Balduin Möllhausen
Der Fährmann am Kanadian
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.
Über den Strom.

Später als gewöhnlich, nach der nächtlichen Störung, rüstete Milford sich zum Aufbruch. Kompaß und Notizbuch in der Hand, schritt er neben Sparewood einher, der, mit einem Gehilfen die Meßkette tragend und ausstreckend, die über den Kompaß hinweg jedesmal genau bezeichnete südliche Richtung inne hielt. Da die zu schlagende Linie voraussichtlich eine Strecke oberhalb der Fähre den Strom berührte, so erhielten die zurückbleibenden Leute den Auftrag, mit den Tieren noch eine Stunde im Lager zu verweilen, dann aber dem gebahnten Wege bis zur Fähre nachzufolgen.

Leichter und schneller, als sie erwartet hatten, erreichten die drei Männer das Ufer des Kanadian. Ein junger Baum wurde umgehauen und, der Zweige entkleidet, als Stationsmarke auf dem Endpunkte der Linie aufgestellt, und kleine Umwege beschreibend, bahnten sie sich ihren Weg östlich. In der Nähe des Maisfeldes Charons stießen sie auf die Landstraße. Da die übrigen Leute mit den Pferden und dem Gepäck noch nicht vorüber waren, beauftragte Milford den jüngeren Kettenträger, zurückzugehen und zur Eile anzuspornen.

Nachlässig plaudernd und bereits bedrückt von der Sonnenglut, schritten die beiden Gefährten an der mit wildem Gerank dicht bezogenen Pfahleinfriedigung des Gartens hin. Das Schindeldach der Fährhütte im Auge, achteten sie weniger auf ihre Umgebung, als es plötzlich auf der anderen Seite des Zauns in dem üppig wuchernden Unkraut sich regte, ein Schatten daraus auftauchte und über die Einfriedigung hinweg, auf die zwei breite Tatzen sich stützten, der Kopf eines Bären sie anschnaubte und demnächst, gleichsam prüfend, mit der beweglichen Nase windete.

Durch den unvermuteten Anblick erschreckt, waren die beiden Männer zur Seite geprallt und betrachteten nunmehr mißtrauisch das grimmig dareinschauende Tier. Bevor sie aber in der ersten Überraschung ein Wort zu wechseln vermochten, tönte eine helle, melodische Stimme zu ihnen heraus.

»Tommy! Hierher!« hieß es. Dann, nachdem der Bär Folge geleistet hatte, zu den Männern: »Fürchten Sie sich nicht! Er ist sanftmütig wie eine Taube.«

Bestürzt sah Milford auf den Gefährten.

»Was sagen Sie nun?« fragte er erstaunt.

»Nicht mehr und nicht weniger,« antwortete Sparewood förmlich verwirrt, »als daß unser Rätsel sich zu lösen scheint,« und von demselben Gedanken beseelt, traten beide dicht vor den Zaun hin, beide Arme, wie kurz zuvor der Bär, auf das oberste Holzriegel lehnend.

»Bei Gott, das ist sie,« raunte Milford dem Kettenträger zu, dann fesselte der Anblick, der sich ihm bot, seine Sinne bis zur Sprachlosigkeit.

Und ein berauschendes Bild war es in der Tat, wohl geeignet, kein anderes Gefühl, als das der Bewunderung Leben gewinnen zu lassen. Denn kaum zwanzig Schritte weit von ihnen stand, in den Händen eine Gartenharke und sich leicht auf diese stützend, keine andere, als Molly, die Tochter des Mondes und des Frühlingstaus. Wie gewöhnlich bei der Arbeit, war sie auch jetzt leicht bekleidet: oben in etwas verblichenen blauen Kattun, von den Hüften abwärts in rot verbrämte, graue Leinwand. Auf dem prachtvollen Goldhaar thronte nach alter Weise der etwas weit nach vorn geschobene Strohhut, und unter diesem hervor schaute neugierig ein Antlitz, das man wohl mit einem frischen, tauigen Frühlingsmorgen hätte vergleichen mögen. Einen charakteristischen Ausdruck erhielt das liebliche Bild noch dadurch, daß der Bär, durch seine Größe und Täppischkeit seltsam zu der anmutigen Gestalt kontrastierend, die nahen Fremden vergessen zu haben schien, sich gemächlich um sie her bewegte und mit der Prüfung dieses oder jenes Pflänzchens sich beschäftigte.

