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Drittes Buch

Die giftigen Früchte

I.

Herzogin Beatrice pflegte sich jeden Freitag den Kopf zu waschen und das Haar golden zu färben. Nachdem es gefärbt war, trocknete sie es in der Sonne.

Diesem Zwecke dienten besondere mit Geländern versehene Balkone auf den Dächern.

Die Herzogin saß auf einem solchen Balkon auf dem Dache des großen Landschlosses Sforzescha. Sie ertrug heldenmütig die sengenden Sonnenstrahlen, vor denen sich die Arbeiter mit ihren Ochsen in den Schatten flüchteten.

Sie war in ein weites ärmelloses Gewand aus weißer Seide gekleidet und trug einen breitkrempigen Strohhut, der ihr Gesicht vor der Sonne schützen sollte. Der Hut war oben offen; ihr goldenes Haar quoll aus der runden Öffnung hervor und lag auf der breiten Krempe. Eine tscherkessische Sklavin mit gelbem Gesicht benetzte das Haar mit einem Schwamm, der auf eine Spindel gesteckt war; eine Tatarin mit schmalen schiefstehenden Augen kämmte es mit einem elfenbeinenen Kamme.

Die Flüssigkeit zum Goldfärben bestand aus dem Maisafte von Nußbaumwurzeln, Safran, Ochsengalle, Schwalbenkot, grauer Ambra, gebrannten Bärenklauen und Eidechsenfett.

An der Seite der Herzogin kochte unter ihrer Aufsicht auf einem Dreifuß über einer im Sonnenlicht fast unsichtbaren Flamme, in einer langnasigen Retorte, wie solche von Alchimisten gebraucht werden, ein rosafarbenes Muskatwasser mit kostbarer Viverre, Gummitragant und Liebstöckel.

Von beiden Sklavinnen troff der Schweiß, selbst das kleine Schoßhündchen der Herzogin fühlte sich auf dem heißen Balkon unbehaglich. Es sah seine Herrin vorwurfsvoll an, atmete schwer, ließ seine Zunge hängen und knurrte nicht einmal dann, wenn es vom Äffchen belästigt wurde. Der Affe aber freute sich über die Hitze, ebenso wie der kleine Mohr, der einen in Perlmutter und Perlen gefaßten Spiegel zu halten hatte.

Obwohl sich Beatrice die größte Mühe gab, ihrem Gesicht jene Würde und ihren Bewegungen jene Gemessenheit zu geben, die ihrem Range ziemten, konnte man doch schwer glauben, daß sie neunzehnjährig, schon seit drei Jahren verheiratet und bereits Mutter zweier Kinder war. Mit ihren kindlich runden braunen Wangen, mit der unschuldigen Falte im schlanken Hals unter dem zu vollen und runden Kinn, mit ihren streng zusammengepreßten, launenhaften dicken Lippen, mit ihren schmalen Schultern, der flachen Brust, den eckigen, stürmischen, oft knabenhaften Bewegungen, – sah sie wie ein verhätscheltes, eigensinniges, wildes und rücksichtsloses Schulmädchen aus. Und doch leuchtete in ihren charaktervollen, eisklaren braunen Augen Berechnung und Klugheit. Der klügste aller Staatsmänner jener Zeit – der Gesandte von Venedig – Marino Sanuto berichtete der Signorie, mit diesem Mädchen könne man in der Politik unmöglich fertig werden, sie sei viel schlauer als ihr Gemahl Herzog Lodovico, der aber gescheit genug sei, ihr in allen Dingen zu folgen.

Das Schoßhündchen bellte plötzlich böse und heiser.

Eine Alte in einem dunklen Witwenkleid kam ächzend und stöhnend die steile Treppe herauf, welche von den Garderoberäumen zum Balkon führte. In der einen Hand hatte sie einen Rosenkranz, in der andern eine Krücke.

Ihr Aussehen wäre mit ihren Runzeln ohne das süßliche Lächeln und ohne die mausartig herumlaufenden Augen wohl ehrfurchtgebietend gewesen.

»Ja, ja, Altsein ist kein Vergnügen! Ich bin mit schwerer Mühe heraufgekommen. Der Herr verleihe Ew. Durchlaucht Gesundheit!« Sie drückte mit sklavischer Gebärde den Saum des Frisiermantels der Herzogin an ihre Lippen. »Du bist es, Monna Sidonia?! Nun, ist's fertig?«

Die Alte holte aus ihrem Sack ein sorgfältig eingehülltes und verkorktes Fläschchen mit einer trüben milchweißen Flüssigkeit hervor; diese bestand aus einem Gemenge von Eselsmilch und der Milch einer roten Ziege, auf Sternanis, Spargelwurzeln und den Zwiebeln weißer Lilien angesetzt.

»Eigentlich sollte es noch an die zwei Tage in warmem Pferdemist stehen. Aber ich glaube, es ist auch so fertig, wollet es nur, bevor Ihr Euch damit wascht, durch ein Filzsieb durchseihen. Befeuchtet damit ein Stück weiches Weißbrot und reibt damit Euer Gesicht so lange ab, als man braucht, um drei Credos zu lesen. In fünf Wochen ist jede Bräune von Eurem Gesicht verschwunden. Es hilft übrigens auch gegen Gesichtspickel.«

»Hör mal, Alte,« sagte Beatrice, »ist nicht in dieser Essenz wieder solch ekelhaftes Zeug enthalten, wie es die Hexen für ihre schwarze Magie gebrauchen? Z. B. Schlangentalg, Wiedehopfblut, Pulver aus gerösteten und zerriebenen Fröschen, wie es im Enthaarungsmittel war, das du mir neulich brachtest? Gesteh es lieber offen!«

»Nein, nein, Durchlaucht! Glaubt nicht an das Geschwätz der Leute. Ich arbeite ehrlich und ohne Schwindel. Wie es die Kundschaft haben will. Allerdings ist manches ekelhafte Zeug unumgänglich: so wusch sich z. B. die ehrwürdige Monna Angelica ihren Kopf einen ganzen Sommer lang mit Hunde-Urin, damit ihr die Haare nicht ausfielen. Und sie lobt noch heute Gott für dieses Mittel.«

Dann erzählte sie der Herzogin ins Ohr den letzten Stadtklatsch von der jungen Frau des Hauptkonsuls des Salzamtes, der reizenden Monna Philiberta, die ihren Mann mit einem zugereisten spanischen Ritter betrüge.

»Du alte Kupplerin!« sagte die Herzogin und drohte ihr halb im Scherz mit dem Finger. Die Klatschgeschichte schien ihr große Freude zu machen. – »Du selbst hast ja die Unglückliche verführt.«

»Aber Ew. Durchlaucht! Warum soll sie unglücklich sein? Sie singt jetzt wie ein Vögelchen vor Freude und ist mir alle Tage dankbar! Erst jetzt, sagt sie, habe ich erfahren, wie verschieden die Küsse eines Geliebten von den Küssen des Gatten sind.«

»Denkst du nicht an die Sünde? Hat sie denn keine Gewissensbisse?«

»Gewissensbisse? Ich will Ew. Durchlaucht etwas sagen: obwohl die Mönche und die Pfaffen das Gegenteil behaupten, glaube ich doch, daß die Sünde des Fleisches – die natürlichste ist. Mit einigen Tropfen Weihwasser kann sie reingewaschen werden. Es ist noch zu bemerken, daß, wenn Monna Philiberta ihren Gatten betrügt, so verfährt sie dabei nach dem Grundsatz: »Wie du mir, so ich dir«; so vermindert sie ganz bedeutend die Last seiner Sünden vor Gott; vielleicht werden sie durch ihre Untreue auch ganz getilgt.«

»Treibt es denn der auch so?«

»Bestimmt will ich es ja nicht behaupten. Aber die Männer sind alle gleich. Ich glaube, es gibt keinen Mann, der es nicht vorzöge, mit nur einem Arm auszukommen, als nur eine Frau zu haben.«

Die Herzogin lachte.

»Monna Sidonia, dir kann man wirklich nicht zürnen! Wo nimmst du nur solche Weisheiten her?«

»Glaubt mir, alles, was ich sage, ist heilige Wahrheit! Ich kann ja auch in Gewissensdingen einen Strohhalm von einem Balken unterscheiden! Alles hat seine Zeit. Unsereine, die in der Jugend ihren Hunger nach Liebe zu stillen versäumt hat, spürt im Alter oft solche Reue, daß sie leicht in die Klauen des Teufels gerät.«

»Du predigst da wie ein Magister der Theologie!«

»Ich bin nur ein ungebildetes Weib, Ew. Durchlaucht, aber was ich sage, kommt vom Herzen! Blühende Jugend wird uns nur einmal im Leben verliehen, denn welcher Teufel – Gott verzeihe mir! – mag uns noch, wenn wir alt sind? Wir taugen dann höchstens noch dazu, um die Glut in der Kaminasche zu hüten. Man jagt uns dann in die Küche, damit wir mit den Katzen schnurren und Töpfe und Pfannen zählen. Es heißt: die jungen Weiber sollen sich zieren, die alten – sollen krepieren. Schönheit ohne Liebe ist wie eine Messe ohne Vater Unser und die Küsse des Gatten sind langweilig wie die Spiele der Nonnen.«

Die Herzogin lachte wieder.

