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Achtes Buch

Das goldene Zeitalter

I.

Ende des Jahres 1496 schrieb Herzogin Beatrice von Mailand ihrer Schwester Isabella, der Gemahlin des Markgrafen Francesco Gonzaga, des Herrn von Mantua:

»Durchlauchtigste Madonna, unsere geliebte Schwester! Ich und mein Mann Signore Lodovico wünschen Euch und dem hervorragenden Signore Francesco Gesundheit.

In Erfüllung Eures Wunsches sende ich Euch ein Bildnis meines Sohnes Massimiliano. Glaubt aber, bitte, nicht, daß er so klein ist. Wir wollten eigentlich von ihm genaues Maß nehmen, um es Eurer Signorie zu schicken; doch konnten wir uns nicht dazu entschließen, denn die Wärterin meinte, daß das Maßnehmen dem Wuchse des Kindes schaden könnte. Er wächst aber ganz wunderbar: wenn ich ihn einige Tage nicht gesehen habe und dann wieder anblicke, kommt er mir um so viel gewachsen vor, daß ich überaus zufrieden und glücklich bin.

Wir hatten übrigens einen großen Kummer: unser Narr Nannino ist gestorben. Ihr habt ihn gekannt und gleich uns geliebt; bei jedem andern Verlust vermag ich die Hoffnung auf Ersatz so leicht nicht aufzugeben, während uns unseren Nannino selbst die Natur nicht ersetzen kann, denn sie hat bei seiner Erschaffung alle ihre Kräfte erschöpft, indem sie in diesem einen zum Ergötzen der Fürsten bestimmten Geschöpfe die seltenste Dummheit mit der reizendsten Häßlichkeit vereinigte. Der Dichter Bellincioni sagt in seinem Epitaph: Ist er im Himmel, so belustigt er das ganze Paradies, ist er in der Hölle, so schweigt und freut sich Cerberus. Wir haben ihn in unserer Familiengruft in Maria delle Grazie neben meinem Lieblings-Jagdsperber und der unvergeßlichen Hündin Puttina beigesetzt, damit wir nach unserem Tode dieses angenehmen Gegenstandes nicht entbehren müssen. Ich habe zwei Nächte lang geweint und Signor Lodovico versprach mir zum Trost für Weihnachten einen prunkvollen silbernen Leibstuhl mit einer Darstellung der Schlacht zwischen Centauren und Lapithen. Das Innere des Gefäßes ist aus reinem Gold, der Baldachin aus karmoisinrotem Samt und mit den herzoglichen Wappen bestickt; das Ganze ist aber genau so wie der Leibstuhl der Großherzogin von Lothringen. Einen solchen Leibstuhl soll weder eine der Fürstinnen Italiens, noch der Papst, der Kaiser oder der Großtürke besitzen. Er ist schöner, als der berühmte Leibstuhl Basada, der von Martial in seinen Epigrammen beschrieben wird. Merula dichtete darauf Hexameter, die so beginnen:

Quis cameram hanc supero dignam neget esse tonante Principe.
Würdig ist dieses Gerät des donnerschleudernden Gottes.

Signor Lodovico wollte den Florentiner Künstler Leonardo da Vinci beauftragen, im Innern des Leibstuhles ein Musikwerk, in der Art einer kleinen Orgel anzubringen, Leonardo lehnte aber unter dem Vorwande ab, daß er zu sehr vom Koloß und dem Heiligen Abendmahl in Anspruch genommen sei.

Verzeiht, liebe Schwester, daß ich Euch diesen Meister nicht für eine Zeitlang geschickt habe. Ich hätte mit Freude Euren Wunsch erfüllt und ihn Euch nicht nur für eine Zeitlang, sondern für immer abgetreten. Aber Signor Lodovico schätzt ihn, ich weiß nicht warum, über alle Maßen und will sich nicht von ihm trennen. Ihr sollt Euch, übrigens, darüber nicht grämen, denn dieser Leonardo ist der Alchimie, Magie, Mechanik und ähnlichem Unsinn viel mehr ergeben, als der Malerei und zeichnet sich durch solche Unpünktlichkeit in Ausführung von Aufträgen aus, daß selbst einem Engel die Geduld reißen könnte. Außerdem ist er, wie ich höre, ein Ketzer und Atheist.

Neulich hatten wir eine Wolfsjagd veranstaltet. Ich durfte nicht mitreiten, denn ich bin im fünften Monat schwanger. Ich habe der Jagd von einem erhöhten Wagentritt aus zugeschaut, der eigens für mich in der Art einer Kirchenkanzel gebaut wurde. Es war, übrigens, mehr Marter als Vergnügen. Als der Wolf in den Wald flüchtete, hätte ich beinahe geweint. Hätte ich in einem Sattel gesessen, ich hätte ihn nicht entrinnen lassen: ich hätte mir den Hals gebrochen, aber das Tier eingeholt!

Erinnert Ihr Euch noch, Schwester, wie wir einst zusammen jagten? Damals stürzte Donsella Penthesileia in einen Graben und hätte sich fast den Schädel zerschlagen. Und dann die Wildschweinjagd in Cusnago, und das Ballspiel, und der Fischfang – eine schöne Zeit war das!

Jetzt suchen wir uns nach Kräften zu trösten. Wir spielen Karten und laufen Schlittschuh. Dies letztere Vergnügen hat uns ein junger Edelmann aus Flandern beigebracht. Wir haben einen kalten Winter: nicht nur die Teiche, sondern auch alle Flüsse sind zugefroren. Leonardo hat auf der Eisbahn im Schloßgarten aus marmorweißem und hartem Schnee eine wunderbare Leda mit dem Schwan geformt. Es ist schade, daß sie im Frühjahre zerschmelzen wird.

Wie geht es Euch, geliebte Schwester? Ist es Euch geglückt, die langhaarigen Katzen zu züchten? Wenn Ihr ein rotes Kätzchen mit blauen Augen bekommt, so schickt es mir mit der versprochenen Mohrin. Ich will Euch dafür junge Hunde von dem »Seidenfädchen« schicken.

Vergeßt bitte nicht, Madonna, vergeßt nicht, mir das Schnittmuster zum Seelenwärmer aus blauem Atlas zu senden; ich meine den mit dem schrägen Kragen und Zobelbesatz. Ich hatte schon in meinem vorigen Briefe Euch darum gebeten. Schickt mir das Schnittmuster so schnell es geht, am besten morgen früh mit einem reitenden Boten.

Schickt mir auch ein Glas von Eurem wunderbaren Waschmittel gegen Gesichtspickel und von dem überseeischen Holze zum Polieren der Fingernägel.

Wie steht es mit dem Denkmal Virgils, dieses süßen Schwanes der Mantuanischen Seen? Wenn Euch die Bronze nicht langt, so wollen wir Euch zwei alte Bombarden aus vorzüglichem Kupfer schicken.

Unsere Astrologen prophezeien einen Krieg und einen heißen Sommer: die Hunde werden toll und die Fürsten zornig werden, was sagt Euer Astrolog? Dem fremden glaubt man immer mehr als dem eigenen.

Ich schicke Eurem durchlauchtigsten Gemahl Signore Francesco ein Rezept gegen die französische Krankheit, das von unserm Leibarzt Luigi Marliani erfunden worden ist. Es soll helfen. Die Quecksilbereinreibungen sollen früh morgens auf nüchternen Magen in den ungeraden Tagen des Monats nach dem Neumond vorgenommen werden. Ich habe gehört, daß diese Krankheit nur die unheilbringende Konjunktur gewisser Planeten zur Ursache habe, besonders aber die der Venus mit dem Merkur.

Ich und Signor Lodovico empfehlen uns Eurem gnädigen Wohlwollen und dem Eures Gemahls, des berühmten Markgrafen Francesco.

Beatrice Sforza.«

II.

Dieser anscheinend harmlose Brief enthielt doch viel Verstellung und Politik. Die Herzogin verschwieg ihrer Schwester ihre Familiensorgen. Das Verhältnis zwischen den Ehegatten war keineswegs so herzlich, wie man nach diesem Briefe schließen könnte. Sie haßte Leonardo weniger wegen seiner Ketzerei und Gottlosigkeit, sondern weil er einst im Auftrage des Herzogs ein Bildnis der Cecilia Bergamini, der Hauptmaitresse Moros, gemalt hatte. In der letzten Zeit verdächtigte sie ihren Mann, ein neues Liebesverhältnis mit einer ihrer Hofdamen, Madonna Lucrezia, angefangen zu haben.

In dieser Zeit hatte der Mailänder Herzog den Gipfel seiner Macht erreicht. Der Sohn des verwegenen romagnolischen Söldners, des Halbsoldaten und Halbräubers Francesco Sforza, trachtete danach, Alleinherrscher des vereinigten Italiens zu werden.

»Der Papst ist mein Beichtvater, der Kaiser mein Feldherr, die Stadt Venedig mein Schatzmeister und der König von Frankreich mein Eilbote,« so prahlte Moro.

Seine Unterschrift lautete: » Ludovicus Maria Sfortia Anglus dux Mediolani«, denn er leitete sein Geschlecht von dem berühmten Helden, dem Gefährten des Aeneas, Anglus von Troja, ab. Auch der von Leonardo errichtete Koloß, das Denkmal seines Vaters, mit der Aufschrift » Ecce Deus! – Sehet welch ein Gott!« zeugte von der göttlichen Größe der Sforzas.

Bei all diesem äußeren Glück und Erfolg spürte der Herzog doch eine geheime Angst und Beklommenheit. Er wußte, daß das Volk ihn nicht liebte und ihn für den Räuber des Thrones hielt. Als einst die Volksmenge auf dem Arengoplatze die Witwe des verstorbenen Gian-Galeazzo mit ihrem Erstgeborenen, Francesco, gewahrte, brach sie in Rufe aus: »Es lebe der rechtmäßige Herzog Francesco!«

Er war acht Jahre alt und durch Verstand und Schönheit ausgezeichnet. Der Gesandte von Venedig Marino Sanuto berichtete: »Das Volk wünscht ihn sich zum Herzog wie einen Gott.«

Beatrice und Moro hatten eingesehen, daß der Tod Gian-Galeazzos die auf ihn gesetzten Hoffnungen betrogen hatte, denn sie waren doch nicht rechtmäßige Fürsten geworden. In diesem Kinde war der Schatten des verstorbenen Herzogs aus dem Grabe gestiegen.

In Mailand wurden verschiedene geheimnisvolle Vorzeichen besprochen. Man erzählte, des Nachts könne man über den Schloßtürmen Flammen sehen, die dem Widerscheine einer Feuersbrunst glichen, und in den Schloßräumen sei schreckliches Stöhnen zu hören. Man erinnerte sich auch, wie Gian-Galeazzos linkes Auge sich nicht schließen ließ, als er im Sarge lag, was den baldigen Tod eines seiner nächsten Verwandten bedeuten sollte. Man erzählte sich, eine Madonna del'Albere hätte ein Zittern in den Augenlidern; die Kuh einer alten Frau, die hinter dem Ticino-Tor wohnte hätte ein Kalb mit zwei Köpfen geworfen; die Herzogin wäre in einem einsamen Saal der Rocchetta, von einem Gespenst erschreckt, in Ohnmacht gefallen und wollte darüber mit niemandem, selbst mit ihrem Gatten nicht reden.

Seit einiger Zeit hatte die Herzogin ihre jugendliche Beweglichkeit, die dem Herzog so sehr gefiel, fast gänzlich eingebüßt und sah mit schlimmen Vorahnungen der Entbindung entgegen.

III.

An einem Dezemberabend, als die Schneeflocken die Straßen der Stadt mit einem weichen Teppich bedeckten und das Schweigen der Dämmerung vertieften, saß Moro in einem kleinen Palazzo, den er seiner neuen Maitresse, Madonna Lucrezia Crivelli, zum Geschenk gemacht hatte.

Das Feuer des Kamins warf seinen Schein auf die lackierte Türe, deren Mosaikverzierungen Perspektiven alter römischer Bauwerke darstellten, auf die goldverzierte gegitterte Stuckdecke, auf die goldbedruckten Tapeten aus Kordua-Leder und auf einen runden Tisch mit einer grünen Samtdecke, einem aufgeschlagenen Roman des Bojardo, Notenrollen, einer Mandoline aus Perlmutter und einem geschliffenem Kristallkrug mit Balnea Aponitana – einem Heilwasser, welches bei den vornehmen Damen gerade in Mode kam. An der Wand hing Lucrezias Bildnis, von Leonardo gemalt.

Über dem Kamin standen Tonfiguren von Caradosso: flatternde Vögel, die Weintrauben pickten und geflügelte nackte Kinder, halb christliche Engel, halb heidnische Liebesgötter, die mit den heiligen Werkzeugen der Leiden Christi – Nägel, Speer, Rohr, Schwamm und Dornenkrone – tanzten und spielten; im rosigen Widerschein der Flamme schienen sie lebendig.

Im Schornsteine heulte der Schneesturm. Aber in dem schönen Arbeitszimmer – Studiolo – atmete alles Gemütlichkeit und Behagen.

Madonna Lucrezia saß auf einem samtenen Kissen zu Moros Füßen. Ihr Gesicht war traurig. Er hielt ihr freundlich vor, daß sie seit so langer Zeit die Herzogin Beatrice nicht besucht hätte.

»Durchlaucht,« sagte das Mädchen und schlug die Augen nieder. »Ich flehe Euch an, nötigt mich nicht dazu, denn ich kann nicht lügen!«

»Verzeih mir, heißt denn das lügen?« wunderte sich Moro. »Wir verheimlichen ja nur. Hat denn nicht auch der Donnerschleuderer selbst seine Liebesgeheimnisse vor seiner eifersüchtigen Gattin verheimlicht? Und erst Theseus, Phädra, Medea und die andern Götter und Helden des Altertums? Können denn wir, schwache Sterbliche, der Macht des Liebesgottes widerstreben? Ist denn ein verheimlichtes Übel nicht besser als ein offenkundiges? Wenn wir unsere Sünde verheimlichen, so bewahren wir unsere Mitmenschen vor dem Ärgernis, wie es christliche Nächstenliebe erheischt. Wenn aber in unserem Tun kein Ärgernis, dafür aber Nächstenliebe ist, so tun wir auch gar nichts Böses, oder beinahe nichts Böses ...«

Er lächelte verschlagen. Lucrezia schüttelte den Kopf und sah ihm mit ihrem strengen, kindlich-feierlichen unschuldigen Blick etwas mißtrauisch gerade in die Augen.

»Ihr wißt, mein Fürst, wie glücklich mich Eure Liebe macht. Und doch möchte ich zuweilen lieber sterben, als Madonna Beatrice hintergehen, die mich wie eine Schwester liebt ...«

»Laß das, mein Kind!« sagte der Herzog. Er zog sie auf seinen Schoß und umschlang mit der einen Hand ihre Taille, während er mit der andern ihr schwarzes glänzendes Haar streichelte, das glatt über die Ohren gekämmt und von einem schmalen Goldreifen, der in der Mitte der Stirne einen funkelnden Diamanten trug, geschmückt war. Sie hatte ihre langen weichen Wimpern gesenkt und gab sich ohne Leidenschaft und Erregung, kühl und keusch seinen Liebkosungen hin.

