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Viertes Kapitel

Die Frauen des sechsten Oktober 1789

Die Männer waren die Helden des 14. Juli, die Frauen die des 6. Oktober. Die Männer haben die königliche Bastille eingenommen, die Frauen haben das Königtum selbst überwunden, haben es in die Hände von Paris, das heißt der Revolution gebracht. Die Hungersnot gab den Anlaß. Schauerliche Gerüchte gingen um über den nächsten Krieg, über das Bündnis der Königin und der Prinzen mit den deutschen Fürsten, über die fremden, grünen und roten Uniformen, die man in Paris sah, über den Mehlverkauf am Corbeil-Platz, der nur noch einmal in je zwei Tagen stattfand, über die Teuerung, die höchstens schlimmer werden konnte, über die Nähe eines rauhen Winters. »Es ist keine Zeit zu verlieren,« sagte man. »Wenn man dem Krieg und dem Hunger zuvorkommen will, muß man den König hierher bringen; anderenfalls werden die ihn hinwegraffen.«

Niemand fühlte alles dies lebhafter als die Frauen. Die Leiden, die aufs äußerste gestiegen waren, hatten Familie und Herd grausam getroffen. Eine Dame schlug Lärm, Sonnabend den 3. abends; als sie sah, daß man ihrem Gatten nicht genügend Gehör schenkte, lief sie ins Café de Foy, klagte dort über die landfremden Soldaten und machte auf die öffentliche Gefahr aufmerksam. Am Montag ergriff ein junges Mädchen in den Hallen eine Trommel, schlug den Generalmarsch und riß alle Frauen des Viertels mit sich fort.

Solche Dinge sieht man nur in Frankreich; unsere Frauen bringen Helden hervor und sind es selbst. Das Land der Jeanne d'Arc, der Jeanne de Montfort, der Jeanne Hachette kann hundert Heldinnen sein eigen nennen. Eine war beim Sturm auf die Bastille, später ging sie in den Krieg und wurde Artilleriehauptmann; ihr Gatte war Soldat. Am 18. Juli, als der König nach Paris kam, waren viele Frauen bewaffnet. Die Frauen standen im ersten Treffen unserer Revolution. Man darf sich nicht darüber wundern: sie trugen die größeren Leiden.

Das große Unglück ist grausam; es trifft die Schwachen stärker, es mißhandelt die Kinder und die Weiber viel mehr als die Männer. Die gehen weg, kommen wieder, suchen mutig, werden erfinderisch und finden schließlich, wenigstens für die Not des Tages. Die Frauen, die armen Frauen, leben meistens abgeschlossen, sie sitzen zu Hause, stricken und nähen; sie sind völlig außerstande, wenn es an allem mangelt, ihren Lebensunterhalt zu suchen. Es ist jammervoll, wenn man bedenkt, daß die Frau, das abhängige Wesen, das nur zu zweien leben kann, viel öfter allein steht als der Mann. Er findet überall Gesellschaft und knüpft neue Beziehungen an. Sie ist ohne Familie nichts. Und die Familie überbürdet sie, jede Last ruht auf ihr. Sie bleibt in der kalten, ausgeräumten Wohnung, bei ihren weinenden oder kranken und sterbenden Kindern, die nicht mehr weinen. Ein wenig beachteter Fall, der schneidendste Schmerz vielleicht für ein Mutterherz, ist die Ungerechtigkeit des Kindes. Gewohnt, in der Mutter die allgemeine Vorsehung zu erblicken, die für alles Sorge tragt, klammert es sich an sie, hart, grausam, bei allem, was ihm fehlt; schreit, gerät außer sich und fügt dem Schmerze einen noch drückenderen Schmerz hinzu.

So ist die Mutter. Rechnen wir ebensoviele alleinstehende Mädchen hinzu, traurige Geschöpfe ohne Familie, ohne Unterstützung, die, entweder zu häßlich oder zu tugendhaft, weder Freund noch Liebhaber besitzen und keine der Freuden des Lebens kennen. Wenn ihr kleines Handwerk sie nicht mehr ernähren kann, so wissen sie keinen Ersatz zu schaffen; sie ziehen auf eine Bodenkammer und warten ab; bisweilen findet man sie tot, eine Nachbarin bemerkt es zufällig.

Diesen Unglücklichen fehlt selbst die Kraft, sich zu beklagen, ihre Lage zu offenbaren, sich gegen das Schicksal zu wehren. Die, welche handeln und sich regen in Zeiten großer Not, das sind die Starken, die vom Elend weniger erschöpft, die eher arm als bedürftig sind. In den meisten Fällen sind die Furchtlosen, die sich dann vordrängen, Frauen mit großem Herzen, die wenig für sich selbst, viel für andere leiden; das träge, passive Mitleid der Männer, das gelassener bleibt bei den Übeln anderer, ist bei den Frauen ein sehr aktives, heftiges Empfinden, das bisweilen heroisch wird und sie gebieterisch zu den kühnsten Taten treibt.

Am 5. Oktober gab es eine Menge unglücklicher Geschöpfe, die seit dreißig Stunden nicht gegessen hatten. Dieses jammervolle Schauspiel brach die Herzen, doch niemand tat etwas dagegen; jeder schloß sich ein und beweinte die Härte der Zeiten. Sonntag, den 4., abends läuft eine mutige Frau, die das nicht länger mit ansehen konnte, vom Quartier Saint-Denis zum königlichen Schloß, sie bricht sich Bahn in der lärmenden, schwatzenden Menge und verschafft sich Gehör; sie war eine gut angezogene Frau von sechsunddreißig Jahren, ehrbar, aber stark und mutig. Sie will, man soll nach Versailles gehen, sie wird an der Spitze marschieren. Man macht Witze, sie schlägt einem der Witzbolde eine Ohrfeige. Am folgenden Tage ist sie unter den ersten, den Säbel in der Hand; sie raubt ein Stadtgeschütz, setzt sich auf das Pferd davor und führt es mit angezündeter Lunte nach Versailles.

Unter den untergegangenen Handwerken, die mit dem alten Regime zu verschwinden schienen, befand sich die Holzschnitzerei. Man arbeitete viel auf diesem Gebiete für Kirchen und für Wohnungen. Viele Frauen schnitzten. Eine von ihnen, Madeleine Chabry, die kein Geschäft mehr machte, hatte sich als Blumenhändlerin im Schloßviertel niedergelassen unter dem Namen Louison; sie war siebzehn Jahre alt, hübsch und witzig. Man kann kühnlich wetten, daß nicht der Hunger sie nach Versailles führte. Sie folgte der allgemeinen Begeisterung, ihrem guten Herzen und ihrem Mut. Die Frauen setzten sie an die Spitze und machten sie zu ihrer Wortführerin.

