Befreiung durch Unerschrockenheit und klare Überlegung. Stelle Dich schlafend. Sobald Du meinst, es, ohne Argwohn zu erregen, ausführen zu können, erhebe Dich, jedoch mit geschlossenen Augen, und verlaß das Zelt. Höre auf nichts, weder auf freundliche Vorstellungen, noch auf Drohungen. Tritt auf das Ufer des Arkansas, und ohne rechts oder links zu blicken, schreite mit gemessenen Bewegungen stromabwärts. Durch nichts laß Dich zur Umkehr bewegen, durch nichts verrate Verständnis für das, was um Dich her vorgeht, und bevor der Tag graut, sind wir alle in Sicherheit. Charon.«

Nachdem Molly den Inhalt des Zettels in sich aufgenommen hatte, schien wirkliche Bewußtlosigkeit sich ihrer bemächtigt zu haben. Sie bedurfte der Zeit, um sich mit dem Gedanken an die bevorstehende, gefährliche Flucht vertraut zu machen. Dann weinte sie leise vor sich hin. Wirkte auf der einen Seite erschütternd, daß Charon nunmehr selber durch seine Ratschläge ihr rätselhaftes Leiden nicht nur einräumte, sondern auch die unheimliche Neigung zu ihrer Befreiung auszunutzen trachtete, so begriff sie andererseits, daß er sein Leben für ihre Rettung einsetzte und von ihrer eigenen Ruhe und Vorsicht das Gelingen des Unternehmens abhängig sei. Damit aber erwachte ihre alte Unerschrockenheit und ihr geübter Scharfsinn. Das Antlitz dem Feuer zukehrend, schloß sie die Augen, und etwas geräuschvoller atmend, gelang es ihr leicht, die Aufmerksamkeit der jungen Indianerin auf sich zu ziehen.

Nur einen Blick warf diese auf das stille Antlitz, dann stellte sie ihr Singen ein. Aber näher rückte sie Molly, und dem von goldigem Gelock umwogten Haupt zugeneigt, versenkte sie sich mit einer bewundernden Andacht in das Anschauen der lieblichen Züge. Wie Fanatismus glühte es in ihren dunklen Augen, dann wieder wie Angst, indem sie der gewaltigen Zauberkraft der holden Gefangenen gedachte, die an dem eben vergangenen Tage durch das Eintreffen der Bisonherde sich ja so glänzend bewährt hatte.

Molly fühlte die auf ihr ruhenden Blicke. Mächtig kämpfte es in ihr. Die Empfindungen aber, die sie fieberhaft erregten, trieben ihr das Blut ins Antlitz, daß es tief erglühte, ihr in erhöhtem Grade den Ausdruck einer Schlafenden verleihend.

Behutsam, wie er gekommen war, und auf demselben Wege hatte Jung-Biber sich unterdessen wieder entfernt. In gleicher Höhe mit dem Floß, schlich er nach diesem hinüber. Einige Worte raunte er über den Uferrand dem Gefährten zu, und wie ein Schatten eilte er nach dem Abhange zurück. Zu der gleichen Zeit ließ Johnson, dem Andrange des Wassers nachgebend, die Leine durch seine Hände gleiten. Mehr und mehr gewann die Strömung dadurch Gewalt über das unbeholfene Fahrzeug, und als der Lasso ihm ganz entschlüpfte, wurde es rasch auf den Fluß hinausgetragen, wo es auf beweglicher Bahn stetig einherglitt. Sich zu erheben wagte Johnson erst, als er sicher war, daß trotz des hellen Mondlichtes seine Gestalt von dem Zelte her nicht mehr unterschieden werden konnte. Bald darauf verschwand er weiter abwärts im Uferschatten, wo nichts mehr ihn hinderte, von einer Ruderstange Gebrauch zu machen. –