»Wie? Wie? Sag's noch einmal!«

Die Alte sah sie wieder durchdringend an und merkte wohl, daß sie nun genug gescherzt habe und daß die Zeit für wichtigere Mitteilungen gekommen sei. Sie flüsterte ihr wieder etwas ins Ohr.

Beatrice lachte nicht mehr.

Sie winkte, und die beiden Sklavinnen entfernten sich. Nur der kleine Mohr, der nicht italienisch verstand, durfte auf dem Balkon bleiben.

Über ihnen wölbte sich der blaue Himmel, blaß und tot vor Hitze.

»Vielleicht ist es doch Unsinn?« sagte endlich die Herzogin. – »Was wird nicht alles zusammengelogen ...«

»Nein, Signora. Ich sah und hörte es selbst. Ihr könnt auch andere Leute fragen.«

»War viel Volk dabei?«

»An die Zehntausend. Der Platz vor dem Pavia-Schlosse war überfüllt.«

»Was hast du gehört?«

»Als Madonna Isabella mit dem kleinen Francesco im Arm den Balkon betrat, schwenkten alle die Arme und Mützen. Viele schluchzten. Man rief: »Es lebe Isabella von Aragonien, es lebe Gian-Galeazzo, der rechtmäßige Beherrscher Mailands, und sein Thronfolger Francesco! Tod den Räubern der Krone!..«

Beatrice runzelte die Stirne.

»Riefen sie wörtlich so, wie du es sagst?«

»Ja, und noch viel ärger ...«

»Was sagten sie noch? Rede offen, fürchte dich nicht!«

»Sie schrien – Signora, ich kann es nicht wiedererzählen – sie schrien: »Tod den Dieben!«

Beatrice gab es einen Ruck. Sie beherrschte sich aber und fragte leise:

»Was hast du noch gehört?«

»Ich weiß wirklich nicht, wie ich es Ew. Durchlaucht sagen soll.«

»Nun, mach schnell! Ich will alles wissen.«

»Glaubt es mir, Signora, man erzählte in der Menge, der durchlauchtigste Herzog Lodovico Moro, der Vormund und Wohltäter Gian-Galeazzos, habe seinen Neffen in die Pavia-Feste gesperrt und ihn mit bezahlten Mördern und Spionen umgeben. Dann schrien sie und verlangten den Herzog selbst zu sehen. Aber Monna Isabella sagte ihnen, er sei krank und läge zu Bett ...«

Monna Sidonia flüsterte der Herzogin wieder etwas ins Ohr.

Beatrice hörte zuerst aufmerksam zu, dann wandte sie sich erzürnt ab und schrie die Alte an:

»Du bist ja von Sinnen, alte Hexe! Was unterstehst du dich! Ich werde dich gleich von diesem Balkon hinunterwerfen lassen, so daß es die Raben schwer haben werden, deine Knochen zusammenzulesen!« Die Drohung machte auf Monna Sidonia wenig Eindruck. Auch Beatrice beruhigte sich sehr schnell.

»Ich kann es nicht glauben!« versetzte sie, die Alte mißtrauisch anblickend.

Die Alte zuckte mit den Schultern.

»Wie es Euch beliebt, allein es ist unmöglich, daran zu zweifeln.« Dann fuhr sie mit einschmeichelnder Stimme fort: »So wird es gemacht: man knetet eine kleine Puppe aus Wachs, fügt ihr rechts die Leber und links das Herz einer Schwalbe ein und durchbohrt sie drauf mit einer Nadel, wobei man eine bestimmte Formel spricht. Dann stirbt jener, dem die Puppe glich, eines langsamen Todes und kein Arzt in der Welt kann ihm helfen ...«

»Schweig!« unterbrach sie die Herzogin: »Und untersteh dich nicht, mir noch einmal von solchen Dingen zu erzählen.«

Die Alte küßte wieder ehrerbietig den Saum des Frisiermantels.

»Ew. Herrlichkeit! Ihr seid die Sonne meiner alten Tage! Ich liebe Euch zu sehr und das ist mein Verbrechen. Glaubt es mir: so oft man das Magnificat in der Vesper des heiligen Franciscus singt, bete ich mit Tränen zu Gott, für Eure Gesundheit. Die Leute sagen, ich sei eine Hexe; wenn ich aber je meine Seele dem Teufel verschriebe, so täte ich es nur, Gott sei mein Zeuge! – wenn ich Ew. Durchlaucht damit irgendwie nützen könnte!«

Sie fügte nachdenklich hinzu:

»Man kann es auch ohne Hexerei machen.«

Die Herzogin hörte ihr schweigend und interessiert zu.

»Als ich soeben durch den Schloßgarten ging,« fuhr Monna Sidonia scheinbar ruhig fort, »sah ich den Gärtner herrliche Pfirsiche in einen Korb einsammeln: es wird wohl ein Geschenk für Messer Gian-Galeazzo sein?«

Nach einer Pause fuhr sie fort:

»Auch der Florentiner Meister Leonardo da Vinci soll in seinem Garten Pfirsiche von wunderbarer Schönheit haben, und die sollen giftig sein ...«

»Wieso giftig?«

»Ja, giftig. Meine Nichte Monna Kassandra hat sie selbst gesehen.« Die Alte flüsterte ihr wieder etwas ins Ohr.

Die Herzogin schwieg. In ihren Augen konnte man nichts lesen.

Ihr Haar war schon trocken. Sie erhob sich, ließ den Frisiermantel fallen und stieg die Treppe zu den Garderoberäumen hinunter.

Hier standen drei große Schränke. In dem ersten, der wie ein mit Meßgewändern angefüllter Sakristeischrank aussah, hingen die vierundachtzig Kleider, die sie sich im Laufe ihrer dreijährigen Ehe angeschafft hatte. Manche starrten dermaßen von Gold und Edelsteinen, daß sie ganz steif waren und frei, ohne Stütze auf dem Boden stehen konnten; andere waren leicht und durchsichtig wie Spinngewebe. Im zweiten wurden die Utensilien zur Falkenjagd und das kostbare Zaumzeug verwahrt. Der dritte enthielt wohlriechende Essenzen, Salben, Mundwässer, Zahnpulver aus weißen Korallen und Perlen, zahllose Büchsen, Phiolen, Destillierhelme und Retorten; da war ein ganzes Laboratorium für weibliche Alchimie. Daneben standen auch kostbar bemalte Truhen und eisenbeschlagene Koffer.

Als die Zofe einen der Koffer öffnete, um ein frisches Hemd herauszunehmen, entströmte ihm der Duft von feiner Wäsche, unter der Lavendelbündel und seidene Säckchen mit zu Pulver zermahlenen im Schatten getrockneten levantinischen Schwertlilien und damascener Rosen lagen.

Während Beatrice sich ankleidete, sprach sie mit ihrer Näherin über das neue Schnittmuster, das sie soeben durch einen Eilboten von ihrer Schwester Isabella d'Este, Markgräfin von Mantua, die gleich ihr eine große Modedame war, erhalten hatte. Beatrice beneidete ihre Schwester um ihren Geschmack und bemühte sich, ihr nachzuahmen. Ein besonderer Gesandter hatte der Herzogin von Mailand Geheimberichte über alle Neuheiten der Mantuanischen Garderobe zu erstatten.

Beatrice zog ein Kleid an, das sie bevorzugte, weil es sie größer erscheinen ließ, als sie war. Der Stoff wies senkrechte Streifen von grünem Sammet und goldenem Brokat auf. Die mit grauseidenen Bändern umwundenen enganliegenden Ärmel hatten nach der neuesten französischen Mode Ausschnitte, sogenannte »Fenster«, durch die das schneeweiße Linnen des in kleinen unzähligen Falten gebügelten Hemdes hervorschimmerte. Das zu einem Zopf geflochtene Haar war von einem weitmaschigen, leichten Goldnetz bedeckt. Ein schmaler Reifen mit einem kleinen Skorpion aus Rubinen schmückte ihre Stirne.

II.

Sie verwendete, nach einem Ausspruche des Herzogs, so viel Zeit für ihre Toilette, als man zur Ausrüstung eines Handelsschiffes nach Indien brauchte.

Plötzlich hörte sie fernen Hörnerschall und Hundegebell; da fiel ihr ein, daß sie für heute die Jagd bestellt hatte und sie beeilte sich. Als sie ganz fertig war, machte sie ihren Zwergen noch einen Besuch. Die Räume, in denen die Zwerge wohnten, hießen scherzweise »Wohnungen der Giganten«; sie waren eine Kopie der Puppenzimmer im Schlosse der Isabella d'Este.

Hier war alles für Pygmäen berechnet: winzige Stühle, Betten, Geschirr, Treppen mit breiten niederen Stufen; es gab hier sogar eine Kapelle mit einem Puppenaltar, vor dem der gelehrte Zwerg Janacchi im Ornat und Krone eines Erzbischofs die Messe las.

In den »Wohnungen der Giganten« hörte man stets Lärm, Lachen, Weinen, Schreien, ein wildes Konzert vieler, oft schrecklicher Stimmen, wie in einer Menagerie oder einem Irrenhause; denn hier wimmelte es von Affen, Buckligen, Papageien, Mohrinnen, Narren, Kalmükinnen, Kaninchen, Zwergen und anderen amüsanten Geschöpfen.

