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Einiges über die starke Faust

. Es ist eine auffällige Erscheinung, daß bisher die Frauen als gleichberechtigte Mitkämpferinnen in jeder Bewegung wirkten, die auf Erhebung und Befreiung der Unterdrückten ausging, solange sie im Zeichen des Kampfes stand, solange sie eben wirklich eine Sache der Unterdrückten war – daß aber die Frauen wieder vom Schauplatz verschwinden mußten, sobald sie zur Sache der herrschenden Partei wurde, sobald sie zur Macht gelangte.

Das welthistorische Beispiel dafür ist das Christentum. Trotz der Idee der Gleichstellung, die zu den Grundtendenzen des Christentums gehört, trotz aller Anteilnahme der Frauen am christlichen Märtyrer- und Prophetentume hat sich ihre Stellung in der christlich-germanischen Welt gegenüber der römisch-heidnischen, zum mindesten in der Gesetzgebung, nicht wesentlich verändert. Die Frauen waren in der neuen Ordnung der Dinge kaum besser daran als in der alten, obwohl sie während der Zeiten der Verfolgung ebenso mutig und aufopfernd wie die Männer die neue Lehre mit ihrem Blute besiegelt hatten. Das ist ein böser Präzedenzfall – und die Frauen haben alle Ursache, darüber nachzudenken, warum die Männer sie nur so lange als Gleichberechtigte anerkennen, als sie selbst Mitunterdrückte sind.

Man muß da vor allem fragen: welche Art Mann ist es, die mit dem Weibe nichts gemeinsam haben, es nicht im Rechte neben sich dulden will –? Denn die Männer, die für eine Sache leiden, und die Männer, die eine Sache durchsetzen, sie zur Herrschaft bringen, sind wohl ganz verschiedener Art. Und diese Verschiedenheit bleibt nicht ohne Einfluß auf die Stellung, die sie dem Weibe gegenüber einnehmen. Die wenigsten sind fähig, eine Unterscheidung zwischen ihrem subjektiven Geschmack und den Anforderungen einer objektiven Gerechtigkeit zu machen. Die Eigenschaften, die sie für ihre Person am Weibe brauchen und begehren, stellen sie als Norm über das ganze Geschlecht.

Das gilt allerdings nur von den Männern einer bestimmten Eigenart – von den Männern der herrischen Erotik. Es ist ein Fehler, der in den Kreisen der Frauenbewegung nur zu oft begangen wird, daß man vom Manne schlechtweg redet, während doch die Frauen unmöglich übersehen können, was sie der Güte, der Großmut, der Gerechtigkeit einzelner Männer verdanken. Wenn diese einzelnen nicht die Macht besaßen, ihre persönliche Stellung gegenüber dem Weibe in der sozialen Ordnung zur Geltung zu bringen, so konnten sie eben gegen die Mehrzahl nicht aufkommen – ganz wie die einzelnen Frauen bisher, die das Durchschnittsmaß ihres Geschlechtes überragten.

Für die herrische Männlichkeit sind die erotischen Beziehungen mit der Vorstellung verknüpft, daß das Weib ein untergeordnetes und unterordnungsbedürftiges, für die Zwecke des Mannes geschaffenes und von ihm grundverschiedenes Wesen ist. Die erotische Erregung löst bei diesen Männern Herrschaftsgefühle aus; ihnen bedeutet das Verhältnis zum Weibe ein Besitzergreifen, einen Machtgenuß, und anders als unterworfen und abhängig können sie das Weib nicht denken. Nur soweit das Weib sich als Mittel eignet, kennen sie es; als Persönlichkeit mit eigenen Zwecken, so wie sie sich selbst vorstellen, existiert es für sie nicht.

Man kann daher behaupten: die Stellung des weiblichen Geschlechtes in der sozialen Ordnung wird durch die Erotik des herrischen Mannes geschaffen. Unzweideutig verraten die allgemeinen Bestimmungen und Vorstellungen, denen das weibliche Geschlecht untersteht, welche Art Mann es ist, die damit ihren Bedürfnissen und Forderungen praktischen Ausdruck verliehen hat. Denn nicht die Vernunft herrscht zwischen den Geschlechtern, sondern die elementare Natur.

Unabhängig von der geistigen und sittlichen Qualität tritt die herrische Erotik bei ganz niedrigen wie bei sehr hochstehenden Männern auf – vielleicht nur in ihren Formen ein wenig verschieden. Ihren absoluten Ausdruck hat sie innerhalb der europäischen Kultur schon verloren; auch der herrischste Europäer kann sich in Hinsicht seiner Empfindungen gegenüber dem Weibe mit dem Asiaten nicht messen. Die orientalische Behandlung des Weibes zeigt das Herrschaftsbedürfnis der männlichen Sexualität in seinem vollen Umfang; und scheußliche Sitten, wie etwa das Vernähen der Frauen bei den Völkerschaften am roten Meere, enthüllen den ganzen grausamen Wahnwitz, zu dem es unter Umständen führt.