Eine Viertelstunde und darüber hatte Molly anscheinend schlafend verbracht, als sie die gezwungene Lage nicht länger zu ertragen vermochte und die Angst um Charon und dessen Begleiter ihren Gipfel erreichte. In vollständiger Unkenntnis ihres Verhaltens während des bewußtlosen Umherschweifens, blieb ihr nichts anderes übrig, als den Vorschriften Charons blindlings Folge zu leisten. Ohne die Augen zu öffnen, erhob sie sich, und an dem Mädchen vorbeitretend, blieb sie vor dem Feuer stehen. Lang und tief atmete sie. Fieberhaft kreiste das Blut in ihren Adern. Der Schlag des Herzens wiederholte sich rauschend in ihren Ohren und Schläfen. Als Bürde von unendlicher Schwere lastete auf ihrem Gemüt der Gedanke an die nächste Zukunft. Es folterte sie die Angst, nicht die Kraft zu besitzen, die vor ihr liegende Aufgabe durchzuführen. Und aufs neue wirkte erschütternd auf sie ein, als sie zwischen den mattgeschlossenen Lidern hindurch gewahrte, wie die junge Indianerin sie entsetzt anstarrte und, offenbar auf alle Fälle vorbereitet, ihre Furcht gewaltsam niederkämpfte. Trotz der sie umringenden Gefahren bäumte ihr ganzes Innere sich dagegen auf, mit ihrem unheimlichen Leiden gewissermaßen ein freventliches Spiel zu treiben. Ihre Entschlossenheit wurde weiter auf die Probe gestellt, als die junge Indianerin sanft klingende Worte an sie richtete, die, obwohl unverstanden, wie ängstliches Flehen ihr Ohr trafen. Nur unter Aufbietung der äußersten Kräfte gelang es ihr, gänzliche Empfindungslosigkeit zur Schau zu tragen und in ruhiger, sicherer Haltung das Zelt zu verlassen. Draußen atmete sie erleichtert auf. Ihren Mut stählte, daß sie nicht länger gezwungen war, die Augen geschlossen zu halten, und gemessenen Schrittes, fortgesetzt nach hinten lauschend, verfolgte sie die ihr vorgeschriebene Richtung. Nur einmal sandte sie einen ängstlichen Blick über die Schulter, um sich zu überzeugen, ob die jugendliche Wächterin ihr folge, und in wachsender Furcht beschleunigte sie ihre Bewegungen.

Wohl hatte jene den strengen Auftrag, sie nie aus den Augen zu verlieren, und sie schlich ihr in der Tat eine kurze Strecke nach; dann aber blieb sie zweifelnd stehen. Eine Weile blickte sie der Scheidenden nach. Unwiderstehliches Grauen bemächtigte sich ihrer. Ihre Sinne verwirrten sich unter dem Eindruck der Schreckbilder erzeugenden, überreizten Phantasie, und sich abkehrend, schlug sie beflügelten Schrittes den Weg nach dem Zeltdorf ein.

In diesem Augenblick hörte Molly ihren Namen leise nennen. Gleich darauf glitt Jung-Biber neben sie hin. Nur einige Worte raunte er ihr zu, die Kunde, daß Gefahr im Verzuge, den dringenden Rat, ihre Eile zu beschleunigen, und mit dem letzten Wort verschwand er wieder seitwärts im Gestrüpp.

Der Selbsterhaltungstrieb erwachte in Molly, und die Sehnsucht nach Charon und ihren Freunden verlieh ihr neue Kraft.

Früher noch, als sie oder der junge Delaware es fürchteten, hatte der Verrat wirklich stattgefunden. Denn die junge Indianerin hatte kaum die Hälfte des Weges bis zum Zeltdorf durchmessen, als der Krieger, dem Mollys Bewachung anvertraut worden war, ihr entgegentrat. Sobald jener erfuhr, daß die Gefangene endlich einen der so sehnlich erwarteten Zaubergänge angetreten habe, überhäufte er zunächst das Mädchen mit Vorwürfen, worauf er es zwang, ihn zurückzubegleiten. Bis zu dem Zelt blieb die vollständig Eingeschüchterte bei ihm. Dort kauerte sie sich störrisch nieder; sie wäre lieber gestorben, als der geisterhaften Erscheinung auch nur einen Schritt weiter zu folgen. Dadurch auf sich allein angewiesen, durcheilte der Komanche eine größere Strecke, bevor er Mollys wieder ansichtig wurde, wie sie auf dem Uferrande unbeirrt einherwandelte. Doch je näher er ihr kam, um so mehr machte sich auch bei ihm die Wirkung des Aberglaubens geltend, in um so höherem Grade zagte er bei dem Gedanken, von den Zauber bergenden Augen durch die geschlossenen Lider hindurch betrachtet und, ähnlich dem von dem Bären zerrissenen Dolmetscher, irgend einem jähen Ende preisgegeben zu werden. So ging es weiter um die nächste Talbiegung herum, und es nahte der Zeitpunkt, in dem Molly das von Charon und den übrigen Freunden bereitgehaltene Floß besteigen sollte. Der Komanche verstärkte seine Aufmerksamkeit. Keinen Blick wendete er von Molly, die nur noch eine kurze Strecke von dem Floß trennte. Plötzlich blieb er stehen. Trotz der hart am Ufer lagernden Schatten hatte er auf dem Wasserspiegel eine unbestimmte Bewegung entdeckt. Niederkniend neigte er sich weiter über den Uferrand, und vor seinen argwöhnisch spähenden Augen entwirrte sich die Bewegung zu Gestalten von Männern, die, Stangen in den Händen, sich offenbar bereit hielten, ihr Fahrzeug vom Ufer abzustoßen. Keinen Augenblick in Zweifel, daß es sich um eine Entführung handle, und in dem Bewußtsein seiner eigenen Ohnmacht, verhielt er sich einige Sekunden ruhig. Erst als Mollys Gestalt für ihn mit der eines Mannes zusammenfiel, entschied er sich dafür, die Kunde ihrer Flucht in schnellem Lauf nach dem Lager hinüberzutragen. Er kehrte sich um, und vor ihm stand der junge Delaware. Flüsternd redete er den vermeintlichen Stammesgenossen an. Fast gleichzeitig aber traf ihn der Schlag eines mit Blitzesschnelle geführten Beils und streckte ihn jählings zu Boden. –

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Charon hatte auf dem Uferrand den Liebling allein erwartet. Sobald sie ihn erkannte, war sie in seine Arme geeilt, sich krampfhaft an ihn anschmiegend.

