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Am Nachmittag des vierten Mai 1789 eröffnete Ludwig XVI. die Generalstaaten Frankreichs in der Kirche Saint-Louis in Versailles, am neunten Thermidor des Jahres II (27. Juli 1794) wurde Robespierre vom Konvent gestürzt. Diese beiden Daten umgrenzen die französische Revolution. Die Schwankungen in den Machtverhältnissen dreier scharf getrennter Interessengruppen bestimmen ihren Verlauf. Das im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts politisch und wirtschaftlich erstarkte Bürgertum zertrümmerte mit Hilfe der breiten Masse des Volkes die Macht des absoluten Königtums und der bevorrechteten Klassen, des Adels und der Geistlichkeit, deren Mißwirtschaft das Land dem völligen Ruin entgegenzuführen drohte. Gegen die neue Macht des Bürgertums drängte seinerseits das städtische und ländliche Proletariat an, dessen Vorgehen vom Hunger, vom krassesten Elend bedingt wurde, und das sich um seinen Anteil an dem reichen Erbe des mit seiner Hilfe besiegten ancien régime vom Bürgertum betrogen fühlte. Und von der anderen Seite die ununterbrochenen Versuche der unterlegenen ersten Stände, das Verlorene wiederzugewinnen, die schließlich zu einem halben Erfolge, zu der Reaktion des Thermidor führten. Das ist der Inhalt der großen Revolution, wie es der Inhalt der innerpolitischen Kämpfe in den meisten Staaten Europas im neunzehnten Jahrhundert ist.
Der politischen Revolution ging die Revolution der Geister voraus. Die destruktive Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts – die Enzyklopädisten, Rousseau, Voltaire – hatte den französischen Geist umgeformt, hatte die Achtung vor den konservativen Mächten der Kirche, des Geburtsadels, des Absolutismus gründlich unterwühlt und an ihre Stelle entweder die frivole Skepsis gegen alles Bestehende überhaupt oder das bestechende Ideal antiker Freiheit, antiker Humanität, antiker Republikanertugend und Heldenverehrung gesetzt. Die große Frage nach der Berechtigung des Eigentums wurde gestellt und heiß umstritten: die einen, wie Mably, forderten die Gleichheit aller in den Rechten auf Grund und Boden und gaben mit dieser Forderung den Ideen des linken Flügels der Volksrevolutionäre die Richtung. Die anderen hingen den Lehren Quesnays, Adam Smiths und Turgots, der Väter der politischen Ökonomie an und proklamierten den Grundsatz des » laissez faire«. Freiheit des Erwerbs und des Handels, Freiheit in der Ausbeutung der Bodenschätze und der Arbeit: das war das Programm des gebildeten Bürgertums, seine Wegweiser zu Ansehen, Macht und Reichtum. Das Beispiel Englands, dessen Bürgertum nach der siegreichen Revolution der Jahre 1648–1688 zu unerhörter Blüte gedieh, gab dem französischen Mittelstand den Anstoß, die bereits von innen heraus sich lockernden Fesseln des mittelalterlichen Feudalismus endgültig zu sprengen, und die innere Kraft, das begonnene Werk gegen alle Stürme von rechts und links erfolgreich zu beenden.
Der Adel, die Geistlichkeit und das absolute Königtum hatten sich seit den glänzenden Zeiten Ludwigs XIV. daran gewöhnt, Frankreichs Land und Volk als ihr Privateigentum zu betrachten, worüber sie nach Belieben verfügen und das sie lediglich zu ihren persönlichen Zwecken ausnutzen könnten. Zwar war die Leibeigenschaft auf den Privatgütern schon lange abgeschafft, und auf den königlichen Gütern wurde sie, ebenso wie die tote Hand, in den ersten Jahren der Regierung Ludwigs XVI. aufgehoben, doch waren die persönlichen und materiellen Leistungen, die an den Besitz des Bodens geknüpft waren und die von den Grundherren den Bauern und Nutznießern abgefordert werden konnten – all das, was unter dem Namen »Feudalrechte« in den ersten Jahren der Revolution die Leidenschaften für und gegen am stärksten aufpeitschte – so drückend, daß von einer tatsächlichen Befreiung der Bauern, der Arbeiter und des zinsbaren Kleinbürgertums nicht die Rede sein konnte. Hunderterlei Namen trugen die Abgaben, die dem Grundherrn entrichtet werden mußten, und zahllos waren die persönlichen Verpflichtungen, die mit der Erlaubnis verbunden waren, den Boden des Herrn – und ganz Frankreich war »Boden des Herrn« – zu bestellen. Die letzteren waren sehr oft chikanös und entwürdigend: an manchen Orten mußten die Bauern nachts die Teiche schlagen, damit die Frösche den Herrn nicht im Schlafe störten. – Zu den Feudalabgaben kamen die direkten und indirekten Steuern; diese ließ der Staat durch Steuerpächter, die auf eigene Rechnung arbeiteten und schamlose Ausbeuter waren, erheben.
Die Regierung des »Sonnenkönigs« hatte einen müßiggängerischen, ausschweifendem Luxus ergebenen Hofadel großgezogen, der zur Befriedigung seiner übertriebenen Ansprüche gezwungen war, alle diese Feudalrechte in der rücksichtslosesten Weise anzuwenden und die unteren Stände sogar bis auf die notwendigsten Lebensbedürfnisse auszupressen. Gleichwohl reichte das, was der Boden und der besitzlose Mann hergeben konnte, in vielen Fällen nicht aus; die Herren mußten Schulden machen und gerieten allmählich in die Hände von Geldleuten und Wucherern, die sich ihrerseits ebenfalls an den vom Herrn Abhängigen schadlos zu halten suchten. Nicht besser wirtschaftete der Hof, der die Gelder des Staates als Privatkasse ansah. In den Zeiten Ludwigs XV. waren die Staatsschulden erheblich gewachsen, und in den vorrevolutionären Jahren Ludwigs XVI. erreichten sie eine Höhe, die den Staatsbankrott in gefährliche Nähe rückte. Dabei wirtschaftete Ludwig XVI. selbst und vor allem die Königin Marie Antoinette – »Madame Defizit« – ebenso leichtsinnig wie ihre Vorgänger. Dem Bruder des Königs, dem Grafen Artois, wurden in wenigen Jahren einundzwanzig Millionen Francs Schulden bezahlt. Ein Arbeiter, der den König in seinem Bibliothekssaale vor dem Ausgleiten bewahrt hatte, erhielt jährlich zwölfhundert Pfund Pension für diesen Dienst. Die Prinzessin Lamballe wurde für ihre Mühe als » surintendante de la maison de la reine« mit hundertfünfzigtausend Livres jährlich entschädigt. Als der König infolge der Finanzbedrängnis sich entschloß, die Ausgaben des Hofes einzuschränken, verminderte er seinen Marstall von dreitausend Pferden auf zweitausendsiebenhundert und die Stärke der vier Schwadronen der Gardes du corps, die aus lauter Adeligen zusammengesetzt und ungeheuer kostspielig waren, von je zweihundertneunzig auf zweihundertfünfzig Mann – und hielt das für eine große Sparsamkeit. 1769 wurde ein Ausflug des Hofes nach Fontainebleau abgesagt, dessen Kosten nach dem Voranschlag sich auf zwei Millionen belaufen hätten!! Diese wenigen Beispiele ließen sich leicht auf hunderte vermehren.