In Europa, in den gemäßigten Klimaten der Männlichkeit, ist der primitivste Typus der herrischen Erotik der Mann, der seine Frau prügelt. Das Überlegenheitsbedürfnis des herrischen Mannes, das auf höheren Stufen der Kultur in das geistige Gebiet übergeht, begnügt sich da noch mit handgreiflichen Beweisen; die »starke Faust« gilt da nicht bloß im übertragenen Sinn, und die primitive Weiblichkeit sträubt sich auch nicht dagegen, sie ganz buchstäblich im Nacken zu fühlen.

Diese Art Weiblichkeit ist es, in der – von einem nicht einseitig begrenzenden Frauenrechtsstandpunkt aus betrachtet – der herrische Mann seine Rechtfertigung findet; denn ihre erotischen Instinkte, die nach Unterwerfung bis zur sklavischen Selbstentäußerung streben, korrespondieren den seinen, die auf unbedingte Herrschaft und Überlegenheit gerichtet sind. Sollte ein Mann, dessen erotische Neigungen das schwache, unselbständige, untergeordnete Weib suchen, seine geschlechtlichen Beziehungen nicht seiner individuellen Natur gemäß ausleben? Für das »echte Weib« wird er immer der »rechte Mann« sein. Ja wenn die großen Gewalthaber, die Männer der Tat und des unbeugsamen Willens, den Prinzipien der herrischen Erotik huldigen, so geschieht dem weiblichen Geschlechte damit nichts, was diese Männer nicht auch sonst ausübten. Die »starke Faust«, die sie dem Weibe zeigen, wenden sie allen Lebenserscheinungen gegenüber an; sie unterwerfen sich wie das Weib so auch die Welt, und sie benützen wie das Weib so auch die Männer schwächeren Grades als Mittel für ihre Zwecke. An ihnen ist die herrische Erotik am begreiflichsten, weil sie in die Logik ihres gesamten Wesens gehört. Sie entschädigen die von ihnen Abhängigen für die Unterdrückung, die sie verhängen, in der Regel durch den Schutz, den sie gewähren, und durch die Großmut, die sehr oft die Begleiterin der Stärke ist. Dem weiblichen Geschlechte gegenüber entbehrt ihr Betragen vielfach nicht der Ritterlichkeit – was sich an manchen Zügen aus dem Leben des größten Gewalthabers, den die neuere Zeit kennt, Napoleons, beobachten läßt.

Ohne einen Zusatz von Ritterlichkeit erscheint der Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht den meisten herrischen Erotikern besseren Schlages nicht ganz erträglich; und bei ihnen verwandelt sich die »starke Faust« in die »schützende Hand«, ohne die nach ihrer Vorstellung das Weib in der rauhen Männerwelt nicht bestehen kann. Daher mögen sie auch das Brimborium der Galanterie nicht gerne missen. Denn es ist keine vornehme Art, einem Wesen, das man für geringer hält als sich selbst, seine Überlegenheit zu fühlen zu geben. In der Galanterie aber besitzen sie eine Umgangsform, in welcher der Schein der Unterordnung mit dem Gefühle der Überlegenheit ein Kompromiß bildet, ein Spiel, das in einer vorübergehenden Umkehrung des wahren Verhältnisses zwischen dem Schwachen und dem Starken besteht, und das schon, weil es nur ein Spiel ist, die männliche Prärogative nicht gefährdet.

Doch gilt dieses Spiel nur jenen Frauen gegenüber, denen sie sich nicht mit dem vollen Gewicht ihrer Natur nähern. Was die herrische Erotik bedeutet, wenn sie Ernst macht, bekommt in erster Linie die Ehefrau zu fühlen und, als Generalisation subjektiver Bedürfnisse zu objektiven sittlichen Forderungen, »das Weib« im allgemeinen.

Zunächst verlangt der herrische Mann von jenen Frauen, die er als sittlich vollwertig betrachten soll, eine strenge Zurückhaltung in den sexuellen Dingen; er wird sich eher mit einer völligen Frigidität befreunden, als daß er eine der seinigen ähnliche Sinnlichkeit am Weibe erträglich finden könnte. Er liebt die Vorstellung, daß das Weib den Wünschen des Mannes, auch wenn es liebt, nur wie ein Opfertier nachgibt (Lombroso); daß die geborenen tüchtigen Hausfrauen und Mütter nur ein geringes Verlangen nach dem Manne haben und mit der Gewährung des debitum coniugale selbst dem Manne, den sie lieben, ein Opfer bringen (Jentsch), daß das Weib sich den Geschlechtstrieb nicht eingestehen kann, ohne seine Würde zu verlieren (Fichte), und so weiter.