»Ich weiß alles jetzt – alles,« sprach sie mit halb erstickter Stimme, »ich bin so namenlos elend. Wäre ich doch nie geboren – ich ahnte es längst. Vater Charon – verzeihe mir – ich kann es nicht aussprechen –« und heftiger schluchzend barg sie ihr Antlitz an seiner Brust.

Charon, in diesem Augenblick allein von dem Gedanken an ihre gefährliche Lage durchdrungen, richtete ihr Haupt sanft empor.

»Davon nichts jetzt,« sprach er mit tiefem, beinah strengem Ernst, »fasse dich; erwäge, die kleinste Unvorsichtigkeit kann für uns verhängnisvoll werden –«

Und wiederum preßte Molly im Todesschrecken ihr Antlitz an seine Schulter. Charon fühlte, daß sie zitterte, erriet, daß sie Milford erkannt hatte, der, auf dem Floß stehend, gemeinschaftlich mit Fakit und Johnson das ungelenke Fahrzeug ans Ufer preßte.

In diesem Augenblick tauchte Jung-Biber neben ihnen auf.

»Fort, oder es wird zu spät,« flüsterte er dringlich, und wie von neuer Lebenskraft durchströmt trat Molly festen Schrittes bis auf den äußersten Uferrand vor.

Schweigend ließ sie sich, wie Charon riet, nieder, und Milford die Hand reichend, gelangte sie wohlbehalten auf das Floß hinab. Charon und Jung-Biber folgten ungesäumt nach. Die Stangen, die so lange als Stützen gedient hatten, wurden eingezogen. Ebenso schnell gewann die Strömung das Übergewicht über das Floß, und hinaus trug sie es der Mitte des Arkansas zu, wo das Fahrzeug mit großer Schnelligkeit seine Bahn östlich verfolgte. –

Auf einem von Treibholz notdürftig hergestellten Sitz hatte Molly sich neben Charon niedergelassen. Nach der jüngsten heftigen Erregung schien vollständige Erschöpfung sich ihrer bemächtigt zu haben. Gebeugt saß sie da. Eintönig klang ihre Stimme, als sie auf Charons tröstlichen Zuspruch erklärte, zu fest von ihrer Rettung überzeugt gewesen zu sein, um entmutigt werden zu können. Sonst kam kein Laut über ihre Lippen. Sie fragte nicht einmal nach den Umständen, denen es zu verdanken war, daß Milford, den sie in weiter Ferne wähnte, sich an dem gefährlichen Unternehmen beteiligte. Schmerzerfüllt überwachte Charon seinen lieblichen Schützling. Nur verstohlen wagte Milford die Gestalt zu betrachten, die nunmehr wie gebrochen dasaß, für nichts mehr Teilnahme verriet. Auch Fakit und die beiden jungen Männer schwiegen; es beseelte sie achtungsvolle Scheu vor der Tochter des Mondes und des Frühlingstaus, die sogar bei den Komanches einen so untrüglichen Beweis ihrer übernatürlichen Begabung abgelegt hatte.

Die Zeit schritt vor. Im Osten meldete verschlafen der junge Tag sich an, und noch immer verfolgte das Floß seinen Weg eilfertig stromabwärts. Die feuchte Regungslosigkeit der Atmosphäre erleichterte es den Schallwellen, über weite Strecken hinwegzuzittern; doch aus keiner Richtung war ein Geräusch nach dem Floß herübergedrungen, das man auf das Stampfen der Hufe scharfgetriebener Pferde hätte zurückführen können. Trotzdem ermüdeten die Männer nicht in ihrer Wachsamkeit. War ihre Aufmerksamkeit bisher ausschließlich dem Rande der Ebene zugewendet, so teilten sie diese jetzt. Im Osten, in weiter Ferne auf dem südlichen Ufer, war vor dem glühenden Morgenrot eine schroffe, kapartige Abstufung der Hochebene in ihren Gesichtskreis getreten, und nach dieser spähten sie immer wieder argwöhnisch hinüber. Sie wußten, daß auf solchen Stellen, bedingt durch die Windungen des Flusses, der eigentliche Stromkanal mit erhöhter Gewalt sich in das Erdreich einbohrte und an den auf diese Art geschaffenen Wänden mit unwiderstehlicher Gewalt einherbrauste. An Ausweichen konnte dort nicht gedacht werden; was auch immer von oben herab drohte, gleichviel ob Geschosse oder vernichtende Steinmassen, es mußte hingenommen werden. Das Fernrohr wanderte von Hand zu Hand. Bald dieser, bald jener spähte nach der Abflachung des Kaps hinüber, und jedesmal wurde es in der Überzeugung abgesetzt, daß dort oben kein Leben irgend einer Art sich regte.