Es gab noch sehr viele andere, die keineswegs der Hunger trieb. Da waren Händlerinnen, Hausmeisterinnen, öffentliche Dirnen, mitleidig und barmherzig, wie sie es oft sind. Da war eine bedeutende Anzahl Marktweiber; die waren durchaus königstreu, aber um so eher wünschten sie, den König in Paris zu haben. Sie hatten ihn kurze Zeit vorher bei irgend einer Gelegenheit besucht und mit großer Offenherzigkeit, mit einer lächerlichen, aber rührenden Vertrautheit, die einen deutlichen Begriff von der Lage gab, zu ihm geredet: »Armer Mann!« sagten sie, indem sie den König anblickten. »Lieber Mann! Guter Papa!« Und in ernsterem Tone zur Königin: »Madame, Madame, öffnen Sie Ihr Innerstes! Seien wir offen! Verbergen wir nichts, sagen wir freimütig alles, was wir zu sagen haben!«

Diese Marktweiber gehören nicht zu denen, die sehr unter der Not leiden; ihr Handel mit den zum Leben notwendigen Dingen ist weniger dem Zufall ausgesetzt. Aber sie sehen das Elend besser als irgend jemand und können es nachfühlen; da sie immer auf einem Platze leben, so entwischen sie nicht wie wir dem Anblick der Leiden. Niemand ist teilnehmender, niemand den Unglücklichen wohlgesinnter. Unter groben Formen, unter rohen und heftigen Worten bergen sie oft ein königliches, unendlich gütiges Herz. Wir haben es erlebt, wie unsere Pikarden, die Marktweiber von Amiens, arme Gemüseverkäuferinnen, den Vater von vier Kindern, den man köpfen wollte, retteten; es war bei der Krönung Karls X., sie ließen ihren Handel und ihre Familie im Stich und gingen nach Reims, sie brachten den König zum Weinen und entrissen ihm die Begnadigung; bei der Rückkehr veranstalteten sie unter sich eine reichliche Sammlung und schickten den Vater, die Frau und die Kinder, gerettet und mit Wohltaten überhäuft, heim.

Am 5. Oktober, um sieben Uhr, hörten sie die Pauke schlagen und widerstanden nicht. Ein junges Mädchen hatte eine Wachttrommel genommen und schlug den Generalmarsch. Das war Montags; die Hallen wurden verlassen, alle zogen ab: »Wir wollen ›den Bäcker und die Bäckerin‹ zurückbringen,« sagten sie, »und wir werden das Vergnügen haben, unser Mütterchen Mirabeau zu hören.«

»Die Hallen sind auf dem Marsch,« und aus einer anderen Richtung rückt der Faubourg Saint-Antoine an. Unterwegs schleppten die Weiber alle Frauen mit sich, denen sie irgend begegneten, und drohten allen denen, die nicht mitziehen wollten, ihnen die Haare abzuschneiden. Zuerst zogen sie zum Rathausplatz. Man hatte einen Bäcker dahingebracht, der auf ein Brot von zwei Pfund sieben Unzen zu wenig gab. Sein Ladenschild wurde ihm entfernt. Obgleich der Mann nach eigenem Geständnis schuldig war, ließ ihn die Bürgerwehr entwischen. Sie präsentierte das Gewehr vor den vier- oder fünfhundert Frauen, die schon versammelt waren. Auf der anderen Seite im Hintergrund des Platzes stand die Kavallerie der Bürgerwehr. Die Frauen gerieten nicht aus der Fassung. Sie bewarfen Kavallerie und Infanterie mit Steinen; diese konnten sich nicht entschließen, auf sie zu schießen. Sie stürmten das Rathaus und drangen in alle Bureaus. Viele waren recht gut angezogen, sie hatten ein weißes Kleid angelegt für den großen Tag. Sie fragten neugierig, wozu jeder Saal diene, und baten die Distriktsvorsteher, diejenigen gut zu empfangen, die sie mit Gewalt herbeigeschleppt hatten, von denen mehrere schwanger und vielleicht krank vor Furcht waren. Andere Frauen, halb verhungert, brüllten wild nach Brot und Waffen. Die Männer waren Feiglinge, man wollte ihnen zeigen, was Mut war. Alle Leute im Rathaus waren leicht zu überrumpeln, es galt ihre Schriftstücke, ihre Scharteken zu verbrennen. Und sie machten sich daran, wollten vielleicht das Gebäude selbst anzünden. Ein Mann hielt sie auf, ein Mann von hoher Gestalt, im schwarzen Rock und mit ernstem Gesicht, das noch trauriger war als sein Rock. Sie wollten ihn zuerst töten, im Glauben, er sei ein Beamter, und nannten ihn einen Verräter. Er antwortete, er sei kein Verräter, aber Türhüter seines Zeichens, einer der Sieger bei der Bastille. Es war Stanislas Maillard.

Seit dem frühen Morgen hatte er sich im Faubourg Saint-Antoine nützlich betätigt. Die Freiwilligen der Bastille standen unter Hullins Befehl bewaffnet auf dem Platz; die Arbeiter, die die Befestigung zerstörten, glaubten, daß man sie gegen sie schicke. Maillard warf sich dazwischen und verhütete den Zusammenstoß. Beim Rathaus hatte er das Glück, den Brand verhindern zu können. Die Frauen versprachen sogar, keine Männer hereinzulassen; sie hatten bewaffnete Wachen vor den Haupteingang gestellt. Um elf Uhr griffen die Männer den Nebeneingang an, der auf die Arkaden von St. Jean hinausging. Mit Brechstangen, Hämmern, Hacken und Piken bewaffnet, dringen sie auf das Tor ein und stürmen die Waffenmagazine. Unter ihnen befand sich ein Gardist, der am Morgen die Sturmglocke hatte läuten wollen, und den man auf der Stelle verhaftet hatte; er war, sagte er, wie durch ein Wunder entwischt; die Gemäßigten, ebenso wütend wie die anderen, hätten ihn aufgehangen, wären die Frauen nicht gewesen; sein Hals war entblößt, die Schnur hatten sie davon entfernt. Aus Rache ergriff man einen Beamten, um ihn aufzuhängen; es war der brave Lefebvre, der am 14. Juli Pulver verteilt hatte; Frauen, oder als Frauen verkleidete Männer, hingen ihn tatsächlich am kleinen Glockenturm auf; eine oder einer von ihnen schnitt die Schnur ab; er fiel, lediglich betäubt, in einen Saal fünfundzwanzig Fuß tief hinab.

Weder Bailly noch Lafayette waren gekommen. Maillard suchte den stellvertretenden Generalstabschef und sagte zu ihm, daß es nur ein Mittel gäbe, der Sache ein Ende zu machen: er, Maillard, müßte die Frauen nach Versailles führen. Durch diesen Ausflug würde man Zeit gewinnen, Hilfskräfte zu sammeln. Er geht hinunter, schlägt die Trommel und verschafft sich Gehör. Das düster kalte Gesicht des großen schwarzen Mannes machte guten Eindruck auf der Grève; er schien ein kluger Mann und ganz geeignet, die Sache gut durchzuführen. Die Frauen, die bereits mit den Stadtgeschützen abziehen, rufen ihn zum Hauptmann aus. Er setzt sich an die Spitze mit acht oder zehn Trommlern; sieben- oder achttausend Frauen folgen, einige hundert bewaffnete Männer und schließlich als Nachhut eine Kompagnie Freiwilliger von der Bastille.