»Wenn du wüßtest, wie ich dich liebe, du mein stilles, bescheidenes Mädchen, nur dich allein!« flüsterte er, den ihm wohlvertrauten Geruch von Veilchen und Moschus gierig einatmend.

Die Türe ging auf und ehe noch der Herzog das Mädchen aus seinen Armen entgleiten lassen konnte, stürzte ins Zimmer die erschrockene Zofe:

»Madonna, Madonna! ...« keuchte sie: »Dort unten, vor dem Tore ... Herr, sei uns Sündern gnädig! ...«

»Rede vernünftig!« versetzte der Herzog. »wer ist vor dem Tore?«

»Herzogin Beatrice!«

Moro erblich.

»Der Schlüssel! Wo ist der Schlüssel von der anderen Türe? Ich will durch die Hinterpforte und den Hof ... wo ist denn der Schlüssel? Gib ihn rasch her ...«

»An der Hinterpforte stehen die Cavalieri der durchlauchtigsten Madonna!« erwiderte die Zofe verzweifelnd die Hände ringend. »Der ganze Hof ist umzingelt!«

»Es ist eine Falle!« rief der Herzog aus, sich an den Kopf fassend. »Woher mag sie es nur wissen? Wer kann es ihr gesagt haben?«

»Es kann nur Monna Sidonia gewesen sein!« fiel die Zofe ein. »Jetzt ist es mir klar, warum die verdammte Hexe so oft zu uns mit ihren Essenzen und Salben kommt. Ich hatte Euch ja gewarnt, Signora ...«

»Was tun? Mein Gott, was soll ich tun?« lallte der totenblasse Herzog.

Von der Straße aus wurde laut an die Haustüre geklopft. Die Zofe stürzte zur Treppe.

»Verstecke mich, Lucrezia! Verstecke mich!«

»Durchlaucht!« erwiderte das Mädchen, »wenn Madonna Beatrice Verdacht hat, so läßt sie doch das ganze Haus absuchen. Wäre es nicht besser, ihr gleich entgegen zu treten?«

»Nein, nein, Gott bewahre! Was sprichst du, Lucrezia! Wie könnte ich ihr entgegentreten?! Du weißt ja nicht, was für ein Weib sie ist! Mein Gott, wie schrecklich, wenn ich bedenke, was daraus werden kann! Sie ist ja schwanger! ... Verstecke mich doch, verstecke mich! ...«

»Ich wüßte wirklich nicht, wohin ...«

»Ganz gleich, wohin du willst, aber schnell! ...«

Der Herzog zitterte und glich in diesem Augenblick eher einem ertappten Dieb, als dem fabelhaften Helden Anglus von Troja, Gefährten des Aeneas.

Lucrezia führte ihn durch das Schlafgemach in den Ankleideraum und versteckte ihn in einem jener großen weißen, im alten Geschmack mit Gold verzierten Wandschränke, die den vornehmen Damen als »Guardaroben« dienten.

Er verkroch sich in eine Ecke zwischen den Kleidern.

»Wie dumm!« dachte er sich. »Mein Gott, wie dumm! Ganz wie in den Novellen des Franco Sacchetti oder Boccaccio.«

Es war ihm aber gar nicht so lustig zu Mute. Er holte aus dem Busen ein kleines Amulett mit Reliquien des heiligen Christophorus und ein zweites, das genau so wie das erste aussah und ein Stückchen von einer ägyptischen Mumie, ein in jener Zeit besonders beliebter Talisman, enthielt. Die Amulette sahen einander so ähnlich, daß er sie im Finstern und in seiner Aufregung nicht voneinander unterscheiden konnte und so küßte er, sich bekreuzend und Gebete murmelnd, für jeden Fall beide.

Plötzlich hörte er die Stimmen seiner Frau und seiner Geliebten, die zusammen in den Ankleideraum traten, und ein Gruseln überlief ihn. Die beiden Frauen unterhielten sich so freundschaftlich, als ob nichts vorgefallen wäre. Er merkte aus dem Gespräch, daß Beatrice den Wunsch geäußert hatte, Lucrezias neues Haus zu sehen und daß diese es ihr nun zeige. Beatrice hatte wohl keine unumstößlichen Beweise in Händen und wollte daher ihren Verdacht nicht merken lassen.

Es war ein Zweikampf weiblicher Verstellungskunst und List.

»Sind auch hier Kleider?« fragte Beatrice mit gleichgültigem Ausdruck und wies auf den Schrank, in dem Moro mehr tot als lebendig stand.

»Es sind alte Hauskleider, wollen Ew. Durchlaucht sie anschauen?« erwiderte Lucrezia.

Und sie öffnete die Schranktüre.

»Sagt, meine Liebe,« fuhr die Herzogin fort: »wo ist denn das Kleid, das mir neulich so gut gefiel? Ihr wißt wohl, Ihr hattet es beim Sommerball bei den Pallaviccini an? Ich meine das mit den kleinen Goldwürmchen auf dunkelblauem Morello, sie flimmerten wie Leuchtkäfer!«

»Wenn ich nur wüßte ...« versetzte Lucrezia ganz ruhig. »Ach ja, ich weiß schon! Es wird wohl in diesem Schrank hängen.«

Und ohne die Türe des Schrankes, in dem Moro saß, zu schließen, trat sie mit der Herzogin vor die nächste Guardarobe.

»Und eben erst hat sie gesagt, sie könne nicht lügen!« dachte er voller Entzücken. »Solche Geistesgegenwart! Ja, die Frauen! wir Fürsten sollten eigentlich bei ihnen Politik lernen!«

Beatrice und Lucrezia verließen den Ankleideraum.

Moro konnte freier aufatmen. Doch hielt er noch immer beide Amulette – das mit der Reliquie und das mit der Mumie – krampfhaft in der Hand.

»Ich gelobe zweihundert Reichsdukaten der heiligen Fürsprecherin zu Maria delle Grazie für Öl und Kerzen, wenn alles gut abläuft!« flüsterte er von heißem Glauben beseelt.

Die Zofe lief herbei, öffnete den Schrank, ließ den Herzog mit ehrfurchtsvoll-schelmischer Miene heraus und berichtete, die Gefahr sei vorbei: die durchlauchtigste Herzogin geruhe fortzufahren, nachdem sie von Madonna Lucrezia höchst gnädig Abschied genommen hatte.

Er bekreuzigte sich mit großer Inbrunst, ging ins Studiolo, stärkte sich mit einem Glas Balnea Aponitana und lächelte Lucrezia zu, die, wie vorhin mit gesenktem Kopf und das Gesicht mit den Händen bedeckt, vor dem Kamin saß.

Dann trat er mit schleichenden Fuchsschritten von rückwärts an sie heran, beugte sich zu ihr nieder und umarmte sie.

Das Mädchen zuckte zusammen.

»Laßt mich! Laßt! Geht fort! wie könnt Ihr es noch nach dem Vorgefallenen! ...«

Der Herzog aber hörte nicht auf sie; er bedeckte schweigend ihr Gesicht, Haar und ihren Hals mit gierigen Küssen. Noch nie erschien sie ihm so schön: als hätte ihr die weibliche Lüge, die er an ihr soeben wahrgenommen, einen neuen Reiz verliehen.

Anfangs widerstrebte sie, doch war sie zu schwach, sie schloß, die Augen und reichte ihm zögernd mit hilflosem Lächeln ihren Mund zum Kusse.

Der Dezembersturm heulte im Schornsteine, während auf dem Kamin, unter der Rebenranke des Bacchus eine Schar nackter Kinder im rosigen Widerscheine der Flamme mit den heiligsten Marterwerkzeugen Christi spielte und tanzte.

IV.

Am Neujahrstag des Jahres 1497 sollte am Hof ein Ballfest stattfinden.

Die Vorbereitungen, an denen Bramante, Caradosso und Leonardo da Vinci teilnahmen, dauerten drei Monate.

Um fünf Uhr nachmittags begann die Auffahrt der Gäste. Es waren über zweitausend Personen geladen.

Der Schneesturm hatte alle Wege und Straßen verweht. Die mit Schnee bedeckten Zinnen, Vorsprünge und Schießscharten des Schlosses hoben sich weiß vom Hintergrunde des finsteren Himmels ab. Im Hofe wärmte sich bei den lodernden Scheiterhaufen lachend und plaudernd eine Schar von Stallknechten, Läufern, Bügelhaltern, Reitknechten und Sänfteträgern. Bei der Einfahrt des Palazzo Ducale und bei der eisernen Zugbrücke, die zum inneren Hof der Rocchetta führte, drängten sich vergoldete plumpe Karossen, Reisewagen und Kutschen, mit vier und mit sechs Pferden bespannt, und ihnen entstiegen Signorie und Cavalieri in kostbares moskowitisches Pelzwerk gehüllt. Durch die vereisten Fensterscheiben strahlten festliche Flammen.

Im Vorraum passierten die Gäste die in zwei Reihen aufgestellte herzogliche Leibwache; da waren türkische Mamelucken, griechische Stradioten, schottische Armbrustschützen und schweizer Landsknechte in eisernen Rüstungen, mit schweren Hellebarden in der Hand. In der ersten Reihe standen schlanke Pagen, lieblich wie junge Mädchen, in mit Schwanenpelz besetzten zweifarbigen Livreen, die rechts aus rosa Samt und links aus blauem Atlas waren und auf der Brust die in Silber gestickten heraldischen Abzeichen des Hauses Sforza-Visconti zeigten; diese Kleidung lag so eng an, daß alle Körperformen vollkommen sichtbar waren; nur vorn unter dem Gürtel bildete das Wams kurze enge röhrenförmige Falten. Diese Knaben hielten brennende lange Kerzen aus rotem und gelbem Wachs, die wie Kirchenkerzen aussahen, in den Händen.

Sobald ein Gast den Vorraum betrat, rief ein Herold, dem zwei Trompeter assistierten, seinen Namen aus.

Vor den Gästen öffnete sich eine Reihe großer, blendend hell beleuchteter Säle: der »Saal der weißen Tauben auf rotem Felde«; – der »Goldene Saal« mit der Darstellung der herzoglichen Jagd; der »Rote Saal«, dessen Wände von unten bis oben mit goldbesticktem Atlas bezogen waren; das Muster bestand aus Eimern und brennenden Scheiten, was die unumschränkte Macht der Mailänder Herzöge, die nach ihrem Belieben die Flamme des Krieges anfachen und sie wieder mit dem Wasser des Friedens löschen könnten, bedeutete. Im kleinen von Bramante erbauten »Schwarzen Saal«, der den Damen als Toilettenzimmer diente, sah man auf der Decke und den Wänden unvollendete Fresken Leonardos.

Die festlich geputzte Menge summte und rauschte wie ein Bienenschwarm. Die Kleider zeichneten sich durch bunte und grelle Farben und durch maßlosen, oft geschmacklosen Luxus aus. In dieser Buntheit und in der Mannigfaltigkeit der hier vertretenen ausländischen Moden, die zum Teil geradezu närrisch wirkten und den Gewohnheiten und Bräuchen der Vorfahren widersprachen, erblickte ein anwesender Satiriker »ein Vorzeichen der ausländischen Invasion und der drohenden Unterjochung Italiens«.

Die wie Kirchengewänder gemusterten Stoffe der Damenkleider fielen in glatten schweren Falten; sie waren reich mit Gold durchwirkt und mit Edelsteinen besetzt und daher steif wie Blech und so dauerhaft, daß sie als Erbstücke von Urgroßmüttern zu Urenkeln wanderten. Tiefe Ausschnitte entblößten Schultern und Brust. Das Haar, das vorn unter einem goldenen Netz lag, war nach lombardischer Sitte bei verheirateten Frauen wie bei jungen Mädchen in steife Zöpfe geflochten, die durch falsches Haar und Bänder verlängert, bis zum Boden herabfielen. Die Mode verlangte, daß die Augenbrauen kaum sichtbar waren; diejenigen Damen, die üppigen Haarwuchs hatten, zupften sich die Haare der Augenbrauen mit Stahlpinzetten aus. Es galt für unschicklich, ungeschminkt zu erscheinen. Es wurden nur sehr stark und schwer duftende Wohlgerüche gebraucht: Moschus, Ambra, Viverra und ein Pulver aus Cypern, das einen durchdringenden und betäubenden Duft hatte.

Man sah viele junge Mädchen und Frauen von jener eigentümlichen Schönheit, die nur in der Lombardei vorkommt: mit jenen luftigen, wie Rauch schmelzenden Schatten auf der blassen matten Haut und auf den zarten und weichen Rundungen der Gesichter, wie sie Leonardo da Vinci so gern malte.

Die schwarzäugige und schwarzlockige Madonna Violanta Borromeo, deren sieghafte Schönheit einem jeden Geschmack zugänglich war, wurde als Königin des Balles bezeichnet. Sie trug ein dunkelrotes Samtkleid mit goldgestickten Faltern, die ihre Flügel an Kerzenflammen versengten – eine Warnung für die Verliebten.

Es war aber nicht Madonna Violanta, die die Aufmerksamkeit der Auserwählten auf sich lenkte, sondern Donsella Diana Pallaviccini mit Augen so kalt und klar wie Eis, mit aschgrauem Haar, mit gleichgültigem Lächeln und langsam-singender Rede, die wie Violamusik klang. Sie trug ein einfaches Gewand aus weißem fließendem Damast mit langen dunkelgrünen Seidenbändern, die Algen glichen. Inmitten des Glanzes und Lärmes schien sie allem fremd, einsam und traurig, wie blasse Wasserblumen, die auf vergessenen Teichen im Mondschein schlummern.

Trompeten und Pauken gaben das Signal und die Gäste begaben sich in den großen »Saal des Ballspiels«, der sich in der Rocchetta befand. Unter der blauen mit goldenen Sternen besäten Decke hingen kreuzförmige Gestelle mit brennenden Wachskerzen, leuchtenden Weintrauben gleich. Von dem Balkon, der als Chor diente, hingen seidene Teppiche und Girlanden von Lorbeer, Efeu und Wacholder herab.

Genau zu der von den Astrologen vorausbestimmten Stunde, Minute und Sekunde – denn der Herzog pflegte, wie sich ein Gesandter ausdrückte, weder sein Hemd zu wechseln, noch seine Frau zu küssen, ohne zuvor die Gestirne zu befragen, – betrat das herzogliche Paar Moro und Beatrice den Saal. Barone, Camerieri, Spenditoren und Cjambellane trugen die langen Schleppen ihrer mit Hermelin gefütterten Krönungsmäntel aus Goldbrokat. In der Brustschnalle des Herzogs funkelte ein Rubin von fabelhafter Größe, den er Gian-Galeazzo geraubt hatte.

Beatrice war abgemagert und hatte viel von ihrer Schönheit verloren. Der schwangere Leib machte bei ihrer mädchenhaften, beinahe kindlichen Gestalt mit der flachen Brust und den eckigen Bewegungen eines Knaben einen befremdenden Eindruck.

Moro gab ein Zeichen. Der Hauptseneschall hob seinen Stab, vom Chore erklang Musik und die Gäste setzten sich an die Festtafel.

V.