Auf seine Ruderstange gelehnt, überwachte Milford die südliche Taleinfassung. Tief in die Hochebene hinein vermochte er sie zu überblicken.

»Eine Herde Mustangs,« bemerkte er, indem er in das Tal hineinwies, zu Fakit gewendet.

Dieser folgte mit den Augen der angedeuteten Richtung; zugleich legte seine Stirn sich in Falten des Mißmutes.

»Sagte mein Freund: eine Rotte Komanches, so kam er der Wahrheit näher,« sprach er, dadurch die Aufmerksamkeit der anderen Gefährten ebenfalls dahin lenkend, wo eine Anzahl Pferde die Niederung in voller Jagd kreuzte.

»Höchstens Komanchepferde, aber keine Reiter,« versetzte Milford zweifelnd.

Fakit lachte vor sich hin und erwiderte gleichmütig: »Nehme mein junger Freund die Glasaugen Vater Charons und spähe er hinüber. Findet er ein einziges Pferd ungesattelt und ungezäumt, will ich ihm meine Büchse schenken. Sie ist so viel wert wie zehn Pferde.«

Milford befolgte den ihm erteilten Rat. Er sah so lange hinüber, bis die Tiere auf der anderen Seite der Niederung verschwunden waren. Dann kehrte er sich, Erstaunen im Blick, Fakit zu.

Dieser verstand die stumme Frage und erklärte in seiner leidenschaftslosen Weise: »Die Komanches sind große Reiter. Wollen sie nicht gesehen sein, so hängen sie sich an die Seiten ihrer Pferde. Ich kenne das. Sähe mein Freund die Mustangs jetzt, würde er auf jedem einen Mann finden. Die Komanches sind schlaue Hunde. Sie haben einen kurzen Weg bis zu dem Vorsprung. Bevor wir halb hinüber sind, lauern sie oben. Ich denke, wir finden harte Arbeit heute. Kamen wir eine halbe Stunde früher, war alles gut.«

Längere Zeit verstrich in erwartungsvoller Stille. Dem Stromkanal folgend, war das Floß in dem breiten Bett nach dem nördlichen Ufer hinübergetrieben worden. Dort schwankte es einige Minuten auf den im Kampf begriffenen Fluten, und als es den Männern gelungen war, ihm wieder freie Fahrt zu geben, lag in der Entfernung von etwa tausend Schritten das Kap vor ihnen. Zugleich gewannen sie einen freien Anblick der schroffen Uferwand, die sich in der Höhe von sechzig Fuß und in einer Länge von mindestens achthundert Ellen unmittelbar aus dem Wasser erhob. Auf den beiden Enden senkte sie sich, ebenso landeinwärts, von woher sie auch für Reiter leicht zugänglich war. Die Stelle, auf der die Strömung sie mit vollster Gewalt traf, war weithin erkennbar, indem die Fluten, in gewaltigem Andrange das harte Erdreich auflösend und benagend, auf einer Strecke von beinah fünfzig Ellen die Wand unterwühlt hatten. Dort nun kämpfte, wirbelte und schäumte das Wasser wie in einem Rachen der Charybdis, der auf der einen Seite gewaltsam ausspeit, was ihm auf der anderen in Überfülle zugetragen wird. Anstatt aber von hier aus die Richtung, wie gewöhnlich bei Biegungen, nach dem jenseitigen Ufer einzuschlagen, von dem sie Untiefen und breite Sandbänke trennten, glitt die Strömung, sich allmählich ebnend, an der Wand hin, hinter deren östlichem Ende sie erst wieder von dem so lange innegehaltenen Wege abwich. Es lag also zutage, daß, wenn das Floß wirklich den Kampf mit den Wirbeln in der Höhle glücklich bestand, es einige Minuten später in kurzer und daher sicherer Bogenschußweite vor den dort lauernden Feinden vorübergetrieben werden mußte.

Dies alles zu erkennen, blieb den fünf entschlossenen Männern genügend Zeit, als sie, infolge der Verengerung des Stromkanals, mit wachsender Schnelligkeit der verhängnisvollen Stelle zugetragen wurden.

Mit ängstlicher Spannung sahen Charon und Milford nach der Wand hinüber. Anscheinend ruhig betrachtete sie Fakit, während die beiden jungen Männer ihre Blicke mit eigentümlicher Schärfe über alle Punkte hingleiten ließen, auf denen sich ein Feind verborgen halten konnte.

Das Floß befand sich kaum noch hundertundfünfzig Ellen weit von der Wand entfernt. Noch kurze Zeit und es trieb mitten in die Strudel hinein. Jung-Biber kniete da, wie aus Stein gemeißelt. Der Kolben der Büchse ruhte an seiner Wange, deren Mündung wies nach dem hochgelegenen Rande des Kaps hinauf.