Im Volke dagegen herrschte ungeheure Armut. Jede Mißernte – und es gab deren viele in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts – brachte in weite Teile des Reiches auf viele Monate des Jahres die Hungersnot. Konnten dann die kleinen Leute ihre Abgaben nicht zahlen, so wurden sie erbarmungslos vor die Türe gesetzt und füllten als Bettler die Landstraßen. Für das Jahr 1777 sind elftausend Bettler »offiziell« festgestellt. In Wirklichkeit war ihre Zahl um das Mehrfache größer, und sie wuchs bis zum Beginn der Revolution in jedem Jahre beträchtlich. Noch drückender wurde die Not durch den schamlosen Wucher, der mit den unentbehrlichsten Lebensmitteln getrieben wurde. Die Getreideaufkäufer gingen so weit, daß sie, um die Preise in die Höhe zu treiben, Korn und Mehl verfaulen und vernichten ließen. Die Verzweiflung des Volkes suchte vielfach in Hungerrevolten einen Ausweg, die während der ganzen Regierungszeit Ludwigs XVI. in den verschiedensten Gegenden des Reiches und in allen größeren Städten zum Ausbruch kamen und besonders in den Jahren 1774, 1782–1783, 1786 und 1788 einen bedrohlichen Charakter annahmen. Doch konnten sie immer noch durch militärische Maßnahmen erstickt werden. Das Empörende und Aufreizende an diesen Zuständen war, daß Frankreich Brot im Überfluß für alle seine Bewohner hätte hervorbringen können, wenn die Ausnutzung des Bodens rationell betrieben worden wäre. Doch einmal fehlte es den Bauern an Geld, um genügende Aussaat zu beschaffen, und andererseits blieben weite Strecken fruchtbaren Bodens unbestellt, weil sie den privaten Zwecken des Grundherrn, seinen Parks, seinen Luxusgärten, seinen Jagdgebieten dienten. Da der kleine Mann alle diese Dinge mit eigenen Augen sah und am eigenen Leibe spürte, so geriet die breite Masse des Volkes allmählich in eine dumpfe Gärung, die das Verlangen in sich schloß, eine gründliche und wenn nötig gewaltsame Befreiung von diesem ungeheuren Druck herbeizuführen.
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Um der finanziellen Schwierigkeiten Herr zu werden, berief der König im Jahre 1776 den Genfer Bankier Necker, der in der europäischen Finanzwelt das höchste Ansehen genoß, ins Ministerium. Diesem gelang es einige Jahre hindurch, den Kredit des Staates zu befestigen. Doch schließlich versagten auch seine Künste, und 1781 legte er den berühmten »Rechenschaftsbericht« vor, der die ganze Trostlosigkeit des Zustandes der Finanzen enthüllte. Höfische Intrigen bewirkten seine Entlassung, und die folgenden Jahre brachten dann den Zusammenbruch. Am 22. Februar 1787 trat in Versailles eine Notabelnversammlung, d. h. eine Versammlung der beiden ersten Stände, zusammen, die den Weg zu neuen Geldquellen zeigen sollte. Diese aber begnügte sich damit, festzustellen, daß sich die Staatsschulden auf die damals ungeheure Summe von einer Milliarde sechshundertsechsundvierzig Millionen Francs beliefen, und daß das jährliche Defizit hundertvierzig Millionen betrug; dann ging sie wieder auseinander. 1788 begann das zweite Ministerium Neckers, aber auch der sah bald keinen anderen Ausweg mehr als die Berufung der Generalstaaten, die dann auch trotz heftiger Gegenwehr der Hofpartei im August erfolgte. Die Zahl der Abgeordneten wurde auf tausend festgesetzt, und zwar sollten die beiden ersten Stände je zweihundertfünfzig Mitglieder und der dritte Stand fünfhundert Mitglieder erhalten. Die Abstimmung sollte nach Ständen erfolgen und nicht nach Köpfen, wodurch die kleine Konzession, die der König hinsichtlich der Zahl der Abgeordneten gemacht hatte, völlig unwirksam wurde.
Inzwischen dehnten sich die Aufstände im Lande immer weiter aus und nahmen immer bedrohlichere Formen an. Schon jetzt begann man hier und da die Schlösser der Adeligen zu zerstören, die Grundbücher, in denen die Feudalrechte eingetragen waren, zu verbrennen und die Herren zu einem formellen Verzicht auf ihre Vorrechte zu zwingen. In Paris kam es besonders im April 1789 infolge der Hungersnot zu blutigen Aufständen, die von dem Sitz der bürgerlichen Revolutionäre aus, dem Palais-Royal und seinen Cafés, planmäßig organisiert wurden und in den Proletariervierteln der Vorstädte ihre Hauptstützpunkte hatten.
Am vierten Mai traten die Generalstaaten in Versailles zusammen. Die Thronrede, mit der der König die Session eröffnete, bestimmte die Aufgabe der Abgeordneten dahin, daß sie 1. die Steuern prüfen sollten, die man ihnen zur Abstimmung vorlegen würde, daß sie 2. die Reform der Zivil- und Strafgesetzgebung zu beraten hätten, und daß sie 3. auf Mittel zur Unterdrückung der Freiheit sinnen sollten, die sich neuerdings die Presse angemaßt hätte. Kein Wort stand darin über die Reform, welche die Last des Volkes mindern sollte, nichts von der Abschaffung der Feudalrechte, nichts von der Besteuerung der privilegierten Stände. »Meine Herren, Sie werden diese gefährlichen Neuerungen mit Entrüstung zurückweisen.«
Die Stände tagten getrennt. Fünf Wochen lang bemühten sich die Abgeordneten des dritten Standes vergeblich, die beiden anderen Stände zur gemeinsamen Tagung zu bewegen. Da erklärte sich endlich am 17. Juni der dritte Stand, ermutigt durch die immer drohendere Haltung des Volkes, auf Antrag von Sieyès als Nationalversammlung. Es war hohe Zeit, daß ein entscheidender Schritt geschah, denn die Aufregung des Volkes stieg mit jedem Tage. In einer Hochflut von Broschüren wurden die aktuellen Fragen behandelt, in einer Woche und zwei Tagen erschienen nicht weniger als einundfünfzig, und alle, alle mit verschwindenden Ausnahmen waren sie für die Freiheit. Reißenden Absatz fand Sieyès' berühmte Schrift: »Was ist der dritte Stand?«
Man drohte der neuen Versammlung mit Auflösung. Sie erwidert die Drohung mit dem Beschluß, im Falle ihrer Auflösung sei das Volk verpflichtet, die Steuern zu verweigern. Ferner setzt die Versammlung einen Ausschuß zur Bekämpfung der Hungersnot ein. Nun aber greift die Hofpartei zu ernsteren Mitteln. Mit den königlichen Prinzen – d'Artois, de Condé, de Conti – an der Spitze beschließt sie, der König in Person, umgeben vom ganzen Hofstaat, soll die Versammlung aufsuchen, ihre Beschlüsse für ungültig erklären, die Tagung in der früheren Form der drei getrennten Stände befehlen und selbst die Reformen festsetzen, über die die Versammlung beraten soll. Auch Necker war für eine »königliche Sitzung«. Er schränkte jedoch das Programm der Prinzen dahin ein, daß der König, wenn es sich um Steuern handele, die Abstimmung nach Köpfen ohne Unterschied der Stände bewilligen möge, daß aber über die Privilegien des Adels und der Geistlichkeit auch in Zukunft getrennt getagt und abgestimmt werden solle.
Die Nationalversammlung beschließt, dem geplanten Staatsstreich Widerstand zu leisten, und begibt sich am 20. Juni, als sie die Türen des Sitzungssaales wegen der Vorbereitungen zur königlichen Sitzung geschlossen findet, im feierlichen Zuge zum Ballhaus (einem Privatgebäude), wo sie den berühmten Schwur leistet, nicht auseinanderzugehen, bevor sie Frankreich eine Verfassung gegeben hätte. Brausender Beifall des Volkes, das zu Tausenden das Sitzungsgebäude umlagerte und das schon die Erklärung vom 17. Juni von den Galerien aus mit begeisterten Kundgebungen begleitet hatte, begrüßte den Schwur. Das Rathaus von Paris sandte der Versammlung seine Glückwünsche, und in allen Gauen Frankreichs fanden die Versailler Vorgänge lautes Echo. Nun hatte die Versammlung das Volk hinter sich und konnte, auf die Massen gestützt, den Anschlägen des Hofes energisch begegnen. Eine weitere Folge des Ballhausschwures war, daß sich ein großer Teil der Abgeordneten der Geistlichkeit der Nationalversammlung anschloß.