Sie kamen zur Welt, lebten und starben in diesen engen schmutzigen dumpfen Zimmern, in denen die Herzogin oft ganze Tage verweilte und sich wie ein Kind ergötzte.

Sie wollte sich noch rasch vor dem Aufbruch zur Jagd nach dem Befinden des kleinen Mohren Nannino erkundigen, den sie erst vor kurzem aus Venedig erhalten hatte. Die Haut des Kleinen war so schwarz, daß man, wie sich sein früherer Besitzer ausdrückte, »nichts besseres verlangen dürfe«. Die Herzogin spielte mit ihm wie mit einer lebenden Puppe. Der Mohr aber wurde krank, und da stellte sich heraus, daß seine schwarze Färbung nicht ganz natürlich war, denn der schwarze Lack, mit dem er angestrichen war, begann allmählich abzuspringen, was der Herzogin nicht wenig Kummer machte.

In der letzten Nacht verschlimmerte sich sein Zustand und man fürchtete für sein Leben. Dies betrübte die Herzogin, denn sie liebte ihn auch in seinem verblaßten Schwarz. Sie befahl, ihn sofort zu taufen, damit er nicht als Heide sterbe.

Auf der Treppe begegnete sie ihrer Lieblingsnärrin Morgantina; diese war noch jugendlich, hübsch und so drollig, daß sie, wie Beatrice oft sagte, auch einen Toten zum Lachen bringen könnte.

Morgantina stahl gern; das Gestohlene versteckte sie in eine Zimmerecke, oder in ein Mauseloch unter einem losen Dielenbrett, und dann ging sie glückstrahlend umher, wenn man sie aber freundlich fragte: »Sei so gut und sag, wo du es versteckt hast« – lächelte sie schelmisch, nahm den Frager an der Hand und führte ihn zur Stelle, wo sie das Gestohlene versteckt hatte. Wenn man ihr sagte: »Wate jetzt durch den Bach!«, so hob sie ganz schamlos ihre Röcke so hoch sie konnte.

Zuweilen hatte sie ganz närrische Anwandlungen: sie beweinte oft tagelang ein Kind, das sie nie gehabt hatte, und wenn sie gar zu arg jammerte, sperrte man sie in eine Kammer.

Morgantina saß auch jetzt in einer Ecke an der Treppe und heulte. Sie hatte ihre Knie mit den Armen umschlungen und wiegte sich gleichmäßig hin und her.

Beatrice ging auf sie zu und streichelte ihren Kopf.

»Hör auf! Sei nicht so dumm!«

Die Närrin richtete ihre blauen Kinderaugen auf sie und jammerte noch schrecklicher:

»Ach, ach! Mein Liebstes hat man mir weggenommen! Mein Gott, warum taten sie es? Das Kind hat doch nichts verbrochen. Es war mein stiller Trost.«

Die Herzogin ging in den Hof, wo sie von den Jägern erwartet wurde.

III.

Sie saß in schöner kühner Haltung, mehr einem erfahrenen Reiter, als einer Dame gleichend, auf einem braunen schlanken Berberhengst aus dem Gonzaga-Gestüte, umgeben von Reitern, Falkenieren, Piqueuren, Leibjägern, Pagen und Damen. »Eine echte Amazonenkönigin!« sagte stolz Herzog Moro vor sich hin, der in die gedeckte Schloßeinfahrt gekommen war, um sich den Aufbruch seiner Gattin zur Jagd anzusehen.

Hinter dem Sattel der Herzogin hockte der Jagdleopard in einer goldgestickten und wappengeschmückten Schabracke. Auf ihrer Linken saß der schneeweiße cyprische Falke, ein Geschenk des Sultans; in seiner goldenen Blendkappe funkelten Smaragden. An seinen Krallen waren verschieden abgestimmte Schellen befestigt, die das Auffinden des Vogels, wenn er sich im Nebel oder im Sumpfschilf verlor, erleichterten.

Die Herzogin war gut aufgelegt, sie wollte lachen, galoppieren, herumtollen. Sie blickte lächelnd auf ihren Gatten zurück, der ihr nur noch nachrufen konnte: »Nimm dich in Acht! Der Hengst ist wild!«, dann winkte sie ihren Damen und raste mit ihnen um die Wette davon, zuerst auf der Straße, dann auf dem Felde über Kanäle, Hügel, Gräben und Zäune.

Die Piqueure blieben zurück. Allen voran raste Beatrice, von ihrem riesengroßen Bullenbeißer gefolgt; an ihrer Seite, auf einer schwarzen spanischen Stute die lustigste und mutigste ihrer Hofdamen Madonna Lucrezia Crivelli.

Der Herzog hatte eine geheime Neigung zu Lucrezia. Als er jetzt beide – Beatrice und Lucrezia – nebeneinander sah, wußte er selbst nicht, welche ihm besser gefiel. Besorgt war er aber nur um die Gattin. Als die Pferde über Gräben sprangen, schloß er die Augen, um es nicht zu sehen, und sein Atem stockte.

Er schalt die Herzogin für solcherlei Streiche, doch konnte er ihr nicht zürnen: er schämte sich seines Mangels an körperlichen Vorzügen und war daher doppelt stolz, eine so kühne Frau zu haben.

Die Jäger verschwanden im Weidengestrüpp und Schilf des flachen Ticinoufers, wo es wilde Gänse und Reiher gab.

Der Herzog kehrte in sein kleines Arbeitszimmer – Studiolo – zurück. Hier erwartete ihn sein Hauptsekretär, der Würdenträger und Vorstand der auswärtigen Gesandtschaften Messer Bartolomeo Calco, um die unterbrochenen Arbeiten wieder aufzunehmen.

IV.

Der Herzog saß in einem hohen Lehnsessel und streichelte mit seiner weißen gepflegten Hand seine glattrasierten Wangen und sein rundes Kinn.

Sein wohlgestaltetes Gesicht hatte jenen Ausdruck biederer Offenheit, der nur den schlauesten und listigsten Diplomaten eigen ist. Seine große Adlernase und seine vorstehenden, gleichsam zugespitzten feingeschwungenen Lippen hatte er von seinem Vater, dem großen Condottiere Francesco Sforza. Während Francesco, nach den Worten der Dichter, zugleich Löwe und Fuchs war, hatte sein Sohn von ihm nur die Schlauheit des Fuchses geerbt und sogar vermehrt, ohne aber auch den Mut des Löwen mitzuerben.

Moro trug ein einfaches aber elegantes Gewand aus hellblauer gemusterter Seide; sein Haar war nach der Mode frisiert: es lag ganz glatt, Haar an Haar, und verdeckte, einer Perrücke gleich, die Ohren und die Stirne fast bis zu den Augenbrauen. Um den Hals trug er eine flache Goldkette. Er war im Verkehr mit allen von stets gleichmäßiger Liebenswürdigkeit.

»Messer Bartolomeo, habt Ihr irgendwelche zuverlässige Nachrichten über den Auszug der französischen Kriegsmacht aus Lyon?«

»Nein, Durchlaucht. Jeden Abend heißt es – morgen, und am Morgen schieben sie es wieder auf. Es sind keine kriegerischen Dinge, die den König so beschäftigen.«

»Wie heißt seine erste Maitresse?«

»Da könnte man viele Namen nennen. Der Geschmack seiner Majestät ist verwöhnt und unbeständig.«

»Schreibt dem Grafen Belgiojoso, daß ich ihm dreißig ... nein, es sind zu wenig – vierzig ... nein, – fünfzigtausend Dukaten zu neuen Geschenken schicke. Er soll nur nicht sparen, wir wollen den König aus Lyon an Goldketten herausziehen! Weißt du, Bartolomeo, – es bleibt natürlich unter uns, – man sollte seiner Majestät Bildnisse einiger hiesiger Schönheiten schicken. – Ist der Brief übrigens fertig?«

»Jawohl, Signore.«

»Zeig ihn her.«

Moro rieb sich selbstzufrieden seine weißen, weichen Hände. So oft er das weitverzweigte Spinngewebe seiner Politik überblickte, spürte er die ihm wohlbekannte freudige Beklemmung im Herzen, wie vor einem komplizierten und gefährlichen Spiel. Daß er nun Fremde, nordische Barbaren gegen Italien berief, bedrückte sein Gewissen nicht. Er wurde ja zu diesem äußersten Schritte von seinen Feinden gezwungen, unter denen Isabella von Aragonien, die Gemahlin Gian-Galeazzos, der gefährlichste war; denn sie beschuldigte den Herzog Lodovico ganz öffentlich, seinem Neffen den Thron entrissen zu haben. Erst als Isabellas Vater, König Alfonso von Neapel, dem Herzog mit Krieg und Absetzung drohte, um seine Tochter und seinen Schwiegersohn zu rächen, – hatte der von allen verlassene Moro die Hilfe König Karls VIII. von Frankreich angerufen.