Eine kurze Bemerkung hatte er an Fakit gerichtet.

»So zeige, was du kannst,« lautete die ebenso kurze Antwort. Einige Sekunden verstrichen, und mit scharfem Knall entlud sich die Büchse; zugleich richteten sich alle Blicke nach oben.

Zwei Arme, ein Gewehr haltend, waren dort sichtbar geworden. Hoch emporgeworfen, sanken sie alsbald wieder zurück, während die Waffe, anscheinend mit letzter Kraft geschleudert, im Bogen über den Abhang hinausflog.

»Gut gemacht, Jung-Biber,« lohnte Fakit den Meisterschuß, und spähend blitzten seine Augen über den Rand des Kaps hin. Nichts rührte sich mehr. Hatten die dort versteckten Feinde beabsichtigt, durch einen wohlgezielten Schuß die Männer auf dem Floß in Verwirrung zu setzen, so waren diese ihnen zuvorgekommen. Denn noch wirkte der Schrecken, den das Zusammenbrechen des mit zerschossenem Kopf jäh aufspringenden Genossen verursachte, als das Floß so dicht an die Wand herangetrieben war, daß es ferneren Angriffen von oben unzugänglich war. Die Männer hatten nur noch Sinne für den bevorstehenden Kampf mit dem noch mächtigeren Gegner, den aufrührerischen Fluten.

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Bevor Fakit die Grotte genauer ins Auge zu fassen vermochte, war es ihm unmöglich, sich für diese oder jene Art der Fortsetzung der Flucht zu entscheiden. Sobald aber die Aushöhlung dicht vor ihm lag, entwarf er schnell einen verwegenen Plan.

»Aufgepaßt!« rief er den Gefährten mit einer sonst an ihm ungewöhnlichen Erregtheit zu, und wie sprungbereite Panther traten die beiden braunen Burschen, die seine Absicht errieten, neben ihn hin.

Die Unterspülung erstreckte sich in Halbmondform etwa dreißig Fuß in die Wand hinein. Ringsum waren die Marken sichtbar, die von den verschiedenen Wasserständen zurückgelassen waren. Sie bildeten Stufen, die nach dem festen Boden der Grotte hinaufführten.

Mit atemloser Spannung beobachteten alle, wie das Floß in die breite Höhle hineinschoß und sich auf den zischenden Fluten den Stufen näherte. Wie eine Statue stand Fakit. Zu beiden Seiten neben ihm kauerten Johnson und der Delaware, jeder sein Ziel scharf im Auge, während Charon und Milford weiter zurück das Gleichgewicht des Floßes überwachten.

Endlich war der entscheidende Zeitpunkt da. Tiefer krümmten die beiden jungen Indianer sich zusammen, ihre Körper schnellten empor, und mit einem heftigen Schwunge gelangten sie glücklich nach den Stufen hinauf. Gleichzeitig fiel die von Fakit geworfene Leine über sie hin, und diese ergreifend, begannen sie, um dem Zerreißen des Floßes vorzubeugen, mit mäßiger Gewalt zu ziehen. Bereits in der Gewalt der Strömung, schwang das elende Fahrzeug schwerfällig herum, und gleich darauf knirschte es gegen die nächste, vom Wasser überrieselte Abstufung. Milford kehrte sich Molly zu; doch bevor er ihr die Hand zur Unterstützung bieten konnte, schritt sie mit der gleichen Gelassenheit nach dem festen Boden hinauf, mit der sie in früheren Tagen den Ast der toten Sykomore zu betreten pflegte. Charon und Milford folgten ihr ungesäumt nach, wogegen Fakit zurückblieb, um ihnen die Büchsen, Taschen und Decken zuzureichen. Nachdem auch er sich geborgen hatte, ging man eifrig ans Werk, das Floß, das von der Strömung in bedenklicher Weise an das harte Erdreich gepreßt wurde, ebenfalls aufs Trockene zu ziehen.

Wann die Reise stromabwärts würde fortgesetzt werden können, war unberechenbar. Vorläufig pries man sich glücklich, eine Zufluchtsstätte gefunden zu haben, auf der von keiner Seite her ein Angriff zu befürchten stand. Ebenso unmöglich war freilich auch, Kunde über die Bewegungen der Komanches einzuziehen und die eigenen darnach zu bemessen. Über die Dauer des Aufenthaltes an dem sicheren Ort entschied dagegen der Vorrat der Lebensmittel, die sich bedrohlich ihrem Ende zuneigten und die äußerste Sparsamkeit erheischten. Im übrigen hatte man keine Ursache, unzufrieden zu sein. Die der Sonne unzugängliche Grotte bot erfrischende Kühle und Abflachungen zur Genüge, um nach den Anstrengungen der jüngsten Tage und der erschöpfenden Stromfahrt mit erträglicher Bequemlichkeit und ohne unmittelbare Besorgnis der Rast sich hingeben zu können.