Was für den zartfühlenden, erotisch höher differenzierten Mann unerträglich ist, die Vorstellung einer bloß pflichtmäßigen oder gar widerstrebenden Hingebung des Weibes, das schmeichelt dem Geschlechtsbewußtsein des herrischen Mannes; er will mit der Hingebung nicht ein freiwilliges Geschenk, sondern lieber einen Tribut empfangen, den der Eroberer kraft seiner überlegenen Willensstärke erzwingt. Schon der Ausdruck für die geschlechtliche Hingebung des Weibes: »ihre Gunst gewähren«, zeigt an, daß er von einer anderen Art Mann erfunden worden ist; dem herrischen Erotiker kann ein Weib nur »zu Willen sein«.

Die Vorliebe für die sexuelle Kälte scheint in dem Gesetz des Gegensatzes begründet zu sein, das bei der erotischen Anziehung eine so große Rolle spielt. Dem herrischen Erotiker fehlt »die feine männliche Zärtlichkeit, die das liebende Weib vor sich selbst schützt und ihre Würde behütet« (Jacobsen); und die Wucht seiner Sexualität, die er gewöhnlich nicht mehr in der Gewalt hat, sobald sie einmal entfesselt ist, verweist ihn darauf, im Weib die Schranke zu suchen. Er wendet sich instinktiv dorthin, wo seine übermäßige Aggressive durch eine entsprechende Negativität neutralisiert und so das Gleichgewicht, das er nicht in sich hat, von außen hergestellt wird.

Aus verwandten Motiven entspringt auch die unverhältnismäßig hohe Bewertung der Jungfräulichkeit. Die herrischen Erotiker, die sich selbst eine so weitgehende geschlechtliche Freizügigkeit zugestehen, sind es, die bei der Wahl einer Gattin am strengsten auf jungfräuliche Unberührtheit des Leibes und der Seele halten, die über den sogenannten Fehltritt des Weibes vor der Ehe, und wäre er auch eine Tat des reinsten Opfermutes gewesen, durchaus nicht hinwegkommen. Aus diesem Grunde ist der bürgerlichen Moral nichts wichtiger in der Erziehung der weiblichen Jugend als die Erhaltung der Unschuld – oder wenigstens der Unwissenheit, als eines wohlfeilen und täuschenden Surrogates der Unschuld.

Denn ein jungfräuliches Wesen berechtigt am ehesten zu der Voraussetzung, daß ihm geschlechtliche Regungen fremd sind; und darin erblickt der herrische Erotiker zugleich die Gewähr der Treue, die er nach seiner subjektiven Vorstellung von der Weiblichkeit sonst nirgends finden kann. Ein schwaches, unpersönliches und untergeordnetes Wesen hat keinen Halt in sich; es muß der Versuchung erliegen, besonders wenn sie in Gestalt eines männlichen Willens herantritt. Die Vorstellung der freiwilligen Treue als Erfüllung eines gegebenen Versprechens hat in dem Bilde des Weibes, wie der herrische Erotiker es denkt, keinen Raum; er vermag nur an jene Treue zu glauben, die sein eigenes Werk ist, die Frucht seiner Wachsamkeit, seiner Vorsicht, seines Mißtrauens. Deshalb hängt er über sein Verhältnis zum Weibe eine ewige Drohung: seine elementare Eifersucht, mit der er jeden fremden Mann in angemessener Entfernung von seinem Eigentume hält. Von ihm rühren die barbarischen Kautelen der Vaterschaft her – das sind alle jene Veranstaltungen, mittelst derer das Weib als ein unmündiges und unwissendes Geschöpf in die Gewalt des Mannes gegeben wird, damit er selbst über die Ausschließlichkeit des Besitzes wachen kann.

Für das Empfinden der herrischen Erotik wird das Weib immer die Leibeigene des Mannes sein. Über alle Kultur hinweg gibt es auch für dieses Empfinden keinen Zweifel, ob ein Mann das Recht hat, eine Frau, die ihn betrügt, zu töten; und der Zweikampf aus Eifersucht, diese primitivste Form der geschlechtlichen Verteidigung, die ja auch von den männlichen Tieren geübt wird, ist nur eine andere Ausdrucksform für das Eigentumsgefühl, auf welchem das Geschlechtsverhältnis der herrischen Erotik beruht.

