Balduin Möllhausen
Der Fährmann am Kanadian
Balduin Möllhausen

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Siebzehntes Kapitel.
Nach Fort Smith.

In stiller, friedlicher Einförmigkeit verstrichen Tage und Wochen. In gewohnter Weise gingen Charon und Molly ihren Beschäftigungen nach und verkehrten sie mit den braunen Nachbarn, die hin und wieder bei ihnen vorsprachen oder zu denen sie hinüberwandelten. Anscheinend weniger, als Charon voraussetzte, trug Molly sich mit der Erinnerung an Milford. Von Tag zu Tag sprach sie seltener von ihm, und dann in den meisten Fällen wie beiläufig.

Zog Charon aus diesen Beobachtungen eine gewisse Beruhigung, so gab auch Adams keinen Anlaß zu unmittelbaren Befürchtungen. Seitdem er bei dem Kreek ein kostenfreies Unterkommen fand, schien er mit seiner Lage zufrieden zu sein. Gefällig und höflich, wenigstens so weit es bei seiner Verwilderung noch möglich war, begegnete er Charon bei gelegentlichem Zusammentreffen, Molly dagegen mit Ehrerbietung, so daß Charon für ihn sowohl, wie für sich selbst Besseres zu hoffen begann. Anders dachte der Kreek, bei dem er hauste. In ihm konnte das einmal gefaßte Mißtrauen nicht mehr abgeschwächt werden. Er hielt seinen Gast für einen verschmitzten Pferdedieb, der nur auf die Gelegenheit wartete, um mit einigen der besten Tiere dieses oder jenes Nachbarn zu verschwinden, und unterließ daher nicht, wenn immer es wenig auffällig geschehen konnte, sich über dessen geheimnisvolle Bewegungen zu unterrichten.

Im übrigen ging Adams ungestört seine eigenen Wege. Niemand befragte ihn um deren Richtung, und er selber wäre der Letzte gewesen, über seine Zwecke ein Wort zu verlieren. Mit Vorliebe, wenn auch mit geringem Erfolg, betrieb er das Angeln, wozu er von Charon mit den entsprechenden Gerätschaften ausgerüstet worden war. Bald in der Frühe, bald in den kühleren Abendstunden, abwechselnd zu Fuß und Pferde, nahm er mit seinen Angelschnüren den Weg am Kanadian hinauf. Weit über die Fähre hinaus begab er sich nach einer Stelle, wo er bei dem niedrigen Wasserstande den Strom zu durchschreiten vermochte und wo er von der Fährhütte aus nicht gesehen werden konnte.

Es war am Tage des Vollmondes, und die Sonne neigte sich dem Untergange zu, als Adams, von einem derartigen Ausfluge heimkehrend, Charon auf dem Vorplatz der Fährhütte im Vorbeigehen begrüßte. Dieser hatte einen leichten Wagen vor die Tür hingeschoben und war im Begriff, ihn mit einigen Säcken Mais zu beladen.

»Also doch richtig gehört,« bemerkte Adams; »ich vernahm, Sie wollten nach Fort Smith, um Einkäufe zu besorgen. Es hat den Anschein, als möchten Sie zur Nacht aufbrechen.«

»Heute nicht mehr,« antwortete Charon, ohne sich in seiner Beschäftigung stören zu lassen, »ich treffe nur meine Vorbereitungen, um morgen nicht damit aufgehalten zu werden.«

»So machen Sie früh los?« forschte Adams weiter.

»Die kühlen Morgenstunden will ich zur Fahrt benutzen,« hieß es eintönig zurück.

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»Schade,« meinte Adams mit einem Ausdruck erheuchelten Bedauerns; »auch ich will nach Fort Smith. Hätt' mich gern Ihnen angeschlossen – zwei reisen gemächlicher als einer – aber vor Abend kann ich nicht fort.«

»Nach Fort Smith?« fragte Charon, und er wußte nicht, sollte er sich mehr freuen, während seiner Abwesenheit den gefürchteten Strolch der Hütte und damit Molly fern zu wissen, oder Verdruß empfinden, bei einer Begegnung in der jungen Stadt von ihm belästigt zu werden.