»Unerforschlich sind deine Wege, Herr!« dachte der Herzog, während der Sekretär den Briefentwurf aus einem Haufen Papiere hervorsuchte. »Das Schicksal meines Reiches, Italiens und vielleicht des ganzen Europas liegt in den Händen dieses elenden Bengels, dieses wollüstigen und schwachsinnigen Knaben, des allerchristlichsten Königs von Frankreich, vor dem wir, die Nachfolger der großen Sforzas, auf dem Bauche kriechen, für die wir beinahe Kupplerdienste verrichten müssen! So will es aber die Politik: mit den Wölfen heult man!«

Er durchflog den Brief. Dieser schien ihm sehr wirkungsvoll, besonders wenn man auch die fünfzigtausend Dukaten, die dem Grafen Belgiojoso zur Bestechung der Umgebung seiner Majestät geschickt wurden, und die verführerischen Bildnisse italienischer Schönheiten in Betracht zog.

»Der Herr möge dein kreuztragendes Heer segnen, du AIlerchristlichster,« hieß es in diesem Brief: »die Tore Ausoniens stehen dir offen. Zögere nicht und durchschreite sie als Triumphator, als neuer Hannibal! Die Völker Italiens lechzen nach deinem Joch, du Gottgesalbter –! Sie harren deiner, wie einst nach der Auferstehung Christi die Patriarchen der Höllenfahrt des Herrn harrten. Mit Hilfe Gottes und deiner berühmten Artillerie, wirst du nicht nur Neapel und Sizilien, sondern auch das Reich des Großtürken erobern, du wirst in das Innere des heiligen Landes vordringen, Jerusalem und das heilige Grab den Söhnen Hagars entreißen und die Welt mit dem Klange deines Namens erfüllen.«

In der Türe des Studiolo erschien ein buckliger kahlköpfiger Alter mit einer langen roten Nase. Der Herzog lächelte ihm freundlich zu und bedeutete ihm mit einem Zeichen, er möchte noch etwas warten.

Die Türe wurde bescheiden geschlossen und der Kopf verschwand.

Der Sekretär versuchte noch eine andere Staatsangelegenheit zur Sprache zu bringen, Moro hörte ihm aber jetzt nur sehr zerstreut zu und schielte immer zur Türe.

Messer Bartolomeo merkte, daß der Herzog etwas anderes im Kopfe habe; er beendete seinen Vortrag und entfernte sich.

Der Herzog näherte sich nun leise auf den Zehenspitzen der Türe.

»Bernardo, he, Bernardo! Bist du es?«

»Zu Befehl, Ew. Durchlaucht.«

Der Hofdichter Bernardo Bellincioni trat eilig mit geheimnisvoller und unterwürfiger Miene ein und machte Anstalten, niederzuknien, um seinem Herrn die Hand zu küssen. Dieser hielt ihn davon ab.

»Nun, wie geht's?«

»Es ist glücklich abgelaufen.«

»Hat sie entbunden?«

»Heute nacht geruhte sie niederzukommen.«

»Ist sie gesund? Soll ich einen Arzt schicken?«

»Sie befindet sich in vollkommenster Gesundheit.«

»Gott sei Dank.«

Der Herzog bekreuzigte sich.

»Hast du das Kind gesehen?«

»Gewiß! Es ist wunderhübsch!«

»Knabe oder Mädchen?«

»Ein Knabe. Ein Krakehler und Schreier! Sein Haar ist blond wie das der Mutter, seine Augen aber sind schwarz, lebhaft, leuchtend und klug wie bei Ew. Gnaden! Man sieht ihm das königliche Blut gleich an! Ein kleiner Herkules in der Wiege. Madonna Cecilia ist außer sich vor Freude. Sie läßt fragen, welchen Namen Ihr zu wählen geruht.«

»Ich habe schon darüber nachgedacht,« sagte der Herzog. – »Weißt du was, Bernardo, wir wollen ihn Caesar nennen, was sagst du dazu?«

»Caesar? Es ist wirklich ein schöner Name, ein wohlklingender, alter Name! Ja, gewiß – Cesare Sforza ist ein Name, der eines Helden würdig ist!«

»Was sagte der Gatte?«

»Der erlauchteste Graf Bergamini ist gütig und freundlich wie immer.«

»Ein vortrefflicher Mann!« sagte der Herzog mit Überzeugung.

»Ein ganz vortrefflicher!« wiederholte Bernardo. – »Ich möchte sagen, er ist ein Mann von hervorragenden Tugenden! Solche Menschen sind heute selten! Wenn ihn nur seine Gicht nicht hindert, kommt er heute zum Nachtmahl, um Ew. Durchlaucht persönlich seine Hochachtung auszusprechen.«

Die Gräfin Cecilia Bergamini, von der hier die Rede ist, war seit Jahren die Geliebte Moros. Beatrice erfuhr gleich nach ihrer Heirat von diesem Verhältnisse des Herzogs; sie wurde eifersüchtig und drohte zu ihrem Vater, dem Herzog Ercole d'Este von Ferrara, zurückzukehren; Moro mußte nun in Gegenwart der Gesandten einen feierlichen Eid ablegen und sich verpflichten, seine eheliche Treue nie wieder zu brechen; zur Bestätigung des Gelöbnisses verheiratete er Cecilia an einen alten verarmten Grafen Bergamini, der willig und zu allen Diensten bereit war.

Bellincioni zog aus der Tasche einen Zettel und überreichte ihn dem Herzog.

Es war ein Sonett zu Ehren des Neugeborenen, in Form eines Dialoges: der Dichter fragte den Sonnengott, warum er sein Haupt mit Wolken verhülle; die Sonne antwortet mit Courtoisie, sie verberge ihr Antlitz aus Scham und Neid vor der neuen Sonne – dem Sprößling des Moro und der Cecilia.

Der Herzog nahm das Sonett huldvoll auf. Er zog aus dem Beutel einen Dukaten und gab ihn dem Dichter.

»Weißt du, Bernardo, noch, daß Samstag der Geburtstag der Herzogin ist?«

Bellincioni suchte eilig in der Tasche seines halb höfischen, halb bettlerhaften Kleides, und zog einen ganzen Haufen schmieriger Zettel hervor. Unter den hochtrabenden Oden auf den Tod des Jagdfalken der Madonna Angelica, auf die Erkrankung des Apfelschimmels – einer Stute – des Signore Pallavicini – fand er auch die bestellten Gedichte.

»Es sind drei zur Auswahl, Ew. Durchlaucht! Beim Pegasus, Ihr werdet zufrieden sein!«

Zu jener Zeit gebrauchten die Fürsten ihre Hofdichter, wie man Musikinstrumente gebraucht, um durch sie ihren Maitressen, wie auch den Gattinnen Serenaden zu singen; der. gesellschaftliche Takt schrieb für solche Gedichte vor, daß die Liebe der Ehegatten als ebenso überirdisch dargestellt wurde, wie die zwischen Laura und Petrarca.

Moro las die Verse aufmerksam: er hielt sich für einen feinen Kenner und einen geborenen Dichter, obwohl ihm Reime nie gelangen. Im ersten Sonett gefielen ihm drei Verszeilen, in denen der Gatte seiner Gattin folgendes sagt:

Und wo du einmal ausgespieen,
Da sah man Blumen gleich erblühen,
wie Veilchen, die geweckt der Lenz ...

Im zweiten Gedicht verglich der Dichter Madonna Beatrice mit Diana und behauptete, daß es für die Eber und Hirsche der höchste Genuß sei, von der Hand der schönsten Jägerin hingestreckt zu werden.

Am besten gefiel dem Herzog das dritte Sonett, in dem Dante den Herrn bittet, ihm die Rückkehr auf die Erde zu gestatten; denn dort sei seine Beatrice in Gestalt der Herzogin von Mailand erschienen. »O Jupiter!« ruft Allighieri aus: »Da du sie wieder der Welt geschenkt hast, so laß auch mich in ihrer Nähe weilen, damit ich denjenigen sehe, dem Beatrice Seligkeit spendet«, d. h. den Herzog Lodovico.

Moro klopfte dem Dichter gnädig auf die Schulter und versprach ihm Tuch zu einem Pelz; Bernardo gelang es bei dieser Gelegenheit, auch einige Fuchsfelle zu einem Kragen auszubitten, indem er mit übertrieben jämmerlichen Grimassen beteuerte, sein alter Pelz sei so fadenscheinig, wie »Fadennudeln, die an der Sonne trocknen«.

»Im letzten Winter,« bettelte er weiter, »litt ich so argen Mangel an Brennholz, daß ich nicht nur meine Treppe, sondern auch die Holzschuhe des heiligen Franziskus im Ofen verbrennen mußte.«

Der Herzog lachte und versprach ihm Holz.

Der dankbare Dichter improvisierte auf der Stelle folgendes Dankgedicht:

Versprichst du deinen Sklaven Brot, o großer Mohr!
So reichst du ihnen gnädig göttlich-süße Manna.
Drum singt Gott Phöbus dir und seiner Musen Chor
Ob deiner edlen Güte, Moro, Hosianna!

»Ich glaube, du bist heute in der Stimmung, Bernardo. Hör mal, ich brauche noch ein Gedicht.«

»Ein Liebesgedicht?«

»Ja. Und ein leidenschaftliches soll es sein.«

»An die Herzogin?«

»Nein. Plaudere aber nichts aus!«

»Signore, Ihr tut mir Unrecht. Hab ich denn je ...?«

»Also paß auf!«

»Ich bleibe stumm, stumm wie ein Fisch!« Bernardo zwinkerte bedeutungsvoll und ehrerbietig mit den Augen.