Was zur Polemik gegen diese Art Männlichkeit nötigt, ist der Terrorismus, den sie übt, ein Terrorismus, der gerade die geistig hochstehenden Frauen am härtesten trifft. Denn sie leugnet jede andere Weiblichkeit als die ihr adäquate – ein Standpunkt, der seinen Ausdruck in der Anschauung findet, daß die Frauen samt und sonders sich kaum voneinander unterscheiden, daß sie einander so ziemlich gleich sind. »Eine Frau ist wie die andere; wer eine kennt, kennt mit wenigen Ausnahmen alle« (Nordau). Die Gleichartigkeit der Frauen bildet einen Fundamentalartikel des herrischen Geschlechtsbekenntnisses; und so allgemein ist diese Anschauung, daß es immer als Symptom einer besonderen Differenzierung beachtet zu werden verdient, wenn ein Mann sagt: »Was weiß denn ein Mann von den Frauen? Wieviele kann er denn wirklich kennen lernen?« Wer so spricht, gehört nicht zu den herrischen Erotikern, darauf ist tausend gegen eins zu wetten.

Es ist das Herrschaftsgefühl selbst, dem die Illusion der universellen Weiberkenntnis entstammt: wäre es denn nicht eine der empfindlichsten Beeinträchtigungen, die das Bedürfnis der Überlegenheit erfahren kann, wenn nur eine bestimmte Anzahl, nur ein Bruchteil des weiblichen Geschlechtes dem einzelnen Mann erkennbar wäre? Indem der herrische Erotiker alle kennt, beherrscht er, wenigstens mit seinem Erkennen, alle; die sich seiner Kenntnis entzöge, würde sie nicht auch seiner Überlegenheit entgehen?

Dazu kommt, daß weder seine sexuelle Phantasie ein mannigfaltiges und inhaltsvolles Bild der Weiblichkeit zu produzieren vermag, noch daß seine harte, ungeschmeidige Geschlechtsnatur einer innigen seelischen Annäherung und Verschmelzung fähig ist: so findet er überall das eine Weib, das er kennt. Nichts fällt ihm schwerer, als Ausnahmen von dem Typus, der für ihn »das Weib« bedeutet, zuzugestehen. Er wird jeder Erscheinung gegenüber, die nicht in diesen Rahmen paßt, eher geneigt sein, auf pathologische Anomalien zu schließen. Ein Weib mit dem Bedürfnisse nach Selbständigkeit, mit den Neigungen der freien Persönlichkeit, ist ihm gewöhnlich der Hysterie verdächtig oder des Komödiantentumes; und er wittert den suggestiven Einfluß eines Mannes hinter jeder weiblichen Betätigung auf geistigem Gebiet. Alle Leistungen und alle Argumente hervorragender Frauen können daran nichts ändern; sie werden höchstens den Widerwillen, den Groll oder den Spott des herrischen Erotikers erregen. So hat Nietzsche sich nicht gescheut, es als »Korruption der Instinkte« zu bezeichnen, wenn ein Weib sich etwa auf Frau von Staël oder Madame Roland oder George Sand berufen wollte; und er behauptete: »unter Männern sind die Genannten die drei komischen Weiber an sich – nichts mehr«, obzwar George Sand eine ungewöhnlich große Anziehungskraft auf viele vorzügliche Männer ausübte, und also für diese wohl nicht das »komische Weib an sich« sein konnte.

Nicht einmal die schicksalsvolle Vorherbestimmung zu gesteigerten Leiden, die mit der Erwählung zu einem Leben der produktiven Geistigkeit für Mann und Weib in gleichem, ja für das Weib aus vielfältigen Gründen in erhöhtem Maße verknüpft ist, wird solche Männer zu Mitgefühl oder Sympathie bewegen; auch die Verwandtschaft, die das gleiche Los und die gleichen inneren Erlebnisse zwischen ihnen und den Frauen der Geistigkeit bilden, stellt kein Band des Verständnisses her. Im Gegenteil! Gerade diese Verwandtschaft erbittert sie; denn das Weib als ein verwandtes oder gleichartiges Wesen ist ihnen unerträglich. Sie dulden keine Verwandtschaft oder Ähnlichkeit zwischen sich und dem Weibe; dergleichen geht für sie wider die Natur. Die Leiden und Konflikte, die sie an sich selbst als das Schicksal der Geistigkeit erleben, betrachten sie am Weibe als abschreckende Begleiterscheinungen einer Verirrung vom rechten und natürlichen Wege der Weiblichkeit, an denen sie gleichgültig oder entrüstet vorübergehen.