Wenige Sekunden waren mit dem gegenseitigen forschenden Betrachten hingegangen, als Molly den Fremden zurief: »Wünschen Sie übergesetzt zu werden?«

»Zunächst meinen Gruß,« antwortete Milford lebhaft und dem vollen Zauber unterworfen, den das schöne Mädchen auf jeden ausübte, der in seine Nähe kam; »dann gebe ich freilich zu, daß wir den Strom kreuzen möchten. Wir haben indessen keine Eile und rasten nach der ersten Morgenarbeit gern ein Weilchen.«

.

»So kommen Sie schon von weit her?« fragte Molly, den Männern, in deren Wesen sich bewundernde Höflichkeit offenbarte, etwas mehr freundliche Aufmerksamkeit schenkend.

»Nur aus unserem Lager, höchstens eine gute Viertelstunde Wegs von hier,« erwiderte Milford.

»Aus welchem Lager, wenn es erlaubt ist, zu fragen? Ich hörte von keinem in der Nachbarschaft.«

Milford säumte mit einer Antwort. Daß die liebliche Erscheinung sein Lager wirklich besucht hatte, unterlag ja nicht dem leisesten Zweifel, und je länger er auf sie hinsah, um so mehr überzeugte er sich von der Unmöglichkeit einer Verwechselung der Person. In demselben Grade befremdete ihn aber auch, daß sie jede Erinnerung an den Besuch ableugnete. Und dabei spähte sie so neugierig, so kindlich unschuldig zu ihm herüber, daß es ihm als ein Fehl erschien, auch nur entfernt an falsche Vorspiegelungen zu denken.

»Wir trafen erst gestern abend dort ein,« sprach er darauf, »ursprünglich wollten wir am Fluß übernachten; allein die vor uns liegende Arbeit zwang uns, da zu bleiben, wo ich notwendigerweise eine Station verzeichnen mußte. Ich bin nämlich Feldmesser und habe es übernommen, eine Linie bis hinunter nach Texas zu schlagen.«

»Feldmesser?« wiederholte Molly sichtbar freundlich überrascht und mit vollem Verständnis. »Es ist eine Seltenheit, daß andere Menschen, als friedliche braune Ansiedler und gelegentlich ein weißer Landstreicher hier vorüberkommen. Sind Sie beide allein?«

»Ein halbes Dutzend Gehilfen und Arbeiter mit den nötigen Pferden begleitet uns. Sie folgen nach und werden bald hier sein.«

»Solch' große Gesellschaft! Das ist ja ein Ereignis. Ein Wunder, daß die Nachricht davon uns nicht früher zugetragen wurde,« versetzte Molly, und leichtfüßig wie eine junge Antilope, und gefolgt von Tommy, schritt sie davon.

Die beiden Männer blickten ihr schweigend nach, bis sie hinter dem Stall des kleinen Gehöftes verschwunden war: dann drehte Milford sich nach dem alten Kettenträger um. Banges Erstaunen prägte sich in seinem sonnverbrannten Gesicht und den hellbraunen, ehrlichen Augen aus.

»Haben Sie zu den Leuten über unser Abenteuer gesprochen?« fragte er gespannt.

»Nicht weiter, als daß ich dem Manne, der die Herde überwachte, die Riesenhaftigkeit des Gespenstes auszureden suchte.«

»Erwähnten Sie des Bären, der auf alle Fälle ein unverkennbares Merkmal wäre?«

»Es gab dazu keine Ursache, weil der Mann ihn nicht bemerkt hatte.«

»So ist es wahrscheinlich, daß keiner in dem Mädchen die Störerin unserer Nachtruhe vermutet, und das wäre ein Glück.«

»Ein Glück?« fragte Sparewood nachdenklich.