»Leidenschaftlich soll es sein? In welchem Sinne? Soll es ein Bitt- oder ein Dankgedicht werden?«

»Ein Bittgedicht.«

Der Dichter runzelte tiefsinnig die Stirne.

»Ist sie verheiratet?«

»Nein, ein Mädchen.«

»So. Jetzt muß ich noch den Namen wissen.«

»Wozu?«

»In einem Bittgedicht muß auch der Name genannt werden.«

»Madonna Lucrezia. – Hast du kein fertiges Gedicht auf Lager?«

»Gewiß. Aber ich will lieber gleich ein frisches dichten. Mit Eurer Erlaubnis gehe ich für einen Augenblick ins Nebenzimmer. Ich sehe schon, daß es mir gut gelingen wird. Die Reime schwirren nur so um mich herum.«

Ein Page trat ein und meldete:

»Messer Leonardo da Vinci.«

Bellincioni nahm rasch Feder und Papier und verschwand durch die eine Türe, während durch die andere Leonardo eintrat.

V.

Nach der ersten Begrüßung brachte der Herzog das Gespräch auf den neuen großen Kanal Naviglio Sforzesco, der die Flüsse Sesia und Ticino verbinden sollte; ein an diesen Kanal angeschlossenes System kleinerer Kanäle sollte zur Bewässerung der Felder, Wiesen und Weiden von Lomellina dienen.

Leonardo leitete diesen Kanalbau, obwohl er noch keinen Hofbaumeistertitel besaß; er war nicht einmal Hofmaler, und führte nur den Titel eines Hofmusikers, den er vor Jahren für die Erfindung irgendeines Musikinstruments erhalten hatte. Dieser Titel war nur um weniges höher als der eines Hofdichters, wie ihn z. B. Bellincioni führte.

Der Künstler gab genaue Erläuterungen zu den Plänen und Rechnungen und bat um Anweisung des zur Fortsetzung der Arbeiten notwendigen Geldbetrags.

»Wieviel?« fragte der Herzog.

»Die Meile kostet 566 Dukaten; wir brauchen also im ganzen noch 15.187,« erwiderte Leonardo. Lodovico machte ein unzufriedenes Gesicht, denn er erinnerte sich der 50 000 Dukaten, die er soeben zur Bestechung der französischen Höflinge ausgeworfen hatte.

»Du verlangst viel Geld, Messer Leonardo! Du richtest mich wirklich zugrunde. Deine Forderungen sind ganz unmöglich. Der Bramante ist ja auch kein übler Baumeister, er verlangt aber nie solche Summen!«

Leonardo zuckte mit den Achseln.

»Wie es Euch beliebt, Signore. Gebt den Auftrag Bramante.«

»Ist schon gut! Beruhige dich. Du weißt ja, daß ich dich nicht im Stich lasse!«

Sie verhandelten weiter.

»Es ist gut, morgen führen wir es zu Ende,« sagte schließlich der Herzog, der seine Beschlüsse immer möglichst weit hinausschob. Dann nahm er Leonardos Skizzenbücher zur Hand und sah sich seine architektonischen Entwürfe und Projekte an.

Eine Skizze stellte ein gigantisches Grabmal dar, einen künstlichen Berg, gekrönt von einem von vielen Säulen getragenen Tempel; die Kuppel des letzteren hatte, wie im römischen Pantheon, ein rundes Loch, als Lichtquelle für die inneren Räume des Mausoleums, das an Pracht die ägyptischen Pyramiden übertraf. Neben dieser Zeichnung waren auch die genauen Maße und andere Daten angegeben, ferner auch die Anordnung der Treppen, Gänge und der für fünfhundert Totenurnen berechneten Säle skizziert.

»Was ist das?« fragte der Herzog. – »Wann und für wen hast du es erfunden?«

»Für niemand. Es sind nur Phantasien ...«

Moro sah ihn erstaunt an und schüttelte den Kopf.

»Sonderbare Phantasien! Ein Mausoleum für Olympier oder Titanen, wie ein Traum, oder ein Märchen ... Und du willst Mathematiker sein!«

Eine andere Zeichnung stellte den Plan einer Stadt mit in zwei Stockwerken angeordneten Straßen dar; das obere war für die Herren, das untere für die Sklaven, Lastfuhrwerke und für Unrat bestimmt, den ein Rohr- und Kanalsystem abführte. Diese Stadt war auf Grund einer genauen Kenntnis der Naturgesetze entworfen, aber für Wesen, deren Gewissen Ungleichheit und Teilung in Auserwählte und Verworfene verträgt, bestimmt.

»Es ist nicht übel!« sagte der Herzog. – »Glaubst du, daß sich so etwas verwirklichen läßt?«

»O ja!« erwiderte Leonardo, sein Gesicht wurde lebhaft. »Ich habe schon längst vor, Ew. Durchlaucht vorzuschlagen, den Versuch wenigstens mit einem der Mailänder Vororte zu machen. Fünftausend Häuser für dreißigtausend Menschen. Diese Masse von Menschen, die sich jetzt gegenseitig erdrücken, in Schmutz und dumpfer Luft leben und die Keime von Krankheiten und Tod verbreiten, würde sich zerstreuen, wenn Ihr diesen Plan ausführen wolltet, Signore, so hättet Ihr die schönste Stadt der Welt!«

Der Künstler merkte, daß der Herzog lächelte, und stockte.

»Messer Leonardo, du bist wirklich ein Spaßmacher und Phantast! Wenn ich dir freie Hand gäbe, so kehrtest du das Oberste zu unterst und der ganze Staat würde zum Teufel gehen! Kannst du denn nicht einsehen, daß sich selbst die demütigsten unter den Sklaven gegen deine zweistöckigen Straßen empören würden? sie werden deine »herrlichste Stadt der Welt« mit ihrer berühmten Reinlichkeit, mit ihrer Wasserversorgung und Kanalisation verfluchen und in die alten Städte zurückkehren: denn Schmutz verträgt man leichter als Herabsetzung.«

»Was ist denn das?« fragte er, auf die folgende Zeichnung zeigend.

Leonardo mußte auch diese Zeichnung erklären. Es war ein Entwurf zu einem öffentlichen Haus, dessen Zimmer, Türen und Gänge so angeordnet waren, daß die Besucher einander unmöglich begegnen konnten und so jede Diskretion gewahrt wurde.

»Dieser Einfall ist glänzend!« sagte der Herzog ganz entzückt. – »Du kannst dir gar keinen Begriff davon machen, wie sehr ich der ewigen Klagen wegen Raub und Mord in solchen Spelunken überdrüssig bin! Bei solcher Einteilung der Zimmer muß ja in den Häusern Ordnung und Sicherheit herrschen. Ich will unbedingt so ein Haus nach deinem Plan bauen lassen!«

»Ich sehe übrigens,« fügte er lächelnd hinzu, »daß du recht vielseitig bist und daß dir kein Ding zu gering ist: neben einem Göttermausoleum zeichnest du ein öffentliches Haus!«

»Ich habe einmal bei einem der alten Historiker gelesen,« fuhr er fort, »der Tyrann Dionys hätte ein in der Mauer eingebautes Hörrohr gehabt, das so eingerichtet war, daß er alles hören konnte, was in einem andern Gemach gesprochen wurde; diese Einrichtung hieß das »Ohr des Dionys«. Was glaubst du, könnte man nicht so ein Ohr in meinem Schlosse einrichten?«

Anfangs schämte sich der Herzog, die Sprache auf diese Sache zu bringen. Dann überlegte er sich aber, daß er sich vor dem Künstler nicht zu genieren brauche. Leonardo machte sich auch keinerlei Gedanken über die Moral oder Unmoral des »Ohres des Dionys«; er faßte es einfach als ein neues wissenschaftliches Instrument auf und freute sich schon über die sich ihm bietende Gelegenheit, an diesen Rohren die Gesetze der Schallwellen zu studieren.

Bellincioni, der sein Sonett bereits fertig hatte, schaute zur Türe herein.

Leonardo nahm Abschied. Moro lud ihn zur Abendtafel.

Als der Künstler fort war, rief der Herzog den Dichter heran und befahl ihm, das Gedicht vorzulesen.

»Der Salamander,« hieß es im Sonett, »lebt im Feuer; ist es aber nicht ein noch viel größeres Wunder, daß eine

Madonna kalt wie Eis in meinem Herzen wohnet,
Und meiner Liebe Glut das klare Eis verschonet?

Die letzten vier Zeilen kamen dem Herzog besonders zart empfunden vor:

Ein Schwanentodeslied ist mein verliebtes Carmen;
verbrennend flehe ich: »Gott Amor, hab Erbarmen!«
Doch Amor schürt noch mehr in meiner Brust die Glut
Und lächelt: »Lösche sie mit deiner Tränen Flut!«

VI.

In Erwartung seiner Gattin, die zum Nachtmahl von der Jagd zurückkehren sollte, besichtigte der Herzog die Schloßwirtschaft. Er schaute in die Pferdestallungen hinein, die mit ihren Säulenhallen an einen griechischen Tempelbau gemahnten. In der neuen prachtvoll eingerichteten Käserei kostete er den frischen Quarkkäse – »giuncata«. In endlosen Heuschuppen und Kelleranlagen vorbei gelangte er zum Viehhof und zu der Meierei. Jede Kleinigkeit erfreute hier sein Hausherrnherz: das Rieseln der Milch aus dem Euter der roten languedoc'schen Kuh, auf die er besonders stolz war, das Grunzen einer Muttersau, die wie ein Berg aus Fett aussah, der gelbe Schaum der Sahne in den eschenen Butterfässern und der Honigduft des Kornes in den überfüllten Speichern. Moro lächelte still und zufrieden: in seinem Hause herrschte wirklich goldener Überfluß. Er kehrte in den Palast zurück und setzte sich in die Galerie, um etwas auszuruhen.