Eine andere Vorstellung des herrischen Erotikers, die unverkennbar auch nicht der Erfahrung entstammt, tritt in der Überzeugung hervor, daß er jedes weibliche Wesen zu erobern vermag, wenn er will. Man kann die subjektive Illusion der Unwiderstehlichkeit aus dem Munde von Männern hören, die in keiner Weise, weder durch persönliche Vorzüge, noch durch Glücksgüter, genügend ausgestattet sind, um eine so mächtige Anziehungskraft begreiflich erscheinen zu lassen. Es müßte nur in dieser Überzeugung selbst etwas Suggestives liegen. Der feinere Frauenkenner aber weiß – eine Beobachtung, die Paul Bourget in seiner Physiologie der modernen Liebe bestätigt – daß er immer nur auf eine gewisse Art von Frauen Eindruck machen und bei anderen nie reüssieren wird – was sich ja unter Menschen mit differenzierten sexuellen Empfindungen von selbst versteht.

Wie mit der Illusion der universellen Weiberkenntnis ergreift der naive Geschlechtsdünkel der Männlichkeit auch mit der Illusion der Unwiderstehlichkeit von dem ganzen weiblichen Geschlecht Besitz; sie ist sein Triumph und Gipfel und zeigt die Gewalt der Verblendung, die er erreicht, in ihrem vollen Umfang. Denn sie wird durch entgegengesetzte Erfahrungen nicht beeinflußt und findet sich oft bei Leuten, die durch die Anzahl ihrer Eroberungen über das Durchschnittliche nicht im mindesten hinausragen. Übrigens kann jeder Mann, der auf die Anzahl der Eroberungen Wert legt, unschwer eine erkleckliche Summe zusammenbringen, wenn er sich an Frauenzimmer hält, die intellektuell, sittlich und ökonomisch tiefer als er stehen. Bei anderen wird der herrische Erotiker sein Glück schon deshalb nicht versuchen, weil sie seinem Überlegenheitsbedürfnis nicht entgegenkommen, also nicht erogen auf ihn wirken.

Aber auch wo der naive Geschlechtsdünkel sich nicht bis zu diesen Illusionen versteigt, bleibt er für den herrischen Erotiker das Unüberwindliche. Charakteristisch dafür ist der Ausspruch jenes Mannes, der sagte: »Aus allen schlimmen Lagen meines Lebens bin ich durch die Energie und die Intelligenz von Frauen gerettet worden – und doch kann ich ihnen gegenüber ein Gefühl der Überlegenheit nicht los werden!« In der Tat wurzelt das Gefühl der Überlegenheit nicht in vernunftmäßig darzulegenden Motiven. Denn der Durchschnittsmann müßte sich sonst bei einiger Selbsterkenntnis mindestens den geistig hervorragenden Frauen untergeordnet fühlen – was aber gerade bei dem gewöhnlichen Mann keineswegs zutrifft. Und für den über das gewöhnliche Niveau erhobenen Mann könnte doch wohl dasjenige, was er mit den niedrigsten Individuen seines Geschlechtes gemein hat, nicht die Quelle eines besonderen Selbstbewußtseins bilden. Das aber wäre der Fall, wenn man das Überlegenheitsgefühl aus der höheren sexuellen Qualifikation der Männlichkeit ableiten wollte. Auch würde dieser Voraussetzung jede biologische Grundlage, fehlen. Das männliche Geschlecht, ganz allgemein als das Zeugende und Schaffende in der Natur gefaßt, steht biologisch nicht höher als das weibliche, dem an der Erhaltung und Fortpflanzung des Lebens mindestens der gleiche Anteil zukommt. Nur in dem organischen Mechanismus der Geschlechtsfunktion liegt die große Verschiedenheit – und in der damit zusammenhängenden emotionellen Energie auch der Ursprung dessen, was in der männlichen Psyche als sexuelles Überlegenheitsgefühl, als »Prärogative der Männlichkeit« auftritt.

Will man dieses Gefühl als Naturphänomen begreifen, so muß man es als eine teleologische Geschlechtseigenschaft betrachten, als eine von jenen, die das Individuum zur Erfüllung der Gattungszwecke geeignet machen. Solchergestalt wäre der Geschlechtsdünkel im Grunde nur eine Veranstaltung der Natur, um den Mann im Interesse der sexuellen Eroberung mit der nötigen aggressiven Selbstgewißheit auszustatten. Und da auf dem Geschlechtsdünkel die herrische Erotik ruht, erhellt es, daß sie dem primitiven Leben entstammt, der Entwicklungsstufe, auf welcher das Individuum noch mehr Gattungswesen als Persönlichkeit ist. Auf den höheren Stufen der geistigen Kultur, wo die Beziehungen der Geschlechter zueinander die Gestalt der Liebe annehmen, treten ganz andere, sublimierte Vorgänge des Seelenlebens auf, die jene teleologischen Naturbehelfe aufheben – was freilich nicht ausschließt, daß auch bei sonst hochentwickelten Individuen die erotische Sphäre der Persönlichkeit undifferenziert und das Geschlechtsempfinden primitiv bleibt.