Als sie bei den Tuilerien anlangten, wollte Maillard dem Kai folgen, die Frauen dagegen wollten im Triumph unter der Turmuhr her durch den Palast und den Garten ziehen. Maillard wahrte die Form und riet ihnen, wohl zu beachten, daß es das Haus des Königs und der Garten des Königs sei; ohne Erlaubnis hindurchzugehen, hieße den König beleidigen. Er näherte sich höflich dem Schweizer und sagte ihm, daß die Damen lediglich passieren wollten, ohne den geringsten Schaden anzurichten. Der Schweizer zog den Degen und stürzte auf Maillard los, der den seinen zog. Im richtigen Augenblick schlägt eine Hausmeisterin mit einem Stock zu, der Schweizer fällt, ein Mann setzt ihm das Bajonett auf die Brust. Maillard nimmt ihn fest, entwaffnet kaltblütig die beiden Männer und nimmt die Degen und das Bajonett an sich.

Der Morgen rückte vor, der Hunger wurde größer. In Chaillot, in Auteuil, in Sèvres war es sehr schwer, die armen Ausgehungerten am Diebstahl von Lebensmitteln zu hindern. Maillard duldete ihn nicht. In Sèvres war die Schar völlig erschöpft; es gab sogar nicht einmal etwas zu kaufen; alle Häuser waren geschlossen mit Ausnahme eines einzigen, das einem Kranken gehörte, der daheim geblieben war; Maillard ließ sich einige Krüge Wein von ihm geben gegen Bezahlung. Dann wählte er sieben Leute aus und gab ihnen den Auftrag, die Bäcker von Sèvres mit ihrem gesamten Vorrat herbeizubringen. Im ganzen waren acht Brote vorhanden, zweiunddreißig Pfund für achttausend Menschen! Man verteilte sie und schleppte sich weiter. Die Müdigkeit bestimmte die meisten Frauen, ihre Waffen wegzuwerfen. Maillard ließ sie übrigens wissen, daß, wenn man den König und die Nationalversammlung aufsuchen wolle, um sie zu rühren und wohlwollend zu stimmen, man nicht in dieser kriegerischen Aufmachung ankommen dürfe. Die Geschütze wurden an das Ende des Zuges gebracht und irgendwie versteckt. Der kluge Türhüter wollte eine »stille Vorführung«, um im Gerichtsstil zu sprechen. Beim Einzug in Versailles gab er, um die friedliche Absicht recht deutlich zu offenbaren, den Frauen ein Zeichen, das Lied von Heinrich IV. zu singen.

Die Leute von Versailles waren entzückt und riefen: »Unsere Pariserinnen sollen leben!« Die fremden Zuschauer sahen diese Menge, die den König um Hilfe bitten wollte, als völlig harmlos an. Ein der Revolution sehr wenig wohlgesinnter Mann, der Genfer Dumont, der im Palast der Petites Ecuries dinierte und vom Fenster aus zusah, sagte später selbst: »Dies ganze Volk verlangte nur Brot.«

Die Versammlung war an diesem Tage sehr stürmisch gewesen. Der König wollte weder die »Erklärung der Rechte«, noch die Beschlüsse vom 4. August unterzeichnen, sondern antwortete, daß man über die Grundgesetze nur in ihrer Gesamtheit entscheiden könne, daß er nichtsdestoweniger seine Zustimmung gäbe im Hinblick auf die beunruhigenden Umstände und unter der ausdrücklichen Bedingung, daß die ausführende Gewalt ihre ganze Macht zurückbekäme.

»Wenn Sie den Brief des Königs annehmen,« sagt Robespierre, »so gibt es keine Verfassung mehr noch irgendein Recht darauf.« Duport, Grégoire und andere Abgeordnete sprechen im gleichen Sinne. Pétion erinnert an die Ausschreitung der Leibwache und klagt sie an. Ein Abgeordneter, der selbst dabei gedient hatte, verlangt, daß man ehrenhalber die Anzeige schriftlich formuliere, und daß die Schuldigen verfolgt würden. »Ich werde die Anklage verfassen und unterzeichnen,« sagt Mirabeau, »wenn die Versammlung erklärt, daß die Person des Königs allein unverletzlich ist.« Das hieß die Königin als die Schuldige bezeichnen. Die ganze Versammlung schreckte davor zurück; der Antrag wurde zurückgezogen; an einem solchen Tage wäre er die Ursache für einen Mord gewesen.

Mirabeau selbst war in einiger Unruhe wegen seiner Winkelzüge. Er näherte sich dem Präsidenten und sagte halblaut zu ihm: »Mounier, Paris ist im Anmarsch gegen uns. Glauben Sie mir oder glauben Sie mir nicht, vierzigtausend Menschen ziehen gegen uns. Stellen Sie sich unwohl, gehen Sie ins Schloß und überbringen Sie die Nachricht; es ist keine Minute zu verlieren.« »Paris ist auf dem Marsche?« sagte Mounier trocken (er hielt Mirabeau für einen der Anstifter der Bewegung); »um so besser! Um so eher werden wir die Republik haben.«

Die Versammlung beschloß, daß man zum König schicken und die klare und glatte Annahme der »Erklärung der Rechte« verlangen sollte. Um drei Uhr teilte Target mit, daß eine große Menschenmenge an den Toren der Straße nach Paris sichtbar wäre.

Jedermann wußte von dem Ereignis. Nur der König wußte es nicht. Er war wie gewöhnlich morgens zur Jagd gegangen und streifte in den Wäldern von Meudon. Man suchte ihn, und während man wartete, schlug man den Generalmarsch; die Leibwachen stiegen auf dem Exerzierplatz zu Pferde und nahmen am Gitter Aufstellung; das flandrische Regiment unterhalb rechts von ihnen, in der Nähe der Straße nach Sceaux; noch weiter unten die Dragoner und hinter dem Gitter die Schweizer.

Inzwischen langte Maillard vor dem Gebäude der Nationalversammlung an. Alle Frauen wollten hinein. Er hatte die größte Mühe, sie zu überreden, nur fünfzehn der ihrigen eintreten zu lassen. Sie stellten sich an die Schranke, an ihrer Spitze der Gardist, von dem oben die Rede war, eine Frau, die oben an einer Stange eine Schellentrommel trug, und in der Mitte der hünenhafte Türhüter, im schwarzen, zerrissenen Rock, den Degen in der Hand. Der Soldat ergriff ungestüm das Wort und verkündete der Versammlung, daß er am Morgen, da niemand mehr Brot bei den Bäckern fand, die Sturmglocke habe läuten wollen, daß man ihn beinahe gehängt habe, daß er seine Rettung den Damen verdankte, die ihn begleiteten. »Wir kommen,« sagte er, »um Brot zu verlangen und die Bestrafung der Leibwachen, die die Kokarde beleidigt haben. Wir sind gute Patrioten, wir haben unterwegs die schwarzen Kokarden abgerissen. Ich habe das Vergnügen, eine davon unter den Augen der Versammlung in Stücke zu reißen.«

Und der andere fügte ernst hinzu: »Jedermann täte gut daran, die Kokarde des Vaterlandes zu nehmen.« Ein Murmeln erhob sich hier und da.