Es wollte Abend werden, die Sonne stand aber noch ziemlich hoch, von den feuchten Wiesen des Ticino kam ein frischer, duftiger Hauch.

Der Herzog ließ den Blick über seine Besitzungen schweifen; er sah Weiden, Wiesen und Felder, Pflanzungen von Apfel-, Birnen- und Maulbeerbäumen, zwischen denen sich hängende Rebenguirlanden hinzogen. Die ganze weite lombardische Ebene von Mortara bis Abbiategrasso und noch weiter bis an den Horizont, wo der Monte Rosa im ewigen Schnee strahlte, blühte wie ein Paradies Gottes.

»Herr!« sagte er mit einem inbrünstigen Seufzer, die Augen gen Himmel erhebend: »ich danke dir für alles! Was brauche ich noch mehr? Einst war hier eine Wüste. Ich habe mit Leonardos Hilfe diese Kanäle gegraben und dieses Land bewässert und heute dankt mir jede Ähre und jeder Halm, so wie ich dir danke, Herr!«

Er hörte Hundegebell und Rufe der Jäger; über dem Weidengestrüpp wurde der rote Lockvogel sichtbar – ein Vogelbalg mit Flügeln eines Rebhuhns; er diente zum Anlocken der Falken.

Der Herzog ging nun in Begleitung des Haushofmeisters in den Speisesaal und nahm die gedeckte Tafel in Augenschein. Bald darauf erschienen die Herzogin und die zur Abendtafel geladenen Gäste. Unter ihnen war Leonardo, der in der Villa zur Nacht bleiben sollte.

Man sprach das Gebet und ging zu Tisch.

Frische Artischoken, die in Körben direkt aus Genua kamen, wurden aufgetischt, dann fette Aale und Karpfen aus den mantuanischen Teichen, ein Geschenk Isabella's d'Este und eine Sülze aus Kapaunenbrüsten.

Man behalf sich beim Essen mit drei Fingern und einem Messer; Gabeln waren als übertriebener Luxus verpönt: sie wurden aus Gold mit Bergkristallgriffen hergestellt und nur den Damen zu Beeren und Konfekt gereicht.

Der gastfreie Herzog sah eifrig darauf, daß die Gäste ordentlich traktiert wurden. Man aß und trank sehr viel, beinahe maßlos. Die elegantesten und wohlerzogensten jungen Mädchen und Damen schämten sich ihres Hungers nicht.

Beatrice saß neben Lucrezia.

Der Herzog betrachtete die beiden wieder mit hellem Entzücken: es freute ihn, daß sie nebeneinander saßen, daß seine Gattin seiner Geliebten den Hof machte, daß sie ihr die besten Stücke auf den Teller legte, ihr etwas zuflüsterte und ihr die Hand in Anwandlung jener Zärtlichkeit drückte, die so sehr einer Verliebtheit gleicht und von der junge Frauen manchmal überfallen werden.

Man sprach von der Jagd. Beatrice erzählte, ein Hirsch, der plötzlich aus dem Walde herangesprengt kam, hätte ihr Pferd mit dem Geweih gestoßen und sie beinahe aus dem Sattel geworfen.

Man lachte über den Narren Dioda, einen Kampfhahn und Prahlhans, der soeben statt eines Ebers ein gewöhnliches Hausschwein erlegt hatte, das die Jäger eigens zu diesem Zweck mitgenommen und im Walde gegen den Narren losgelassen hatten. Dioda erzählte viel von seiner Heldentat und war so stolz, als ob er den Kalydonischen Eber erlegt hätte. Man neckte ihn und ließ schließlich den Kadaver des von ihm erlegten Schweines hereinbringen, um ihn zu überführen. Er spielte den Wütenden. In der Tat war er aber ein ganz durchtriebener Schelm, der das sehr einträgliche Amt eines Narren versah: mit seinen Luchsaugen konnte er nicht nur sehr gut ein Hausschwein von einer Wildsau, sondern auch einen dummen Witz von einem guten unterscheiden.

Man lachte immer mehr. Die Gesichter wurden lebhaft und rot von den vielen Trankopfern. Nach dem vierten Gang lösten die jüngeren Damen unbemerkt die allzu straff geschnürten Mieder.

Die Mundschenken kredenzten einen leichten weißen Weißwein und einen dickflüssigen angewärmten Cypernwein, der mit Pistazien, Nelken und Zimmt angerichtet war.

So oft seine herzogliche Hoheit Wein verlangte, gab es eine feierliche Zeremonie: die Truchsesse riefen es einander zu, dann nahmen sie vom Gestell einen Becher und reichten ihn dem Hauptseneschall. Dieser senkte dreimal einen Talisman aus dem Horne des Einhornes an einer goldenen Kette in den Becher: war der Wein vergiftet, so wurde das Horn schwarz und es traten auf ihm Bluttropfen hervor. Schutztalismane von ähnlicher Wirkung – Krötenstein und Schlangenzunge – waren am Salzfaß angebracht.

Graf Bergamini, der Gatte Cecilias, saß auf dem Ehrenplatz. Er war sehr gut aufgelegt und, trotz seines Alters und seiner Gicht, jugendlich ausgelassen. Er zeigte auf den Einhorntalisman und sagte:

»Ew. Durchlaucht, ich glaube, daß nicht einmal der König von Frankreich ein Horn von solcher ungewöhnlicher Größe besitzt!«

Janachi, der bucklige Lieblingsnarr des Herzogs rasselte mit seiner Klapper – einer mit Erbsen gefüllten Schweinsblase, ließ die Schellen seiner bunten mit Eselsohren geschmückten Kappe erklingen und kicherte:

»Gevatter, he Gevatter!« sagte er zum Herzog, auf den Grafen Bergamini mit dem Finger zeigend: »Du kannst es ihm glauben, denn er kennt sich in allerlei Hörnern aus, bei Tieren, sowohl wie bei Menschen.« Er kicherte, meckerte. »Wer eine Ziege hat, der hat auch Hörner!«

Der Herzog drohte dem Narren mit dem Finger.

Von der Empore erklangen silberne Fanfaren, um die Hauptgerichte, die nun aufgetragen wurden, zu begrüßen. Man brachte einen gebratenen mit Kastanien gefüllten riesengroßen Wildschweinkopf, einen Pfau, der durch eine in seinem Innern angebrachte Mechanik Schwanz und Flügel bewegte, und schließlich eine gewaltige Pastete in Form einer Festung; aus ihr drangen zuerst Töne eines Kriegshorns, als aber ihre knusperig durchgebackene Rinde angeschnitten wurde, sprang aus ihr ein mit Papageifedern geschmückter Zwerg heraus. Er lief auf dem Tische hin und her, man fing ihn ein und setzte ihn in einen goldenen Käfig; und da begann er, den berühmten Papagei des Kardinals Ascanio Sforza imitierend, mit kreischender Stimme das Vater Unser zu rezitieren.

»Messere,« fragte die Herzogin ihren Gemahl: »welch freudigem Ereignis haben wir dies unerwartete und prächtige Festmahl zu verdanken?«

Moro blieb die Antwort schuldig. Er warf dem Grafen Bergamini unauffällig einen freundlichen Blick zu und dieser begriff, daß dies Fest dem neugeborenen Cesare galt.

Mit dem Wildschweinkopfe war man beinahe eine Stunde beschäftigt; beim Essen übereilte man sich nicht, denn man befolgte den Lehrsatz: Bei der Tafel altert man nicht.

Zum Schlusse der Tafel produzierte sich zum allgemeinen Ergötzen der dicke Mönch Tappone – eine Ratte.

Nicht ohne List und Betrug gelang es dem Mailänder Herzog, diesen berühmten Fresser aus Urbino herüberzulocken. Viele Fürsten bewarben sich um ihn und man erzählte, er hätte einmal in Rom zum größten Ergötzen seiner Heiligkeit ein ganzes Drittel einer bischöflichen Sutane aus Kamelfilz, in Stücke geschnitten und mit einer Sauce angerichtet, gefressen.

Der Herzog winkte und dem Fra Tappone wurde eine Schüssel mit ›busecchia‹ – Kaldaunen mit Quitten gefüllt – vorgesetzt. Der Mönch bekreuzigte sich, krempelte seine Ärmel auf und begann diese fette Speise mit einer ganz ungewöhnlichen Schnelligkeit und Gier hinunterzuwürgen.

»Wäre so ein Kerl bei der Speisung des Volkes mit fünf Broten und zwei Fischen zugegen, so könnten von den Resten auch keine zwei Hunde satt werden!« rief Bellincioni aus.

Die Gäste lachten. Sie waren alle vom Lachen angesteckt und befanden sich in jener Stimmung, bei der jeder Scherz wie ein Funke ganze Salven schallenden Gelächters entzündet.