Solange die herrische Erotik als Ausdruck einer urwüchsigen Vitalität erscheint, verbunden mit einer ungestümen elementaren Willensgewalt, solange derjenige, an dem sie sich manifestiert, ein »ganzer Mann« ist, der in seinem Wesen die Äquivalente seiner machthaberischen Geschlechtsnatur besitzt, bleibt sie ein Elementarereignis, das man eben hinnehmen muß wie jedes andere Naturphänomen.

Aber wir wissen ja, was unter den Einflüssen einer hochgesteigerten Zivilisation aus der primitiven Männlichkeit wird. Diese Zerrüttung rächt sich am empfindlichsten gerade an dem herrischen Erotiker. In demselben Maße, als die Machtfülle seiner Persönlichkeit hinter den Ansprüchen seines sexuellen Temperamentes zurückbleibt, wird er zu einer disharmonischen Erscheinung. Die starke Faust, die er dem Weibe gegenüber hervorkehrt, besitzt er im gewöhnlichen Leben nicht mehr; hier ist der erotische Machthaber sehr oft nichts weniger als selbstherrlich und kraftvoll. Dann wird die Dyskrasie in seiner seelischen Konstitution, der Gegensatz zwischen seiner erotischen Natur und seinem übrigen Wesen, zum Verhängnis für ihn. Der Mann, der nicht auch dem Leben gegenüber die starke Faust besitzt, die allein zur Herrschaft fähig macht, kann sich zu dem Weibe, das er im Banne seiner Erotik hält, nicht in das rechte Verhältnis setzen; er muß es notwendigerweise bei allen Zusammenstößen mit den äußeren Umständen enttäuschen. Zwischen seinem erotischen Leben und seinem bürgerlichen besteht ein latenter Konflikt, an dem er heimlich vielleicht ebensosehr leidet wie die Frau, die von in«n abhängt.

Häufiger ist es wohl, daß der herrische Erotiker in einer angenehmen Selbstverblendung befangen bleibt, die ihn darüber hinwegtäuscht, daß sein Überlegenheits- und Herrenbewußtsein eben nur in der sexuellen Sphäre und sonst nirgends begründet ist. Für diese Männer bildet das Weib das geeignetste Publikum; so sehr sie sich über dasselbe erhaben fühlen, so wenig können sie seiner entraten. Ihr Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht hat immer etwas von der vulgären Prahlerei, die sich am Schwächeren zu messen liebt. Wie zahm und fügsam sie auch sonst beschaffen sind, dem Weibe gegenüber lieben sie es, sich mit der großmäuligen Maske auszustaffieren, die in den Dramen der kriegerischen Männlichkeit getragen wurde, und mit den Schwertern zu rasseln, die ihre friedlichen Hände längst nicht mehr handhaben können.

Dieses renommistische Auftreten der Männlichkeit – das sich nicht bloß auf den Umgang mit Frauen beschränkt – hat für den unbeteiligten Beobachter eher einen komischen Anstrich. Und doch gehört ein gewisser Grad von Prahlerei zur erotischen Ausrüstung des Mannes, da die Natur selbst ihn darauf als auf ein Hilfsmittel der Werbung und Eroberung verweist, dessen sich auch der unschuldige Pfau bedient, wenn er vor dem Weibchen sein Rad entfaltet. Ohne Zweifel liegt in der Prahlerei viel suggestive Gewalt, namentlich jenen Frauen gegenüber, auf die ein Mann nur wirkt, wenn er seine Überlegenheit hervorkehrt.

Man kann die Prahlerei als das typisch männliche Geschlechtslaster bezeichnen – womit beileibe nicht gesagt sein soll, daß sie unter den Frauen nicht vorkomme. Sie spielt bei dem männlichen Geschlecht ungefähr die Rolle, wie bei dem weiblichen das buhlerische Element, die Koketterie; oder wenn man will, ist sie die männliche Form der Koketterie, weil ja auch diese nichts anderes als ein Hilfsmittel der sexuellen Anlockung bedeutet.

Dem feiner organisierten Menschen, dessen Auszeichnung die Strenge gegen sich selbst bildet, ist die Prahlerei, als eine Übertreibung oder mindestens Zurschaustellung der eigenen Vorzüge, etwas Widerwärtiges. Dennoch tritt auch in solchen Persönlichkeiten das prahlerische Element in Verbindung mit dem Geschlechtsdünkel hervor, soweit in ihrem Seelenleben die herrische Erotik regiert.

