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Drittes Kapitel

Die Liebe und die Liebe zur Idee (1789–1791)

Das Charakteristische an dieser einzigartigen Zeit ist, daß die Parteidoktrinen zu Religionen werden. Zwei Religionen treten in den Vordergrund, die frömmelnde royalistische Götzenanbetung und der republikanische Idealismus. In der ersten klammert sich die Seele, von Mitleid selbst verwirrt und mit Gewalt auf die Vergangenheit gedrängt, die man ihr streitig macht, an die Idole aus Fleisch und Blut, an die Götter in Menschengestalt, die sie fast vergessen hatte. In der andern erhebt und begeistert sich die Seele an der Verehrung der reinen Idee; sie will keine Idole mehr, keinen andern Gegenstand der Religion als das Ideal, das Vaterland, die Freiheit.

Die Frauen sind weniger als wir durch sophistische und schulmäßige Verbildung verdorben und schreiten in beiden Religionen den Männern weit voran. Es ist ein erhebender und rührender Anblick, wie nicht nur die reinen, untadeligen unter ihnen, sondern sogar die weniger würdigen einem edlen Antrieb zum uneigennützigen Schönen folgen, das Vaterland zur Herzensfreundin nehmen und das ewige Recht zum Liebhaber.

Zwar änderten sich die Sitten nicht, aber die Liebe nahm ihren Flug zu den Höhen des Gedankens. Vaterland, Freiheit, das Glück der Menschheit ergriffen die Herzen der Frauen. Die Tugend der Römerzeit lebt nicht in den Sitten, aber in der Vorstellung, in der Seele, im edlen Begehren. Sie blicken um sich und suchen nach den Helden Plutarchs, auf diese richtet sich ihr Wille, diese wollen sie hervorbringen. Von Rousseau und Mably zu sprechen, genügt nicht, um ihnen zu gefallen. Lebhaft und aufrichtig, voll von ernsthaften Ideen, wollen sie, daß die Worte zu Taten werden. Immer haben sie die Stärke geliebt. Sie vergleichen den modernen Mann mit dem Ideal antiker Kraft, das sie im Geiste tragen. Nichts vielleicht hat mehr als dieser Vergleich, als das ungestüme Verlangen der Frauen dazu beigetragen, die Männer zu Taten zu treiben und den reißenden Lauf unserer Revolution zu beschleunigen.

Diese Gesellschaft brannte! Wenn wir unter sie treten, glauben wir den glühenden Atem zu spüren!

Wir haben auch in unseren Tagen außergewöhnliche Taten gesehen, wunderbaren Opfermut, viele Menschen, die ihr Leben hingaben, und dennoch: jedesmal, wenn ich mich aus der Gegenwart zurückziehe und mich wieder zur Vergangenheit, zur Geschichte der Revolution wende, finde ich hier eine viel stärkere Hitze; die Temperatur ist ganz anders. Sollte der Erdball seitdem kälter geworden sein?

Männer aus jener Zeit hatten mir den Unterschied erklärt, doch ich hatte ihn nicht verstanden. Erst im Laufe der Jahre, als ich in die Einzelheiten drang, als ich nicht mehr nur den Mechanismus der Gesetzgebung, sondern die Bewegung der Parteien studierte, und nicht allein die Parteien, sondern die Menschen, die Persönlichkeiten, die Lebensbilder Einzelner, habe ich den Sinn des Wortes der Alten gefunden.

Der Unterschied der alten Zeit zur neuen läßt sich in einem Worte zusammenfassen: man liebte.

Interesse, Ehrgeiz, die ewigen Leidenschaften des Menschen waren mit im Spiel wie heute, aber der stärkste Anteil fiel der Liebe zu. Der Liebe in jedem Sinne, als Liebe zur Idee, Liebe zur Frau, Liebe zum Vaterlande und zur Menschheit. Sie liebten das vergangene und das unvergängliche Schöne: zwei Empfindungen, die sich damals mischten, wie Gold und Bronze im korinthischen Erz verschmolzen sind. [ * ] In dem Maße, wie man ernsthafter in die Erforschung der Geschichte dieser Zeiten eintritt, wird man den oft geheimen, immer aber ungeheuern Anteil entdecken, den das Herz in den Entscheidungen der Leute von damals gehabt hat, wie auch im übrigen ihr Charakter sein mochte. Keiner von ihnen macht eine Ausnahme, von Necker bis Robespierre. Diese »vernünftige« Generation beruft sich immer auf die Ideen, aber die Affekte beherrschen sie mit eben so großer Macht.

Die Frauen herrschten damals durch das Gefühl, durch die Leidenschaft und – das muß gesagt werden – auch durch die Überlegenheit ihrer Initiative. Niemals, weder vorher noch nachher, hatten sie soviel Einfluß. Im achtzehnten Jahrhundert, zur Zeit der Enzyklopädisten, herrschte der Geist in der Gesellschaft; später war es die Tat, Taten des Mordes und des Schreckens. Im Jahre 1791 herrschte das Gefühl und folglich die Frau.

Das Herz Frankreichs schlägt stark zu dieser Zeit. Die Erregung war seit Rousseau gewachsen. Sentimental war sie zuerst, träumerisch, eine Zeit unruhiger Erwartung, wie die Stunde vor einem Sturm, wie in einem jungen Herzen die Liebe unsicher schwankt, ehe der Liebhaber kommt. Dann, im Jahre 1789, ein heftiges Wehen, und alle Herzen pochen. Im Jahre 1790 der Bund, die Verbrüderung, die Tränen, 1791 der Wendepunkt, die Debatte, der leidenschaftliche Wortstreit. – Aber überall sind die Frauen dabei, überall die persönliche Leidenschaft in der öffentlichen Leidenschaft; das private und das soziale Drama vermischen und verwickeln sich; die beiden Fäden verweben sich ineinander; leider werden sie später sehr oft gleichzeitig durchschnitten.

Eine Legende aus England läuft um, die unseren Französinnen ein großes Beispiel zur Nacheiferung gab. Mistreß Macaulay, die große Geschichtschreiberin der Stuarts, hatte den alten Minister Williams so sehr für ihren Geist und ihre Tugend begeistert, daß er ihre Marmorstatue sogar in einer Kirche als Göttin der Freiheit geweiht hatte.

Fast alle schreibenden Frauen träumten damals, die Macaulay Frankreichs zu werden. Die begeisternde Göttin findet sich in jedem Salon. Sie diktieren, korrigieren, ändern die Reden, die am folgenden Tage in den Klubs, in der Nationalversammlung gehalten werden. Sie folgen diesen Reden und hören sie von den Tribünen aus an; sie halten als leidenschaftliche Richter Sitzungen ab und stützen mit ihrer Gegenwart den schwachen oder furchtsamen Redner. Soll er doch aufstehen und sie ansehen! Sieht er nicht das feine Lächeln der Frau von Genlis zwischen ihren verführerischen Töchtern, der Prinzessin und Pamela? Und gehört dies schwarze, lebensprühende Auge nicht der Frau von Staël? Wie sollte da die Beredsamkeit nachlassen? Und wie könnte einem der Mut versagen vor Madame Roland?


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