Leonardo allein bewahrte den Ausdruck resignierter Langeweile; er war übrigens an ähnliche Unterhaltungen seines hohen Gönners längst gewöhnt.

Schließlich reichte man auf silbernen Schüsseln goldene, mit duftendem Malvasier gefüllte Orangen, und da ergriff der Hofdichter Antonio Camelli da Pistoja, ein Konkurrent Bellincionis das Wort und rezitierte eine Ode, in der die Künste und die Wissenschaften dem Herzog zuriefen: »Wir waren geknechtet. Du kamst und befreitest uns. Es lebe Moro!« Die vier Elemente – Erde, Wasser, Feuer und Luft sangen: »Heil dem, der neben Gott das Steuer des Weltalls regiert und Fortunas Rad lenkt!« Dann wurden auch sein Familiensinn und die herzlichen Beziehungen zwischen dem Onkel Moro und dem Neffen Gian-Galeazzo besungen, wobei der Dichter den großmütigen Vormund mit einem Pelikan verglich, der seine Kinder mit eigenem Fleisch und Blut nährt.

VII.

Nach aufgehobener Tafel begaben sich die hohen Herrschaften und die Gäste in den »Paradiso«, einen geometrisch-regelmäßig angelegten Garten mit gestutzten Buchs-, Lorbeer- und Myrtenhecken, gedeckten Pergolas, Labyrinthen, Loggias und efeuumschlungenen Lauben. Auf die grüne Wiese wurden Teppiche und seidene Kissen gebracht; die Springbrunnen erfrischten köstlich die Luft. Damen und Kavaliere setzten sich in einem zwanglosen Halbkreis vor eine kleine Bühne.

Zuerst wurde ein Akt aus » Miles gloriosus« von Plautus gespielt. Die lateinischen Verse wirkten einschläfernd und doch hörten die Zuschauer mit erkünstelter Aufmerksamkeit zu, um Ehrfurcht vor der Antike zu markieren.

Nach der Aufführung begab sich die Jugend auf einen geräumigeren Rasenplatz, um da Ball und Blindekuh zu spielen; sie tollten zwischen den blühenden Rosen und Orangenbäumen umher, haschten einander und lachten wie die Kinder. Die älteren Herren und Damen spielten Würfel und Schach. Die jungen Mädchen, Damen und Kavaliere, die sich an diesen Spielen nicht beteiligten, setzten sich im Kreise auf die Marmorstufen der Fontäne und erzählten abwechselnd Novellen, wie im Decameron des Boccaccio.

Auf einem nahen Rasenplatz wurde ein Reigen zu der Lieblingsweise des früh verstorbenen Lorenzo Medici getanzt. Der Text lautete:

Quant' è bella giovenezza
Ma si fugge tuttavia;
Chi vuol esser lieto, sia:
Di doman non c'è certezza

Schön und herrlich ist die Jugend
Doch so flüchtig! Laß die Sorgen,
willst du glücklich sein, so sei es
Und verschieb es nicht auf morgen!

Nach dem Reigen sang Donsella Diana, ein Mädchen mit zartem blassem Gesicht, zu den sanften Tönen einer Viola ein gar trauriges Lied, in dem die Schmerzen der Liebe ohne Gegenliebe besungen wurden.

Spiel und Lachen verstummten, alle hörten still und nachdenklich zu. Als das Lied verklungen war, wollte niemand dieses Schweigen brechen. Man hörte nur die Fontäne plätschern. Die letzten Sonnenstrahlen vergoldeten die flachen Kronen der Pinien und den hoch auffliegenden Wasserstaub der Fontäne.

Dann sprach und lachte man wieder, wieder tönte Musik und bis in die späten Stunden, bis in den dunklen Lorbeerbüschen Leuchtkäfer auftauchten und im dunklen Himmel die dünne Sichel des jungen Mondes erstrahlte, schwebten über dem seligen Paradiso im stillen vom Dufte der Orangenblüten geschwängerten Dunkel die Töne des Liedes:

Willst du glücklich sein, so sei es
Und verschieb es nicht auf morgen!

VIII.

Moro sah auf einem der vier Schloßtürme Licht: der Hofastrologe des Herzogs, Senator und Mitglied des Geheimen Rates Messer Ambrogio da Rosate, der hier unter seinen astronomischen Instrumenten hauste, hatte seine einsame Lampe angesteckt und erwartete die bevorstehende Konjunktur der Planeten Mars, Jupiter und Saturn im Zeichen des Wasserträgers, welcher eine große Bedeutung für das Haus Sforza haben sollte.

Dem Herzog fiel etwas ein. Er verabschiedete sich von Madonna Lucrezia, mit der er in einer traulichen Laube eine zärtliche Unterhaltung geführt hatte, zog sich in seine Räume zurück, sah auf die Uhr, wartete genau auf die Sekunde den vom Astrologen zur Einnahme von Rhabarberpillen vorgeschriebenen Moment ab und warf, nachdem er sie eingenommen, einen Blick in seinen Taschenkalender. Da las er die Notiz:

»Am 5. August um 10 Uhr 8 Minuten Abends – ein inbrünstiges Gebet auf den Knien mit gefalteten Händen und zum Himmel erhobenen Blicken.«

Der Herzog eilte in die Kapelle, um diesen Augenblick nicht zu versäumen. Sonst hätte das astrologische Gebet seine Wirkung verfehlt.

Die Kapelle war von einem einsamen Lämpchen, das vor dem Madonnenbilde brannte, nur schwach beleuchtet. Der Herzog liebte dieses von Leonardo da Vinci gemalte Altarbild, auf dem seine Geliebte Cecilia Bergamini als Madonna, die hundertblättrige Rose segnend, dargestellt war.

Moro zählte auf einer kleinen Landuhr acht Minuten ab, sank dann in die Knie, faltete die Hände und las das Confiteor.

Er betete lange und von Herzen.

»O Mutter Gottes!« flüsterte er mit zum Himmel gerichteten Augen: »Beschütze und errette mich, erbarme dich meiner, meiner und meines Sohnes Maximilian, des neugeborenen Cesare, meiner Gattin Beatrice, der Madonna Cecilia, und auch meines Neffen Gian-Galeazzo! Du siehst ja mein Herz, heilige Jungfrau, und du weißt, daß ich meinem Neffen nichts Böses will. Ich bete für ihn, obwohl sein Tod vielleicht mein Reich und das ganze Italien vor schrecklichem und unheilbarem Unglück bewahren würde!«

Da fiel ihm der von den Rechtsgelehrten konstruierte Beweis seines Anrechtes auf den Mailänder Thron ein: sein älterer Bruder, der Vater Gian-Galeazzos wäre nur Sohn des Feldherrn Francesco Sforzas, nicht aber des Herzogs Francesco Sforzas, denn er sei zur Welt gekommen, bevor Francesco den Thron bestiegen, während er, Lodovico, nach der Thronbesteigung seines Vaters geboren wurde; er sei daher der einzige rechtmäßige Thronerbe.

Aber jetzt, vor der Madonna, kam ihm diese Beweisführung doch recht zweifelhaft vor und er schloß daher sein Gebet mit den Worten:

»Wenn ich vor dir gesündigt habe oder noch sündigen werde, so weißt du doch, himmlische Königin, daß ich es nicht für mich, sondern zum Heile meines Landes und Italiens tat oder tun werde. Sei meine Fürsprecherin vor Gott und ich werde deinen Namen mit dem herrlichen Baue des Mailänder Doms und der Certosa von Pavia und noch vielen anderen Gaben heiligen!«

Als er das Gebet beendigt, nahm er eine Kerze und begab sich durch die dunklen Säle in das Schlafgemach. Unterwegs stieß er auf Lucrezia.

»Der Gott der Liebe ist mir günstig,« sagte er sich.

»Herr!« sagte das Mädchen, sich ihm nähernd. Ihre Stimme bebte. Sie wollte vor ihm niederknien, er hielt sie aber zurück.

»Gnade, Herr!«

Sie erzählte ihm, daß ihr Bruder Matteo Crivelli, der Hauptkämmerer der herzoglichen Münze, dem sie trotz seiner vielen dummen Streiche mit zärtlicher Liebe zugetan war, eine größere Summe Staatsgelder im Kartenspiel verloren hatte.

»Beruhigt Euch, Madonna! Ich werde Euren Bruder retten.«

Er machte eine Pause, seufzte tief auf und sagte:

»Wollt Ihr nicht auch weniger grausam sein?«

Sie sah ihn mit ihren scheuen, kindlich-klaren, unschuldigen Augen an.

»Ich verstehe Euch nicht, Signore ...«

Ihr keusches Erstaunen ließ sie noch schöner erscheinen.

»Es bedeutet, meine Liebe ...« flüsterte er leidenschaftlich, sie mit einer raschen rohen Bewegung umfassend: »Es bedeutet ... Siehst du denn nicht, Lucrezia, daß ich dich liebe?..«

»Laßt mich, laßt!.. O Signore, was tut Ihr? Madonna Beatrice ...«

»Fürchte dich nicht. Sie erfährt nichts. Ich verstehe es, Geheimnisse zu wahren.«

»Nein, nein, Herr! Sie ist so großmütig, so gütig zu mir ... Um Gottes willen, laßt mich, o laßt!..«

»Ich will deinen Bruder retten, ich will alles tun, was du verlangst, ich will dein Sklave sein! Aber erbarme dich meiner! ...«

Mit fast aufrichtigen Tränen flüsterte er nun das Gedicht Bellincionis:

Ein Schwanentodeslied ist mein verliebtes Carmen,
verbrennend flehe ich: Gott Amor, hab Erbarmen!
Doch Amor schürt noch mehr in meiner Brust die Glut
Und lächelt: Lösche sie mit deiner Tränen Flut!