Am 23. Juni fand die königliche Sitzung statt. Der König gab vor den Abgeordneten seine Erklärungen im Sinne des Programms der Hofpartei ab. Er befahl den Abgeordneten, sich sofort zu trennen, worauf der Adel und die Geistlichkeit den Saal verließen. Die Vertreter des dritten Standes jedoch blieben auf ihren Plätzen, und Mirabeau hielt augenblicklich die bekannte Rede, die in dem Satze gipfelte: »sie seien hier kraft des Willens des Volkes, und nur die Gewalt der Bajonette könne sie vertreiben.« – Aber die Gärung hatte auch auf die Truppen übergegriffen. Das Militär war unverläßlich geworden. Die revolutionäre Stimmung im Bürgertum und im Volke verdichtete sich immer mehr. In diesen Tagen wurde in Versailles von einigen Abgeordneten aus der Bretagne der » Klub Breton« gegründet: ein freier Ausschuß zur Besprechung und Betreibung der die Revolution angehenden Fragen. Viele Abgeordnete des dritten Standes, unter ihnen Mirabeau, Sieyès, Robespierre traten diesem Klub bei, und der spätere Jakobinerklub ging unmittelbar aus ihm hervor.
Der Hof entschloß sich, das verlorene Prestige mit den Waffen in der Hand wiederzugewinnen. Große Truppenmassen wurden unter dem Kommando des Marschalls von Broglie zwischen Paris und Versailles zusammengezogen. Man spricht von fünfunddreißigtausend Mann, zu denen später noch zwanzigtausend stoßen sollen. Die Versammlung soll auseinandergetrieben, das aufrührerische Paris zur Räson gebracht werden. Die Versammlung erfährt von den Anschlägen und bittet den König, die Truppen zurückzuziehen. Der König beharrt mit halben und zweideutigen Erklärungen auf dem Verbleib der Truppen. Der große Streich des Hofes war für den 14. Juli geplant, doch rüstet sich die Bevölkerung von Paris schon vom 26. Juni an zum Gegenschlag. Die Wahlmänner der einzelnen Distrikte konstituieren sich und wählen Vertreter, die sich im Rathaus versammeln und dort den permanenten Ausschuß der Kommune bilden. Aus diesem Ausschuß ging später die sogenannte revolutionäre Kommune hervor, die einer der wichtigsten Faktoren der ganzen Revolution wurde. Von hier aus wurde der Aufstand der Massen organisiert. Das Bürgertum erkannte die Gefahr, die in diesem Zusammenschluß lag, und beeilte sich, seinerseits eine Waffe zu schaffen, mit der es, wenn nötig, dem aufständischen Proletariat begegnen konnte. Aus jedem der sechzig Distrikte von Paris wurden zweihundert waffenfähige junge Männer, die dem Bürgerstande angehören mußten, ausgehoben; sie bildeten eine feste Truppe von zwölftausend Mann: die Nationalgarde, die später auf achtundvierzigtausend Mann vermehrt wurde. Ihr Abzeichen war in den ersten Tagen die grüne, später die blau-rote Kokarde. Bald hatten alle Städte Frankreichs, diesem Beispiel folgend, ihre Nationalgarde.
Täglich fanden in diesen Wochen Zusammenrottungen, Hungerkrawalle, Plünderungen von Bäckereien usw. statt.
Am 11. Juli wurde Necker entlassen, der gegen den Staatsstreich gewesen war. Die Nachricht wird am 12. nach Paris gebracht, und ein ungeheurer Tumult ist die Folge. Die Statue des gestürzten Ministers wird herumgetragen. Auf der Place Louis XV. – heute Place de la Concorde – gibt es einen blutigen Zusammenstoß mit dem Militär. Im Café de Foy am Palais-Royal ruft Camille Desmoulins zu den Waffen. In den Vorstädten wird die Volkserhebung proklamiert; man arbeitet fieberhaft, um die Menge zu bewaffnen. In sechsunddreißig Stunden werden fünfzigtausend Spieße zurechtgemacht. In der Nacht vom 13. auf den 14. ertönen in ganz Paris die Sturmglocken und die Schläge der Alarmkanonen. Auf den Straßen wird Feuerwerk abgebrannt. Die Oktroischlagbäume in den einzelnen Distrikten gehen in Flammen auf. Die Menge stürmt das Gefängnis La Force und befreit die dort sitzenden Schuldgefangenen. Am Morgen des 14. drängen sich ungeheure Massen auf den Straßen. Die Bastille, die düstere Zwingburg des Absolutismus, ist ihr Ziel. Zu dem besonderen Haß, den das Volk gerade gegen dieses Gefängnis hatte, kam hinzu, daß die Bastille den wichtigsten Stützpunkt für die vom Hofe geplante Unterwerfung von Paris bilden mußte. Sie beherrschte die Stadt im Osten, und im Westen lagen die fünfunddreißigtausend Mann des Marschalls Broglie. Das Volk drang in das »Hotel des Invalides« und verschaffte sich Waffen und Geschütze. Dann wurden die Zugangstraßen zur Bastille besetzt und eine regelrechte Belagerung unternommen. Die Garnison der Bastille bestand aus hundertvierzehn Mann. Ihr Kommandant, de Launey, wollte von Übergabe nichts wissen. Auch den Antrag des Rathauses, eine Besatzung der Nationalgarde aufzunehmen, die die Bastille vor dem Eindringen des Volkes schützen sollte, lehnte er ab. Bald war der äußere Hof in den Händen des Volkes. Da ließ der Kommandant auf die Menge schießen. Es gab viele Tote und Verwundete. Die Wut der Belagerer wurde dadurch aufs höchste gereizt. Die Geschütze wurden unmittelbar vor den inneren Eingangspforten aufgestellt. Man sprengt die Pforten. Das Volk dringt ein, de Launey und einige Offiziere werden aufgeknüpft, im übrigen aber wird die Garnison geschont, die Bastille dagegen niedergerissen.
Das war der erste Sieg der Revolution. Er bedeutete den Beginn der Freiheit nicht nur für Frankreich, sondern überhaupt für die Völker Europas und erweckte darum auch überall im Ausland freudige Begeisterung. Eine Panik aber brach am Hofe aus, als man die Vorgänge in Paris erfuhr. Der große Streich war bis auf weiteres mißglückt, denn das Volk blieb unter Waffen. Eiligst wurde Necker zurückgerufen. Die Order erreichte ihn in Basel, und am 27. Juli trat er sein Amt wieder an. Der König beeilte sich, eine Versöhnung mit seinem Volke herbeizuführen. Am 17. Juli besuchte er Paris, und im Rathause heftete ihm der Bürgermeister Bailly unter rauschendem Beifall der Anwesenden die dreifarbige Kokarde an den Hut. Doch war diese Versöhnung nur äußerlich. Nach der Erstürmung der Bastille konnte es keinen Frieden mehr zwischen Volk und König geben. Aus diesen Tagen datiert der Plan, der König solle ins Ausland fliehen und an der Spitze einer deutschen Invasion nach Frankreich zurückkehren, um den Absolutismus wiederherzustellen. Der hohe Adel begann auszuwandern. Unter den ersten dieser Emigranten war der Graf Artois, der Bruder des Königs, der spätere König Karl X. Necker erzählte, er habe in vierzehn Tagen sechstausend Pässe ins Ausland ausstellen müssen.
Die Provinzen Frankreichs folgten bald dem Beispiel der Hauptstadt. Überall im Lande brachen die Aufstände aus, besonders im Osten, Süd- und Nordosten, weniger zahlreich im Zentrum und im Westen. Fliegende Bauernkolonnen bilden sich in der Stärke von mehreren hundert, oft mehreren tausend Mann. Sie ziehen vor die Schlösser und Klöster und verlangen die Verzichtleistung des Grundherrn auf seine Feudalrechte. Wenn der Grundherr nachgibt, so geschieht ihm weiter nichts. Dann werden nur die Grundbücher verbrannt; im Dorfe wird ein Maibaum gepflanzt, in dessen Zweige man die feudalen Wappen hängt. Ein fröhlicher Rundtanz um den Baum beschließt das Fest. Oft widersetzte sich der Grundherr. Dann wurde er mißhandelt, auch wohl getötet, das Schloß verbrannt. So wurden in der Dauphiné dreißig, im Franche-Comté vierzig, im Mâconnais und Beaujolais zweiundsechzig Schlösser zerstört. Auch die Städte erhoben sich gegen die Feudalherrschaft. So Troyes, Cherbourg, Rouen, Straßburg, das im blutigen Aufstand eine durchaus demokratische Gemeindeverwaltung organisierte. Bis in die Augustmitte dauerten diese Erhebungen, während die Aufstände auf dem Lande vier Jahre lang bis zur endgültigen Abschaffung der Feudalrechte immer wieder von neuem aufflammten.