In diesem Augenblick gab es einen Zwischenfall. Der Gesandte des Großfürsten von Moskau, Danilo Mamyrow, wollte nicht weiter unten sitzen, als der Gesandte der durchlauchtigsten Republik von San Marco. Man versuchte ihn zur Vernunft zu bringen. Doch der eigensinnige Alte wollte auf niemand hören und bestand auf seinem Rechte: »Da setze ich mich nicht hin, denn es steht mir schlecht an.«

Von allen Seiten richtete man auf ihn neugierige und spöttische Blicke.

»Was ist denn los? Wieder Unannehmlichkeiten mit den Moskovitern? Es sind wilde Menschen! Die drängen sich immer auf die ersten Plätze! Sie lassen nicht mit sich reden. Man kann sie wirklich nirgends einladen! Barbaren! Und erst ihre Sprache – habt Ihr gehört? – sie klingt wie türkisch! Ein wildes Volk!« Der geschäftige und stets bewegliche Mantuaner Boccalino, der als Dolmetscher diente, sprang rasch zu Mamyrow:

»Messer Daniele! Messer Daniele!« sprach er in gebrochenem Russisch unter fortwährenden Grimassen und Bücklingen auf ihn ein: »Es geht nicht! Es geht nicht! Ihr müßt Euch setzen. So ist es Sitte in Mailand. Es ist nicht schön zu streiten. Der Duca zürnt.«

Auch der junge Begleiter Mamyrows, der Beamte des auswärtigen Amtes in Moskau, Nikita Katschjarow, suchte auf den Alten einzuwirken.

»Väterchen Danilo Kusmitsch, ereifere dich nicht! In ein fremdes Kloster soll man nicht mit eigenem Statut kommen! Es sind ja Ausländer und unsere Sitten sind ihnen fremd. Wie leicht kann da ein Unglück passieren! Sie werfen uns noch hinaus und da haben wir die Schande.«

»Schweig, Nikita, schweig! Du bist zu jung, um mich alten Mann zu belehren. Ich weiß, was ich tue. Sie werden es nie erreichen, daß ich mich hinter den venetianischen Gesandten setze. Das wäre eine Verletzung unserer Gesandtenehre. Es heißt ja: jeder Gesandte vertritt das Antlitz und die Sprache seines Fürsten. Unser Fürst ist aber der rechtgläubige Selbstherrscher aller Reußen.«

»Messer Daniele! Messer Daniele!« bestürmte ihn der Dolmetscher Boccalino.

»Laß mich in Ruh! Was plapperst du da, du ungläubiger Affe? Wenn ich einmal gesagt habe, daß ich mich nicht setze, so bleibt es dabei!«

Seine kleinen Bärenaugen sprühten unter den finsteren Augenbrauen vor Zorn, stolz und unbesiegbarem Eigensinn. Der mit Smaragden besetzte Knopf seines Stockes bebte in seiner fest zusammengepreßten Faust. Es war klar, daß ihn keine Gewalt umstimmen würde.

Moro rief den Gesandten von Venedig zu sich heran, entschuldigte sich vor ihm mit jener bezaubernden Höflichkeit, die ihm in hohem Maße eigen war, versprach ihm sein Wohlwollen und bat ihn, ihm die persönliche Gefälligkeit zu erweisen und sich zur Vermeidung von Streit und Zwistigkeiten, auf einen andern Platz zu bequemen; er möchte ihm glauben, daß er dem dummen Ehrgeiz dieser Barbaren keinerlei Bedeutung zumesse. In der Tat war aber der Herzog eifrig bestrebt, sich mit dem »Großherzog von Rosien« – »gran duca di Rosia« gut zu stellen, denn er hoffte durch seine Vermittlung einen vorteilhaften Vertrag mit dem Sultan der Türkei abschließen zu können.

Der Venetianer warf dem Mamyrow einen spöttischen Blick zu und erwiderte mit verächtlichem Achselzucken, daß seine Hoheit recht habe, denn ähnliche Streitereien um einen Platz seien eines vom Lichte der Menschlichkeit – » humanità« erleuchteten Mannes unwürdig. Und er setzte sich auf den ihm angewiesenen Platz.

Danilo Kusmitsch verstand von der Rede seines Gegners kein Wort, wenn er sie aber auch verstanden hätte, so würde er sich nicht viel daraus gemacht haben, er war von seinem Rechte überzeugt, denn er wußte, daß vor zehn Jahren, im Jahre 1487, bei Gelegenheit eines feierlichen Empfangs beim Papste Innocenz VIII., die Moskauer Gesandten Dimitrij und Manuil Raljew auf den Stufen des apostolischen Thrones gleich nach den römischen Senatoren, den Vertretern der alten die Welt beherrschenden Stadt, rangierten. Nicht umsonst hatte der ehemalige Metropolit von Kiew, Sabbas Spiridon, in einem Sendschreiben den Großfürsten von Moskau für den einzigen Nachfolger des Doppeladlers von Byzanz, der unter seinen Fittichen Ost und West vereinige, erklärt. Weiter hieß es in diesem Sendschreiben, daß Gott der Allmächtige, der die beiden Rom, das alte und das neue ihrer Ketzereien wegen gestürzt, nun eine dritte geheimnisvolle Stadt errichtet habe, um über sie seinen ganzen Ruhm, seine Kraft und seine Gnade zu ergießen, ein drittes nordisches Rom – das rechtgläubige Moskau; ein viertes Rom werde es aber niemals geben.

Ohne auf die feindlichen Blicke zu achten, strich sich Danilo Kusmitsch selbstzufrieden seinen langen grauen Bart, zupfte sich den Gürtel auf dem dicken Bauch und den dunkelroten Samtpelz mit Zobelbesatz zurecht, und ließ sich schwer und würdevoll auf dem erkämpften Platz nieder. Ein dunkles, berauschendes Gefühl erfüllte seine Seele.

Nikita und der Dolmetscher Boccalino setzten sich ans untere Ende der Tafel, neben Leonardo da Vinci.

Der prahlerische Mantuaner erzählte von den Wundern, die er in Moskovien gesehen hatte, wobei er die Wahrheit reichlich mit Lügen vermengte. Der Künstler glaubte von Karatschjarow selbst genauere Mitteilungen erhalten zu können und wandte sich durch den Dolmetscher direkt an den Russen. Er fragte ihn über das ferne Land aus, das Leonardos Neugier wie alles Rätselhafte und Maßlose reizte, über die unendlichen Steppen, grimmigen Fröste, großen Ströme und Wälder, über die Flut am Hyperboreischen Ozean und am Hyrkanischen Meere, über das Nordlicht und schließlich auch über seine nach Moskau gezogenen Freunde – den lombardischen Maler Pietro Antonio Solari, der bei der Ausschmückung der großfürstlichen Rüstkammer beteiligt war, und den Bologneser Baumeister Aristoteles Fioraventi, der den Kremlplatz mit herrlichen Bauwerken geschmückt hatte.

»Messere,« wandte sich an den Dolmetscher seine Tischnachbarin, die neugierige und schelmische Donsella Ermellina: »Ich hörte, daß dieses wunderbare Land darum Rosia heiße, weil es da viele Rosen gebe. Stimmt das?«

Boccalino gab lachend zur Antwort, daß es in Rosia, trotz des Namens, weniger Rosen gebe, als in irgend einem andern Lande; zur Bestätigung erzählte er ihr die italienische Novelle von der russischen Kälte:

Einige Florentiner Kaufleute waren nach Polen gekommen. Sie durften nicht weiter ziehen, denn um jene Zeit führte der König von Polen Krieg mit dem Großherzog von Rosien. Die Florentiner wollten aber Zobelpelze kaufen und luden die russischen Kaufleute an die Ufer des Boristhenes ein, der beide Länder von einander trennt. Sie wagten nicht, den Fluß zu passieren, da sie fürchteten, in Gefangenschaft zu geraten; darum blieben die Moskoviter auf dem einen Ufer und die Italiener auf dem andern und sie verhandelten so miteinander über den Fluß. Der Frost war aber so stark, daß die Worte in der Luft einfroren, noch ehe sie das andere Ufer erreichten. Da entzündeten die findigen Polen in der Mitte des Flusses einen großen Scheiterhaufen, an jener Stelle, wohin nach ihrer Berechnung die Worte noch uneingefroren ankamen. Das Eis war hart wie Marmor und konnte daher beliebiges Feuer aushalten. Und so tauten die Worte, die eine ganze Stunde lang eingefroren in der Luft hingen, allmählich auf; sie tropften und flossen dahin und endlich konnten die Florentiner sie ganz deutlich vernehmen, obwohl die Moskoviter längst das andere Ufer verlassen hatten.

Die Erzählung zündete. Die Damen richteten neugierig-mitleidsvolle Blicke auf Nikita Karatschjarow, der aus diesem unglückseligen, von Gott verfluchten Lande stammte.

Nikita glotzte indessen ganz erstaunt auf ein von ihm noch nie gesehenes Schauspiel: Es wurde eine große Platte aufgetragen mit einer nackten Andromeda aus zarten Kapaunenbrüsten, die an einen Felsen aus weißen Käse geschmiedet war und von einem aus Kalbfleisch geformten geflügelten Perseus befreit wurde.

Bei den Fleischgerichten war das ganze Geschirr und alles Zubehör purpurn und golden; bei den Fischgerichten – der Farbe des nassen Elements entsprechend – silbern. Man reichte versilberte Brote, versilberte Salatzitronen in Schalen und schließlich erschien auf einer mit riesengroßen Neunaugen, Stören und Sterleten garnierten Platte eine Amphitrite aus weißem Walfleisch, die in einem von Delphinen über blaugrüne, von innen beleuchtete Gelee-Wellen gezogenen Perlmutterwagen thronte.

Dann kam eine lange Reihe süßer Platten – es waren Bildwerke aus Marzipan, Pistazien, Cedernüssen, Mandeln und gebranntem Zucker, nach Entwürfen von Bramante, Caradosso und Leonardo angefertigt; da gab es einen Herkules, der goldene Hesperidenäpfel erbeutete, Hippolit mit Phädra, Bacchus mit Ariadne, Jupiter mit Danae, kurz den ganzen Olymp der auferstandenen Götter.

Nikita sah auf diese Wunder mit kindlicher Neugier, während Danilo Kusmitsch, der beim Anblick der nackten schamlosen Göttinnen seinen Appetit verloren hatte, sich in den Bart brummte:

»Antichristliche Greuel! Heidnischer Unrat!«

VI.

Nun begann das Ballfest. Die Tänze jener Zeit – »Venus und Saurus«, »Das grausame Schicksal« und »Cupido« zeichneten sich durch ein langsames Tempo aus, denn die langen und schweren Damentoiletten gestatteten keine schnellen Bewegungen. Die Damen und Herren gingen einander entgegen und entfernten sich wieder voneinander langsam und feierlich, mit gezierten Verbeugungen, schmachtenden Seufzern und süßem Lächeln. Die Damen mußten wie Pfaue schreiten, wie Schwäne dahingleiten. Die Musik war leise, zart, fast traurig, voll brennender Sehnsucht, wie die Lieder Petrarcas.

Der erste General Moros, der junge Signor Galeazzo Sanseverino bezauberte die Damen. Der raffinierte Stutzer war ganz weiß gekleidet, hatte rosagefütterte lange Ärmel und weiße diamantbesetzte Schuhe; sein schönes Gesicht war welk, weibisch und blaß. Beifälliges Gemurmel lief durch die Zuschauerreihen, so oft er im Tanze »Das grausame Schicksal« anscheinend zufällig, in der Tat aber mit feiner Berechnung seinen Schuh verlor, oder seinen Kragen von der Schulter gleiten ließ und dann mit jener »gelangweilten Nachlässigkeit«, die als Ausdruck höchster Eleganz galt, durch den Saal gleitend, weitertanzte.

Danilow Mamyrow schaute ihm eine Zeitlang zu und spuckte schließlich aus:

»Welch ein Hanswurst!«

Die Herzogin liebte den Tanz. Aber an diesem Abend war ihr trüb und öde zu Mute. Nur dank der seit langer Zeit geübten Verstellungskunst gelang es ihr, die Rolle der gastfreundlichen Hausfrau zu spielen und die zahllosen Neujahrsglückwünsche und die süßlichen Komplimente der Höflinge zu beantworten. Zuweilen glaubte sie es nicht länger ertragen zu können; ihr war es, als müsse sie fortlaufen oder weinen.

Sie konnte für sich keinen Platz finden und gelangte, in den von den Gästen überfüllten Sälen umherirrend, in ein kleines entlegenes Gemach, wo vor einem lustig flackernden Kamin mehrere junge Damen und Herren im engen Kreise saßen und plauderten.

Sie fragte nach dem Thema ihrer Unterhaltung.

»Wir sprechen von der platonischen Liebe, Durchlaucht,« gab eine der Damen zur Antwort. »Messer Antoniotto Fregoso behauptet, daß eine Dame einen Herrn, falls er sie mit himmlischer Liebe liebt, auf den Mund küssen darf, ohne dabei das Gebot der Keuschheit zu verletzen.«

»Wie wollt Ihr es beweisen, Messer Antoniotto?« fragte die Herzogin und kniff zerstreut ihre Augen zusammen.

»Mit Erlaubnis Ew. Durchlaucht behaupte ich, daß das Werkzeug der Rede, der Mund, das Tor der Seele ist, und wenn er sich mit einem andern Munde im platonischen Kusse vereinigt, so strömen die Seelen der sich Küssenden zu den Lippen, ihren natürlichen Pforten. Daher hat auch Plato den Kuß nicht verboten; und König Salomo, der das Mysterium der Verschmelzung der menschlichen Seele mit Gott besingt, sagt: ›Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes.‹

»Verzeiht, Messere,« unterbrach ihn ein alter Baron, ein ländlicher Ritter mit offenem und grobem Gesicht. »Vielleicht verstehe ich diese Feinheiten nicht, aber glaubt Ihr, daß ein Gatte, der seine Frau in den Armen eines Liebhabers ertappt, ein solches Verhältnis dulden muß? ...«

»Gewiß,« entgegnete der Hofphilosoph, »nach den weisen Gesetzen der himmlischen Liebe ...«

»Wie steht es dann mit der Ehe?«

»Mein Gott, wir sprechen ja nicht von Ehe, sondern von Liebe!« unterbrach ihn die schöne Madonna Fiordalisa und zuckte ungeduldig mit ihren blendenden nackten Schultern.

»Aber die Ehe, Madonna, ist nach allen menschlichen Gesetzen ...« versuchte der Ritter einzuwenden.

»Die Gesetze!« Fiordalisa verzog verächtlich ihren roten Mund, »wie könnt Ihr nur, Messere, bei unserer erhabenen Unterhaltung die menschlichen Gesetze erwähnen, diese elenden Schöpfungen des Pöbels, der die heiligsten Begriffe ›Geliebter‹ und ›Geliebte‹ mit den rohen Worten ›Mann‹ und ›Frau‹ herabwürdigt?!«

Der Baron war vor Erstaunen sprachlos.

Messer Fregoso schenkte ihm keine weitere Beachtung und fuhr in seinem Vortrag über die Mysterien der himmlischen Liebe fort.