Es gibt in der deutschen Literatur einen klassischen Beleg dafür, wie angemessen das prahlerische Auftreten selbst den edelsten und vornehmsten Männern erscheint, wenn ein herrisch-erotischer Tropfen in ihrem Blute fließt. Dieses repräsentative Werk der männlichen Prahlerei ist Schillers Wallenstein. Nirgends drängt sich der Abstand zwischen den Worten der Männlichkeit und ihrem Handeln sichtbarer auf als in diesem Werk. Seine symptomatische Bedeutung aber liegt darin, daß das prahlerische Element durchaus unabsichtlich und nur als natürliche Äußerung der Mannhaftigkeit auftritt – vielleicht ein Überrest jener elementaren Empfindung des Autors, die sich in der »Männerwürde« noch so unverblümt brüstete. Alle Augenblicke heißt es: »Denkt nicht, daß ich ein Weib sei«; oder: »Seid ihr nicht wie die Weiber, die beständig zurück nur kommen auf ihr erstes Wort«; oder: »Übel stimmt der Weiber Klage zu dem Tun der Männer«; aber das Tun der Männer, von denen keiner »eine Tat und ihre Verantwortung« auf sich zu nehmen vermag (Otto Ludwig), rechtfertigt dieses prahlerische Überlegenheitsbewußtsein nicht im geringsten.

Daß das Stück in einer Epoche spielt, in der die kriegerische Ungebundenheit der primitiven Männlichkeit zum letztenmal vor ihrem Niedergang hoch aufloderte, macht die Schwäche der auftretenden Männer und ihr weibisches Wesen um so auffälliger. Was hier zur Erscheinung kommt, ist die dyskratische Männlichkeit eines zivilisierten Zeitalters, die sich nur mehr nach außen hin grimm und gewalttätig gebärdet – im letzten Grunde, um dem Bedürfnis nach dem erotischen Gegensatz genugzutun.

In der modernen Literatur gibt Strindbergs »Vater« ein anderes, noch viel lehrreicheres Beispiel der unbeabsichtigten Darstellung männlicher Prahlerei. Man kann dieses Stück geradezu die Tragödie der männlichen Prahlerei nennen, obgleich es nach der deutlich hervortretenden Absicht des Verfassers die Tragödie der Vaterschaft sein soll, die Darstellung des Martyriums, zu welchem die Natur selbst den Mann als Vater verurteilt hat. Dieser Rittmeister, der hier alle Leiden der Vaterschaft durchmacht, ist kein Mensch, der sich darauf versteht, Herr zu sein, und im Grunde auch weiß, daß ihm in diesem Punkte etwas abgeht. Nichtsdestoweniger trifft er beständig Anstalten, den Weibern seiner Umgebung den Herrn zu zeigen. »Es ist, als wenn ich in einem Tigerzwinger umherginge; und hielte ich ihnen nicht mein glühendes Eisen unter die Nase, würden sie mich im ersten besten Augenblick zerreißen.« Er bemerkt nicht, daß es nur sein glühendes Eisen ist, das alle diese gewöhnlichen Hauskatzen in Tigerinnen verwandelt. »Ich dulde keinen Eingriff in meine Rechte, weder von Weibern noch von Kindern« – bramarbasiert er; und er fordert seine Frau, die von sich sagt, daß sie niemals einen Mann habe ansehen können, ohne sich ihm überlegen zu fühlen, zum tödlichen Zweikampf durch die renommistische Antwort heraus: »Na, dann sollst du einmal einen zu sehen bekommen, der dir überlegen ist, so daß du es niemals wieder vergißt.« Und doch erliegt er bei dem ersten Widerstand in zorniger Ohnmacht; überwältigt durch den boshafterweise in seine Seele gestreuten Zweifel an der Legitimität seines Kindes, bricht er vor seiner Frau in Tränen aus und sagt ihr: »Ich begehre nur Mitleid wie ein Kranker, ich lege das Zeichen meiner Macht nieder und flehe um Gnade für mein Leben.« Er gesteht ihr selbst, daß er bei ihr Verachtung seiner Unmännlichkeit zu bemerken glaubte und sie als Weib dadurch gewinnen wollte, daß er sich ihr als Mann anbot. Damit aber hat er alles verdorben; denn seine Frau, geneigt, seine Schwäche zu entschuldigen, solange er bloß als ihr Freund an ihre mütterlichen Empfindungen appellierte, schämt sich seiner als Geliebten. »Die Mutter war deine Freundin, aber das Weib deine Feindin ...«