»Gerade dahin,« bestätigte Adams, »und nochmals beklage ich, daß wir nicht mitsammen reisen können; aber beim besten Willen schaff' ich's nicht. Will's nur eingestehen: noch im Besitz von einigen hundert Dollars, hab' ich mich auf 'ne Spekulation eingelassen, die mir vielleicht doppelt so viel einträgt. Pferde kaufte ich nämlich gerade ein halbes Dutzend; mit denen will ich östlich ziehen und 'ne Strecke am Arkansas hinunter. Da gibt's weiße Farmer genug, die für 'nen guten Gaul gern 'nen guten Preis zahlen. Glückt die Angelegenheit, so setz' ich das Geschäft fort, und ich denk', ein rechtschaffener Handel ernährt seinen Mann. Das Faulenzen hab' ich satt, und anderen übermäßig zur Last liegen, ist ebenfalls nicht nach meinem Sinn. Nebenbei hantiere ich gern mit Pferden; 's ist ja mein altes Metier.«

Charon warf einen scheuen Seitenblick auf den Banditen.

»Wo haben Sie die Pferde?« fragte er.

»Drüben auf der anderen Seite. Vor morgen Nachmittag werden sie nicht heran sein. Brech' ich gegen Abend auf, so lege ich bis übermorgen früh ein ordentlich Stück Wegs hinter mich.«

»So werde ich Fakit beauftragen, an meiner Stelle Ihnen bei Benutzung der Fähre hilfreiche Hand zu leisten.«

Adams sah unsicher darein, faßte sich aber schnell und erwiderte gedehnt: »Lassen Sie den, wo er zu Hause gehört. Ich behelfe mich allein.«

»Wie lange dauert Ihre Abwesenheit?« fragte Charon.

»Gegen acht Tage, je nachdem ich die Mähren an den Mann bringe.«

Charon atmete erleichtert auf und kramte eifriger zwischen den gefüllten Säcken.

»Sie kehren hierher zurück?« fragte er.

»Ich wär' undankbar, geschäh's nicht. Doch ich will heim. Eine Stunde Wegs ist kein Spaziergang. Haben Sie noch etwas an den Kreek zu bestellen?«

»Nein. Einen Gruß mögen Sie indessen von mir ausrichten.«

»Gern, Herr Charon. Also auf gesundes Wiedersehen in Fort Smith. Finde ich ein gutes Angebot, so verkaufe ich auch meinen Schimmel samt Sattel und Zaumzeug. Da macht sich's vielleicht, daß ich zur Heimkehr Sie um 'nen Platz auf Ihrem Wagen anspreche.«

»Schwerlich,« antwortete Charon, »denn in Fort Smith bleibe ich nicht länger, als von einem Nachmittag bis zum folgenden Morgen.«

»Wir werden ja sehen, Herr Charon. Nochmals: Auf Wiedersehen und gute Nacht,« und mit den letzten Worten begab er sich auf die Landstraße zurück.

Charon nahm auf der Bank Platz. Wie einer Verderben sprühenden Wolke, die vorübergezogen, um vielleicht in der nächsten Stunde denselben Weg zurück einzuschlagen, blickte er dem Einherschlendernden so lange nach, wie er ihm sichtbar blieb.

»Adams will ebenfalls nach Fort Smith,« erklärte er Molly, als diese ihn zum Abendessen lud, und entrüstet fiel das Mädchen ein:

»Zugleich mit dir und auf unserem Wagen?«

»Nein, mein Kind, wir reisen auf verschiedenen Wegen und zu verschiedenen Tagesstunden. Ich wollte nur andeuten, daß du während meiner Abwesenheit keine Belästigungen von ihm zu befürchten hast.«

»Tommy hat einen grimmigen Haß auf ihn geworfen und versteht es, ihn in respektvoller Entfernung zu halten,« erwiderte Molly zuversichtlich.