Beatrice wußte, daß am Hofe ein höchst unanständiges Sonett dieses Messer Antoniotto Fregoso im Umlauf war. Es war einem schönen Knaben gewidmet und begann mit den Worten:

»Es irrte Jupiter, als Ganymed er raubte ...«

Die Herzogin spürte Langeweile.

Sie verließ leise das Zimmer und trat in den nächsten Saal.

Hier rezitierte der aus Rom zugereiste berühmte Dichter Serafino d'Aquila, genannt »Der Einzige« – Unico – seine Gedichte. Es war ein kleines mageres, sorgfältig gewaschenes, rasiertes, frisiertes und parfümiertes Männchen mit dem rosigen Gesicht eines Säuglings, schmachtendem Lächeln, verdorbenen Zähnen und öligen Äuglein, in denen durch die ewige Rührung und Verzückung zuweilen schelmische List durchblickte.

Beatrice bemerkte unter den Damen, die sich um den Dichter drängten, Lucrezia. Sie spürte einige Befangenheit und wurde sogar etwas blaß, nahm sich aber wieder zusammen, ging auf Lucrezia mit gewohnter Freundlichkeit zu und küßte sie.

In diesem Augenblick erschien in der Türe eine korpulente, buntgekleidete und stark geschminkte ältere häßliche Dame, die ihr Tuch vor die Nase hielt.

»Was habt Ihr, Madonna Dionigia? Seid Ihr ausgeglitten und hingefallen?« fragte Donsella Ermellina schelmisch und teilnahmsvoll.

Dionigia erklärte, sie hätte während des Tanzens, wohl infolge der Hitze und Ermüdung Nasenbluten bekommen.

»Da haben wir einen Fall, auf den selbst Messer Unico kein Liebesgedicht machen kann,« bemerkte einer der Hofkavaliere.

Unico sprang auf, setzte einen Fuß vor, fuhr sich nachdenklich durch die Haare, warf den Kopf in den Nacken und hob seinen Blick zur Decke.

»Pst, pst!« flüsterten andächtig die Damen: »Messer Unico dichtet! Geruhen Eure Hoheit hier Platz zu nehmen, hier hört man es besser.«

Donsella Ermellina nahm ihre Laute und griff leise in die Saiten. Der Dichter rezitierte zu diesen Tönen mit der feierlich-dumpfen, zitternden Stimme eines Bauchredners sein Sonett:

Gott Amor, vom Flehen des Liebenden gerührt, richtete seinen Pfeil auf das Herz der Grausamen; da aber der Gott auf den Augen eine Binde trug, so schoß er fehl und traf statt des Herzens – die Nase:

Da sieht er rote Ströme rinnen
In ihres Tuches weißes Linnen
Aus ihrem Näschen weiß und zart.

Die Damen klatschten Beifall.

»Wundervoll! wundervoll! Einzig! Wie schnell! Und wie leicht! Der ist doch mit unserm Bellincioni nicht zu vergleichen, der über einem jeden Sonett ganze Tage schwitzt. Glaubt mir, meine Liebe, als er die Augen gen Himmel hob, da spürte ich auf meinem Gesicht ein Wehen, wie einen Hauch von Übersinnlichem, es wurde mir sogar etwas schwindlig ...«

»Messer Unico, wollt Ihr vielleicht etwas Rheinwein?« fragte die eine besorgt.

»Messer Unico, darf ich Euch kühlende Pfefferminzplätzchen anbieten?« schlug eine andere vor.

Man nötigte ihn in einen Sessel und fächelte ihm Kühlung zu.

Er schwelgte und schmolz vor Entzücken und im Genuß seines Erfolges und schloß die Augen wie ein satter Kater.

Dann rezitierte er noch ein anderes Sonett zu Ehren der Herzogin. Da hieß es, der Schnee habe, von ihrer blendendweißen Haut beschämt, an ihr furchtbare Rache genommen, indem er sich in Eis verwandelte; daher wäre die Herzogin, als sie soeben in den Schloßhof herabstieg, um sich da zu erfrischen, ausgeglitten und beinahe hingefallen.

Er las noch ein Gedicht von einer Schönen, der ein Vorderzahn fehlte: dies sei eine List Amors, der in ihrem Munde wohne und diese Lücke als Schießscharte für seine Pfeile benütze.

»Ein Genie!« kreischte eine der Damen: »Der Name Unicos wird von der Nachwelt neben Dantes Namen genannt werden!«

»Höher als Dante!« fiel eine andere ein. »Kann man denn von Dante solche Feinheiten in Liebessachen lernen, wie von unserm Unico?«

»Madonnen,« erwiderte der Dichter bescheiden: »Ihr übertreibt. Denn auch Dante hat viele Verdienste. Übrigens: jedem das Seine. Was mich betrifft, so gebe ich für Euren Beifall gerne den Ruhm Dantes hin.«

»Unico! Unico!« stöhnten seine Verehrerinnen vor Wonne vergehend.

Als Serafino ein neues Sonett vortrug, in dem es hieß, daß während einer Feuersbrunst im Hause seiner Geliebten die herbeigeeilten Leute unmöglich der Flamme Herr werden konnten, weil sie zuerst die von den Blicken der Schönen in ihren Herzen entzündeten Flammen löschen mußten, hielt es Beatrice nicht mehr aus und verließ den Saal.

Sie kehrte in die großen Säle zurück und befahl ihrem Pagen Ricciardetto, einem ihr treu ergebenen und, wie es ihr zuweilen schien, in sie verliebten Knaben, hinaufzugehen und sie mit einer Fackel in der Hand bei der Türe des Schlafgemachs zu erwarten. Sie durchschritt dann einige von Menschen erfüllte Säle und gelangte in eine einsame entlegene Galerie, in der sich nur einige Schildwachen befanden, die auf ihre Speere gestützt schliefen; sie öffnete eine eiserne Türe und stieg eine finstere Wendeltreppe hinauf, die sie in ein großes gewölbtes Gemach führte, das dem Herzogspaar als Schlafzimmer diente. Sie trat zu der in die Mauer eingelassenen eichenen Truhe, in welcher der Herzog seine wichtigen Schriftstücke und geheimen Briefschaften verwahrte, und versuchte sie mit dem Schlüssel, den sie ihrem Mann entwendet hatte, aufzuschließen. Sie merkte aber, daß das Schloß aufgebrochen war, und als sie die Kupfertüre der Truhe öffnete, fand sie die Fächer leer; folglich hatte Moro den Verlust des Schlüssels bemerkt und die Briefe an einen andern Ort geschafft.

Sie blieb verdutzt stehen.

Draußen schwebten die Schneewolken wie weiße Gespenster. Der Wind heulte und weinte. Diese Stimme des nächtlichen Windes weckte in den Menschenherzen uralte, schreckliche, längst bekannte Gedanken wach.

Der Blick der Herzogin fiel auf den gußeisernen Deckel des »Ohres des Dionys«, jenes von Leonardo eingerichteten Sprachrohres, welches das herzogliche Schlafgemach mit den unteren Schloßräumen verband, sie trat an die Öffnung, hob die schwere Klappe ab und lauschte: das Stimmengewirr ließ sich wie jenes ferne Meeresrauschen vernehmen, das man in Muscheln hören kann; in die Stimmen und das Rauschen der festlichen Menge und in die zarten Seufzer der Musik mischte sich das Heulen und Pfeifen des nächtlichen Windes.

Plötzlich schien es ihr, als hätte ihr jemand, nicht von unten her, sondern aus nächster Nähe ins Ohr geflüstert:

»Bellincioni ... Bellincioni ...«

Sie schrie auf und erbleichte.

»Bellincioni! ... warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Ja, gewiß ... von ihm erfahre ich alles ... Zu ihm! Daß es nur niemand merkt ... Man wird mich ja suchen ... Es ist mir alles eins! Ich will die Wahrheit wissen, ich kann diese Lüge nicht länger ertragen!«

Sie erinnerte sich, daß Bellincioni unter dem Vorwande, krank zu sein, nicht zum Feste gekommen war, überlegte sich, daß er zu dieser Stunde zu Hause und allein sein müsse und rief den Pagen Ricciardetto herbei, der vor der Türe stand.

»Bestelle zwei Läufer mit einer Sänfte zum geheimen Schloßtor am Parke. Wenn du mir gefällig sein willst, so mach es so, daß niemand etwas davon erfährt, hörst du? – Niemand!«

Sie reichte ihm ihre Hand zum Kusse. Der Knabe stürmte fort, um den Befehl auszuführen.

Beatrice kehrte ins Schlafgemach zurück, warf sich einen Pelz um die Schultern, band eine schwarze Larve vors Gesicht und saß nach wenigen Minuten in der Sänfte, die ihren Weg zum Ticino-Tore nahm, wo Bellincioni wohnte.

VII.

Der Dichter nannte sein altes halbzerfallenes Häuschen ein »Froschloch«. Er bekam zwar viele Geschenke, doch führte er ein unordentliches Leben und vertrank oder verspielte alles, was er hatte. Daher verfolgte ihn die Armut, wie Bernardo sich selbst ausdrückte, »wie eine ungeliebte aber treue Gattin.«

Er lag in seinem dreibeinigen Bett, dem ein Holzscheit als viertes Bein diente, auf einer durchlöcherten und platten Matratze, trank den dritten Topf eines elenden saueren Weines und arbeitete an einem Epitaph für den Lieblingshund der Madonna Cecilia. Der Dichter sah die letzten Kohlen im Kamin erlöschen. Er versuchte sich zu wärmen, indem er sich seinen dünnen mottenzerfressenen Eichhornpelz statt einer Bettdecke über die dünnen Storchbeine zog, hörte den Schneesturm heulen und dachte an die Kälte der bevorstehenden Nacht.

Der Grund, warum er nicht zum Hofball kam, auf dem die ihm zu Ehren der Herzogin verfaßte Allegorie »Das Paradies« aufgeführt werden sollte, war gar nicht seine Krankheit; er war zwar seit längerer Zeit wirklich krank und so abgemagert, daß man, wie er sich ausdrückte, »beim Betrachten seines Körpers die Anatomie sämtlicher menschlichen Muskeln, Sehnen und Knochen studieren konnte«, wenn er aber auch im Sterben gelegen hätte, so wäre er doch zu diesem Fest gegangen. Die wahre Ursache seines Fernbleibens war der Neid: er wäre lieber in seinem Loch erfroren, als daß er dem Triumph seines Nebenbuhlers, des frechen Schelms und Schwindlers Unico, der mit seinen sinnlosen Versen bereits allen dummen Gänsen der Hofgesellschaft den Kopf verdreht hatte, zugesehen hätte.

Der bloße Gedanke an diesen Unico ließ seine ganze Galle zum Herzen fließen. Er ballte die Fäuste und sprang auf. Im Zimmer war es aber so kalt, daß er sich wohlweislich wieder ins Bett legte. Er zitterte, hustete und hüllte sich in seine Lumpen.

»Diese Schurken!« schimpfte er. »Vier Sonette mit der Bitte um Brennholz habe ich gemacht und dazu mit so seltenen Reimen, und noch immer kein Span! ... Die Tinte wird noch einfrieren, und dann kann ich gar nicht mehr schreiben. Soll ich nicht das Treppengeländer in den Ofen werfen? Anständige Menschen besuchen mich ja so wie so nie, und wenn sich der Wucherer den Hals bricht, so ist es um den Juden nicht schade.«

Aber die Treppe tat ihm doch leid. Er richtete seine Blicke auf das dicke Scheit, das seinem Bette als viertes Bein diente, und überlegte sich eine Weile, was besser wäre: die ganze Nacht zu frieren, oder auf einem schwankenden Lager zu schlafen?

Der Sturm blies in die Fensterritzen und weinte und lachte wie eine Hexe im Schornstein. Mit verzweifelter Entschlossenheit zog Bernardo das Scheit unter dem Bette hervor, hackte es klein und warf das Holz in den Kamin. Das Feuer loderte wieder auf und beleuchtete die traurige Klause. Er kauerte vor dem Kamin und streckte seine blau angelaufenen Hände zum Feuer, dem letzten Freund der einsamen Dichter, aus.

»Ein Hundeleben!« dachte sich Bellincioni. »Bin ich denn wirklich schlechter als die andern? Hat nicht der göttliche Dante, zu jener Zeit, als das Haus Sforza noch gar nicht existierte, auf meinen Ururgroßvater, den berühmten Florentiner, den Vers gedichtet:

Bellincion Berti vid'io andar cinto
Di cuojo e d'osso ...?

Als ich nach Mailand kam, da waren die Speichellecker des Hofes nicht imstande, ein Strambotto von einem Sonett zu unterscheiden, wer hat denn ihnen die Eleganz der neueren Poesie beigebracht, wenn nicht ich? Habe denn nicht ich den Quell Hyppokrenens zu einem Meer erweitert, das nun mit einer Überschwemmung droht? Ich glaube, daß jetzt selbst im Canale Grande castalisches Wasser rinnt ... Und das ist der Lohn! Ich werde hier noch wie ein Hund auf dem Stroh krepieren! ... Den verarmten Dichter will niemand mehr kennen, als wäre sein Gesicht unter einer Larve verborgen oder von Blattern entstellt ...«

Er las die Verse aus seiner Epistel an den Herzog Moro:

Ich hab mein Leben lang nie anderes vernommen,
Als: »Geh nur weiter, geh, die Stellen sind besetzt!«
Was fang ich Armer an? Mein Licht ist wohl verglommen!
Auf eine Narrenkappe selbst verzicht' ich jetzt.
O edler Fürst! Die Zeit ist wohl gekommen,
Daß auf die Mühle man als Esel mich versetzt!

Mit bitterem Lächeln ließ er seinen kahlen Kopf sinken.

Der Dichter glich mit seiner hageren Gestalt und der spitzen roten Nase, wie er so vor dem Feuer kauerte, einem frierenden kranken Vogel.

Da wurde unten an die Haustüre geklopft; gleich darauf hörte er das verschlafene Schimpfen seiner alten zänkischen, von Wassersucht geschwollenen Magd und das Schlürfen von Holzschuhen auf dem steinernen Fußboden.

»Wen bringt mir da der Teufel?« wunderte sich Bellincioni. »Ist es vielleicht wieder der Jude, der seine Zinsen holen will? Die verfluchten Ungläubigen! Selbst nachts lassen sie einem keine Ruhe ...«

Die Treppenstufen knarrten. Die Türe ging auf und ins Zimmer trat eine Dame in Zobelpelz mit einer schwarzen seidenen Maske vor dem Gesicht.

Bernardo sprang auf und glotzte sie an.

Sie ging stumm auf einen Stuhl zu.

»Vorsicht, Madonna!« warnte sie der Hausherr: »Die Stuhllehne ist zerbrochen!«

Dann fragte er galant:

»Welchem guten Genius verdanke ich das Glück, die herrlichste Signora in meiner bescheidenen Klause zu sehen?«

»Es wird wohl eine Bestellung sein. So irgend ein kleines Liebesmadrigal ...« dachte er sich. – »Nun, auch das ist nicht zu verachten! wenn es nur für Brennholz reicht. Es ist nur sonderbar, daß sie allein kommt und zu dieser Stunde ... Ich habe also offenbar doch noch einen gewissen Ruf. Vielleicht habe ich auch unbekannte Verehrerinnen!«

Er lief geschäftig zum Kamin und warf großmütig den letzten Span ins Feuer.