»Und dennoch sind wir alle Brüder!« sagte die düstere Gestalt.

Maillard spielte auf die Erklärung des Pariser Rates vom Abend vorher an; daß, da die dreifarbige Kokarde als Zeichen der Verbrüderung angenommen worden sei, sie die einzige sei, die der Bürger tragen dürfe.

Die ungeduldigen Frauen schrien alle miteinander: »Brot! Brot!« Maillard begann darauf, die schreckliche Lage von Paris zu schildern, und daß die Zufuhren von den andern Städten oder von den Adeligen abgeschnitten seien. »Sie wollen uns Hungers sterben lassen,« sagte er. »Ein Müller hat zweihundert Livres erhalten, damit er nicht mehr mahle, und das Versprechen, man wolle ihm wöchentlich die gleiche Summe geben.« Rufe in der Versammlung: »Namen nennen! Namen nennen!« In der Versammlung selbst hatte Grégoire von diesem Gerücht gesprochen; Maillard hatte es unterwegs erfahren.

»Namen nennen!« Einige Frauen riefen auf gut Glück: »Es ist der Erzbischof von Paris.«

Da gab Robespierre einen bedeutsamen Anstoß. Er allein unterstützte Maillard und sagte, daß der Abbé Grégoire von der Sache gesprochen habe und zweifellos Auskunft geben würde.

Andere Mitglieder der Versammlung versuchten es mit Schmeicheleien oder Drohungen. Ein geistlicher Abgeordneter, ein Abbé oder Prälat, wollte seine Hand einer der Frauen zum Kuß reichen. Sie wurde wütend und rief: »Ich bin nicht dazu da, einem Hund die Pfote zu küssen!« Ein anderer Abgeordneter, Militär und Ritter des Kreuzes vom Heiligen Ludwig, hörte Maillard sagen, daß die Geistlichkeit den großen Widerstand gegen die Verfassung bedeute, entrüstete sich darüber und sagte, dafür verdiene er auf der Stelle eine schwere Strafe. Maillard antwortete, ohne zu erschrecken, daß er kein Mitglied der Versammlung beschuldige, daß die Geistlichkeit zweifellos von all dem nichts wisse, und daß er ihr einen Dienst zu erweisen glaube, wenn er sie davon unterrichte. Zum zweitenmal unterstützte Robespierre Maillard und beruhigte die Frauen. Die Draußenstehenden wurden ungeduldig und fürchteten für ihren Redner; das Gerücht lief unter ihnen, er sei tot. Er ging hinaus und zeigte sich einen Augenblick.

Dann begann Maillard von neuem und bat die Versammlung, die Leibwachen aufzufordern, für die Beleidigung der Kokarde Genugtuung zu leisten. Einige Abgeordnete erklärten diese für unwahr. Maillard beharrte darauf in wenig gemäßigten Ausdrücken. Der Präsident Mounier erinnerte ihn an die der Versammlung schuldige Achtung und fügte ungeschickt hinzu, daß diejenigen, welche Bürger sein wollten, es ganz nach ihrem Belieben sein könnten. Das war Wasser auf die Mühle Maillards; er ergriff die Gelegenheit und erwiderte: »Jedermann muß stolz auf den Namen Bürger sein. Und wenn in dieser erlauchten Versammlung einer säße, der sich dadurch entehrt fühlte, so müßte er ausgeschlossen werden.« Die Versammlung murrte und klatschte Beifall: »Ja, wir sind alle Bürger!«

In diesem Augenblick brachte man von der Leibwache eine dreifarbige Kokarde. Die Frauen riefen: »Es lebe der König! Es lebe die Leibwache!« Maillard, der sich nicht so leicht zufrieden gab, beharrte auf der Notwendigkeit, das flandrische Regiment zu entlassen.

Mounier hoffte, sie jetzt verabschieden zu können, und erklärte, daß die Versammlung nichts versäumt habe, für die Verpflegung zu sorgen, und der König ebensowenig; man würde nach neuen Mitteln suchen, und sie könnten in Frieden gehen. Maillard rührte sich nicht von der Stelle und erklärte: »Nein, das genügt nicht.«

Ein Abgeordneter schlug dann vor, dem König die unglückliche Lage von Paris vorzustellen. Die Versammlung beschloß es, und die Frauen klammerten sich eifrig an diese Hoffnung, fielen den Abgeordneten um den Hals und umarmten den Präsidenten, wie der sich auch wehrte. »Aber wo ist denn Mirabeau?« riefen sie noch. »Wir möchten gern unseren Grafen Mirabeau sehen!«

Mounier wurde geküßt, umringt, beinahe erstickt und machte sich betrübt auf den Weg mit der Abordnung und einer Menge Frauen, die ihm hartnäckig folgten. »Wir gingen zu Fuß durch den Straßenkot,« erzählte er, »es goß in Strömen. Wir kamen quer durch eine schlecht gekleidete, lärmende, wunderlich bewaffnete Menge.« Leibwachen bildeten Patrouillen und ritten im Galopp vorbei. Als diese Wachen Mounier und die Abgeordneten mit ihrem sonderbaren Ehrengeleit bemerkten, glaubten sie offenbar, die Häupter des Aufstandes vor sich zu haben, wollten die Masse zerstreuen und ritten querdurch. Die »Unverletzlichen« liefen, was sie konnten, durch den Straßenkot davon. Man stelle sich die Wut des Volkes vor, das sich einbildete, in ihrer Begleitung sicher rücksichtsvoll behandelt zu werden.

Zwei Frauen wurden verwundet und nach der Aussage von Zeugen sogar durch Säbelhiebe [ * ] Wenn, wie man versichert, der König verbot, tätlich vorzugehen, so kam das Verbot später und zu spät. . Inzwischen tat das Volk noch nichts. Von drei bis acht Uhr abends verhielt es sich geduldig und still, nur stieß es hier und da Schreie und höhnische Rufe aus, wenn die verhaßte Uniform der Leibwachen sichtbar wurde. Ein Kind warf Steine.