Der Tag verstrich in ungestörter Ruhe. Von den Verfolgern sah und hörte man nichts. Und doch walteten keine Zweifel, daß sie die Stromfahrt nur fortzusetzen brauchten, um auf dem östlichen Ende der Wand von den erbitterten Feinden aus sicherem Hinterhalt angegriffen zu werden.

Auf dem äußersten, stromabwärts gelegenen Ende der Grotte hatten die beiden jungen Indianer sich festgesetzt. Hinter ihnen lagen einige starke, fest zusammengeschnürte Treibholzäste. Kleinere Stücke hatten sie zur Hand, und von diesen warfen sie hin und wieder eins vor sich in den Strom hinab, woraus sie dessen Lauf, solange es ihren Blicken erreichbar, mit gespannter Aufmerksamkeit überwachten. So war der Abend hereingebrochen. Als tiefgraue Fläche zeichnete der Strom sich im Gegensatz zu der durch reiches Sternengefunkel matt gelichteten Atmosphäre aus. Ein neues verästeltes Stück Treibholz größeren Umfanges sandten die beiden Burschen in die Fluten hinab, und ohne ihm weiter nachzuspähen, erhoben sie sich. Gleich darauf stand Johnson bei seinem Vater.

»Die Vorläufer sind unterwegs,« redete er ihn an, »man wird nicht erstaunen, wenn ein ander Stück Holz folgt.«

»Gut,« antwortete Fakit, »so säume nicht. Kommst du glücklich vorbei, liegt dein Weg auf der anderen Seite. Wer weiß, wie weit die Komanches auf dieser Seite streifen. Bei Sonnenaufgang kannst du in Fort Atkinson sein. Sage dem Kommandanten, er möchte sich beeilen, wenn ihm an der Rettung einer weißen Lady gelegen. Männer helfen sich selbst. Sie gebrauchen keinen Beistand.«

Schweigend begab Johnson sich zu dem jungen Delawaren zurück. Ihm übergab er Gamaschen und Mokassins; Messer und Beil befestigte er auf dem Rücken im Gurt, worauf er sich so niederließ, daß seine Füße von den Fluten bis zu den Knien hinauf bespült wurden. Neben ihm lagen die zusammengekoppelten Treibholzenden. Hinter diesen stand Jung-Biber, die Hand an einen der emporragenden Äste gelegt. Einige Worte wechselten die beiden Gefährten noch miteinander; dann glitt Johnson in die Fluten hinab und mit ihm das von Jung-Biber nachgeschobene, zur Unterstützung beim Schwimmen dienende Holz. Einen Augenblick weilte er unterhalb des wirbelnden Wasserspiegels, und im nächsten trug die reißende Strömung ihn um die Ecke der Grotte in den Fluß hinaus. Mit der einen Hand das kleine Floß neben sich lenkend, mit der anderen rudernd und steuernd, gelangte er schnell aus dem Bereich der Uferwand, und einmal in der Mitte des Stromkanals, wurde jede weitere Mühe überflüssig. Nur auf seine Sicherheit brauchte er noch bedacht zu sein, wenn sein Weg ihn in der Nähe der Komanches vorbeiführen sollte. Und so ragte auf der dem Ufer abgekehrten Seite des Floßes nur sein Scheitel ein wenig über das Wasser empor, und zwar in einer Weise, daß er, zumal bei der nächtlichen Beleuchtung, selbst für das schärfste Auge sich von dem Holz nicht unterschied.

In der Grotte herrschte nach der Entfernung Johnsons dumpfes Schweigen. War doch keiner im Zweifel über die Gefahren, die den jungen Kreek auf seiner verwegenen Stromfahrt umringten. Fakit hatte sich nach dem äußersten westlichen Vorsprung der Grotte herum begeben. Dort saß er starr wie eine Bildsäule, mit gespanntester Aufmerksamkeit stromabwärts lauschend. Der Ruf der Komanches war zu ihm herübergedrungen. Er erriet, daß es seinem Sohne nicht gelungen war, unbemerkt vorüberzuschlüpfen. Die darauf folgende Stille beruhigte ihn zwar einigermaßen; doch erst, als auf dem jenseitigen Ufer in weiter Ferne das viermal wiederholte jauchzende Kläffen eines Präriewolfs ertönte, kehrte er zu den Freunden zurück.

»Morgen abend um diese Zeit liegt der Weg offen vor uns,« erklärte er zuversichtlich, und von neuen Hoffnungen beseelt, gaben alle sich nunmehr der Ruhe hin. –

Wie Fakit vorhergesagt hatte, geschah es. Eine Stunde mochte es folgenden Tages noch dauern, bevor die scheidende Sonne die Linie des Horizontes berührte, als von der Höhe des Plateaus der Ruf in die Grotte drang, daß die Komanches das Weite gesucht hätten und man das letzte Tageslicht dazu benutzen möge, das Versteck zu verlassen.