Die Dame nahm ihre Larve ab.

»Ich bin es, Bernardo!«

Er schrie auf, taumelte zurück und stützte sich an einen Türpfosten, um nicht hinzufallen.

»Herr Jesus! Heilige Jungfrau!« lallte er. Seine Augäpfel traten vor Entsetzen beinahe heraus. »Ew. Durchlaucht ... durchlauchtigste Herzogin ...«

»Bernardo, du kannst mir einen großen Dienst erweisen,« sagte Beatrice. Sie sah sich um und fragte: »Wird uns niemand hören?« »Hoheit können ruhig sein: niemand, außer Mäuse und Ratten!«

»Hör einmal,« fuhr Beatrice langsam fort, ihn durchdringend anblickend. »Ich weiß, daß du für Madonna Lucrezia Liebesgedichte geschrieben hast. Du hast gewiß Briefe des Herzogs mit Aufträgen und Bestellungen.«

Er erbleichte und starrte sie stumm und unverwandt an.

»Fürchte nichts,« fuhr sie fort. »Es wird niemand erfahren. Ich gebe dir mein Wort, daß ich dich fürstlich belohnen werde, wenn du meine Bitte erfüllst. Ich werde dich zu einem reichen Mann machen!«

»Ew. Hoheit,« brachte er endlich mühsam und stotternd hervor. »Glaubt nicht daran ... es ist Verleumdung ... Ich habe keine Briefe ... Bei Gott! ...«

In ihren Augen flammte Zorn auf, sie zog ihre feinen Brauen zusammen, stand auf und näherte sich ihm, ihn immer durchdringender anblickend.

»Lüge nicht! Ich weiß alles. Wenn dir dein Leben wert ist, so gib mir die Briefe des Herzogs heraus! Nimm dich in acht, Bernardo! Meine Leute warten unten. Ich bin nicht hergekommen, um mit dir zu scherzen! ...«

Er fiel in die Knie.

»Tut mit mir, was Ihr wollt, Signora! Ich habe keine Briefe.«

»Du hast keine Briefe?« wiederholte sie, sich über ihn beugend und ihm in die Augen blickend. »Du sagst, du hast keine Briefe? ...«

»Nein ...«

»Also warte, verfluchter Kuppler! Ich werde dich schon zwingen, mir die Wahrheit zu sagen. Ich werde dich mit meinen eigenen Händen erwürgen, Schurke! ...« schrie sie wutentbrannt auf und preßte in der Tat seinen Hals mit ihren zarten Fingern so kräftig zusammen, daß sich seine Adern blähten und er um Atem ringen mußte. Er leistete keinen Widerstand, ließ seine Hände sinken und zwinkerte nur hilflos mit den Augen. Jetzt sah er einem traurigen kranken Vogel noch ähnlicher.

»Sie tötet mich, bei Gott, sie tötet mich!« dachte Bellincioni. »Gut, soll sie mich töten ... Den Herzog verrate ich doch nicht.«

Bellincioni war sein Leben lang ein Hofnarr, ein liederlicher Kumpan und käuflicher Verseschmied, doch kein Verräter. In seinen Adern floß edles Blut, das viel reiner war, als das der romagnolischen Söldner, der Emporkömmlinge Sforzas. Und jetzt wollte er es beweisen:

Bellincion Berti vid'ior andar cinto
Di cuojo e d'osso –

Die Herzogin kam zur Besinnung. Sie ließ angeekelt den Hals des Dichters los, stieß ihn zurück, trat an den Tisch, ergriff die kleine verbogene Zinnlampe mit dem heruntergebrannten Docht und ging zur Türe, die ins Nebenzimmer führte. Sie hatte schon früher dieses Zimmer bemerkt und erraten, daß es die Arbeitsklause – studiolo – des Dichters sei.

Bernardo sprang auf und stellte sich vor die Türe, um der Herzogin den Eintritt zu verwehren. Sie maß ihn aber stumm mit einem Blick, vor dem er zusammenschrumpfte, sich krümmte und zur Seite schlich.

Sie trat in die Klause seiner armseligen Muse. Es roch hier nach verschimmelten Büchern. Die nackten Wände mit abgesprungenem Verputz hatten feuchte Flecke. Das zerschlagene bereifte Fenster war mit Lumpen verstopft. Auf dem schiefen Schreibpult, der mit Tintenklecksen besät war, lagen abgerupfte und beim Suchen nach einem Reime abgenagte Gänsefedern und Papierfetzen herum. Es waren wohl die Konzepte zu seinen Versen.

Beatrice stellte die Lampe auf ein Bücherbrett und begann, ohne auf den Hausherrn zu achten, in seinen Papieren zu suchen.

Es waren eine Menge Sonette an die Hofkassenverwalter, Haushofmeister, Mundschenke und Truchsesse mit scherzhaften Lamentationen und Bitten um Geld, Brennholz, Wein, warme Kleidung und Eßwaren. In einem Sonett bat der Dichter den Messer Pallaviccini um eine mit Quitten gefüllte gebratene Gans zum Allerheiligenfeste. In einem anderen, das »Moro an Cecilia« überschrieben war, verglich er den Herzog mit Jupiter und die Herzogin mit Juno und erzählte, wie Moro einst auf dem Wege zu seiner Geliebten von einem Gewitter überrascht wurde und nach Hause zurückkehren mußte, weil »die eifersüchtige Juno, Ehebruch witternd, sich das Diadem vom Kopfe riß und die Perlen als Regen und Hagel auf die Erde niederprasseln ließ«.

Unter dem Haufen Papiere entdeckte sie plötzlich eine elegante Schatulle aus Ebenholz. Sie öffnete sie und fand ein sorgfältig verschnürtes Päckchen Briefe.

Bernardo, der sie nicht aus den Augen ließ, schlug die Hände zusammen. Die Herzogin blickte ihn an, sah sich dann die Briefe an, erkannte Moros Handschrift und begriff, daß sie nun das gefunden habe, was sie suchte: nämlich die Briefe des Herzogs und die Konzepte der Liebesgedichte, die er für Lucrezia bestellt hatte. Sie nahm die Briefe zu sich, versteckte sie unter ihrem Kleide am Busen, warf dem Dichter schweigend, wie man einem Hunde einen Knochen hinwirft, einen Beutel Dukaten hin und verließ das Zimmer. Er hörte noch, wie sie die Treppe hinunterstieg und wie unten die Türe zugeworfen wurde. Dann stand er lange wie vom Blitz getroffen da. Es schien ihm, daß der Boden unter seinen Füßen schwankte wie ein Schiffsdeck bei bewegter See.

Schließlich fiel er erschöpft auf sein dreibeiniges Lager hin und versank in tiefen Schlaf.

VIII.

Die Herzogin kehrte ins Schloß zurück.

Die Gäste hatten ihre Abwesenheit bemerkt, sie tuschelten und fragten, was geschehen sei. Der Herzog war unruhig geworden.

Sie ging auf ihn zu und sagte, sie hätte sich, vom langen Festmahl ermüdet, in die inneren Gemächer zurückgezogen, um auszuruhen. Sie war etwas blasser als vorhin.

»Bice,« sagte der Herzog, ihre kalte Hand ergreifend, die in der seinigen erzitterte, »wenn du dich unwohl fühlst, so sag es um Gottes willen! Vergiß nicht, daß du schwanger bist, willst du, daß wir den zweiten Teil des Festes auf morgen verschieben? Ich habe ja das Ganze nur für dich, mein Lieb, veranstaltet ...«

»Nein, nein ...« erwiderte die Herzogin. »Bitte, beunruhige dich nicht. Ich habe mich seit langer Zeit nicht so wohl gefühlt wie heute, ich bin so gut aufgelegt ... Ich will das ›Paradies‹ sehen. Und dann werde ich auch noch tanzen! ..«

»Gott sei Dank, meine Liebe, Gott sei Dank!« sagte der Herzog beruhigt und küßte ehrfurchtsvoll und zärtlich die Hand seiner Gattin.

Die Gäste versammelten sich wieder im großen »Saal des Ballspiels«. Zur Vorstellung des Bellincioni'schen »Paradieses« war hier eine vom Hofmechaniker Leonardo da Vinci erfundene Maschinerie aufgestellt.

Als alle Platz genommen hatten und das Licht ausgelöscht war, gab Leonardo das Kommando:

»Fertig!«

Ein Zündfaden wurde angesteckt und plötzlich flammten im Finstern mehrere im Kreise angeordnete Kristallkugeln auf, die mit Wasser gefüllt und von innen durch unzählige in allen Farben des Regenbogens schillernde Flammen beleuchtet waren, sie glichen durchsichtigen Sonnen aus Eis.

»Seht ihn nur an,« sagte Donsella Ermellina zu einer neben ihr sitzenden Dame, auf den Künstler weisend. »Sieht er nicht wie ein Magier aus? Er wird noch das ganze Schloß wie in einem Märchen in die Luft heben.«

»Man soll nicht mit Feuer spielen,« versetzte die andere. »Wie leicht kann eine Feuersbrunst entstehen!«

Hinter den Kristallkugeln waren runde schwarze Kasten verborgen. Einem dieser Kasten entstieg ein Engel mit weißen Flügeln und kündete den Beginn der Vorstellung an. Als er die Worte des Prologs:

»Der große König lenkt die ew'gen Sphären«

sprach, wies er mit der Hand auf den Herzog, um damit zu sagen, daß dieser seine Untertanen mit der gleichen Weisheit regiere, wie Gott die himmlischen Sphären.

In diesem Augenblick begannen die Kugeln um die Achse der Maschine zu kreisen, wobei eine sonderbare, leise, ungemein angenehme Musik ertönte. Es klang so, als berührten sich die Kristallsphären in ihrem Kreislauf miteinander, jene geheimnisvolle Musik erzeugend, von der die Pythagoreer erzählen. Diese Töne rührten von eigenartigen, von Leonardo erfundenen, durch Tasten angeschlagenen Glasglocken her.

Die Planeten blieben stehen und über einem jeden von ihnen erschien der Reihe nach die entsprechende Gottheit: Jupiter, Apollo, Merkur, Mars, Diana, Venus, Saturn und ein jeder von ihnen begrüßte Beatrice mit eigenen Versen.

Merkur sprach:

»O du, vor deren Pracht die Sterne still erlöschen,
Der Menschen Sonne du und Spiegel des Olymps!
Mit deiner Schönheit nahmst du Jupiter gefangen,
Du aller Lichter Licht, du aller Schönheit Preis!«

Venus beugte vor ihr die Knie und sprach:

»All meine Reize sind vor deinen Reizen Staub,
Ich darf und wage nicht, mich »Venus« noch zu nennen.
Und als besiegter Stern in deiner Strahlen Glanz
Erblasse ich vor Neid, du neue Weltensonne!«

Diana bat Jupiter:

»O laß mich, Vater Zeus, fortan als Sklavin dienen
Der Königin der Welt, der schönen Beatrice!«

Saturn zerbrach seine Sense und rief:

»Dein Leben sei von Glück erfüllt und ohne Stürme
Und deines Lebens Zeit – ein Zeitalter von Gold!«

Zum Schluß stellte Jupiter ihrer Hoheit die drei hellenischen Grazien und die sieben christlichen Kardinaltugenden vor. Der Olymp und das Paradies kreisten nun wieder von den weißen Engelsflügeln beschattet und von einem aus grünen Flammen, Symbolen der Hoffnung, gebildeten Kreuze überragt, wobei alle Götter und Göttinnen zu den Tönen der Sphärenmusik und unter Beifallsklatschen der Zuschauer eine Hymne an Beatrice sangen.

»Könnt Ihr mir nicht sagen,« wandte sich Beatrice an den neben ihr sitzenden Edlen Gaspare Visconti, »warum hier die Juno fehlt, die ihr Diadem vom Kopfe reißt und die Perlen als Regen und Hagel auf die Erde niederprasseln läßt?«

Der Herzog, der diese Frage gehört hatte, wandte sich rasch nach ihr um und sah sie an. Sie lachte so sonderbar und gezwungen auf, daß es ihn kalt überlief. Sie beherrschte sich aber gleich wieder und brachte das Gespräch auf andere Dinge. Sie drückte aber die Briefe noch fester an ihre Brust.

Der Vorgeschmack der Rache berauschte sie, machte sie stark, ruhig und beinahe lustig.

Die Gäste begaben sich in einen andern Saal, wo sie ein neues Schauspiel erwartete: Neger, Greife, Leoparden, Centauren und Drachen zogen durch den Saal eine Reihe von Triumphwagen, auf denen Numa Pompilius, Caesar, Augustus und Trajanus thronten; allegorische Darstellungen und Inschriften besagten, daß alle diese Helden nur Vorboten Moros gewesen seien. Zuletzt kam ein von Einhörnern gezogener Wagen mit einem riesengroßen Himmelsglobus, auf dem ein Krieger in verrosteter eiserner Rüstung lag. Der Rüstung entstieg aus einer Spalte ein goldenes nacktes Kind mit einem Maulbeerzweige (italienisch – moro) in der Hand; es bedeutete den Untergang des alten eisernen Zeitalters und die durch die weise Regierung Moros bewirkte Geburt des neuen goldenen Zeitalters. Zur allgemeinen Überraschung stellte sich die goldene Puppe als lebendes Kind heraus. Der Knabe war über und über mit einer dicken Goldkruste überzogen und fühlte sich daher unwohl. In seinen erschrockenen Augen glänzten Tränen.

Mit zitternder weinerlicher Stimme deklamierte er seine Begrüßung an den Herzog mit dem eintönigen, beinahe unheildrohend wirkenden Kehrreim:

Rost'ges Eisen wird versinken
Und in neuer Herrlichkeit
Kehrt zurück, auf Moros Winken,
Euch – die neue Goldne Zeit!

Um den Wagen des Goldenen Zeitalters begann der Ball aufs neue.

Die endlose Begrüßungsansprache langweilte die Gäste und man hörte ihr nicht mehr zu. Der Knabe aber stand noch immer auf seinem Wagen und deklamierte hoffnungslos und ergeben, während seine vergoldeten Lippen immer steifer wurden:

Kehrt zurück, auf Moros Winken,
Euch – die neue Goldne Zeit!

Beatrice tanzte mit Gaspare Visconti. Zuweilen schnürten ihr Wein- und Lachkrämpfe die Kehle zusammen. Das Blut pochte mit unsagbaren Schmerzen an ihre Schläfen, es wurde ihr finster vor den Augen, doch ihr Gesicht blieb sorglos. Sie lächelte sogar.

Nachdem sie die Runde beendigt, verließ sie die festliche Menge und zog sich unbemerkt zurück.

IX.

Die Herzogin begab sich in den einsamen Turm der Schatzkammer, den niemand außer ihr und dem Herzog betreten durfte.