Man hatte den König gefunden; er war, ohne sich zu beeilen, von Meudon zurückgekehrt. Mounier wurde endlich erkannt und mit zwölf Frauen empfangen. Er sprach zum König von der Not in Paris, zu den Ministern von der Forderung der Versammlung, die eine klare und glatte Annahme der »Erklärung der Rechte« und anderer Artikel der Verfassung erwartete. Der König hörte indessen die Frauen gütig an. Die junge Louison Chabry war beauftragt worden, das Wort zu führen; aber vor dem König wurde ihre Erregung so stark, daß sie kaum das Wort »Brot!« herausbrachte und ohnmächtig zu Boden sank. Der König war sehr gerührt und ließ ihr Hilfe bringen, und als sie ihm beim Fortgehen die Hand küssen wollte, umarmte er sie wie ein Vater.

Sie kam als Royalistin heraus mit dem Rufe: »Es lebe der König!« Die Frauen, die wütend auf dem Platze warteten, flüsterten sich zu, man habe sie bezahlt; es nützte ihr nichts, daß sie ihre Taschen umwandte und zeigte, daß sie kein Geld besaß; die Frauen legten ihr die Strumpfbänder um den Hals, um sie zu erwürgen. Man rettete sie nicht ohne Mühe. Sie mußte ins Schloß zurückgehen und vom König einen schriftlichen Befehl zu erlangen suchen, daß man Getreide kommen ließ, daß man jedes Hindernis der Verproviantierung von Paris beseitigte.

Auf die Bitten des Präsidenten hatte der König ruhig geantwortet: »Kommen Sie gegen neun Uhr wieder.« Mounier war gleichwohl, im Schloß geblieben, an der Türe zum Kronratssaal; er beharrte auf einer Antwort und klopfte von Stunde zu Stunde an bis abends um zehn. Aber nichts entschied sich.

Der Minister von Paris, Herr von Saint-Priest, hatte die Nachricht sehr spät erfahren (ein Beweis, wie unvorhergesehen und plötzlich der Ausflug nach Versailles erfolgte). Er schlug vor, die Königin solle nach Rambouillet abreisen, der König solle bleiben, Widerstand leisten und, wenn nötig, kämpfen; die Abreise der Königin allein hätte das Volk beruhigt und den Kampf überflüssig gemacht. Necker wollte, daß der König nach Paris ging und sich dem Volke anvertraute, das heißt, daß er freimütig und aufrichtig wäre und sich der Revolution fügte. Ludwig XVI. faßte keinen Entschluß und vertagte den Kronrat, um die Königin zu befragen.

Sie wollte gern abreisen, aber mit ihm, sie wollte einen so unzuverlässigen Menschen nicht sich selbst überlassen; mit dem Namen des Königs als Waffe konnte sie den Bürgerkrieg beginnen. Saint-Priest erfuhr gegen sieben Uhr, daß Lafayette, von der Nationalgarde gezwungen, auf Versailles marschiere. »Man muß auf der Stelle abreisen,« meinte er. »Der König an der Spitze der Truppen wird unbehelligt ziehen können.« Aber es war unmöglich, diesen zu einem Entschluß zu bewegen. Er glaubte (sehr mit Unrecht), daß die Versammlung nach seiner Abreise den Herzog von Orléans zum König machen würde. Er verschmähte auch die Flucht, er ging mit großen Schritten hin und her und wiederholte von Zeit zu Zeit: »Ein flüchtiger König! Ein flüchtiger König!« Da die Königin indessen auf der Abreise beharrte, wurden die Wagen befohlen. Doch schon war es zu spät.

Ein Milizsoldat aus Paris, den ein Trupp Weiber gegen seinen Willen zum Anführer gemacht hatte, und der, durch den Marsch erhitzt, in Versailles noch ungestümer war als alle anderen, wagte es, um die Leibwache herumzugehen; als er das Gitter geschlossen sah, beschimpfte er die Schildwache, die innerhalb stand, und bedrohte sie mit dem Bajonett. Ein Leutnant der Wache und zwei andere ziehen den Säbel und jagen im Galopp hinter ihm drein. Der Mann nimmt die Beine in die Hand, sucht eine Hütte zu erreichen, rennt gegen eine Tonne und fällt unter dauernden Hilferufen hin. Der Reiter erreicht ihn – da konnten die Nationalgarden von Versailles nicht mehr an sich halten; einer von ihnen, ein Weinhändler, tritt aus den Reihen, legt auf ihn an, schießt und nimmt ihn kurzerhand fest; er hatte den Arm zerschmettert, der den Säbel in die Höhe hielt.

D'Estaing, der Kommandant dieser Nationalgarde, war im Schloß, in dem Glauben, mit dem König abreisen zu sollen. Lecointre, der Oberstleutnant, blieb auf dem Platz und bat den Magistrat um Befehle, aber der erteilte keine. Er fürchtete mit Recht, daß die ausgehungerte Menge in die Stadt strömen und sich selbst Nahrung verschaffen möchte. Er suchte sie auf, fragte, was an Lebensmitteln nötig wäre, wandte sich an den Magistrat mit dem dringenden Ersuchen um Hilfe, erlangte aber nur ein wenig Reis – eine Bagatelle für so viele Menschen. Dann ließ er überall suchen und linderte, dank seinem gesunden Verstande, ein wenig die Not des Volkes.

Gleichzeitig wandte er sich an das flandrische Regiment [ * ] Das flandrische Regiment und das Dragonerregiment waren erst kurz vorher zur Verstärkung der Gardes du corps nach Versailles gezogen worden. Der König plante, unter dem Schutz dieser Regimenter nach Metz abzureisen. R. K. und fragte die Offiziere und Soldaten, ob sie schießen würden. Diese wurden schon durch einen viel gewichtigeren Einfluß gedrängt. Frauen hatten sich unter sie geworfen und baten sie, dem Volke nichts Böses zu tun. Eine von ihnen erschien damals zuerst, der wir noch oft begegnen werden, die scheinbar nicht im Straßenkot mit den anderen marschiert war, sondern zweifellos viel später kam und sich sofort mitten unter die Soldaten stürzte. Es war das hübsche Fräulein Théroigne de Méricourt, aus Lüttich gebürtig, temperamentvoll und ungestüm, wie so viele Frauen aus Lüttich, die an den Revolutionen des fünfzehnten Jahrhunderts teilnahmen und tapfer gegen Karl den Kühnen kämpften. Pikant, originell, fremdartig mit ihrem Amazonenhut und ihrem roten Überrock, den Säbel an der Seite, sprach sie, aber dennoch mit großer Beredsamkeit, einen Mischmasch, französisch und den Jargon von Lüttich durcheinander. Man lachte, aber man gab ihr nach. Stürmisch, bezaubernd, überwältigend, kannte sie kein Hindernis.

Théroigne war also auf das arme flandrische Regiment losgestürmt, verdrehte ihm den Kopf, gewann es für sich und entwaffnete es so völlig, daß es brüderlich seine Patronen den Nationalgarden von Versailles auslieferte.