»Möchtest du nicht auf so lange zu Fakit übersiedeln, oder doch wenigstens bei ihm übernachten?« fragte Charon besorgt.

Molly lachte in ihrer herzgewinnenden Weise.

»Und unsere ganze Habe unterdessen jedem Vorüberziehenden preisgeben?« fragte sie zurück. »Wie manche Nacht verbrachte ich schon allein! Ich nehme Tommy zu mir ins Haus, und deine Gewehre stelle ich neben mein Bett, da fühle ich mich sicherer, als bewachten mich zehn Männer.«

»Wie du willst,« versetzte Charon in der Befürchtung, durch ferneres Zureden die eigentliche Ursache seiner Unruhe zu verraten, wenn auch nur insoweit, daß Molly von Zweifeln gegen sich selbst befangen wurde. »Ich wollte dir mit meinem Vorschlage entgegenkommen für den Fall, daß die Einsamkeit dir zu viel werden sollte.«

»Sie wird mir nie zu viel,« antwortete Molly, »in Tommys Gesellschaft und bei der Arbeit kenne ich überhaupt keine Einsamkeit,« und weiter plauderten die beiden, indem sie in die Hütte eintraten und vor dem sauber gedeckten Tisch sich niederließen.

Eine halbe Stunde später, da saßen sie wieder vor der Tür beieinander. Der Mond hatte unterdessen nach dem Schwinden des Abendrots die unumschränkte Herrschaft für die Nacht übernommen. Mit bläulichem Licht schmückte er die in Schlummer versenkte Landschaft. Gefallsüchtig spiegelte er sich auf der sein Bild neckisch verzerrenden, beweglichen Wasserfläche des Kanadian. Anspruchslos unterbrach das nächtliche Tierleben die feierliche Stille der Natur.

Eine liebliche Nacht war es. Eine Stunde und noch eine hielt Charon seinen Liebling durch belehrende Erzählungen in Spannung, um dessen Müdigkeit bedacht auf den höchsten Gipfel zu steigern. Die Nacht des Vollmondes fürchtete er vorzugsweise. War die vorüber, so fühlte er sich beruhigter. Geschah es doch nur selten, daß Molly auch zu anderen Zeiten der Einwirkung ihrer Träume in unheimlicher Weise nachgab. – –

In der Entfernung zweier Tagereisen südlich vom Kanadian verfolgte zu derselben Zeit ein Trupp Reiter seinen Weg eilfertig nach Norden, und zwar in der Richtung nach der Fähre. Ihrer neun waren es, zähe, sonnverbrannte Farmergestalten, und alle bewaffnet mit Büchse und Pistolen. Bei ihnen befand sich Milford. Einige Tagereisen weiter südlich waren sie, angelockt durch den Rauch des Lagerfeuers zu ihm gestoßen. Zunächst hatten sie sich erkundigt, ob man einer von mehreren Indianern getriebenen Herde von sechs Pferden ansichtig geworden sei. Da weder Milford noch einer seiner Leute darüber Auskunft zu erteilen vermochten, ergaben weitere Gespräche, daß die Grenzer seit Tagen in der Verfolgung verwegener Steppenräuber begriffen waren, die allerdings einen erheblichen Vorsprung gewonnen haben mußten. Man hoffte indessen, sie schließlich dennoch einzuholen, nachdem sie, in Sicherheit gewiegt, die Eile ihrer Flucht gemäßigt haben würden. Sie bestanden darauf, dieses Mal ein warnendes Beispiel zu geben, um den in neuerer Zeit sich bedenklich wiederholenden Einbrüchen in die Ansiedelungen Einhalt zu tun. Außerdem wußten sie von einem weißen Räuber zu erzählen, der sechs Wochen früher in ein Blockhaus, dessen Bewohner gerade beim Heuernten waren, eingedrungen sei, und nicht nur, nachdem er seinen Genossen ermordet, sich des vorhandenen Geldes bemächtigt habe, sondern auch des ganzen Reitzeugs, um mit den in der Nachbarschaft gestohlenen Pferden seine Flucht leichter bewerkstelligen zu können. Bei ihm hatten sich zwei Indianer befunden, und deren Schlauheit schrieben sie es zu, daß sie, beim Nachsetzen durch verschlungene Fährten irregeführt, sich endlich gezwungen sahen, von einer weiteren Verfolgung abzustehen.