Sie nahm aus den Händen Ricciardettos die Kerze, befahl ihm vor der Türe zu warten und trat in den hohen Saal, in dem es so kalt und finster war wie in einem Keller. Sie setzte sich hin, holte die Briefe hervor, schnürte das Päckchen auf und wollte sich in die Lektüre vertiefen, als plötzlich ein Windstoß pfeifend, heulend und ächzend durch den Kamin fuhr, durch den ganzen Turm fegte und beinahe die Kerze verlöschte. Dann war alles wieder still. Sie glaubte die Klänge der fernen Ballmusik zu hören und noch andere Stimmen und Töne – ein Klirren von Eisenketten, das aus dem unterirdischen Kerker zu kommen schien.

Im gleichen Augenblick fühlte sie hinter ihrem Rücken jemand stehen. Ein ihr schon bekanntes Grauen erfaßte sie. Sie wußte, daß sie nicht hinsehen dürfe und doch hielt sie es nicht aus und wandte sich um. In der Ecke stand derjenige, den sie schon einmal gesehen hatte – eine lange schwarze Gestalt, schwärzer als die Finsternis, mit gesenktem Kopf; eine Mönchskapuze verdeckte das Gesicht. Sie wollte schreien, Ricciardetto rufen, doch ihre Stimme versagte. Sie sprang auf, um zu fliehen, aber ihre Füße erlahmten. sie fiel in die Knie und flüsterte:

»Bist du es? ... Wieder? ... Was willst du? ...«

Er hob langsam den Kopf.

Und sie erblickte das Gesicht des verstorbenen Herzogs Gian-Galeazzo, das weder tot noch schrecklich erschien, und sie hörte seine Stimme:

»Verzeih ... Du Arme, Arme ...«

Er ging ihr einen Schritt entgegen. Es wehte sie mit Grabeskälte an.

Sie schrie gellend und unmenschlich auf und fiel in Ohnmacht.

Ricciardetto, der auf den Schrei herbeistürzte, fand sie besinnungslos auf dem Boden liegend.

Er stürmte durch die finsteren Galerien, die nur stellenweise von den trüben Laternen der Wachen erleuchtet waren, durch die hellen festlichen Säle, suchte den Herzog und schrie in wahnsinniger Angst:

»Zu Hilfe! Zu Hilfe!«

Es war Mitternacht. Auf dem Balle herrschte eine ansteckend lustige Stimmung. Man tanzte eben einen neuen Tanz, bei dem die Paare in einem langen Zuge die »Pforte der treuen Liebhaber« zu passieren hatten. Oben auf der Pforte stand der Genius der Liebe von einem Mann mit einer langen Trompete dargestellt; unten standen die Richter, so oft sich ein »Treuer Liebhaber« der Pforte näherte, stimmte der Genius eine zarte Weise an und die Richter begrüßten ihn mit stürmischer Freude. Die Untreuen bemühten sich aber vergeblich die Pforte zu passieren: die Trompete machte ohrenbetäubenden Lärm und die Richter empfingen sie mit einem Confettisturm. Die Unglücklichen mußten unter einem Hagel von spöttischen Bemerkungen fliehen.

Der Herzog passierte soeben die Pforte; die Trompete begrüßte ihn mit Tönen so süß und zart, wie die einer Hirtenschalmei oder das Girren von Tauben, – als den treuesten aller Liebhaber.

Da stürzte plötzlich Ricciardetto herein und die Menge stob auseinander. Er schrie wie wahnsinnig:

»Zu Hilfe! Zu Hilfe!«

Er bemerkte den Herzog und stürzte auf ihn zu.

»Hoheit! Die Herzogin ist unwohl ... schnell ... Hilfe! ...«

»Unwohl? Schon wieder?«

Der Herzog griff sich an den Kopf.

»Wo ist sie? Wo? Rede doch vernünftig! ...«

»In der Schatzkammer ...«

Moro lief so schnell, daß die goldene Schuppenkette auf seiner Brust rasselte und die prunkvolle glatte Zazzera – eine Art goldener Perücke – auf seinem Kopfe wackelte.

Der Genius auf der »Pforte der treuen Liebhaber« blies noch weiter seine Trompete. Endlich merkte er, daß unten etwas passiert sei, und verstummte.

Viele folgten dem Herzog und plötzlich kam in die glänzende Menge eine panikartige Bewegung; die Gäste stürzten zu den Ausgängen wie eine erschrockene Hammelherde. Die Pforte wurde umgeworfen und zertreten. Dem Trompeter gelang es nur mit Mühe herabzuspringen, wobei er sich ein Bein ausrenkte.

Jemand schrie:

»Feuer!«

»Da haben wir es, ich habe ja gesagt, man dürfe nicht mit Feuer spielen!« rief, die Hände zusammenschlagend, jene Dame aus, die sich vorhin abfällig über Leonardos Kristallkugeln geäußert hatte.

Eine andere kreischte und machte Anstalten, in Ohnmacht zu fallen.

»Beruhigt Euch, es ist gar keine Feuersbrunst,« behaupteten die einen.

»Was ist denn los?« fragten die andern.

»Die Herzogin ist krank! ...«

»Sie stirbt! Man hat sie vergiftet!« behauptete einer der Höflinge einer plötzlichen Eingebung folgend; er glaubte auch sofort an seine Erfindung.

»Es kann nicht sein! Die Herzogin war erst eben hier! ... Sie hat auch getanzt ...«

»Habt Ihr es denn nicht gehört? Die Witwe des verstorbenen Herzogs Gian-Galeazzo, Isabella von Aragonien, hat, um ihren Mann zu rächen ... langsam wirkendes Gift ...«

»Gott sei mit uns! ...«

Aus dem Nebensaale klang noch Musik.

Man wußte dort noch von nichts. Es wurde der Tanz »Venus und Saurus« aufgeführt, bei dem die Damen ihre Kavaliere mit bestrickendem Lächeln an goldenen Ketten, wie Gefangene herumführten; als diese mit schmachtenden Seufzern zu Boden sanken, setzten sie ihnen als Siegerinnen ihren Fuß auf den Rücken.

Da kam ein Cameriere hereingestürzt, er winkte mit beiden Händen und rief den Musikern zu:

»Still! Still! Die Herzogin ist krank! ...«

Alle wandten sich um. Die Musik verstummte. Nur die Viola, die ein schwerhöriger, halb blinder alter Mann spielte, ließ noch lange ihre zitternden klagenden Töne erklingen.

Diener trugen eilig ein schmales langes Bett vorbei. Es hatte eine harte Matraze, zwei Querbalken für den Kopf, rechts und links Griffe für die Hände und eine Querstange für die Füße der Gebärenden. Es war das Gebärbett, das seit altersher in den Garderoberäumen des Schlosses aufbewahrt wurde und allen Fürstinnen des Hauses Sforza bei den Geburten diente. Im Glanze des Balles, inmitten der festlichen Lichter und der prunkvoll gekleideten Damen machte dieses Gebärbett einen befremdenden, unheildrohenden Eindruck.

Man warf sich Blicke zu und begriff den Sachverhalt.

»Wenn es von Schreck oder von einem Fall gekommen ist,« bemerkte eine ältere Dame, »so sollte sie sofort ein rohes Eiweiß mit feingeschnittenen Fetzchen roter Seide verschlingen.«

Eine andere behauptete, die rote Seide sei hier gar nicht am Platze; man müsse vielmehr die Keime von sieben Hühnereiern mit dem Gelben eines achten Eies verzehren.

Ricciardetto hatte sich inzwischen in einen der oberen Säle begeben und hörte aus dem Nebengemach ein so schreckliches Stöhnen, daß er bestürzt stehen blieb und eine der vielen Frauen, die mit Wäsche, Wärmeflaschen und heißem Wasser vorbeiliefen, auf die Türe weisend, fragte:

»Was ist da los?«

Sie gab ihm keine Antwort.

Ein anderes altes Weib, wohl eine Hebamme, blickte ihn streng an und sagte:

»Mach daß du weiterkommst! Was stehst du hier im Wege? Du störst nur! Es ist nichts für Knaben.«

Die Türe wurde für einen Augenblick geöffnet und Ricciardetto sah in der Tiefe des Zimmers, in einem unordentlichen Haufen von Kleidungsstücken und Wäsche jenes Gesicht, das er so hoffnungslos und so kindlich liebte. Es war jetzt rot, schweißbedeckt, an der Stirne klebten Haarsträhne und aus dem offenen Munde drang ununterbrochenes Stöhnen. Der Knabe erbleichte und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.

Neben ihm drängten sich verschiedene alte Weiber, Wärterinnen. Heilkünstlerinnen, Wahrsagerinnen und weise Frauen. Eine jede empfahl ihr Mittel. Die eine wollte das rechte Bein der Gebärenden mit Schlangenhaut umwickeln; eine andere wollte sie auf einen gußeisernen Kessel mit siedendem Wasser setzen; eine dritte ihr die Mütze ihres Gatten an den Leib binden; eine vierte ihr von einem mit Hirschhorn und Cochenillesamen angesetzten Schnaps zu trinken geben.

»Einen Adlerstein unter die rechte Achsel und einen Magnetstein unter die linke!« sprach eine zahnlose uralte Frau, die sich mehr als alle anderen geschäftig zeigte. »Dies ist die Hauptsache! Einen Adlerstein oder einen Smaragd.«

Der Herzog kam aus dem Zimmer herausgestürzt, fiel in einen Stuhl, bedeckte sein Gesicht mit den Händen und begann wie ein Kind zu schluchzen.

»Mein Gott! Mein Gott! Ich kann nicht mehr! ... ich kann nicht ... Bice, Bice ... Und an allem habe ich, Verdammter, Schuld! ...«

Er dachte daran, wie die Herzogin, als sie ihn soeben erblickt, mit rasender Wut ihm zugeworfen hatte: »Fort! Fort! Geh zu deiner Lucrezia! ...«

Eine geschäftige Alte ging auf ihn zu und setzte ihm einen Zinnteller vor.

»Geruhen, Hoheit, davon zu essen.«

»Was ist das?«

»Wolfsfleisch. Es ist ein Hausmittel: wenn der Mann Wolfsfleisch ißt, spürt die Gebärende sofort Erleichterung. Wolfsfleisch ist jetzt die Hauptsache, mein Lieber!«

Der Herzog versuchte gehorsam und geistesabwesend ein Stück von diesem zähen schwarzen Fleisch herunterzuschlingen, es blieb ihm aber im Halse stecken.

Die Alte beugte sich über ihn und murmelte die Beschwörungsformel:

Vater unser, der du bist.
Sieben Wölfe, eine Wölfin.
Im Himmel und auf Erden
Alles Unheil soll vom Wind
Fortgeblasen werden.

»Heilig, heilig, heilig. – Im Namen der einigen und ewigen Dreieinigkeit. So soll es sein. Amen!«

Aus dem Krankenzimmer trat der erste Leibarzt Luigi Marliani mit den anderen Ärzten.

Der Herzog lief ihnen entgegen.

»Nun? Wie steht's?«

Sie schwiegen.

»Ew. Durchlaucht,« sprach endlich Marliani, »alle Mittel sind schon angewandt worden, wollen wir hoffen, daß der Herr in seiner Barmherzigkeit ...«

Der Herzog packte ihn bei der Hand.

»Nein, nein ... Es muß ja noch ein Mittel geben ... So geht es nicht ... Um Gottes willen! ... Tut doch etwas! ...«

Die Ärzte blickten einander wie Auguren an und fühlten, daß sie ihn irgendwie beruhigen müßten.

Marliani runzelte ernst die Stirne und sagte lateinisch zu einem jungen Arzt mit rosigem und frechem Gesicht:

»Drei Unzen einer Abkochung aus Flußschnecken mit Muskatnuß und gestoßenen roten Korallen.«

»Vielleicht ein Aderlaß?« bemerkte der dritte Arzt, ein alter Mann mit gutmütigem und schüchternem Gesicht.

»Ein Aderlaß? Ich habe schon daran gedacht,« erwiderte Marliani. »Leider ist aber der Mars im Sternbilde des Krebses, im vierten Hofe der Sonne. Und dazu noch der ungünstige Einfluß des ungeraden Datums ...«

Der Alte seufzte bescheiden und verstummte.

»Wie glaubt Ihr, Meister,« wandte sich zu Marliani ein anderer Arzt, der rote Wangen und unentwegt heitere und gleichgültige Augen hatte und sich sehr ungezwungen benahm: »Sollen wir nicht zu der Schneckenabkochung noch etwas märzlichen Kuhmist hinzutun?«

»Gewiß,« stimmte Luigi nachdenklich zu, sich die Nase reibend. »Kuhmist, ja, das ist das Richtige!«

»O Gott! Gott!« stöhnte der Herzog.

»Ew. Hoheit,« wandte sich Marliani zu ihm, »beruhigt Euch! Ich kann Euch versichern, daß alles, was die Wissenschaft vorschreibt ...«

»Zum Teufel die Wissenschaft!« schrie der Herzog. Er konnte sich nicht länger halten und stürzte wütend mit geballten Fäusten auf den Arzt. »Sie stirbt! Hört ihr? Sie stirbt! Und ihr kommt da mit der Schneckenabkochung und Kuhmist! ... Schurken! ... Man soll euch alle aufknüpfen!«

Er lief in Todesangst im Zimmer umher und lauschte den nicht enden wollenden Schreien.

Da fiel sein Blick auf Leonardo. Er nahm ihn beiseite.

»Hör einmal,« lallte er wie im Fieber. Er wußte wohl selbst nicht, was er sagte. »Höre, Leonardo. Du bist mehr wert, als sie alle zusammen. Ich weiß, daß du große Geheimnisse besitzt ... Nein, nein, leugne nicht! ... Ich weiß es! ... Mein Gott, mein Gott, diese Schreie! ... Was ich sagen wollte ... Ja, hilf mir, mein Freund, hilf, tue etwas! ... Ich gebe meine Seele hin, um ihr, wenn auch nur für kurze Zeit, zu helfen, um nur nicht diese Schreie zu hören! ...«

Leonardo wollte ihm etwas erwidern; aber der Herzog beachtete ihn nicht mehr und stürzte den Kaplanen und Mönchen entgegen, die eben ins Zimmer traten.

»Endlich! Gott sei Dank! Was bringt ihr mit?«

»Reliquienteile des seligen Ambrosio, den Gürtel der heiligen Geburtshelferin Margareta, den verehrungswürdigen Zahn des heiligen Christophorus und ein Haar der heiligen Jungfrau.«

»Gut, gut! Geht hinein und betet!«

Moro wollte mit ihnen ins Krankenzimmer gehen, aber in diesem Augenblick stieß die Kranke einen so unmenschlichen und erschütternden Schrei aus, daß er sich die Ohren zuhielt und davonrannte. Er durchlief einige finstere Säle und kam in die Kapelle, die nur schwach von einigen Lämpchen erleuchtet war. Hier fiel er in die Knie vor dem Heiligenbilde.

»Ich habe gesündigt, heiligste Mutter Gottes! Ich habe gesündigt, den unschuldigen Knaben, meinen rechtmäßigen Herrn Gian-Galeazzo habe ich umgebracht! Doch erhöre du barmherzige, einzige Fürsprecherin mein Flehen und erbarme dich meiner! Ich will alles hingeben, ich will alles abbitten, aber rette sie, nimm meine Seele statt der ihren!«

In seinem Kopfe drängten sich Bruchstücke sinnloser Gedanken und sie störten ihn in seinem Gebet; so fiel ihm eine Erzählung ein, über die er erst vor kurzem so sehr gelacht hatte: ein Schiffer, dessen Schiff dem Untergange nahe war, gelobte der heiligen Jungfrau ein Licht von der Größe des Schiffsmastes; als ihn aber ein Kamerad fragte, wo er so viel Wachs hernehmen wolle, antwortete er: Schweig! Jetzt müssen wir nur sehen, wie wir uns retten; wir finden noch später Zeit, darüber nachzudenken. Auch hoffe ich, daß die heilige Jungfrau mit einer kleineren Kerze fürlieb nehmen wird.