Die blutigen Vorgänge in Paris und überall im Lande blieben nicht ohne Wirkung auf die Arbeiten der Nationalversammlung. Man machte sich energisch daran, freiheitliche Beschlüsse auszuarbeiten und zu proklamieren. Schon in der Nacht des vierten August verzichteten in einer überaus stürmischen Sitzung der Adel und die Geistlichkeit freiwillig auf ihre Vorrechte. Der Vicomte von Noailles und der Herzog von Aiguillon sprachen als Vertreter des Adels, die Bischöfe von Nancy und von Chartres als Vertreter der Geistlichkeit. Ungeheure Begeisterung ergriff die Versammlung bei diesen Reden. Es fiel das Wort von einer »Bartholomäusnacht des Eigentums«. In dem Überschwang der Gefühle achtete man zu wenig auf die Klauseln, mit denen der »Verzicht« behängt war. Tatsächlich stellten die beiden ersten Stände nur die Ablösung ihrer Vorrechte frei, und zwar war diese so hoch, daß ihre Verwirklichung beinahe aussichtslos war. Das wurde schon in den Debatten der nächsten Tage deutlich. Der Kampf um die Feudalrechte ging weiter.
In der Verfassungskommission der Versammlung wurde inzwischen die Erklärung der Menschenrechte beraten, der die berühmte Unabhängigkeitserklärung der jungen amerikanischen Union als Vorlage diente. Sie enthielt die Anerkennung der Rechtsgleichheit aller Bürger und des Rechtes der freien Meinung und ist die Parole des Fortschritts für das ganze neunzehnte Jahrhundert geworden. Ein heftiger Streit entspann sich um das Recht des Königs gegenüber den Beschlüssen der Versammlung. Ein Teil der Abgeordneten wollte dem König das absolute Veto bewilligen, ein anderer Teil dagegen nur ein aufschiebendes. Dem Volke war auch dies letztere zuviel, und als die Versammlung schließlich das suspensive Veto beschloß, bezeichnete es die Abgeordneten, die dafür eingetreten waren, als Verräter.
Der König verweigerte sämtlichen Beschlüssen der Versammlung seine Unterschrift. Ihm wurde damals auch von seiner nächsten Umgebung das Leben schwer gemacht. Sein jüngerer Bruder, der Graf von der Provence, »Monsieur«, der spätere König Ludwig XVIII., bestärkte den König in seiner Haltung und intrigierte gegen ihn, weil er in den beginnenden Wirren für sich eine Möglichkeit der Thronfolge sah. Der Herzog von Orleans, »Philipp Egalité«, das Haupt der jüngeren Linie Bourbon, der Herr des Palais-Royal und des Mont-Rouge, huldigte offen demokratischen Tendenzen. Er war der Thronkandidat der Bourgeoisie. Die Feindseligkeit des Königs, vor allem aber die Teuerung, gegen die man von der Regierung durchgreifende Maßregeln erwartete, ließen im Volke den Wunsch wach werden, den König und die Versammlung bei sich in Paris zu sehen. Dem Wunsche folgte am 5. und 6. Oktober die Tat. (Vgl. das vierte Kapitel dieses Buches.)
»Herr und Frau Veto« wohnten von nun an im Louvre. Die Versammlung folgte ihnen am 19. Oktober und bezog die Tuilerien. Die folgenden Jahre nun bis zum Juni 1792 sind durch parlamentarische und politische Kämpfe zwischen dem konstitutionellen Bürgertum und dem absolutistischen Königtum ausgefüllt. Die Revolution als solche kam zum Stillstand. Noch im Jahre 1789 beschloß die Versammlung die Verantwortlichkeit der Minister und der Verwaltungsbeamten gegenüber der Volksvertretung. Der König sollte in Zukunft den Titel König der Franzosen führen. Um den Gefahren vorzubeugen, die in der Erhebung der breiten Massen lagen, wurde ein strenges, sogar grausames Gesetz gegen den Aufstand eingebracht und beschlossen. Die Führer einer bewaffneten Menge wurden in Zukunft, auch wenn es nicht zu tätlichen Ausschreitungen kam, mit dem Tode bestraft; kam es aber zu Gewalttätigkeiten, so machte sich jeder, der daran beteiligt war, des Todes schuldig. In der Presse protestierte nur Marat, in der Versammlung nur Robespierre gegen dieses Gesetz. Ein demokratisches, lediglich auf die Befestigung der Macht des Bürgertums zugeschnittenes Wahlrecht wurde beschlossen. Wahlberechtigt waren nur die »Aktivbürger«, d. h. die Bürger, die mindestens drei Arbeitstage – die in Geldwert umgesetzt werden konnten – zu den direkten Steuern beitrugen; rechtlos dagegen waren die »Passivbürger«, die diesen Steuersatz nicht erreichten. – Das Land wurde neu eingeteilt in Departements statt in Provinzen. Im Dezember 1789 kam ein neues Munizipalgesetz, ebenfalls auf demokratischer Grundlage, zustande. Sehr wichtig wurde auch die Bestimmung, daß die Wahl der Richter in Zukunft durch die Aktivbürger zu erfolgen hätte.
Die Finanznot des Staates war immer drückender geworden. Um ihr abzuhelfen, stellte man die Güter des Klerus zum Verkauf und zwar zunächst in einer Höhe von vierhundert Millionen. Damit sofort bares Geld einkam, gab man Assignaten mit Zwangskurs aus, deren Wert durch die zum Verkauf gestellten Güter garantiert wurde. Ungeheure Spekulationen waren die Folge, und eine große Zahl riesiger Vermögen entstanden in den nächsten Jahren. Die Geistlichen sollten fortan vom Staate bezahlt werden. Viele aber verweigerten den neuen Gesetzen den Gehorsam, weigerten sich, ihre Güter aufzugeben, und stellten sich offen an die Spitze der Gegenrevolution. Da beschloß die Nationalversammlung am 12. Februar 1790 die Aufhebung der geistlichen Gelübde und der Klosterorden beiderlei Geschlechts, schuf sich aber so in den widerspenstigen Priestern einen unversöhnlichen Feind, der während der ganzen Revolution die stärkste Gefahr im Inneren Frankreichs bildete.
So war schon viel Fortschrittliches geschehen. Um das Erreichte durch eine würdige Feier zu besiegeln, wurde der Jahrestag des Bastillensturmes, der 14. Juli, als bleibender Gedenktag für den Beginn der neuen Freiheit bestimmt, und im Jahre 1790 wurde das Bundesfest unter begeisterter Teilnahme des ganzen Volkes begangen. Besonders erhebend war die Feier in Paris; tausende Vertreter des durch die Neueinteilung in Departements eins gewordenen Volkes kamen in der Hauptstadt zusammen. Arm und reich, hoch und gering beteiligte sich an den Arbeiten zur Herstellung des Festplatzes, an der Ebenung des Bodens, an der Errichtung eines Triumphbogens, an der Erbauung des »Altars des Vaterlandes« (vgl. das fünfte Kapitel dieses Buches). Jeder Bürger, auch der König und die Königin, mußten ihren Bürgereid leisten.