»Nun ja. Ich habe nämlich meine eigenen Gedanken. Sie werden mir beipflichten, wenn ich behaupte, daß die junge Person selber von ihrem Besuch bei uns nichts weiß.«

»Ich könnte darauf schwören,« versetzte der alte Kettenträger überzeugt, »mag's mir immerhin wie ein Unding im Schädel schwirren: allein solch' Gesicht und solche Augen lügen nicht.«

»Nein, sicher nicht, und da ist der Verdacht in mir rege geworden, daß sie mit einem Leiden behaftet ist, wie ich solches bisher in das Reich der Sagen verwies.«

»Die ist so gesund, wie Sie oder ich,« beteuerte Sparewood, indem sie langsam die Richtung nach dem Vorplatz der Hütte einschlugen.

»Keine eigentliche Krankheit,« erläuterte Milford sinnend, »Sie hörten ja selbst schon von Menschen, die der Beeinflussung des Mondes so weit unterworfen sind, daß sie namentlich zur Zeit seines Wechsels im Schlafe umherwandeln, sogar auf gefährlichen Wegen, ohne jemals zu straucheln oder das Gleichgewicht zu verlieren!«

»Ich hörte freilich davon, konnte aber nicht recht daran glauben.«

»Und dennoch gibt es solche, und ich müßte mich sehr täuschen, hätten wir in dem reizvollen Mädchen nicht eine Nachtwandlerin kennen gelernt. Erwägen Sie: gestern war Vollmond; dann vergegenwärtigen Sie sich, wie sie mit geschlossenen Augen vor dem Feuer stand –«

»Das Feuer hätte sie wecken müssen, und der schwarzen Bestie wegen hatte ich es geschürt, daß die Flammen beinah mannshoch loderten. Das unheimliche Vieh schien indessen an dergleichen gewöhnt zu sein.«

»So viel ich gelegentlich erfuhr, soll man Nachtwandlern ein brennendes Licht vor Augen halten können, ohne sie zu ermuntern. Das lauteste Geräusch geht spurlos an ihnen vorüber, wie es heißt. Ich behaupte zwar nicht, daß die junge Person wirklich mondsüchtig ist; allein die Wahrscheinlichkeit liegt vor, und da erscheint mir streng geboten, unsere Entdeckung zu verheimlichen. Weiß sie um ihren rätselhaften Zustand, so berührt die Kunde, von uns beobachtet worden zu sein, sie unstreitig peinlich; kennt sie ihn dagegen nicht, so steht außer Zweifel, daß diejenigen, die zu ihr gehören, sie mit Bedacht im Dunkeln über sich selbst ließen. In letzterem Falle würden wir mit unseren Enthüllungen an wenigsten Gutes stiften, wohl gar ihren offenbar heiteren Frieden stören und sie sehr unglücklich machen.«

»Erstaunlich,« sprach Sparewood vor sich hin.

»Still!« versetzte Milford, »voraussichtlich werden wir in der nächsten Stunde Gelegenheit finden, zu erproben, ob sie uns mit Bewußtsein besuchte, oder jede Erinnerung daran im festen Schlaf erstickte.«

Sie traten um die Ecke der Garteneinfriedigung herum, und fast gleichzeitig erschien Molly in der Tür der Hütte. Wie um die Fremden zu ehren, hatte sie ihr helles Kleid übergeworfen, wodurch die Ähnlichkeit mit der nächtlichen Erscheinung noch augenfälliger wurde. Rote Strümpfe und indianische, hirschlederne Halbstiefel umschlossen ihre kleinen Füße, und der Strohhut auf dem blonden Haupt war mit frischem Laub bekränzt.