Dann ließ d'Estaing ihnen sagen, sie sollten sich zurückziehen. Einige zogen ab; andere erwiderten, daß sie nur gehen würden, wenn die Leibwache zuerst abgezogen sei. Die Wache erhielt den Befehl, an ihnen vorbeizumarschieren. Es war acht Uhr, ein dunkler Abend. Das Volk folgte und bedrängte die Wache unter höhnischen Zurufen. Diese hatte blank gezogen und schuf sich freie Bahn. Die Leute am Schlusse, die in größerer Bedrängnis waren als die anderen, feuerten Revolverschüsse ab; drei Nationalgardisten werden getroffen, der eine in die Backe, die beiden anderen erhalten Kugeln in ihre Röcke. Ihre Kameraden erwidern das Feuer. Die Leibwachen antworten mit den Karabinern.

Andere Nationalgardisten betraten den Hof, umringten d'Estaing und forderten Munition. Er war selbst erstaunt über ihre Kampflust und den Mut, den sie bewiesen, so ganz allein mitten zwischen den Truppen. »Wahre Märtyrer der Begeisterung,« sagte er später zur Königin.

Ein Leutnant aus Versailles erklärte dem Artillerieaufseher, wenn er kein Pulver herausgäbe, würde er ihm das Gehirn verbrennen. Da lieferte er eine Tonne aus, der man auf dem Platz den Boden ausschlug; man lud die Kanonen und richtete sie gegen die Rampe, derart, daß man die Truppen, die das Schloß noch deckten, und die Leibwachen, die auf den Platz zurückkehrten, in die Flanke nahm.

Die Leute von Versailles hatten auf der anderen Seite des Schlosses die gleiche Festigkeit bewiesen. Fünf Wagen zeigten sich am Gitter, fertig zur Abfahrt; es war die Königin, hieß es, die nach Trianon abreisen wollte. Der Schweizer öffnet, die Garde macht wieder zu. »Es wäre gefährlich für Ihre Majestät,« sagte der Kommandant, »sich vom Schlosse zu entfernen.« Die Wagen kehrten mit Geleit um. Der Durchgang war versperrt, der König gefangen.

Derselbe Kommandant rettete einen Leibgardisten, den die Menge in Stücke reißen wollte, weil er auf das Volk geschossen hatte. Er machte seine Sache so gut, daß man den Mann losließ; man begnügte sich mit dem Pferd, das zerteilt wurde; man begann es auf dem Exerzierplatz zu braten; aber die Menge hatte zu großen Hunger, es wurde fast roh gegessen.

Der Regen fiel. Die Menge suchte Schutz, wo sie konnte, die einen drückten das Gitter der Grandes Ecuries ein, wo das flandrische Regiment stand, und ließen sich dort mitten unter den Soldaten nieder. Andere, ungefähr viertausend, waren am Versammlungsgebäude geblieben. Die Männer waren ziemlich ruhig, aber die Frauen ertrugen diese Untätigkeit nur mit Ungeduld; sie schwatzten, schrien, erregten sich. Maillard allein konnte sie zum Schweigen bringen, und auch das erreichte er nur durch eine feierliche Ansprache an die Versammlung.

Es trug nicht zur Beruhigung der Menge bei, daß die Leibwachen die Dragoner aufsuchten, die an den Türen des Versammlungsgebäudes standen, und sie baten, ihnen zu helfen, die das Schloß bedrohenden Geschütze zu nehmen. Man wollte sich auf sie stürzen, die Dragoner ließen sie entweichen.

Um acht Uhr geschah ein anderer Versuch. Man brachte einen Brief des Königs, worin er, ohne die Erklärung der Rechte zu erwähnen, in unbestimmter Form den freien Umsatz des Getreides versprach. Wahrscheinlich herrschte in diesem Augenblick der Gedanke an Flucht im Schlosse. Ohne Mounier, der immer noch an der Tür des Kronrates stand, eine Antwort zu erteilen, schickte man diesen Brief, um die wartende Menge zu beschäftigen.

Eine sonderbare Erscheinung hatte den Schrecken des Hofes vermehrt. Ein junger Mann aus dem Volke tritt ein, schlecht gekleidet, völlig erschöpft. Man wundert sich. Es war der Herzog von Richelieu, der sich in diesem Aufzuge unter die Menge gemischt hatte, unter den neuen Haufen Volks, der von Paris herankam, er hatte ihn halben Wegs verlassen, um die königliche Familie zu benachrichtigen; er hatte furchtbare Äußerungen gehört, wilde Drohungen, bei denen die Haare sich sträubten. Als er das erzählte, war er so bleich, daß jedermann ebenfalls erbleichte.

Das Herz des Königs wurde schwach; er merkte, daß die Königin in Gefahr war. Obgleich er es seinem Gewissen abringen mußte, das Werk der Gesetzgebung einer Scheinweisheit zu bestätigen, unterzeichnete er um zehn Uhr abends die »Erklärung der Rechte«.

Mounier konnte also endlich fortgehen. Er beeilte sich, den Vorsitz wieder zu übernehmen, bevor diese große Armee aus Paris ankam, deren Pläne man nicht kannte. Er betrat den Saal, aber die Versammlung war nicht mehr da; sie hatte die Sitzung aufgehoben. Die immer mehr lärmende, immer anspruchsvollere Menge hatte verlangt, daß man den Preis des Brotes und des Fleisches herabsetze. Mounier fand an seinem Platz auf dem Präsidentenstuhl ein großes Weib mit guten Manieren, das die Glocke in der Hand hatte und nur ungern herabstieg. Er gab Befehl, man solle versuchen, die Abgeordneten wieder zusammenzubringen; während er wartete, verkündete er dem Volke, daß der König die Artikel der Verfassung soeben angenommen habe. Die Frauen drängten sich um ihn und baten ihn, ihnen eine Abschrift zu geben; andere meinten: »Aber, Herr Präsident, soll das ein Vorteil sein? Sollen die armen Leute in Paris dadurch Brot bekommen?« Wieder andere: »Wir haben großen Hunger. Wir haben heute nicht gegessen.« Mounier sagte, man solle Brot bei den Bäckern aufzutreiben suchen. Von allen Seiten kamen die Lebensmittel. Man begann unter großem Lärm im Saale zu essen.

Die Frauen unterhielten sich während des Essens mit Mounier: »Aber, lieber Präsident, warum haben Sie das häßliche Veto [ * ] Die Vetofrage beschäftigte die Versammlung seit Monaten, und das Volk folgte den Verhandlungen mit glühendem Interesse. Schon am 30. August wollte der Marquis de Saint-Huruge, einer der Volksredner des Palais-Royal, mit 1500 Mann auf Versailles ziehen, um die Ausstoßung der »dummen, bestochenen und verdächtigen« Abgeordneten zu fordern, die das aufschiebende Veto des Königs vertraten. Das Palais-Royal schickte Deputationen ins Rathaus, damit die Stadtverwaltung dafür sorgen solle, daß das königliche Veto nicht zur Annahme käme. Wiederholt wurden Abgeordnete der Nationalversammlung aus dem gleichen Grunde von der Menge bedroht. In Versailles bat das Volk Mirabeau unter Tränen, das absolute Veto aufzugeben, und argumentierte ganz richtig, daß die Nationalversammlung überflüssig sei, wenn der König dieses Recht hätte. R. K. verteidigt? Hüten Sie sich wohl vor dem Galgen!« Mounier antwortete ihnen fest, sie seien nicht imstande zu urteilen, man führe sie irre, er seinerseits würde lieber sein Leben auf's Spiel setzen, als Verrat an seinem Gewissen begehen. Diese Antwort gefiel ihnen sehr; von da an bewiesen sie ihm große Achtung und Freundschaft.