Doch schon war die Reaktion zum Gegenschlag bereit. Die Nationalversammlung empfand die mächtige Kommune von Paris, die inzwischen energisch weitergearbeitet und eine große soziale Organisation geschaffen hatte, als unbequeme Nebenbuhlerin, die sie durch das Munizipalitätengesetz vom Mai und Juni 1790 zu schwächen gedachte. Doch Paris gehorchte nicht. Man wußte das neue Gesetz zu umgehen, die Hauptstadt blieb auch weiterhin durchaus eigenmächtig in ihren Aktionen. Schon im März 1790 waren die Bestimmungen über die Ablösung der Feudallasten Gesetz geworden, deren Inhalt im wesentlichen die Fortdauer des alten Zustandes sicherte und die Ergebnisse der Nacht vom 4. August illusorisch machte. Das gab dem Bauernaufstand neue Nahrung. Der Verbissendste unter den Gegnern der neuen Feudalgesetze war Marat. 1790 erlangte Necker einen Haftbefehl gegen ihn, und er mußte zweimal nach England fliehen. – Die Aufstandsgesetze wurden streng gehandhabt. Im August 1790 hatte die Garnison von Nancy einen Tumult gegen ihre Offiziere erregt, weil sie den Soldaten den Sold vorenthielten und der – übrigens von der Nationalversammlung angeordneten – Forderung einer Rechnungsablage nicht nachkamen. Um die Tumultuanten zu strafen, zog der General Bouillé mit dreitausend Mann von Metz nach Nancy und richtete ein furchtbares Blutbad unter Bürgern und Soldaten an. Er erhielt dafür vom König ein sehr gnädiges Handschreiben. Eine dumpfe Wut bemächtigte sich aller Freunde der Revolution in ganz Frankreich.
So dauerte der Stillstand der Bewegung ein Jahr. Um so tätiger war die Gegenrevolution. Der schon im Oktober 1789 gefaßte Plan, der König solle ins Ausland fliehen, kam nun zur Ausführung. Eine große Verschwörung wurde angezettelt, um die Flucht zu ermöglichen. Wirklich gelang es dem König, aus Paris zu entweichen. Doch wurden die Reisenden am 21. Juni in Varennes, schon ganz in der Nähe der Ostgrenze, erkannt. Die königlichen Wagen wurden in der Nacht angehalten. Der König, der als Bedienter verkleidet war, mußte aussteigen, wurde in einem Krämerladen untergebracht und von den wütenden Patrioten mit Püffen traktiert. In der ganzen Gegend ertönte die Sturmglocke. Das Volk lief zusammen und führte den König gefangen nach Paris zurück. Diese Flucht, die als Verrat aufgefaßt und bezeichnet wurde, zerstörte den Rest von Nimbus, der das Königtum noch umgeben hatte; das Volk verlangte nun, Ludwig XVI. solle abgesetzt werden. Man zertrümmerte die Büsten und Bilder des Königs und seine Abzeichen. Man forderte ungestüm die Republik. Unter dem Druck dieser Bewegung entschloß sich auch die Nationalversammlung zu handeln, enthob den König seiner Befugnisse und nahm selbst die Exekutivgewalt und die diplomatischen Beziehungen mit dem Ausland in die Hand.
Weiterzugehen und die Republik zu proklamieren, verbot ihr die Angst vor der Zügellosigkeit der Massen, die man im Falle der Erklärung der Republik erwartete. Der Jakobinerklub war für die Erhaltung der konstitutionellen Monarchie, entgegen dem Votum sämtlicher Volksvereine und »Brüderschaften«. Als man sich über den Fluchtversuch des Königs wieder ein wenig beruhigt hatte, erließ die Nationalversammlung am 15. Juli ein Dekret, der König sei unschuldig, er dürfe nicht abgesetzt werden. Von nun an wurde es gefährlich, von der Republik zu sprechen; Agitationen für die Absetzung fielen unter das Aufstandsgesetz. So beginnt die offene Reaktion. Sie wird eröffnet mit den Metzeleien auf dem Marsfeld. (Vgl. das sechzehnte Kapitel des Buches.) Die Anreger und Verfasser der Marsfeld-Petition, Danton, Robert, Fréron, Marat mußten sich versteckt halten oder nach England fliehen. Wieder wurde das Wahlrecht verschlechtert. Jetzt waren zehn Arbeitstage die Mindestleistung an Steuern für die Aktivbürger.
Als der König am 14. September 1791 die Verfassung annahm und sie vor der Nationalversammlung feierlich beschwor, brachte ihm das gesamte Pariser Bürgertum begeisterte Huldigungen dar. Vierzehn Tage später ging die konstituierende Nationalversammlung auseinander, an ihre Stelle trat am 1. Oktober 1791 die auf Grund des verschlechterten Wahlrechts gewählte gesetzgebende Nationalversammlung. Auf dem rechten Flügel dieser Versammlung saßen die Feuillants, konstitutionelle Monarchisten, auf dem linken die Girondisten, die einen Übergang bildeten zwischen der monarchistischen und republikanischen Hälfte des Bürgertums.
Es war eine ungemein schwere Aufgabe, das Erbe der Konstituierenden zu übernehmen und unversehrt zu erhalten. Feinde draußen und drinnen. Die Priester bereiteten allenthalben im Lande gegenrevolutionäre Aufstände vor und schürten den Haß der katholischen Bevölkerung gegen die »Neuerer«. Die Emigranten rüsteten im Auslande ein gegen Frankreich bestimmtes Heer. Ihre Hauptquartiere – Koblenz, Worms, Brüssel – wurden große Waffenlager. In Koblenz hatten die Brüder des Königs einen Hofstaat eingerichtet, der durchaus dem des ancien régime in Versailles nachgebildet war. Von Koblenz aus protestierten sie gegen die Annahme der Verfassung durch den König. Der Protest wurde von royalistischen Agenten in ganz Frankreich verbreitet und verursachte eine Emigration, welche die von 1789 noch bei weitem übertraf. Gleichzeitig traten der König und die Emigranten in enge Verbindung mit den Kabinetten von London, Wien, Madrid und mit den kleineren deutschen Höfen, und die Invasion wurde ganz offen betrieben. Nun erließ am 30. Oktober 1791 die gesetzgebende Versammlung eine Aufforderung an den Grafen von der Provence, binnen zwei Monaten nach Frankreich zurückzukehren, widrigenfalls er seine Ansprüche auf die Regierung verlieren solle. Und am 9. November erging der Befehl an alle Emigranten, vor Schluß des Jahres zurückzukehren; bei Nichtbeachtung dieses Befehls sollten sie in contumaciam verurteilt und ihre Güter in Frankreich und den Kolonien konfisziert werden. All das nützte wenig. Die Invasion wurde immer bedrohlicher; und am 20. April 1792 erklärte Frankreich auf Drängen der Gironde an Österreich, dem Hauptförderer der Emigranten, den Krieg, der nun mit kurzen Unterbrechungen dreiundzwanzig Jahre lang wüten sollte.
In Paris war inzwischen die Stimmung bis tief ins Bürgertum hinein völlig reaktionär. Offen wurden die Intrigen zur Wiederherstellung des ancien régime betrieben, den König umgab eine Leibwache von zurückgekehrten Emigranten; umfassend waren die Pläne der Gegenrevolution. Große Aufstände im Süden und Westen und die Invasionsheere der Deutschen, Engländer, Sardinier und Spanier sollten die Revolution ersticken. Dazu kam die Furcht der neuen Nationalversammlung vor dem Volksaufstand. Lieber wollte man seinen Frieden mit dem ancien régime machen, als noch einmal das Volk in Waffen sehen. In diese Zeit fällt der berühmte Brief Lafayettes, der inzwischen Kommandeur der französischen Truppen an der Ostgrenze geworden war, an die Versammlung, in dem er verlangt, Frankreich müsse von allen Revolutionären gesäubert werden. Im Juli 1792 sollte der große Schlag der Gegenrevolution vor sich gehen, und wirklich brach in diesem Monat eine große Erhebung im Süden aus, die zwei Jahre dauerte und den Erfolg der Revolution, den der Republik oft in Frage stellte. Furchtbar blutig war diese Erhebung in den Städten und Dörfern. Sie trug nicht wenig zu der späteren Errichtung der Schreckensherrschaft bei.