Ohne eine Aufforderung abzuwarten, schritten die beiden Männer näher. Molly ging ihnen entgegen, und auf den erneuerten höflichen Gruß ihnen die Hand reichend, sprach sie in ihrer einnehmenden Weise, der ein leichter Anflug von Befangenheit beigemischt war: »Charon ist nicht zu Hause. Wollen Sie übergesetzt sein, so stehe ich zu Diensten. Nur möchte ich dann bitten, die Arbeit selbst zu verrichten und mir zu erlauben, die Fahrt zu überwachen.«

»Auch ohne Ihren Vorschlag würden wir Ihre Beteiligung an der Arbeit nicht geduldet haben,« versetzte Milford, und auf seinem Antlitz drückte sich aus, in wie hohem Grade das sittige und doch zutrauliche Wesen des schönen Mädchens ihn überraschte; »aber ich wiederhole: es eilt noch nicht. Meine Leute werden bald heran sein, und dann stehen uns Hände genug zur Verfügung. Charon nannten Sie den Fährmann. Sicher Ihr Vater?«

»Nicht mein Vater, aber ebensogut,« antwortete Molly bereitwillig, und so offen und ehrlich blickten ihre großen blauen Augen, daß sogar der mißtrauische alte Kettenträger es für ein Verbrechen gehalten hätte, die völlige Unkenntnis ihrer nächtlichen Wanderung zu bezweifeln. »Doch hier ist eine Bank und Schatten,« und sie wies auf den vor der Hütte angebrachten Sitz, »sind Sie durstig, so steht kühles Obstwasser zu Ihrer Verfügung; auch an einem einfachen Mahl soll es nicht fehlen.«

»Unsereins verläßt seine fliegende Häuslichkeit nie, ohne für unvorhergesehene Fälle eine Tagesration mit sich zu führen,« versetzte Sparewood freundlich, indem er auf die von seiner Schulter niederhängende Ledertasche schlug, »dagegen heiße ich für mich und für Herrn Milford Bank und Schatten willkommen,« und behaglich ließ er sich nieder.

.

Da auf der Bank nur zwei Personen bequem Platz fanden und Milford noch zögerte, des Gefährten Beispiel zu folgen, eilte Molly in die Hütte, um für sich einen Schemel zu holen. Als sie wieder im Freien erschien, war Tommy eben im Begriff, die beiden Fremden, wie deren Wert abschätzend, aufmerksam zu beschnuppern.

»Er tut Ihnen nichts,« sagte sie lachend, sobald sie gewahrte, daß Milford das Tier mißtrauisch betrachtete. »Freilich gegen jedermann ist er nicht gerade höflich. Es ist, als ob der Instinkt ihn lehre, wem er trauen darf, und danach richte ich oft selber mein Verhalten ein.«

Sie setzte sich vor die beiden Männer hin, und des Bären Haupt auf ihren Schoß ziehend, öffnete sie dessen Rachen weit.

»Es ist merkwürdig,« fuhr sie munter fort, indem sie auf das furchtbare Gebiß zeigte, »daß ein derartig bewaffnetes Tier sich behandeln läßt, wie ein verzogenes Kaninchen. Tommy – so heißt er nämlich – befindet sich aber beinah seit seiner Geburt in meinem Besitz. Wie ein kleines hilfloses Kind mußte ich ihn nähren und pflegen, und dabei gelang es mir leicht, einen ehrenwerten Herrn aus ihm heranzubilden. Und so ritterlich ist er geworden. Ich möchte niemand raten, auch nur einen Finger nach mir auszustrecken, wenn er nicht im nächsten Augenblick zu Boden gerissen werden wollte.«

»Ein besserer Schutz in dieser Einsamkeit, als er durch drei, vier bewaffnete Männer ersetzt werden könnte,« meinte Milford, sich innig ergötzend an der unvergleichlichen, natürlichen Anmut, die Molly selbst in den unscheinbarsten Bewegungen offenbarte.

»Wenigstens insoweit, daß er mir stets zur Seite bleibt. Übrigens bedarf es in unserer Landschaft keines sonderlichen Schutzes.«

Bei dem letzten Wort gab sie dem Bären, der ihre Hand so behutsam in den Rachen genommen hatte, als wäre sie aus Eierschalen zusammengefügt gewesen, eine Ohrfeige, worauf dieser sich zur Erde warf, mit seinen Tatzen ein Stückchen Holz ergriff und damit seine Spielerei fortsetzte.

Die beiden Männer schauten darein, als bezweifelten sie die Wirklichkeit. Erschien das Mädchen ihnen doch wie eine Waldfee, auf deren Geheiß die wildesten Tiere herbeieilten, um ihre Befehle in Empfang zu nehmen.