Mirabeau allein hätte sich Gehör verschaffen und den Tumult ersticken können. Er kümmerte sich nicht darum. Sicher war er unruhig. Am Abend war er nach der Aussage mehrerer Zeugen mit einem großen Säbel unter das Volk gegangen und sagte zu denen, denen er begegnete: »Liebe Kinder, wir sind auf eurer Seite.« Dann hatte er sich zu Bett gelegt. Der Genfer Dumont suchte ihn auf und brachte ihn in die Versammlung zurück. Sogleich, als er ankam, rief er mit seiner dröhnenden Stimme: »Ich möchte wohl wissen, woher man den Mut nimmt, unsere Sitzungen zu stören. Herr Präsident, verschaffen Sie der Versammlung Achtung!« Die Frauen riefen Bravo! Es trat ein wenig Ruhe ein. Um die Zeit zu verbringen, nahm man die Diskussion über die Strafgesetze wieder auf.

»Ich stand auf einer Galerie,« erzählte Dumont, »wo ein Fischweib mit großer Überlegenheit auftrat und etwa hundert Frauen nach ihrem Willen lenkte, besonders junge Mädchen, die auf ihr Zeichen schrien oder schwiegen. Sie nannte vertraulich die Abgeordneten bei Namen oder fragte wohl: ›Wer spricht da unten? Laßt den Schwätzer aufhören! Das gehört nicht zur Sache! Wie man Brot bekommt, steht auf der Tagesordnung! Man soll lieber dafür sorgen, daß unser Mütterchen Mirabeau redet.‹ Und alle anderen riefen: ›Unser Mütterchen Mirabeau!‹ Aber er wollte durchaus nicht reden.«

Lafayette, der zwischen fünf und sechs Uhr von Paris aufgebrochen war, langte erst nach Mitternacht an. Wir müssen weiter zurückgreifen und ihm von Mittag bis Mitternacht folgen.

Gegen elf Uhr erhielt er die Nachricht von dem Einfall in das Rathaus und begab sich dahin. Die Menge war schon abgezogen, und er begann eine Depesche für den König zu diktieren. Die Nationalgarde, besoldete und unbesoldete, erfüllte die Grève, in Reih und Glied; es hieß, man müsse nach Versailles ziehen. Lafayette mochte sagen und tun, was er wollte, er wurde mit fortgerissen.

Das Schloß wartete in größter Besorgnis. Man dachte, daß Lafayette sich stellen würde, als habe man ihn gezwungen, aber daß er aus diesem Umstand Nutzen ziehen würde. Man wollte noch um elf Uhr zusehen, ob, da die Menge sich zerstreut hatte, die Wagen durch das Dragon-Gitter passieren konnten. Die Nationalgarde von Versailles wachte und sperrte die Passage.

Die Königin wollte übrigens durchaus nicht allein abreisen. Sie war mit Recht der Meinung, daß es keinerlei Sicherheit für sie gab, wenn sie sich vom König trennte. Ungefähr zweihundert Edelleute, unter denen mehrere Abgeordnete waren, boten sich zu ihrer Verteidigung an und baten sie um Befehl, Pferde aus ihren Ställen zu holen. Sie ermächtigte sie für den Fall, wie sie sagte, daß der König in Gefahr wäre.

Lafayette ließ vor dem Einzug in Versailles den Eid der Treue zum Gesetz und zum König erneuen. Er benachrichtigte diesen von seiner Ankunft, und der König antwortete ihm, daß er ihn mit Vergnügen empfangen würde und daß er soeben seine Erklärung der Rechte angenommen habe.

Lafayette betrat das Schloß allein, zum großen Erstaunen der Leibwachen und aller übrigen. Im Vorzimmer sagte ein Herr vom Hofe die törichten Worte: »Da ist Cromwell.« Und Lafayette erwiderte sehr schlagfertig: »Mein Herr, Cromwell wäre nicht allein hereingekommen.«

Der König gab der Nationalgarde die äußeren Posten des Schlosses; die Leibwachen behielten die inneren. Selbst der äußere Umkreis wurde Lafayette nicht ganz anvertraut. Eine seiner Patrouillen wollte durch den Park streifen, der Eintritt durch das Gitter wurde ihr verweigert. Der Park war von Leibwachen und anderen Truppen besetzt; bis zwei Uhr morgens erwarteten sie den König, für den Fall, daß er sich endlich zur Flucht entschloß. Erst um zwei Uhr ließ man ihnen, von Lafayette beruhigt, sagen, daß sie nach Rambouillet abziehen könnten.

Um drei Uhr hatte die Versammlung die Sitzung aufgehoben. Das Volk hatte sich zerstreut und war, so gut es ging, schlafen gegangen, in den Kirchen und anderswo. Maillard und viele Frauen, unter anderen Louison Chabry, waren kurz nach der Ankunft Lafayettes nach Paris zurückgekehrt und hatten die Dekrete über das Getreide und die »Erklärung der Rechte« mitgenommen.

Lafayette hatte große Mühe, seine Nationalgarden unterzubringen; durchnäßt, ermattet suchten sie sich zu trocknen und zu essen. Er selbst begab sich schließlich, als er alles ruhig glaubte, ins Hotel Noailles und schlief, wie man nach zwanzig Stunden Anstrengungen und Aufregungen schläft.

Viele Leute schliefen nicht. Besonders die, welche am Abend von Paris gekommen waren und die Mühen des vergangenen Tages nicht erduldet hatten. Der erste Zug, bei dem die Frauen die Hauptrolle spielten, der sehr spontan und harmlos und sozusagen durch die Bedürfnisse des Tages veranlaßt war, hatte kein Blut gekostet. Maillard hatte den Ruhm gehabt, sogar in der Unordnung eine gewisse Ordnung aufrecht zu erhalten. Das natürliche Crescendo, das man immer bei solchen Bewegungen beobachtet, gestattete nicht den Glauben, daß der zweite Zug ebenso verlaufen würde. Tatsache ist, daß er sich unter den Augen der Nationalgarde und gleichsam im Einverständnis mit ihr abgespielt hat. Nichtsdestoweniger waren Männer da, die entschlossen waren, ohne sie zu handeln; mehrere waren wütende Fanatiker, die die Königin gern getötet hätten. Gegen sechs Uhr morgens stürmten diese Leute aus Paris und Versailles (das waren die erbittertsten) in der Tat die königlichen Gemächer, trotz der Leibwachen, die fünf Leute aus dem Volke töteten; sieben Leibgardisten wurden niedergemacht.