»Sechs Wochen ist das her, seitdem der Raub ausgeführt wurde?« fragte Milford, der den etwas verworrenen Mitteilungen aufmerksam gelauscht hatte.

»Sechs Wochen, einige Tage mehr oder weniger!« hieß es gespannt zurück.

»Sahen Sie den Räuber, ich meine den weißen?« forschte Milford weiter.

»Wir nicht,« antwortete ein vierschrötiger alter Bursche erbittert, »aber meine Frau beobachtete den Schurken vom Hausboden aus, wie er unsere ganzen Ersparnisse einsackte, und 'ne schwere Krankheit hatte sie davon, daß er vor ihren sichtlichen Augen seinem Genossen – geschah dem freilich recht – das Messer in den Leib stieß. Sie beschrieb ihn als einen bereits ergrauten, verkommenen Gesellen mit gelbem Haar und rotgesprenkeltem Bart.«

»Ritt er einen Schimmel?« fragte Milford nunmehr dringlicher, denn tief beunruhigte ihn der Gedanke, daß ein wirklicher Verbrecher in nachbarliche Beziehungen zu den Bewohnern der Fährhütte getreten.

»Ob er einen Schimmel ritt, weiß ich nicht,« nahm ein anderer Farmer alsbald wild auffahrend das Wort, »aber unter den fünf gestohlenen Pferden befand sich ein Apfelschimmel, und der war der meinige und ein so schöner, kräftiger Gaul, wie nur je einer die texanischen Weiden zierte.«

»Wohlan,« fuhr Milford erregt fort, »so weiß ich, wo ihr zurzeit den Schurken findet, wenn's euch nicht zu viel ist, noch vier Tage im Sattel zu bleiben und den Pferden kein Gras unter den Hufen wachsen zu lassen.«

»Zehn,« hieß es mit feindseliger Entschlossenheit zurück, »sogar drei Wochen, wenn es sein muß. Stahl er mir damals mein bestes Tier, wird er auch bei diesem letzten Raub 'ne Hand mit im Spiel haben; waren's nur Indianer von der Prärie, so hätten sie ihren Weg mehr westlich genommen.«

Milford schilderte darauf seine Erlebnisse bei der Fähre und hob hervor, daß der Schimmelreiter sich in deren Nachbarschaft häuslich niedergelassen habe, es also leicht sei, sich des Ahnungslosen zu bemächtigen. Dadurch wurde den Grenzern zunächst ein bestimmtes Ziel gezeigt. Es schwand damit die Notwendigkeit, den oft schwer innezuhaltenden Fährten und auf Täuschungen berechneten Umwegen zu folgen; außerdem war man nicht ans Tageslicht gebunden, sondern konnte zur Fortsetzung der Verfolgung die kühleren, mondhellen Nächte wählen.

Bei Milford bedurfte es nur des Vorschlages, sich den erbitterten Farmern anzuschließen und sie auf der von ihm vermessenen, also kürzesten Linie zu führen. Noch am gleichen Abend brach er mit ihnen auf, nachdem er zuvor mit Sparewood die entsprechenden Verabredungen getroffen hatte. Wenn die Grenzer aber schon zur Eile trieben, so wäre er selbst der Letzte gewesen, um Schonung der Pferde zu dringen. Eine marternde Unruhe hatte sich seiner bemächtigt. Die schrecklichsten Bilder schwebten ihm vor. Krankhaft sehnte er den Augenblick herbei, in dem er vor Molly hintreten würde, um sich von ihrem Wohlergehen zu überzeugen. – –



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