»Mein Gott, woran denke ich denn da?« besann sich der Herzog, »Verliere ich den Verstand? ...«

Mit großer Mühe nahm er seine Gedanken zusammen und betete weiter.

Doch vor seinen Augen kreisten und rollten helle Kristallkugeln, gleich Sonnen aus Eis; er hörte eine leise Musik und den aufdringlichen Kehrreim des goldenen Kindes:

Kehrt zurück, auf Moros Winken,
Euch die neue Goldne Zeit! ...

Dann verschwand alles und er verlor die Besinnung.

Als er erwachte, glaubte er, es seien nur zwei oder drei Minuten vergangen, wie er aber die Kapelle verließ, sah er durch die schneeverwehten Fenster das graue Licht des Wintermorgens.

X.

Moro kehrte in den Saal der Rocchetta zurück. Hier war alles still. Eine Frau, die einen Korb mit Windeln vorbeitrug, ging auf ihn zu und sagte:

»Ihre Durchlaucht haben geruht niederzukommen.«

»Lebt sie?« flüsterte er erbleichend.

»Gott sei Lob und Dank. Aber das Kindchen ist tot. Ihre Durchlaucht sind sehr schwach und wünschen Euch zu sehen. Wollt Ihr eintreten!«

Er betrat das Zimmer und sah in den Kissen ein Gesicht, so winzig wie das eines kleinen Mädchens, mit großen eingefallenen Augen, die wie mit Spinnwebe übersponnen schienen; es war so ruhig und kam ihm so vertraut und zugleich ganz fremd vor. Er trat vor das Bett und beugte sich über sie.

»Schick nach Isabella ... sofort ...« flüsterte sie ihm zu.

Der Herzog erteilte den Befehl. Einige Minuten später betrat eine schlanke Frau mit traurigem und strengem Gesicht das Zimmer. Es war Herzogin Isabella von Aragonien, die Witwe Gian-Galeazzos. Sie näherte sich der Sterbenden; Moro und der Beichtvater zogen sich in den Hintergrund zurück, die andern verließen das Gemach.

Beide Frauen flüsterten eine Zeitlang miteinander. Dann küßte Isabella die Sterbende mit den Worten der letzten Versöhnung, sank in die Knie, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und betete.

Beatrice rief den Herzog wieder zu sich.

»Vico, lebe wohl und vergib. Weine nicht. Denke, daß ich ... immer bei dir ... Ich weiß, daß du nur mich allein ...«

Sie kam nicht weiter, doch er begriff, was sie sagen wollte: »daß du nur mich allein geliebt hast.«

Sie sah ihn mit einem klaren, wie aus weiter Ferne kommenden Blick an und flüsterte:

»Küsse mich.«

Moro berührte ihre Stirne mit den Lippen. Sie wollte etwas sagen, aber sie konnte es nicht; sie hauchte nur kaum hörbar:

»Auf den Mund.«

Der Mönch las das Sterbegebet. Das Gefolge kehrte ins Zimmer zurück.

Der Herzog behielt seine Lippen im Abschiedskusse auf den ihrigen und er fühlte, wie sie erkalteten. In diesem letzten Kusse nahm er den letzten Atemzug seiner geliebten Freundin auf.

»Sie ist verschieden,« sagte Marliani.

Alle bekreuzten sich und knieten nieder. Moro erhob sich langsam von den Knien, sein Gesicht war regungslos. Es drückte keinen Schmerz aus, sondern eine entsetzliche, ungeheuere Abspannung. Sein Atem ging rasch und schwer, wie beim Besteigen eines Berges. Plötzlich bewegte er mit unnatürlicher, wilder Gebärde beide Arme, schrie »Bice!« und fiel über die Leiche.

Von allen Anwesenden hatte Leonardo allein die Ruhe bewahrt. Er beobachtete den Herzog mit tiefem prüfendem Blick.

In solchen Augenblicken wurden alle anderen Gefühle des Künstlers von seiner Neugier überwältigt. Den Ausdruck des großen Schmerzes in den menschlichen Gesichtern und Bewegungen beobachtete er wie ein seltenes und ungewöhnliches Experiment, wie eine neue herrliche Naturerscheinung. Kein Hautfältchen und kein Muskelzittern entging seinem leidenschaftslosen scharfen Blick.

Er wollte so schnell als möglich das von Verzweiflung entstellte Gesicht Moros in seinem Taschenbuch skizzieren. Er verließ das Sterbezimmer und begab sich in die leeren unteren Schloßräume.

Die Kerzen waren hier heruntergebrannt, sie qualmten und ließen Wachstropfen zu Boden fallen. In einem der Säle schritt er über die umgeworfene und zertretene »Pforte der treuen Liebhaber«. So unheimlich und kläglich nahmen sich im kalten Morgenlicht die prunkvollen Allegorien zur Verherrlichung Moros und Beatrices aus, diese Triumphwagen des Numa Pompilius, Augustus, Trajanus und des Goldenen Zeitalters.

Er trat zum erloschenen Kamin, vergewisserte sich mit einem raschen Blick, daß er allein war, nahm Skizzenbuch und Stift zur Hand und wollte mit der Zeichnung beginnen, als er plötzlich an der Ecke des Kamins den Knaben bemerkte, der als Statue des Goldenen Zeitalters gedient hatte. Er schlief, zusammengekrümmt, von Frost ganz erstarrt; sein Kopf lag auf den Knien, die er mit beiden Händen umfaßt hielt. Der letzte warme Hauch der erkaltenden Asche war nicht imstande, seinen vergoldeten Körper zu erwärmen.

Leonardo berührte leise seine Schulter. Das Kind stöhnte jämmerlich und dumpf, ohne den Kopf zu heben. Der Künstler nahm es in seine Arme.

Der Knabe öffnete seine großen erschrockenen veilchenblauen Augen und begann zu weinen:

»Nach Hause, nach Hause! ...«

»Wo wohnst du? Wie heißt du?« fragte Leonardo.

»Lippi,« erwiderte der Knabe. »Nach Hause! Nach Hause! Mir ist so schlecht und so kalt ...«

Seine Augen schlossen sich wieder, er lallte im Fieber:

Rost'ges Eisen muß versinken,
Und in neuer Herrlichkeit
Kehrt zurück auf Moros Winken
Euch die neue Goldne Zeit.«

Leonardo hüllte das Kind in seinen Kragen und legte es auf einen Sessel. Dann ging er ins Vorzimmer, weckte die auf dem Boden schnarchenden Diener, die sich während der allgemeinen Verwirrung betrunken hatten, und erfuhr von einem von ihnen, daß Lippi der Sohn eines alten armen verwitweten Bäckers sei, der in der Straße Broletto Novo wohne und sein Kind um zwanzig Scudi zur Darstellung des Triumphes hergegeben habe, obwohl viele ihn gewarnt hätten, daß das Kind an der Vergoldung sterben könne.

Der Künstler suchte seinen warmen Wintermantel heraus, warf ihn um, kehrte zu Lippi zurück, hüllte ihn in den Pelz und verließ das Schloß. Er wollte eine Apotheke aufsuchen, um die zur Abwaschung der Vergoldung notwendigen Drogen zu kaufen, und dann das Kind nach Hause tragen.

Da fiel ihm die begonnene Skizze ein und der interessante Ausdruck von Verzweiflung auf Moros Gesicht.

»Es tut nichts,« dachte er sich, »ich werde es nicht vergessen. Das Wesentliche sind die Runzeln über den hoch erhobenen Brauen und das sonderbare, leuchtende, beinahe verzückte Lächeln um die Lippen, jenes Lächeln, das in den menschlichen Gesichtern den Ausdruck des größten Schmerzes dem der größten Seligkeit ähnlich macht; denn Schmerz und Seligkeit sind nach Platos Zeugnis zwei Welten, die in den Grundflächen getrennt, mit den Gipfeln zusammengewachsen sind.«

Er sah, daß der Knabe vor Kälte zitterte.

»Unser armes Goldenes Zeitalter!« dachte sich der Künstler mit traurigem Lächeln.

»Mein armes Vöglein!« flüsterte er mit unendlichem Mitleid. Er hüllte das Kind noch wärmer ein und drückte es so liebevoll und zärtlich an seine Brust, daß es dem Armen im Traume vorkam, als ob ihn seine verstorbene Mutter herze und in den Schlaf singe.

XI.

Herzogin Beatrice starb Dienstag, den 2. Januar 1497, um 6 Uhr früh.

Der Herzog verbrachte mehr als 24 Stunden an der Leiche seiner Frau. Er hörte auf keinen Trost und wollte weder schlafen noch essen. Seine Umgebung fürchtete, daß er den Verstand verliere.

Donnerstag früh ließ er sich Papier und Schreibzeug geben und schrieb einen Brief an Isabella d'Este, die Schwester der verstorbenen Herzogin. Er teilte ihr darin den Tod Beatrices mit und sagte unter anderm:

»Es wäre Uns leichter, wenn Wir selber gestorben wären. Wir bitten Euch, Uns niemanden zum Troste zu schicken, um nicht Unsern Schmerz zu erneuern.«

Am gleichen Tag gegen Mittag gab er den inständigen Bitten seiner Umgebung nach und nahm etwas Nahrung zu sich. Er wollte sich aber nicht zu Tisch setzen, und aß von einem einfachen Brett, das Ricciardetto ihm vorhielt.

Mit den Vorbereitungen zu der Beerdigung betraute er anfangs seinen ersten Sekretär Bartolomeo Calco. Aber bei der Bestimmung des Zeremoniells für den Trauerzug, das nur er allein festsetzen konnte, ließ er sich hinreißen und gab sich dem Arrangement des Trauerzuges mit der gleichen Liebe hin, mit der er das Neujahrsfest des Goldenen Zeitalters veranstaltet hatte. Er vertiefte sich ganz in die Vorbereitungen, ging in alle Details ein und bestimmte ganz genau das Gewicht der großen weißen und gelben Wachskerzen, die Ellenzahl des Goldbrokats, des schwarzen und karmoisinroten Samtes zu jeder Altardecke und die Menge von Kupfergeld, Erbsen und Speck, die an die Armen bei den Seelenmessen verteilt werden sollten. Als er das Tuch zu den Trauerlivreen der Hofbediensteten auswählte, ging er sehr gewissenhaft zu Werke, befühlte jede Stoffprobe und hielt sie gegen das Licht, um sich von der Güte der Ware zu überzeugen. Er ließ auch für sich selbst ein besonders feierliches Gewand »der großen Trauer« aus grobem und rauhem Tuch anfertigen; es waren darin künstlich Schlitze und Löcher angebracht, um den Anschein zu erwecken, als habe er das Kleid selbst in einem Anfalle von Verzweiflung zerrissen.

Die Beerdigung fand Freitag spät abends statt. An der Spitze des Trauerzuges gingen Läufer, Stabträger, Herolde mit langen silbernen Trompeten, an denen unten schwarze Seidenfahnen hingen, Tamboure, die einen Trauermarsch schlugen, Ritter in geschlossenen Visieren mit Trauerfahnen auf Pferden, die Decken aus schwarzem Samt mit weißen Kreuzen trugen, die Mönche aller Klöster von Mailand mit brennenden sechspfündigen Kerzen und der Erzbischof von Mailand mit dem ganzen Klerus. Dem großen Leichenwagen mit einem Katafalk aus Silberbrokat, mit vier silbernen Engeln und der Herzogskrone geschmückt, folgte Moro in Begleitung seines Bruders, des Kardinals Ascanio und der Gesandten der kaiserlichen Majestät, und der von Spanien, Neapel, Venedig und Florenz; dann kamen die Mitglieder des Geheimen Rats, Leibärzte, Magister der Universität von Pavia, vornehme Kaufherren, je zwölf Vertreter von jedem der Tore Mailands und eine unübersehbare Volksmenge.

Der Zug war so lang, daß sein Ende noch im Schloßhof war, als seine Spitze die Kirche Maria delle Grazie erreicht hatte.

Nach einigen Tagen schmückte der Herzog das Grab seines totgeborenen Sohnes Leone mit einem Epitaph. Er hatte es selbst italienisch verfaßt; Merula hatte es ins Lateinische übersetzt:

»Ich, unglückliches Kind, bin gestorben, ehe ich noch die Welt gesehen hatte, und bin noch unglücklicher, weil ich mit meinem Tode meiner Mutter das Leben und meinem Vater die Gattin entrissen habe. In diesem traurigen Schicksal ist mein einziger Trost, daß ich von gottähnlichen Eltern gezeugt worden bin, von dem Mailänder Herzogspaare Ludovicus und Beatrix. A. D. 1497, in den dritten Nonen des Januars.«

Moro stand lange in Bewunderung versunken vor dieser Inschrift, die in goldenen Lettern auf einer Platte aus schwarzem Marmor prangte; das kleine Grabmal Leones befand sich im Kloster Maria delle Grazie, wo auch Beatrice ruhte. Er teilte das naive Entzücken des Steinmetzen, der nach Beendigung dieser Arbeit etwas zurücktrat, den Kopf zur Seite neigte und mit einem Auge zwinkernd mit der Zunge schnalzte:

»Es ist ein wahres Spielzeug und kein Grab!«

Es war ein frostiger sonniger Morgen. Der Schnee auf den Dächern hob sich blendend weiß vom blauen Himmel ab. In der klaren Luft wehte jene Frische, die dem Dufte der Maiglöckchen gleicht und uns als der Geruch des Schnees erscheint.

Aus dem Sonnenlicht und der Kälte trat Leonardo in ein dunkles schwüles Gemach, das mit schwarzem Taffet ausgeschlagen war; die Fensterläden waren geschlossen und das Zimmer war nur von Beerdigungskerzen erleuchtet. Es war wie in einer Gruft. Die ersten Tage nach der Beerdigung seiner Frau hatte der Herzog diese finstere Zelle nicht verlassen.

Der Herzog besprach mit dem Künstler das »Heilige Abendmahl«, das die Stätte der ewigen Ruhe Beatrices schmücken sollte. Zum Schluß fragte er ihn noch:

»Ich hörte, Leonardo, du hättest dich des Knaben, der auf jenem unglückseligen Feste die Geburt des Goldenen Zeitalters dargestellt hat, angenommen. Wie geht es ihm jetzt?«

»Hoheit, er ist gestorben und zwar an jenem Tage, an dem ihre Durchlaucht beerdigt wurde.«

»Er ist gestorben!« In der Stimme des Herzogs klang Erstaunen und zugleich etwas wie Freude. »Gestorben ... Wie sonderbar! ...«

Er ließ seinen Kopf sinken und seufzte schwer auf. Dann umarmte er plötzlich Leonardo und sagte:

»Ja, ja, gerade so mußte es kommen! Unser Goldenes Zeitalter ist gestorben zugleich mit meiner unvergeßlichen Frau! Wir haben es mit Beatrice begraben, denn es wollte und konnte sie nicht überleben! Nicht wahr, mein Freund, welch ein bedeutungsvoller Zufall, welch eine schöne Allegorie!«

XII.