Da alle Vorbereitungen getroffen waren, dauerte es nur wenige Minuten, bis die Flüchtlinge auf ihrem Floß in die Strömung hinausschossen und eilfertig davongetragen wurden. Sie landeten in der Talniederung, wo fünfzehn Dragoner unter dem Befehl eines Offiziers im Begriff waren, ihr Lager aufzuschlagen. Johnson, den man beritten gemacht hatte, befand sich unter ihnen. Die Nacht verbrachten die Flüchtlinge in der Nähe des Lagers. Anstatt indessen folgenden Morgens die ihnen zur Verfügung gestellten Pferde zu benutzen, setzten sie ihre Reise auf dem mehr Bequemlichkeit bietenden Floß fort.

Am gleichen Abend kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie Fort Atkinson. Bald nach ihnen trafen die Dragoner ein. Von einer weiteren Verfolgung und Bestrafung der Komanches wurde abgesehen. Man sagte sich, daß diese ihr Zeltdorf längst abgebrochen und sich in der Prärie verloren haben würden. Zwei Nächte und einen Tag genossen die Flüchtlinge die Gastfreundschaft des Kommandanten. Dann beritten gemacht und von einer kleinen Eskorte begleitet, brachten zwei Tagesmärsche sie in die Ansiedelungen der den Kreeks benachbarten Cherokesen. Dort wetteiferte man, der Tochter des Frühlingstaus und denen, die zu ihr gehörten, die Heimfahrt zu erleichtern. Vier Tage dauerte die Reise noch, bis vertraute Landschaften Mollys Blicke grüßten und endlich das so lange und heiß ersehnte Ziel in absehbarer Ferne vor ihr lag.

Ein herbstlich duftiger Spätnachmittag war es, an dem der kleine Zug die letzte ihn von der Fähre trennende Wegstrecke zurücklegte. Molly und Milford ritten vorauf, In kurzer Entfernung folgten Charon und Fakit, in ein ernstes Gespräch vertieft. An diese schlossen sich Johnson und der junge Delaware an, in sorglosem Geplauder ihre heitere Stimmung verratend. Niemand hätte ihnen angesehen, daß sie vor kurzem noch mit dem Tode spielten. –

Obwohl Molly seit dem ersten Zusammentreffen mit den Freunden von Tag zu Tag deren Verkehr zugänglicher geworden, war es doch, als hätte die träumerische Ruhe der sich allmählich auf den Winterschlaf vorbereitenden Natur sich auf sie übertragen gehabt. Wohl begleitete sie diese und jene Bemerkung wie in früheren Zeiten mit einem süßen Lächeln, aber es war ein Lächeln, das man mit dem ermattenden Farbenspiel einer Blume hätte vergleichen mögen, deren Wurzeln von einem Giftwurm angenagt worden. Über den zu erwartenden ersten Eindruck der Heimkehr nach der langen Abwesenheit hatte sie zu Milford gesprochen, über die Veränderungen, die vielleicht stattgefunden, und schwermütig schweiften ihre Blicke über die mit Herbstfarben geschmückten Baumwipfel hin.

»Ein wohltätiger Eindruck wird es sein,« beteuerte Milford aus vollem Herzen, und teilnahmvoll hing sein Blick an dem lieblichen Profil seiner jungen Freundin, »ein Eindruck, unter dem die Erinnerung an schwere Bedrängnisse des Herben entkleidet wird und das Urteil über die bösesten Erfahrungen sich mildert.«

Nachdenklich sah Molly auf die Mähne ihres Pferdes nieder. Nach einer längeren Pause erst, dann aber mit einer gewissen Heftigkeit, richtete sie sich auf. Fest blickte sie in Milfords Augen.

»Wie auch immer Sie Ihre Gedanken einkleiden mögen,« hob sie an, »ich errate sie, durchschaue Sie selbst, als wäre mir plötzlich die Gabe des Hellsehens verliehen worden. Überall klingt die Absicht hervor, mich über mancherlei zu beruhigen, von dem Sie glauben, daß es meinen Seelenfrieden störe. Geben Sie das auf, ich bitte Sie darum. Lassen Sie es wieder so sein, wie damals, als Sie zum erstenmal bei uns weilten. Suchen Sie in meinen Worten keine Nebenbedeutung, legen Sie aber auch den Ihrigen keine solche bei. Geändert kann nichts mehr werden. Wie ein aufgeschlagenes Buch liegt mein ganzes Leben vor mir. Und obgleich ich bisher jeder Mahnung an meinen unheilbaren Zustand ängstlich auswich, bin ich jetzt fähig, rückhaltlos darüber zu sprechen. Ich heiße die Gelegenheit dazu sogar willkommen. Aber ich wünsche, daß dieses erste- auch das letztemal gewesen sein möge. Denn von anderen daran erinnert zu werden, bleibt immer beschämend für mich, und lange dauert es sicher, bevor ich wieder unbefangen in Augen zu blicken vermag, hinter denen ich Mitleid und ohne Zweifel auch Scheu vor der unheimlichen Nachtwandlerin verborgen weiß –«