»Ja, eine friedliche Landschaft, obwohl wir hier auf der äußersten Grenze vor der pfadlosen Wildnis leben,« fuhr Molly fort; »ich kenne auf Tagereisen im Umkreise beinah alle Indianer, die, wie Tommy, meist alle den wilden Gewohnheiten entsagten und neben der mit Vorliebe betriebenen Jagd ihren Acker bestellen und ihre Heerden pflegen. Es ist rührend, zu beobachten, wie sie alles aufbieten, sich mir gefällig zu erweisen. Einer Königin könnten sie nicht mehr Ehrerbietung zollen. Zuweilen grenzt diese sogar an Scheu, daß es mir peinlich wird, und ich bin doch wohl gewiß keine Erscheinung zum Furchteinflößen. Es mag seinen Grund darin haben, daß ich die einzige Weiße weit und breit. Doch Sie kommen aus dem Osten? Vater Charon erzählte mir viel von dort. Wohl möchte ich einmal eine große Stadt mit reicher Bevölkerung sehen.«

Bis dahin hatten die beiden Gefährten den lebhaften Mitteilungen des schönen Mädchens mit gespanntester Aufmerksamkeit gelauscht. Wie liebliche Musik klang die sorglose Stimme in ihren Ohren. Sobald sie aber schwieg, hob Milford an: »Wer weiß, ob es Ihnen dort auf die Dauer gefiele. Es gibt da manches, was den Vergleich mit einer unverfälschten Natur, wie sie uns hier anlacht, nicht aushält.«

»Genau so sprach Vater Charon, ohne dadurch meinen Wunsch zu erschüttern. Möglich ist ja, daß ich mich in den fremden Verhältnissen weniger frei fühle und in Kreisen vornehmer Leute nicht gut gelitten bin wegen meiner einfachen Sitten; aber ich würde lernen –«

»Was möchten Sie lernen?« fragte Milford mit Wärme einfallend, »ich gestehe, hätten Sie es nicht ausgesprochen, so würde ich nimmermehr glauben, daß Sie jenen Kreisen bisher fern geblieben.«

»Wirklich?« fragte Molly lebhaft zurück, und heimliche Freude machte ihr holdes Antlitz tiefer erglühen. »Wenn Vater Charon nur kommen wollte. Sie würden einen vielerfahrenen und vielgereisten Herrn in ihm kennen lernen – und ganz gewiß, er würde Ihnen gefallen, zumal er Ihr Landsmann ist.«

Die letzten Worte sprach sie in fließendem Deutsch, während ein süßes, mutwilliges Lächeln um ihre schwellenden Lippen spielte. Dieses verstärkte sich zu einem herzlichen Lachen, als sie in Milfords Zügen den Ausdruck freudigen Erstaunens entdeckte.

»Sie sind vertraut mit meiner Muttersprache?« fragte er, wie noch immer zweifelnd.

»Das wundert Sie?« versetzte Molly zutraulich, und Sparewoods wegen sich wieder des Englischen bedienend, fuhr sie fort: »Da Vater Charon mit so vieler Liebe an seinem Vaterlande hängt, war doch nichts natürlicher, als daß er mich von Anbeginn in seiner Muttersprache unterrichtete, und wäre es auch nur geschehen, um diese seinem Ohr nicht zu entfremden.«

In diesem Augenblick wälzte der Bär sich blitzschnell herum, und sich aufrecht hinsetzend, spähte und witterte er nach der Straße hinüber.