Die Kriegserklärung hatte jedoch das Volk geweckt. Besonders im Klub der Cordeliers, der radikalen Jakobiner, wurde ein neuer Aufstand gegen die Royalisten geplant unter der Parole »Kriegsrecht des Volkes gegen die Empörung des Hofes«. Direkte Erfolge hatten die Cordeliers jedoch zunächst nicht zu verzeichnen. Der »Spaziergang in die Tuilerien« vom 20. Juni, bei welchem die Masse bis in die Gemächer des Königs drang und diesen zwang, eine Wollmütze – das Abzeichen der Jakobiner – aufzusetzen und ein Glas auf das Wohl der Nation zu leeren, blieb ohne Folgen. Im Gegenteil, am 7. Juli fand in der Nationalversammlung eine große antirepublikanische Kundgebung statt, und strenge Dekrete gegen die Republikaner und Revolutionäre wurden erlassen. Doch schon am 11. Juli mußte infolge des Andrängens der Invasion und der Bewegungen im Süden »das Vaterland in Gefahr« erklärt werden.
Nun wird die Gärung im Volke bedrohlich. Beim Nationalfest am 14. Juli findet eine zwar unblutige, aber machtvolle Demonstration gegen das Königtum, an der sich fast die ganze Bevölkerung beteiligt, statt. Die revolutionären Gemeindeverwaltungen in den Provinzen schicken Adressen an die Versammlung und fordern die Absetzung des Königs. Viele Städte senden Freiwillige für den Krieg an den Grenzen. Fünfhundert junge Marseillaiser kommen am 27. Juni in Paris an und ziehen unter dem Gesang der wilden Hymne Rouget de l'Isle's, die seitdem »Marseillaise« heißt, in die Stadt ein. Die Sektionen von Paris tagen unausgesetzt. Sie organisieren und bewaffnen ihre Bataillone. Eine dumpfe, unheilvolle Stimmung lastet über der Stadt. Die Führer der mehr oder weniger radikalen Gruppen verständigen sich über die Mittel, das Volk noch einmal zur Erhebung zu bringen. Am 10. August bricht das Gewitter los. Ein neuer Generalrat, die revolutionäre Kommune vom 10. August, wird von den Pariser Sektionen ernannt und nimmt die öffentliche Gewalt in die Hände. Sie gewinnt allmählich einen bestimmenden Einfluß auf die Vorgänge. In der Nacht zum 10. ertönt die Sturmglocke, und am frühen Morgen setzt sich das Volk auf die Tuilerien zu in Bewegung. Der König begibt sich in den Schutz der Nationalversammlung. Die Schweizerwache der Tuilerien schießt auf das Volk, und bald liegen vierhundert Tote auf den Treppen. Rufe werden laut: »Verrat!« »Nieder mit dem König!« »Nieder mit der Österreicherin!« Die Schweizer werden entwaffnet und niedergemacht. Haufen von Bewaffneten dringen in den Sitzungssaal der Nationalversammlung. Die Versammlung gibt nach. Vergniaud, der Redner der Gironde, verlangt die »Suspension des Chefs der Exekutivgewalt«. Ein aus sechs Ministern gebildeter Rat übernimmt die Exekutive. Ludwig sollte das Luxembourg beziehen, wird aber auf Verlangen der Kommune mitsamt seiner Familie in den Turm des »Temple« gebracht und von nun an als Gefangener gehalten. Elfhundert, nach anderen Schätzungen dreitausend Tote sind das Ergebnis des Tages.
Schon in den nächsten Tagen, vom 11.–20. August, erließ die Versammlung einige Beschlüsse, welche die Revolution ein gut Stück weiter brachten. Die Priester, die bisher den Eid auf die Verfassung verweigert hatten, sollten, falls sie das Versäumte nicht innerhalb vierzehn Tagen nachholten, nach Cayenne deportiert werden. Die Güter der Emigranten in Frankreich und den Kolonien wurden beschlagnahmt, geteilt und zum Verkauf ausgeschrieben. Die Unterscheidung zwischen Aktiv- und Passivbürgern wurde abgeschafft. Jeder Franzose war nun mit einundzwanzig Jahren wahlberechtigt und mit fünfundzwanzig wählbar. Die Ablösung der Feudalabgaben wurde erheblich erleichtert. Das Volk verlangte strenge Untersuchung des Komplotts, das der Hof gesponnen hatte. Und die Versammlung mußte sich am 17. August entschließen, einen Gerichtshof aus acht Richtern und acht Geschworenen zu bilden, der auf Grund vieler kompromittierender Schriftstücke, die man in den Tuilerien gefunden hatte, die Untersuchung der Verrätereien Ludwigs XVI. begann.
An der Ostgrenze sah es gefährlich aus. Die Heere waren nur schwach, dazu von royalistischen Elementen durchsetzt, die Festungen nicht im Stand. Am 9. August betrat die deutsche Invasionsarmee unter Führung des Herzogs von Braunschweig in einer Stärke von Hundertdreißigtausend Mann den französischen Boden. Die Festung Longwy ergab sich ohne Kampf, und der Weg nach Paris stand offen. Dazu kam, daß am 22. August im Heere Lafayettes der Verrat offen ausbrach. Lafayette versuchte mit seiner Armee gegen Paris zu marschieren, doch verweigerten die Truppen dem General den Gehorsam. Dieser mußte fliehen, begab sich zu den Österreichern und wurde von ihnen ins Gefängnis gesteckt.
Der Verrat, die drohende Invasionsgefahr hatten in Paris die Wut gegen alle Royalisten und Feinde der Revolution aufs höchste gesteigert. Eine allgemeine »Säuberungswut« ergriff das Volk. In der Nacht vom 29. zum 30. August wurden allenthalben Haussuchungen veranstaltet und an dreitausend Personen verhaftet, von denen allerdings der größte Teil in den folgenden Tagen wieder freigelassen wurde. Sonnabend, den 1. und Sonntag, den 2. September bleiben die Schranken an den Stadttoren geschlossen. Sturmglocke und Alarmkanone. Und nun beginnen die furchtbaren Metzeleien in den Gefängnissen, in l'Abbaye, in La Force, in der Conciergerie; am 3. und 4. September im Grand Châtelet, im Bicêtre, in La Salpêtière. Die Generalstabsoffiziere der Schweizer, die königliche Garde, die eidweigernden Priester – alle, an denen auch nur ein Schatten von Verdacht klebte, an den royalistischen Verschwörungen teilgenommen zu haben, wurden niedergemacht. Die im Karmeliterkloster untergebrachten Geistlichen wurden getötet, unter ihnen der verhaßte Erzbischof von Arles. Das Volk setzte provisorische Gerichtshöfe ein, die im »abgekürzten Verfahren« urteilten. Die Angaben über die Zahl der so Gerichteten schwankt zwischen tausend und zwölftausendachthundert. Der Ausbruch war ganz plötzlich und beinahe unerwartet gekommen. Die Nationalversammlung war machtlos, die Nationalgarde blieb untätig. Kaum konnte man den Temple vor der Wut des Volkes schützen.
Bald nach den Septembertagen ging die gesetzgebende Versammlung auseinander, und am 21. September 1792 trat die unter dem neuen Wahlrecht gewählte Versammlung, der Konvent, zusammen. Robespierre wurde Präsident, der radikale Collot d'Herbois Vizepräsident. Schon in seiner ersten Sitzung erklärte der Konvent die Abschaffung des Königtums, und am Tage darauf proklamierte er die Republik.
Seine Dekrete trugen jetzt die Daten: »vom Jahre vier der Freiheit, vom Jahre eins der Republik« (die Kommune datierte »vom Jahre vier der Freiheit, vom Jahre eins der Gleichheit«). – Drei Parteien saßen im Konvent: Der bürgerlich radikale »Berg« (»Montagne«), die bürgerlich gemäßigte »Gironde« und der indifferente »Sumpf« (»Marais«), der sich gewöhnlich an die Gironde anschloß und diese – an sich schwache – zur stärksten Partei machte. Die Gironde gab auch das neue Ministerium. Die einflußreichsten Männer im Konvent waren Danton, Marat und Robespierre – das »Triumvirat«.