Die Königin geriet in ernste Gefahr und entging ihr nur durch die Flucht in das Zimmer des Königs. Sie wurde von Lafayette gerettet, der zur rechten Zeit mit den französischen Garden herbeieilte.

Als der König auf dem Balkon erschien, brüllte die ganze Menge: »Der König soll nach Paris!«

Die Königin wurde gezwungen, ebenfalls zu erscheinen. Lafayette wurde sichtbar und küßte ihr, ihre Gefahr zu der seinen machend, die Hand. Das Volk, überrascht und besänftigt, sah nur noch das Weib und die Mutter und klatschte Beifall.

Merkwürdig! Die Politiker, die starken Köpfe, besonders diejenigen, die den Herzog von Orléans zum Generalleutnant machen wollten, fürchteten aufs äußerste die Überführung des Königs nach Paris. Sie glaubten, daß dies für Ludwig XVI. eine Möglichkeit war, wieder volkstümlich zu werden. Wenn die Königin (wäre sie nun getötet gewesen oder entflohen) ihm nicht gefolgt wäre, so hätten die Pariser sehr wahrscheinlich ihre alte Liebe zum König wiederentdeckt. Sie hatten zu jeder Zeit eine Schwäche für diesen dicken Mann, der keineswegs boshaft war, und der in seiner Wohlbeleibtheit einen Anflug von beglücktem und väterlichem Wohlwollen besaß, der ganz nach dem Geschmack der Menge war. Oben wurde bemerkt, daß die Marktweiber ihn einen guten Papa nannten; so dachte ihn sich das Volk in der Tat.

Der König hatte die Versammlung ins Schloß beschieden. Nicht einmal vierzig Abgeordnete leisteten diesem Rufe Folge. Die Mehrzahl war unsicher und blieb im Saal. Das Volk, das die Tribünen überfüllte, stellte ihre Unsicherheit fest; beim ersten Wort, das für die Sitzung im Schlosse gesprochen wurde, stieß es Rufe aus. Da erhob sich Mirabeau und sagte, nach seiner Gewohnheit seine Willfährigkeit gegen das Volk unter einer stolzen Sprache verbergend, »daß die Freiheit der Nationalversammlung aufs Spiel gesetzt würde, wenn im Palast der Könige Beratungen abgehalten würden, daß es ihrer nicht würdig sei, die Stätte ihrer Sitzungen zu verlassen, daß eine Abordnung genüge«. Der junge Barnave unterstützte ihn. Der Präsident Mounier widersprach vergebens.

Endlich erfährt man, daß der König in die Abreise nach Paris einwilligt; die Versammlung beschließt auf den Vorschlag Mirabeaus, daß sie für die gegenwärtige Session vom König unzertrennlich ist.

Der Tag rückt vor. Es ist bald ein Uhr. Man muß abreisen, Versailles verlassen. Adieu, alte Monarchie!

Hundert Abgeordnete umgeben den König, ein ganzes Heer, ein ganzes Volk. Er entfernt sich vom Palast Ludwigs XIV., um nie wieder dahin zurückzukehren.

Die ganze Menge setzt sich in Bewegung, sie kehrt nach Paris zurück, vor dem König und hinter ihm. Männer, Weiber kommen voran, so gut es geht, zu Fuß, zu Pferd, zu Wagen, auf gefundenen Karren, auf den Lafetten der Geschütze. Man begegnete erfreut einem großen Transport Mehl, ein schöner Anblick für die ausgehungerte Stadt. Die Frauen trugen auf Piken dicke Laibe Brot, andere Pappelzweige, die durch das Oktoberwetter schon gelb geworden waren. Sie waren sehr lustig und auf ihre Art liebenswürdig, von einigen schlechten Witzen auf Kosten der Königin abgesehen. »Wir bringen den Bäcker, die Bäckerin und den kleinen Bäckerburschen heim,« riefen sie. Alle meinten, daß man niemals Hungers sterben könnte, wenn man den König bei sich habe. Alle waren noch Royalisten und freuten sich sehr, daß sie diesen »guten Papa« endlich in gute Hände geben konnten; er hatte nicht gerade viel Verstand, er hatte sein Wort gebrochen, daran war seine Frau schuld; aber, wenn er einmal in Paris war, so würde es nicht an guten Frauen fehlen, die ihn besser berieten.

All dies ging fröhlich, traurig, ungestüm, lustig und düster zugleich zu. Man hatte Hoffnung, aber der Himmel machte nicht mit. Das Wetter begünstigte das Fest unglücklicherweise wenig. Es goß in Strömen, man marschierte langsam im dicken Kot. Jeden Augenblick feuerten einige, aus Freude oder um ihre Waffen zu entladen, Flintenschüsse ab.

Der königliche Wagen, unter Geleit mit Lafayette am Schlage, fuhr wie ein Sarg daher. Die Königin war unruhig. War es sicher, daß sie glücklich ankam? Sie fragte Lafayette, wie er darüber dächte, und der fragte seinerseits Moreau de Saint-Méry, der in den berüchtigten Tagen des Sturmes auf die Bastille im Rathaus den Vorsitz geführt hatte und seine Leute gut kannte. Er antwortete mit den bezeichnenden Worten: »Ich zweifele, daß die Königin allein bei den Tuilerien anlangt; aber, ist sie einmal im Rathaus, so wird sie auch wieder herauskommen.«

Nun ist der König in Paris, an dem einzigen Ort, wo er sein mußte, im Herzen Frankreichs selbst. Hoffen wir, daß er sich dessen würdig zeigt.

Die Revolution vom 6. Oktober, notwendig, natürlich und rechtmäßig, wie je eine war, ganz spontan, unvorhergesehen, wahrhaft volkstümlich, kommt besonders auf Rechnung der Frauen, wie die vom 14. Juli auf Rechnung der Männer. Die Männer haben die Bastille genommen, und die Frauen haben den König gefangen.

Am 1. Oktober wurde alles verdorben von den Damen in Versailles [ * ] Am 1. Oktober gaben die Gardes du corps den Offizieren des flandrischen Regimentes, der Dragoner und der Schweizer ein großes Fest. Das Königspaar und der Hof waren zugegen, Marie Antoinette und ihre Damen verteilten eigenhändig weiße Kokarden – die Farbe der Bourbonen – unter die Offiziere, die sich in Manifestationen gegen die Nationalversammlung ergingen und die Nationalkokarde zu Boden warfen und mit Füßen traten. Schließlich kam es zu Ausschreitungen aller Art. Am 3. Oktober fand ein zweites Fest statt und verlief ähnlich. R. K. . Am 6. wurde alles wieder gut gemacht von den Frauen aus Paris.


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