»Es kommt jemand,« sprach Molly, das Tier aufmerksam überwachend, »ich kenne seine Art.«

»Es werden meine Leute sein,« erklärte Milford; »jawohl, sie sind es,« fügte er hinzu, als eine durch die Entfernung gedämpfte Stimme, die einem Packtier galt, herüberdrang. Dann zu Sparewood: »Wir lassen sie wohl gleich übersetzen.«

»Was sollen sie hier erst abladen,« antwortete dieser, »es wäre doppelte Arbeit. Drüben ist das Gras nicht schlechter, als auf dieser Seite, und da wir ohnehin beschlossen haben, einige Ruhetage zu halten, wüßte ich keine geeignetere Gelegenheit.«

»Es bleibt dabei,« warf Molly fröhlich ein, »zur Hand gehe ich Ihnen gern mit gutem Rat, allein das Fährtau rühre ich nicht an.«

»Es bleibt dabei,« bekräftigte Milford, und indem er in das liebliche Antlitz sah, meinte er, auf jedes der lachenden klugen Augen einen Kuß drücken zu müssen, »und liegt der Fluß erst zwischen hier und meiner Gesellschaft, so sind Sie sicher, in keiner Weise belästigt zu werden.«

Ohne Schwierigkeiten gelangte die Expedition an den Fluß hinab, worauf Milford und der alte Kettenträger sich verabschiedeten, um sich an der Fährarbeit zu beteiligen. Als sie vor dem Prahm bei ihren Leuten eintrafen, vernahmen sie plötzlich Mollys Stimme hoch in den Lüften.

»Nicht mehr als vier Pferde zurzeit!« rief sie ihnen zu, »eine größere Last dürfen wir dem Fahrzeug nicht zumuten, wenn Sie nicht Gefahr laufen wollen, ein unfreiwilliges Bad zu nehmen!«

Alle sahen nach oben. Milford stockte der Atem, als er das Mädchen auf dem äußersten Ende der überragenden Sykomore frei schweben sah.

Da er, wie selber von Schwindel ergriffen, nicht gleich Worte fand und in jedem Augenblicke fürchtete, die schlanke Gestalt in jähem Sturz herunterkommen zu sehen, rief Sparewood dringlich hinauf: »Soll befolgt werden, junge Lady; ich möchte Ihnen aber raten, einen geeigneteren Rastpunkt für Ihre kleinen Füße zu suchen, als so ein Stück Holz.«

Molly lachte sorglos, und zum Beweise, daß sie sich vollkommen sicher fühle, setzte sie den Ast in schwerfällig auf- und niederschwingende Bewegung.

Über eine Stunde nahm das Kreuzen des Stromes in Anspruch und die Sonne brannte beinah aus dem Zenith nieder, als Milford zur Rückkehr nach der Fährhütte sich von seinen Leuten trennte, die auf schattiger Stelle das Lager aufgeschlagen und den Tieren die Freiheit gegeben hatten.

Charon befand sich um diese Zeit nur noch eine kurze Strecke von der Fähre entfernt. Die Büchse trug er auf der Schulter. Ein Truthahn, den er unterwegs geschossen hatte, hing auf seinem Rücken. Finsterer noch als gewöhnlich starrte er vor sich auf den Weg. Bis nach dem Kosthause des Kreeks hatte sein Jagdausflug ihn geführt. Auf diesem und jenem Gehöft vorsprechend, erkundigte er sich wie beiläufig nach dem Schimmelreiter. Nirgends wußte man Auskunft über ihn zu erteilen. Nur in dem Kosthause erfuhr er, daß der Strolch, in dem man einen verwegenen Pferdedieb argwöhnte, sich genau über den nach Fort Smith führenden Weg unterrichtet habe und in aller Frühe nach dorthin aufgebrochen sei. Wie erleichtert atmete er bei dieser Kunde auf, und doch wollte eine quälende Unruhe nicht von ihm weichen. Einer Unheil drohenden Wolke ähnlich hing es über ihm. Erst als er, bei der Fährhütte eingetroffen, Mollys Stimme unterschied, die fröhlich zu einem Fremden sprach, klärten seine Züge sich wieder auf. Indem er aber nach dem Vorplatz hinaufschritt, wo Milford ihm entgegenkam und ihn in der Muttersprache begrüßte, versank hinter ihm alles, was ihn eben noch feindselig bewegt hatte.