»Molly – teuerste Freundin,« fiel Milford beschwörend ein, »ist es nicht vermessen, eine Wunde, die bei weitem nicht die Bedeutung besitzt, die Sie ihr beilegen, durch die bösesten Vorstellungen zu vertiefen, anstatt sie vernarben zu lassen?«

Molly lächelte wehevoll; dann versetzte sie ruhig: »In das Unabänderliche habe ich mich gefunden; ich fühle mich stark genug, zu tragen, was mir aufgebürdet worden, und bedarf keiner Ermutigungen, die nur wie Nadelstiche wirken würden.«

Ernster war bei dieser Aufforderung ihr Antlitz geworden; gereifte Frauenwürde umschwebte die jugendlich anmutige Gestalt. Sie mochte indessen empfinden, daß sie ihren letzten Worten unabsichtlich einen herben Klang verliehen hatte, von dem sie eine entfremdende Wirkung befürchtete; denn in ihren großen Augen entzündete es sich wie banges Flehen um Nachsicht, um Verzeihung, und bevor Milford eine Erwiderung fand, sprach sie weiter:

»Suchen Sie in meiner Erklärung aber auch keine Härte, denn eine solche hineinzulegen – o – um das zu tun, hätte ich zuvor mein ganzes Denken und Empfinden umwandeln müssen. Freilich« – und ein Schatten der Trauer eilte wieder über ihr liebes Antlitz – »eine Wandlung hat stattgefunden, aber keine in der Dankbarkeit und Zuneigung zu meinen Freunden.«

Sie kehrte ihr Antlitz ab, doch nicht schnell genug, um zu verheimlichen, daß Tränen in ihre Augen gedrungen waren. Milford war tief ergriffen. Sein Herzblut hätte er hingegeben, um sie freundlicheren Anschauungen zugänglich zu machen, und doch durfte er ihrem unzweideutig ausgesprochenen Willen gegenüber keinen werteren Versuch wagen. In demselben Maße aber, in dem er sie beklagte, wuchs seine Zuneigung zu ihr, das dumpfe Sehnen, fortan um sie zu sein, sie zu überwachen auf Schritt und Tritt, die vor ihr liegende dornenvolle Bahn zu ebnen, sein ganzes Leben ihr zu weihen. An seine Brust hätte er das liebliche Haupt ziehen mögen, fortküssen die Tränen von ihren Wangen. Beschwören hätte er sie mögen, alle Sorgen, allen Gram hinter sich versinken zu lassen, ihm sich anzuvertrauen, auf seine Schultern zu wälzen, was nur zu sehr geeignet war, ihr Dasein zu umdüstern.

Den schmerzlichen Betrachtungen sich gewaltsam entwindend, brach er das bereits peinlich wirkende Schweigen schonend mit den Worten: »Wie das graue Schindeldach dort friedlich zwischen den Bäumen hervorlugt. Mit dem auf ihm ruhenden Abendsonnenschein ruft es den Eindruck hervor, als hätte es sich zum Empfange seiner Bewohner festlich geschmückt.«

»Die Sonne geht heute abermals klar zur Rüste,« ging Molly mit einer gewissen Hast auf die neue Wendung des unterbrochenen Gesprächs ein. »Die heiteren Tage scheinen gar kein Ende nehmen zu wollen. Ich liebe die Dämmerungsstunden, liebe es, zu beobachten, wie die Natur allmählich einschlummert und das nächtliche Tierleben erwacht. Wie werde ich Tommy wiederfinden? Ob er nach der langen Trennung mich wiedererkennt?«

Gleich ihr sah Milford gespannt nach der Hütte hinüber. Zwei Indianerinnen, die auf Fakits Geheiß so lange Charons kleinem Hauswesen vorgestanden hatten, saßen auf der Bank. Als sie des so lange schmerzlich vermißten guten Geistes der Landschaft ansichtig wurden, brachen sie in jubelndes Lachen aus. Tommy lag abseits und rührte sich nicht; kaum daß er mit den kleinen Augen mürrisch zu den Eintreffenden hinüberblinzelte. Gleich darauf trat Molly vor ihn hin, in gewohnter Weise ihn anrufend.

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Der Bär erhob sich und beschnupperte argwöhnisch die ihm entgegengestreckte Hand. Plötzlich aber richtete er sich laut winselnd auf die Hintertatzen auf, und unter Tränen lachend, hatte Molly ihre liebe Not, die unsanften Liebkosungen des täppischen Gesellen von sich abzuwehren. Darauf erschienen auch Charon und Fakit mit ihren jungen Begleitern, und in geräuschvoll heiterem Verkehr mit den braunen Haushälterinnen wurde die glückliche Heimkehr gefeiert. Molly schien die überstandenen Leiden plötzlich vergessen zu haben. Indem sie Umschau hielt, wuchs ihre Geschäftigkeit. Die alten vertrauten Wohnräume wie den Garten, alles begrüßte und besichtigte sie eifrig.



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