Schon im August hatte sich der Generalrat der Kommune mit großer Begeisterung daran gemacht, 300 000, später 600 000 Freiwillige für den Krieg an den Grenzen auszuheben, zu bewaffnen und abzusenden. Täglich wurden zweitausend Mann marschbereit, die unter dem Gesang des » Ça ira« die Stadt verließen. Am 20. September erfocht das Revolutionsheer seinen ersten Sieg bei Valmy gegen die Preußen, die daraufhin und nach diplomatischen Verhandlungen mit dem republikanischen Ministerium den Rückzug antraten. Bald hatten die Armeen der Republik die Rheingrenze erreicht und besetzten Speyer, Worms, Mainz, Frankfurt am Main. Am 6. November schlug Dumouriez die Österreicher bei Jemappes und besetzte Mons und Brüssel. Diese Erfolge brachten einen gewaltigen Aufschwung der Stimmung in Paris und im Lande mit sich. Trotz der furchtbaren Teuerung blieb man mit Begeisterung bei der republikanischen Sache.
Am 3. November wurde im Konvent der erste Bericht über die Verrätereien des Königs eingebracht. Die Gironde wollte von einem Prozeß nichts wissen. Und erst, als am 20. November der Schlosser Germain das Vorhandensein eines Geheimschrankes in den Tuilerien anzeigte, dessen Inhalt keinen Zweifel mehr an der Schuld Ludwigs ließ, beschloß der Konvent, den König selbst zu richten. Am 11. und 26. Dezember fanden die Verhöre statt, die einen sehr ungünstigen Eindruck machten. Am 15. Januar 1793 erfolgte die namentliche Abstimmung über die Schuldfrage. Von 749 Mitgliedern des Konvents erkannten 716 auf »schuldig«. Die Abstimmung über die Strafe dauerte fünfundzwanzig Stunden und ergab von 721 Stimmen 387 für bedingungslose Todesstrafe. Am 21. Januar 1791 endete Ludwig XVI. auf dem Schafott.
Die ersten Monate des Jahres 1793 sind ausgefüllt mit den Kämpfen der Parteien um die Macht und um die Fortführung der Erneuerung Frankreichs auf revolutionärer Grundlage. Die Gironde unter Brissots Führung wollte es bei dem bisher Erreichten bewenden lassen, während der Berg und vor allem dessen linker Flügel, die kommunistischen » Enragés«, eine tatsächliche und gründliche Änderung des Besitzes herbeizuführen gedachten. Die großen Fragen der Feudallasten, der Gemeindeländereien, des Maximalpreises der Lebensmittel standen im Zentrum des Kampfes. Zudem hatte sich der Konvent der immer mehr zunehmenden Spekulationswut, die den Kredit des Staates untergrub, und der Teuerungskrawalle zu erwehren, die allmählich die Hauptstadt dauernd unsicher machten.
Auch draußen sah es recht böse aus. Die Armeen waren zu schwach, um ihre ersten Erfolge zu behaupten. Eine neue Aushebung von 300000 Mann mußte angeordnet, neue Assignatenemissionen mußten begeben werden. Dazu erregte wieder ein großer Verrat die Gemüter. Dumouriez spielte den Österreichern Belgien in die Hände. – Am 1. Februar 1793 erfolgte die Kriegserklärung an England, dessen zweideutiges Verhalten, dessen ganze Politik auf eine politische und wirtschaftliche Schwächung Frankreichs hinauslief. Englisches Geld unterhielt die Gegenrevolution in den großen französischen Häfen Nantes, Brest, Toulon, Bordeaux. Englisches Geld ermöglichte die Operationen der Invasionsheere. In diesen Tagen überschritten die Emigranten, von sardinischen Truppen unterstützt, auch im Süden die Grenze. Gleichzeitig brach in der Bretagne und in Lyon der gegenrevolutionäre Aufstand los, und am 10. März folgte die Vendée.
Allen diesen Vorgängen sah die Gironde lässig zu, und es dauerte lange, bis sie der sich steigernden Erregung des Volkes Konzessionen machte. Das Volk plante eine »Säuberung« des Konvents. Neue Septembertage wurden befürchtet. Endlich wurde am 10. März das »Revolutionstribunal« errichtet, dem alle Verräter vorgeführt werden sollten. Dem Revolutionstribunal folgte im April 1793 der Wohlfahrtsausschuß, der aus Mitgliedern des Konvents bestand und die ganze Exekutivgewalt übernahm. Er errang unter Dantons Leitung bald den größten Einfluß auf den Gang der Ereignisse. Außer ihm besaß nur noch der Sicherheitsausschuß, dem das Polizeiwesen unterstand, tatsächliche Macht.
Wieder war die Kommune energisch tätig. Trotz des Widerstandes der Nationalversammlung beschloß sie eine progressive Einkommensteuer, welche die Mittel zur Fortführung des Krieges bringen sollte. Auch veranlaßte sie den Konvent zur Entsendung von Abgeordneten in die Provinz; diese sollten die Kriegsbegeisterung schüren und das Volk zu neuen Opfern für den Krieg bewegen. Es galt vor allem des grauenvollen Aufstandes in der Vendée Herr zu werden, von wo aus ein Heer von hunderttausend Bauern plündernd und mordend bis nach Belgien zog. Erst Ende Mai konnte die Republik genügende Streitkräfte zur Gegenaktion bereitstellen, und sie erstickte den Aufstand in blutigen Greueln.
Der Mittelpunkt der Bewegung gegen die Gironde ward der bischöfliche Palast, wo der revolutionäre Generalrat tagte. Am 31. Mai erhob sich das Volk, drang in den Sitzungssaal des Konvents, erlangte aber nur die Auflösung des verhaßten Zwölferausschusses, der kurz vorher auf Betreiben der Gironde zur Prüfung der Beschlüsse der Kommune eingesetzt worden war. Erst als man am 2. Juni Geschütze gegen den Konvent auffahren ließ, bequemte dieser sich dem Willen des Volkes, schloß einunddreißig girondistische Mitglieder aus und stellte sie unter strenge Kontrolle. Als in der Folge bekannt wurde, daß diese einunddreißig mit den Royalisten konspirierten, erklärte sie der gesäuberte Konvent außerhalb des Gesetzes.
Schlag auf Schlag löste jetzt der Konvent die Fragen, die den Streit der Parteien hervorgerufen hatten, im fortschrittlichen Sinne. Der Maximalpreis der Lebensmittel und die Rückgabe der Gemeindeländereien wurden Gesetz. Vor allem aber wurden am 17. Juli die Feudalrechte endgültig abgeschafft und damit eine völlige wirtschaftliche Umgestaltung Frankreichs gewährleistet. Alle Urkunden über diese Rechte sollten verbrannt werden.
Die Girondisten suchten durch engen Anschluß an die Royalisten ihren verlorenen Einfluß wiederzugewinnen. Eine mittelbare Folge ihrer Komplotte war die Ermordung Marats durch Charlotte Corday am 13. Juli 1793. (Vgl. das siebzehnte und achtzehnte Kapitel des Buches.) An den Aufständen im Lande waren sie überall unmittelbar beteiligt, ohne doch zunächst der wieder erstarkten Revolution Abbruch tun zu können.
Die äußere Lage hatte sich nach einer völligen Reorganisation der Armee, die nunmehr durchaus sichere Männer als Führer besaß, gebessert. Und schon zum Beginn des Herbstes, nach den Siegen bei Hondschoote und Wattignies in Belgien und dem Siege Hoches und Pichegrus bei Gaisberg im Elsaß konnte die Invasion als eingedämmt gelten. Toulon, das an die Engländer gefallen war, wurde zurückerobert.
Im Sommer des folgenden Jahres ging nach heftigen parlamentarischen Kämpfen der radikale Entwurf einer neuen Verfassung durch, die am 10. August feierlich proklamiert wurde. Außer einem volkstümlichen Wahlrecht garantierte sie dem Bürger Freiheit, Sicherheit, Eigentum, Staatsschuld, Freiheit der Kulte, gemeinsamen Unterricht, öffentliche Armenunterstützung, Preßfreiheit, Petitionsrecht, Versammlungsrecht, Genuß aller Menschenrechte.