Freundlich lud er den Gast zum Essen und längeren Verweilen ein, und aus vollem Herzen erteilte Milford seine Zusage. Als Söhne desselben Vaterlandes drängte es beide, ihr Zusammentreffen in der Heimatssprache zu feiern. –

Der Mond stand bereits hoch am Himmel, als Milford sich endlich zum Aufbruch rüstete. Charon, Molly und Tommy schickten sich an, ihn über den Strom zu begleiten. Heiter verkehrten die beiden jungen Leute miteinander, und so vertraulich, als hätten sie seit Jahren unter demselben Dache gewohnt. Leise folgte das schwerfällige Fahrzeug der ihm vorgeschriebenen Bahn. Vor seinem breiten Bug gurgelte und sprudelte es geheimnisvoll. Scharf plätscherte das Fährtau, indem es vor dem Prahm das Wasser verließ und hinter ihm wieder hinabsank. Doch wenn auf dem Strome glückliches Lachen erschallte, sogar ein tiefes, ernstes Organ sich an munteren Scherzreden beteiligte, so umschwebten, wie aus häßlichen Fledermausschwingen, Hinterlist und Verrat die im Schatten eingenestelte Fährhütte.

Das von Charon und Milford auf wirbelndem Wasserspiegel gemächlich beförderte Boot hatte kaum freie Fahrt gewonnen, als es in dem Gesträuch, das den Vorplatz begrenzte, sich zu regen begann. Schlangen ähnlich kroch es hervor, was dort vielleicht schon seit Stunden auf einen Zeitpunkt gelauert hatte, in dem die Hütte und deren Umgebung von jedem menschlichen Leben entblößt sein würde. Nackte, unbewaffnete Gestalten waren es, wilde Steppenräuber, die indes nicht gekommen waren, um sich an dem Leben und Eigentum friedlicher Ansiedler zu vergreifen, sondern um zum Zweck der Ausführung eines späteren Unternehmens sich mit dem Boden, auf den ihre Tätigkeit entfallen sollte, vertraut zu machen.

Unhörbar, wie ein Schatten, war einer von ihnen neben die Sykomore und bis hart an den Uferrand hingeglitten. Dort lag er regungslos, wie das ihm Schutz gewährende verwitternde tote Holz, die glühenden Blicke starr auf den heiter belebten Prahm gerichtet, von woher allein eine Störung zu erwarten gewesen wäre. Drei andere Gestalten waren unterdessen nach der Hütte hinüber gekrochen, sich nicht eher aufrichtend, als bis die Schwelle der offenen Türe hinter ihnen lag. Das durch die Fenster hereindringende Mondlicht begünstigte sie in ihren Bewegungen. Kein Laut wurde zwischen ihnen gewechselt, aber zuversichtlich schritten sie in Charons Wohnzimmer, wo sie mit ihren an die unbestimmte Beleuchtung gewöhnten Augen zunächst die Umgebung aufmerksam zu prüfen begannen. Nur selten berührten sie diesen oder jenen Gegenstand, noch weniger verrieten sie Neigung, sich irgend etwas anzueignen.

.

Nach eingehender Prüfung des vorderen Zimmers schlichen zwei der listigen Eindringlinge in Mollys kleines Gemach. Dort gingen sie noch behutsamer zu Werke. Und doch schien eine gewisse Scheu sie zu beseelen, indem sie, den Augen zu Hilfe kommend, nicht nur das Bett vorsichtig betasteten, sondern auch die Kleider an den Wänden und das Fenster, dessen Umfang und Verschluß sorgfältig untersuchten. Nichts entging ihrer gespannten Aufmerksamkeit, weder Mollys Fußbekleidungen in einem Winkel, noch ihre Kopfbedeckungen oder der Kamm, mit dem sie ihr schönes Haar zu ordnen pflegte. So war eine Viertelstunde verstrichen, als der Genosse in dem Vorzimmer das Wispern einer Baumgrille wiederholte, wie solches von der toten Sykomore zu ihm herübergedrungen war. Gleich darauf verließen die drei Späher die Hütte. Ins Freie hinaus gleitend, unterschieden sie die Stimmen Charons und Mollys, die, auf der Rückkehr begriffen, sich bereits dem Ufer näherten. Lautlos, wie sie gekommen waren, schlichen sie in das Gehölz zurück.



 << zurück weiter >>