»Laßt, laßt!« wiederholte das Mädchen ganz verzweifelt.

Er beugte sich zu ihr und da fühlte er die Frische ihres Atems und den Duft von Veilchen und Moschus und er küßte gierig ihre Lippen.

Einen Augenblick lang lag Lucrezia in seinen Armen. Dann schrie sie auf, riß sich los und lief davon.

IX.

Der Herzog betrat das Schlafgemach. Beatrice hatte schon das Licht ausgelöscht und sich ins Himmelbett gelegt, das so groß und prächtig wie ein Mausoleum war. Es stand in der Mitte des Gemachs auf einer Erhöhung unter einem himmelblauen Baldachin und hatte Vorhänge aus Silberbrokat.

Er entkleidete sich, hob den Saum der gold- und perlengestickten Bettdecke, die so prächtig wie ein Meßgewand aussah (sie war ein Hochzeitsgeschenk des Herzogs von Ferrara), und legte sich auf seinen Platz zur Seite seiner Gattin.

»Bice,« flüsterte er zärtlich: »Bice, schläfst du schon?«

Er wollte sie umarmen, doch sie stieß ihn zurück.

»Warum?..«

»Laß mich, ich will schlafen ...«

»Warum? Sag mir nur, warum? Liebe Bice! Wenn du nur wüßtest, wie ich dich liebe ...«

»Ja, ja, das weiß ich, daß Ihr uns alle zusammen liebt: mich und Cecilia und vielleicht auch noch jene moskovitische Sklavin, die rothaarige dumme Gans, die Ihr neulich im Winkel meines Garderobenzimmers umarmtet.«

»Das war ja nur ein Scherz ...«

»Ich danke für solche Scherze!«

»Aber Bice, in den letzten Tagen bist du so kalt, so streng zu mir. Es ist ja natürlich meine Schuld, ich gebe zu, daß es eine unwürdige Laune von mir war ...«

»Ihr habt viele Launen, Messere!«

Sie drehte ihm nun ihr Gesicht zu und sagte zornig:

»Wie, schämst du dich nicht! Warum lügst du? Glaubst du denn, daß ich dich nicht kenne und durchschaue? Glaube bitte nur nicht, daß ich eifersüchtig bin. Ich will aber nicht, – hörst du? Ich will nicht eine deiner Maitressen sein!«

»Es ist nicht wahr, Bice! Ich schwöre dir bei meinem ewigen Seelenheil, daß ich noch nie und niemand so geliebt habe, wie ich dich liebe!«

Sie schwieg und hörte ihm erstaunt zu. Nicht seine Worte, sondern sein Ton machte sie stutzig.

Er log jetzt wirklich nicht, oder fast nicht: je mehr er sie betrog, um so mehr liebte er sie. Sein Gefühl zu ihr wurde durch Scham, Angst, Gewissensbisse, Mitleid und Reue, die er empfand, stärker und zärtlicher.

»Verzeih mir, Bice, verzeih mir alles um meiner großen Liebe willen!«

Und sie schlossen Frieden.

Während sie nun im Dunkel des Schlafgemachs in seinen Armen lag, dachte er an die scheuen, unschuldigen Augen und an den Duft von Veilchen und Moschus, und er stellte sich vor, daß er eine andere umarme und er liebte beide zugleich. Es war höchste Sünde und höchste Wollust.

»Du kommst mir heute wirklich ganz verliebt vor! ...« flüsterte sie mit geheimem Stolz.

»Ja, ja, mein Lieb, glaub es mir: ich bin auch noch heute so verliebt, wie in den ersten Tagen!«

»Unsinn!« unterbrach sie ihn. »Schämst du dich denn nicht? Denke lieber an wichtigere Dinge; sein Zustand hat sich wieder gebessert ...«

»Luigi Marliani sagte mir neulich, er werde unbedingt sterben,« erwiderte der Herzog. »Wenn es ihm vorübergehend auch etwas besser geht, wird er doch ganz bestimmt sterben.«

»Wer weiß?« versetzte Beatrice. »Er wird ja so gut gepflegt ... Hör' einmal, Moro, ich begreife deine Sorglosigkeit nicht. Du nimmst Beleidigungen so demütig wie ein Lamm hin und sagst, die Macht sei unser. Wäre es denn nicht besser, dieser Macht ganz zu entsagen, als Tag und Nacht um sie zu zittern, vor diesem Bastarde, dem Könige von Frankreich, auf dem Bauche zu liegen, von der Gnade des frechen Alfonso abhängig zu sein und sich um die Gunst der bösen Hexe von Aragonien zu bewerben?! Man sagt, sie sei wieder schwanger. Ein neues Schlangenjunges kommt also in dies verfluchte Nest! Und so geht unser ganzes Leben hin, Moro! Denke nur: unser ganzes Leben! Und du sagst dazu: »Die Macht ist unser!«

»Aber die Ärzte erklären übereinstimmend,« erwiderte der Herzog, »die Krankheit sei unheilbar; früher oder später ...«

»Ja, warte! Es sind nun zehn Jahre, daß er so stirbt ...«

Sie schwiegen.

Plötzlich umschlang sie ihn mit ihren Armen, schmiegte sich an ihn mit ihrem ganzen Körper und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er zuckte zusammen.

»Bice! Christus sei mit dir und seine heilige Mutter! Nie! – hörst du? – nie sollst du mir wieder davon sprechen ...«

»Wenn du Angst hast, so mache ich es selbst, willst du?«

Er erwiderte nichts. Nach einer Pause fragte er:

»An was denkst du jetzt?«

»An die Pfirsiche ...«

»Ja, richtig. Ich befahl dem Gärtner, ihm einen Korb von den reifsten zu schicken.«

»Nein, nicht an diese. Ich denke an die Pfirsiche des Messer Leonardo da Vinci, hast du noch nichts von ihnen gehört?«

»Was sind das für Pfirsiche?«

»Sie sind giftig ...«

»Wieso giftig?«

»Er hat sie vergiftet. Zu Versuchszwecken. Vielleicht ist auch Hexerei im Spiel. Monna Sidonia hat mir davon erzählt. Die Pfirsiche sollen, obwohl sie vergiftet sind, von herrlicher Schönheit sein ...«

Sie schwiegen wieder. Lange lagen sie so eng aneinander geschmiegt im Finstern, beide hatten die gleichen Gedanken und ein jeder hörte, wie das Herz des andern immer wilder und wilder pochte.

Schließlich küßte Moro seine Frau mit väterlicher Zärtlichkeit auf die Stirne und bekreuzigte sie mit den Worten:

»Schlaf, mein Lieb, schlaf mit Gott!«

In dieser Nacht träumte die Herzogin von wunderschönen Pfirsichen auf einer goldenen Schüssel. Ihre Schönheit verführte sie, einen von ihnen zu kosten, er war saftig und duftete süß. Eine Stimme raunte ihr plötzlich zu: »Gift, Gift, Gift!« Sie erschrak, doch konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. Sie verzehrte einen Pfirsich nach dem andern, sie glaubte zu sterben und doch wurde ihr dabei immer leichter und fröhlicher ums Herz.

Auch der Herzog hatte einen sonderbaren Traum: er lustwandelte auf dem grünen Rasenplatz des Paradiso, vor der Fontäne und sah in der Ferne drei Frauen in gleichen weißen Gewändern sitzen; sie hatten sich umarmt wie Schwestern. Er näherte sich ihnen und erkannte in der einen Madonna Beatrice, in der anderen Madonna Lucrezia, in der dritten Madonna Cecilia. Da sagte er sich tief befriedigt: »Gott sei Dank! Nun haben sie sich endlich versöhnt, es war auch die höchste Zeit!«

X.

Die Turmuhr schlug Mitternacht. Das ganze Haus schlief. Nur ganz oben über dem Dache, auf dem Balkon, wo sich die Herzogin ihr Haar zu trocknen pflegte, saß die Zwergin Morgantina, die aus der Kammer, in die man sie gesperrt hatte, entschlüpft war; sie beweinte ihr erdichtetes Kind:

»Mein Liebstes haben sie mir weggenommen, mein Kind haben sie ermordet! Mein Gott, weshalb taten sie es? Es hat doch nichts verbrochen. Es war mein stiller Trost ...«

Die Nacht war hell und klar. Die Luft so durchsichtig, daß man fern am Horizonte die Gipfel des Monte Rosa, ewigen Kristallen gleich, schimmern sah.

Noch lange hörte man über der schlummernden Villa die gellenden Schreie der verrückten Zwergin; sie klangen wie Rufe eines Unheil verheißenden Vogels.

Plötzlich seufzte sie tief auf, hob ihre Augen zum Himmel und wurde sofort ruhig.

Jetzt war es ganz still.

Die Zwergin lächelte und die blauen Sterne flimmerten ebenso unschuldsvoll und unergründlich, wie ihre Augen.


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