Damit wäre die Arbeit des Konvents getan gewesen, doch beschloß man, die Session bis zum Friedensschluß zu verlängern und den Wohlfahrts- und Sicherheitsausschuß mit ihren beinahe diktatorischen Befugnissen beizubehalten. Die größte Sorge des Konvents war nun, seine Macht zu befestigen und eine starke, zentralistische Regierung zu errichten. Der Wohlfahrtsausschuß geriet ganz unter den Einfluß Robespierres und stützte sich auf den Jakobinerklub, an den sich allmählich achttausend revolutionäre Vereine angeschlossen hatten. Freilich versuchten die Royalisten immer noch, Einfluß auf den Gang der Dinge zu gewinnen, und sie benutzten die Abwesenheit vieler radikaler Abgeordneter, die in die Provinzen und an die Grenzen entsandt worden waren, um die Macht des Wohlfahrtsausschusses zu untergraben. Schon jetzt mußte der Konvent mit dem Schrecken drohen. Das Revolutionstribunal wurde verstärkt. Andererseits suchte man, die Tätigkeit der Kommune zu unterbinden. Ihr Versammlungsrecht wurde eingeschränkt, die revolutionären Ausschüsse suspendiert. Am 19. September 1793 kam das Gesetz über die Verdächtigen heraus. Danach waren alle die verdächtig, die nicht fortwährend Beweise ihrer Anhänglichkeit an die Revolution gaben. Sie konnten ohne weiteres verhaftet werden; eine dauernde Überfüllung der Gefängnisse war die Folge. Immer mehr wurde der Satz: »Nieder mit allen Feinden der Revolution – mit allen, oben und unten,« die Maxime der Regierenden.
Am 3. Oktober erging der Befehl an das Revolutionstribunal, die Königin, die verschiedene Fluchtversuche unternommen und sich weiter an den Verschwörungen gegen die Republik beteiligt hatte, abzuurteilen. Sie wurde von ihrem Sohne getrennt und in die Conciergerie gebracht. Man machte kurzen Prozeß mit ihr und ließ sie am 16. Oktober enthaupten. Kurz darauf, am 22. Oktober, begann der Prozeß gegen zweiundzwanzig angesehene Girondisten, der durch ein besonderes Gesetz beschleunigt wurde. Sie wurden sämtlich am 29. Oktober hingerichtet. Ihnen folgte Madame Roland am 8. November. (Vgl. das vierzehnte und fünfzehnte Kapitel des Buches.)
Daneben vollzog sich allmählich eine Erneuerung des kulturellen Lebens. Damals wurde der republikanische Kalender und das neue metrische System eingeführt, das sämtliche Kulturstaaten übernommen haben. Eine ausgedehnte Bewegung gegen das Christentum begann in Paris und in allen Provinzen. In einer Konventssitzung, an Stimmungsüberschwang der vom 4. August 1789 ähnlich, legte der Bischof von Paris, Gobel, seine kirchlichen Funktionen nieder. Viele Geistliche folgten seinem Beispiele. Departement und Kommune von Paris beschloß, am 10. November ein Fest der »Freiheit und Vernunft« zu veranstalten. (Vgl. das zweiundzwanzigste Kapitel des Buches.) Bald besaß jedes Stadtviertel von Paris seine Kirche für den neuen Kultus. Der religiöse Unterricht wurde durch den Moralunterricht ersetzt. Allerdings erließ der Konvent am 6. Dezember ein Dekret über die »Freiheit aller Kulte«, das dem Katholizismus sehr förderlich war; es fand jedoch im Volke keinen Anklang. Ebensowenig konnte das Fest des »höchsten Wesens« vom 8. Juni 1794, das sich auf eine halb deistische, halb durch Rousseaus Philosophie gestützte rationalistische Lehre gründete und von Robespierre selbst veranlaßt war, sich der Gunst der Menge erfreuen.
Trotzdem so nach außen vieles geleistet wurde, war die innere Kraft der Revolution gebrochen. Sie hatte zu viele Opfer gefordert, man war müde geworden. Es ging nicht mehr um die Sache, sondern um die Macht. Die Gruppe Robespierre genoß vorläufig das höchste Ansehen. Doch machten ihr vom Dezember 1793 ab drei andere Gruppen den Rang streitig. Da waren die Müden, Danton und seine Gruppe, die den Frieden und die Ordnung um jeden Preis suchten. Da war die Kommune, die Volksrevolutionäre unter ihren Führern Hébert, Chaumette, Couthon, die die soziale Revolution bis zur wirtschaftlichen und politischen Gleichheit aller durchführen wollten. Da waren endlich die Terroristen des Wohlfahrtsausschusses, die nichts im Sinne hatten, als die nackte Macht mit Hilfe des Schreckensregiments. Alle diese Gruppen bekämpften einander bis aufs Messer, wenn auch Danton und Robespierre und ihre Anhänger zunächst gegen die Kommune einig waren. Am 18. März 1794 wurden die Führer dieser letzteren, deren moralisches Ansehen man durch Märchen und Verleumdungen aller Art unterwühlt hatte, verhaftet und am 24. hingerichtet. Die Royalisten und Reaktionäre, die man bereits wieder ruhig gewähren ließ, machten ein Fest daraus. Eine Hauptstütze der Revolution war so zusammengebrochen. Schon wenige Tage später ereilte die Dantongruppe, die sich auf Betreiben der Royalisten allzuweit gegen die revolutionäre Regierung vorgewagt hatte, dasselbe Schicksal. Der »Schrecken« war Tatsache geworden, und er erhielt durch das berüchtigte Gesetz vom 10. Juni 1794, das die Urteile vereinfachte und die Zahl der mit Todesstrafe zu sühnenden Vergehen bedeutend vermehrte, seine offizielle Bestätigung. Attentate auf Robespierre und andere Konventsmitglieder zogen eine Menge weiterer Hinrichtungen nach sich. In den sechsundvierzig Tagen von der Verkündung des Schreckensgesetzes bis zum 27. Juli 1794 fanden im ganzen dreizehnhundertundeinundfünfzig Menschen ihr Ende auf der Guillotine.
Aber auch der Schrecken stumpfte ab; statt die Opfer zu hassen, bemitleidete man sie. Das kam der Gegenrevolution zustatten. Man sehnte sich nach Ordnung. Alle Mitglieder der Linken und die Gemäßigten des Konvents verbanden sich gegen das neue »Triumvirat«: Robespierre, Saint-Just und Couthon. Man behauptete, Robespierre strebe nach der Diktatur. Am 9. Thermidor (27. Juli 1794) wurde der große Schlag gegen ihn geführt. »Nieder mit dem Tyrannen!« erscholl es auf allen Bänken des Konvents. Man beschließt, die »Triumvirn« und einige andere Abgeordnete in Anklagezustand zu versetzen. Robespierre wird verhaftet, aber von einem Teil der Kommune, der in den Aufstand tritt, befreit. Da erklärt der Konvent die Aufständischen für außerhalb des Gesetzes. Robespierre wird von neuem verhaftet und mit einundzwanzig seiner Anhänger am nächsten Tage hingerichtet.
Die Revolution war zu Ende, die Reaktion triumphierte. Es folgten noch letzte Zuckungen, der »weiße Schrecken«, die ungeheure Mißwirtschaft des Direktoriums. –
Und dann kam Napoleon....
Was bedeutet uns die Geschichte Frankreichs von 1789 bis 1794? Oft genug hat man uns mit den Greueln der Revolution die große Furcht einjagen wollen, oft genug die Männer der Revolution als blutberauschte Unmenschen dargestellt. Dagegen läßt sich zweierlei sagen:
Aus dem Blute jener Jahre erwuchs die Freiheit Europas.
Die Sache der Revolution ist die Sache der Menschheit.
Paris, am Tage des Sturms auf die Bastille
14. Juli 1913