Ein ganzes Jahr ging in tiefer Trauer hin. Der Herzog legte sein Trauergewand mit den Löchern nicht ab und aß auch nicht an einem Tisch, sondern von einem Brett, das ihm die Hofdiener vorhalten mußten.

»Nach dem Tode der Herzogin,« berichtete der Gesandte von Venedig, Marino Sanuto, seiner Regierung, »ist Moro fromm geworden; er wohnt jedem Gottesdienste bei, fastet und lebt, wie man behauptet, keusch und in Gottesfurcht.«

Bei Tage gelang es dem Herzog zuweilen, sich durch Staatsgeschäfte etwas abzulenken, obwohl er auch hier Beatrice vermißte. Aber nachts verzehrte er sich in Gram. Er sah sie oft im Traume als sechzehnjähriges Mädchen, so wie sie bei ihrer Heirat war: eigensinnig und ausgelassen wie ein Schulmädel, hager und braun wie ein Knabe, so wild, daß sie sich manchmal in Garderobeschränke versteckte, um nicht bei feierlichen Empfängen anwesend sein zu müssen und so keusch, daß sie sich noch ganze drei Monate nach der Hochzeit wie eine Amazone mit Nägeln und Zähnen gegen seine Liebesattacken wehrte.

Fünf Tage vor der ersten Wiederkehr ihres Todestages sah er sie nachts im Traume, so wie er sie einst in ihrer Lieblingsbesitzung Cusnago an einem großen stillen Teiche beim Fischfang beobachtet hatte. Sie hatte Glück und die Fischeimer waren bis an den Rand voll. Da erfand sie ein Spiel: sie krempte die Ärmel auf, nahm die Fische aus den nassen Netzen heraus und warf sie mit den Händen ins Wasser zurück. Sie lachte und vergnügte sich an der Freude der befreiten Gefangenen, an dem schnellen Aufblitzen ihrer silbernen Schuppen im Wasser. Die schlüpfrigen Barsche, Brassen und Rotaugen bebten und wanden sich in ihren nassen Händen, die Wassertropfen funkelten wie Diamanten und die Augen und die dunklen Wangen seines lieben Mädchens leuchteten in der Sonne. Als er erwachte, fühlte er, daß sein Kissen ganz naß von Tränen war.

Früh morgens ging er zum Kloster Maria delle Grazie, betete am Grabe seiner Frau, speiste mit dem Prior und unterhielt sich mit ihm lange Zeit über die Frage, die zu jener Zeit die Theologen Italiens erregte – über die unbefleckte Empfängnis der heiligen Jungfrau. Als es dunkel wurde, begab er sich direkt aus dem Kloster zu Madonna Lucrezia.

Trotz des Schmerzes um den Verlust der Gattin und trotz der »Gottesfurcht«, hatte er nicht nur beide Maitressen behalten, sondern sich noch enger an sie angeschlossen. In der letzten Zeit wurden Madonna Lucrezia und Gräfin Cecilia Freundinnen. Cecilia, die im Ruf einer »neuen Sappho« und einer »gelehrten Heroine« stand, war im Grunde eine einfache gute, wenn auch etwas überspannte Frau. Der Tod Beatrices gab ihr Gelegenheit, eine jener Heldentaten der Liebe, von denen sie in ihren Ritterromanen gelesen hatte und für die sie seit langer Zeit schwärmte, in Szene zu setzen. Sie wollte ihre Liebe mit der ihrer jungen Nebenbuhlerin vereinigen, um so den Herzog zu trösten. Lucrezia sträubte sich anfangs dagegen und war auf den Herzog eifersüchtig, doch die »gelehrte Heroine« entwaffnete sie stets mit ihrer Großmut. Lucrezia mußte, ob sie wollte oder nicht, sich an die Gräfin in dieser sonderbaren Freundschaft anschließen.

Im Sommer 1497 gebar sie dem Herzog einen Sohn. Gräfin Cecilia wollte durchaus die Patin sein; sie nannte Lucrezias Sohn ihr »Enkelkind« und gab sich seiner Pflege mit übertriebener Zärtlichkeit hin, obwohl sie auch eigene Kinder von Moro hatte. So ging Moros sehnlicher Wunsch in Erfüllung: seine beiden Geliebten befreundeten sich. Er bestellte beim Hofpoeten ein Sonett, in welchem Cecilia und Lucrezia mit der Abend- und Morgenröte verglichen wurden, er selbst aber, der untröstliche Witwer zwischen den beiden leuchtenden Göttinnen, mit der finsteren Nacht, die in ewiger Ferne von der Sonne – Beatrice – leben muß.

Moro betrat das ihm vertraute behagliche Gemach des Palazzo Crivelli und traf da beide Frauen Seite an Seite vor dem Kamin sitzend. Sie trugen, wie alle Hofdamen, Trauer.

»Wie ist das Befinden Ew. Hoheit?« fragte ihn Cecilia – die »Abendröte«, die ganz verschieden von der »Morgenröte«, doch ebenso schön wie diese war. Sie hatte eine matt-weiße Haut, feuerrotes Haar und zarte grüne Augen, so durchsichtig, wie das stille Wasser eines Bergsees.

Der Herzog pflegte sich in der letzten Zeit über sein Befinden zu beklagen. An diesem Abend fühlte er sich wohl wie immer, doch nahm er aus Gewohnheit einen müden Ausdruck an, seufzte tief auf und sagte:

»Urteilt selbst, Madonna, wie es mit meinem Befinden stehen kann! Ich habe ja nur noch einen Wunsch: möglichst bald an der Seite meines Täubchens ruhen zu können ...«

»Nein, Durchlaucht, nein! Ihr sollt nicht so reden!« rief Cecilia, die Hände zusammenschlagend. »Es ist eine große Sünde. Wie könnt Ihr nur so sprechen? Wenn Euch Madonna Beatrice hören könnte! ... Jedes Leid kommt von Gott und wir müssen alles mit Dank hinnehmen ...«

»Gewiß,« bestätigte Moro. »Ich klage auch nicht. Daß Gott mich davor behüte! Ich weiß, daß sich der Herr mehr um uns sorgt, als wir es selbst tun. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.«

Er nahm die Hände seiner beiden Geliebten in die seinigen und hob die Augen zur Zimmerdecke.

»Der Herr belohne euch, meine Lieben, weil ihr den unglücklichen Witwer nicht verlassen habt!«

Er wischte sich mit einem Tuche die Augen und zog aus der Tasche seines Trauergewandes zwei Schriftstücke hervor. Das eine war eine Schenkungsurkunde, laut der er dem Pavianischen Kloster delle Grazie die großen Latifundien der Villa Sforzesca bei Vigevano verlieh.

»Hoheit,« sagte die Gräfin erstaunt, »war nicht dieses Land Euch besonders wert und lieb?«

»Das Land!« erwiderte Moro mit bitterem Lächeln. »Es ist nicht dieses Land allein, was mir keine Freude mehr macht. Wieviel Erde braucht denn überhaupt ein Mensch? ..«

Die Gräfin legte ihm ihre rosige Hand auf den Mund, damit er nicht wieder vom Tode rede.

»Und was steht im andern Papier?« fragte sie neugierig.

Sein Gesicht heiterte sich auf und das frühere lustige und schelmische Lächeln spielte auf seinen Lippen.

Er las ihnen das zweite Schriftstück vor. Es war gleichfalls eine Schenkungsurkunde mit einer langen Aufzählung der Ländereien, Wiesen, Wälder, Dörfer, Jagden, Fischweiher, Wirtschaftsgebäude und sonstiger Appertinentien, die er der Madonna Lucrezia Crivelli und seinem natürlichen Sohne Gian-Paolo verlieh. Auch die durch ihr Fischwasser berühmte Villa Cusnago, welche die verstorbene Beatrice so sehr liebte, war in diesem Verzeichnisse erwähnt.

Moros Stimme bebte vor Rührung, als er den Schlußpassus dieser Urkunde las:

»Diese Frau hat Uns in wunderbaren und seltenen Liebesbanden ihre vollständige Ergebenheit bewiesen und solche erhabene Gefühle gezeigt, daß Wir in ihrer angenehmen Gesellschaft gar oft unendliche Seligkeit und große Erleichterung von Unseren Sorgen erfahren haben.«

Cecilia klatschte freudig in die Hände und umarmte ihre Freundin mit Tränen mütterlicher Rührung in den Augen.

»Siehst du, Schwesterlein: ich hab dir ja gesagt, daß er ein goldenes Herz hat! Jetzt ist mein kleiner Enkel Paolo der reichste Erbe von Mailand!«

»Welches Datum haben wir heute?« fragte Moro.

»Den achtundzwanzigsten Dezember, Durchlaucht,« antwortete Cecilia.

»So, den achtundzwanzigsten!« wiederholte er nachdenklich.

Es war der Tag und die Stunde, zu der vor einem Jahre die verstorbene Herzogin in den Palazzo Crivelli gekommen war und den Herzog beinahe mit seiner Geliebten ertappt hätte.

Er sah sich um. Im Zimmer war es ebenso hell und behaglich wie vor einem Jahre; im Schornstein heulte wieder der Wind und im Kamin, auf dem nackte Liebesgötter aus Ton mit den Marterwerkzeugen Christi tanzten und spielten, brannte ein lustiges Feuer. Auf dem runden Tischchen mit der grünen Decke stand die gleiche geschliffene Karaffe mit Balnea Aponitana und lagen die gleichen Noten und die Mandoline. Die Türe zum Schlafgemach stand offen und ließ auch den Ankleideraum und jenen Garderobeschrank, in dem sich der Herzog vor seiner Frau versteckt hatte, sehen.

Was hätte er jetzt nicht alles darum gegeben, um wieder das entsetzliche Pochen des Türhammers und den Schrei »Madonna Beatrice!« der erschrockenen Zofe hören zu können, um einen Augenblick in jenem Garderobeschrank vor der drohenden Stimme seines geliebten Mädchens zittern zu dürfen! Doch das kehrt nie, nie wieder!

Moro ließ den Kopf sinken und über seine Wangen rollten Tränen.

Mein Gott! Da siehst du: er weint wieder!« flüsterte Gräfin Cecilia. »Geh, sei lieb zu ihm, tröste ihn, küsse ihn ordentlich! Schämst du dich denn nicht?«

Sie stieß ihre Nebenbuhlerin sachte in die Arme ihres eigenen Geliebten.

Die unnatürliche Freundschaft mit der Gräfin rief in Lucrezia schon seit längerer Zeit ein unangenehmes Gefühl hervor, wie Ekel vor einem zu starken und süßlichen Duft. Jetzt wollte sie aufstehen und fortgehen. Sie schlug die Augen nieder und errötete. Und doch mußte sie die Hand des Herzogs ergreifen. Er lächelte ihr unter Tränen zu und drückte ihre Hand an sein Herz.

Cecilia holte vom runden Tischchen die Mandoline, nahm die gleiche Stellung ein, in der sie Leonardo vor zwölf Jahren in dem berühmten Bildnis der »Neuen Sappho« verewigt hatte, und sang Petrarcas Lied vom himmlischen Gesicht der Laura:

Levommi il mio pensier in parte ov'era,
Quella ch'io cerco e non ritrovo in terra.

Mich hob mein Geist hinan auf fernem Gleise,
Zu suchen, was der Erd' ach! nun entschwunden.
Da sah ich sie, vom dritten Kreis' umwunden,
weit schöner und mit minder stolzer Weise.

Sie gab die Hand und sprach: »In diesem Kreise
Wirst du, irrt nicht mein Wunsch, mir einst verbunden;
Ich bin's, durch die du solchen Kampf gefunden,
Und die vorm Abend schloß des Tages Reise.

Der Herzog griff wieder nach seinem Tuch und verdrehte schmachtend die Augen. Er wiederholte einige Mal die letzten Worte und streckte seine Hände schluchzend, gleichsam nach einem vorbeischwebenden Gesicht, aus:

»Und die vorm Abend schloß des Tages Reise!«

»Mein Täubchen! Ja, ja, vorm Abend!' ... Wißt Ihr, Madonnen, ich glaube wirklich, daß sie jetzt vom Himmel herabschaut und uns alle drei segnet. O Bice, Bice! ...«

Er ließ seinen Kopf schluchzend auf Lucrezias Schulter sinken und umfaßte zugleich ihre Taille, um sie sich auf den Schoß zu ziehen. Sie widerstrebte, denn sie schämte sich. Er küßte sie verstohlen auf den Nacken. Cecilia hatte es mit ihrem scharfen mütterlichen Blick bemerkt. Sie erhob sich, machte Lucrezia ein Zeichen, wie eine Schwester, die ihren schwerkranken Bruder der Obhut einer Freundin anvertraut, entfernte sich auf den Zehen – doch nicht in das Schlafgemach, sondern in das ihm gegenüberliegende Zimmer – und schloß die Türe hinter sich ab. Die »Abendröte« war auf die »Morgenröte« nicht eifersüchtig, denn sie wußte aus langer Erfahrung, daß die Reihe später auch an sie kommen und daß der Herzog nach den schwarzen Haaren noch viel mehr Gefallen an den feuerroten finden würde.

Moro sah sich um, umarmte Lucrezia mit einem starken, beinahe rohen Griffe und setzte sie sich auf den Schoß. Die Tränen um die verstorbene Frau glänzten noch in seinen Augen, aber um seine feingeschwungenen Lippen spielte bereits ein schelmisches, aufrichtiges Lächeln.

»Wie eine Nonne – ganz in Schwarz!« scherzte er, ihren Hals küssend. »Ein ganz einfaches Kleidchen und wie gut es dir steht! Der Hals sieht wohl nur neben dem Schwarz so weiß aus? ...« Er knöpfte die Achatknöpfe auf ihrer Brust auf und plötzlich sah er ihren nackten Leib, der zwischen den Falten des Trauergewandes noch blendender erschien. Lucrezia bedeckte ihr Gesicht mit den Händen.

Und über dem lustig flackernden Kamin tanzten die von Caradosso geschaffenen nackten Liebesgötter mit den Marterwerkzeugen des Heilands – Nägeln, Hammer, Zange und Speer spielend, ihren ewigen Reigen weiter und im flackernden rosigen Widerschein der Flamme schien es, als ob sie unter der Weinranke des Bacchus miteinander schelmische Blicke wechseln, über den Herzog Moro und Madonna Lucrezia kichern und als ob ihre Pausbacken vor Lachen platzen wollten.

Aus der Ferne klang die schmachtende Mandoline und der Gesang der Gräfin Cecilia:

Ivi far lor, che il terzo cerchio serra,
La revidi, più bella e meno altera.

Da sah ich sie, vom dritten Kreis umwunden,
weit schöner und mit minder stolzer Weise.

Und die kleinen alten Götter lauschten dem Gedicht Petrarcas, dem Liede der neuen himmlischen Liebe und lachten wie wahnsinnig.


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