Ganz nahe streift hier Strindberg das Problem der dyskratischen Naturen und den tragischen Konflikt, der sich aus dem inneren Widerstreit entgegengesetzter Instinkte in dem Individuum selbst entwickelt. Der Tiefblick des Künstlers aber wird durch die Subjektivität der Mannespersönlichkeit gleich wieder verdunkelt; er läßt das Problem fallen und fährt tendenziös fort: »Die Liebe zwischen den Geschlechtern ist ein Kampf ...«

 

Auch die Auffassung der Liebe als eines Kampfes gehört zu den Kennzeichen der herrischen Erotiker. Daß die Liebe ihrem Wesen nach eine Aufhebung des Kampfes ist, der sonst überall in der Welt herrscht, und daß das Verhältnis zwischen den Geschlechtern eben noch nicht Liebe ist, solange es die Natur eines Kampfes behält, das bleibt dem herrischen Manne notwendigerweise verborgen. Für ihn handelt es sich dem Weibe gegenüber um Herrschen und Unterwerfen. Nur weil die herrische Erotik in ihrer absoluten Gestalt und ungemildert durch entgegenwirkende individuelle Eigenschaften selten vorkommt, ist das Verhältnis der Geschlechter meistens doch nicht eine »ewig feindselige Spannung«, wie Nietzsche meinte, und die orientalische Behandlung des weiblichen Geschlechtes auf jene Rassen beschränkt, bei denen sich noch keine Differenzierung des erotischen Empfindens vollzogen hat.

Unter Erotik schlechtweg – einem Worte, das eine vielfältige Auslegung zuläßt – wird hier die Fähigkeit verstanden, die geschlechtlichen Beziehungen mit persönlichem Gehalt zu erfüllen, zum Unterschiede von der Sexualität schlechtweg, die nicht mehr enthält als den blinden Trieb zum anderen Geschlecht.

Nicht mit jeder seelischen Konstitution ist eine wirkliche innerliche Annäherung an die Menschen des anderen Geschlechtes, eine Wesensverschmelzung, vereinbar. Das setzt eine besondere Entwicklung der psychosexuellen Sphäre voraus. Je edler und vollkommener diese Sphäre ist, desto edler und vollkommener werden die Beziehungen eines Menschen zum anderen Geschlechte sein, desto weiter reicht er mit seiner Erotik. Die höchste Entfaltung der Erotik stellt eine Art der Genialität dar.

Das erotische Genie steht auf der obersten Stufe der psychosexuellen Entwicklung, während der herrische Erotiker auf der untersten zurückgeblieben ist, dort, wo sie sich eben erst über den bloßen Geschlechtstrieb zu erheben und mit Vorstellungen zu erfüllen beginnt, die den primitivsten Instinkten noch ganz nahverwandt sind. Auf der Skala zwischen jenem obersten und diesem untersten Grade finden sich die verschiedenen Individualitäten; die große Mehrzahl ist auch in dieser Beziehung wie überall mittelmäßig. Daß hier nur von den Extremen die Rede ist, geschieht deshalb, weil nur an den Extremen die Eigenschaften scharf ausgeprägt sind, aus welchen gewisse Lebenserscheinungen erst erklärbar werden. Aus dem gleichen Grunde erscheint hier nur das erotische Genie männlichen Geschlechtes in Betrachtung gezogen, obwohl diese Art der Genialität ebenso bei dem weiblichen vorkommt, wenn auch in dem Maße seltener, als das Genie überhaupt unter den Frauen. Zudem gilt alles, was vom männlichen Genie der Erotik gesagt werden kann, umgekehrt auch vom weiblichen – wie denn in den höchsten Höhen der Menschlichkeit, ob es sich um die künstlerische, die moralische oder irgend eine andere Genialität handelt, die sexuellen Verschiedenheiten immer mehr verschwinden.

Hingegen zwischen den Empfindungen des genialen und denen des herrischen Erotikers besteht ein so großer Unterschied, daß kaum mehr gemeinsame Züge der Männlichkeit zwischen, ihnen übrig bleiben. Wenn die verborgene Basis des aus der Sexualität entspringenden Mannesbewußtseins die Tatsache ist, daß der Mann auch gegen den Willen des Weibes seine sexuelle Gewalt durchzusetzen, das Weib aber den Mann nicht zu zwingen vermag, so geht vielleicht aus diesem elementaren Verhältnis der Geschlechter im letzten Grunde das Gefühl des Abstandes hervor, der Fremdheit, der Rangverschiedenheit, die den Mann zum Herrn des Weibes macht. In der Liebe jedoch entäußert sich der Mann freiwillig seiner elementaren Gewalt. Die gesteigerte Differenzierung des erotischen Empfindens bringt eine neue Fähigkeit mit sich, die das Bewußtsein der Überlegenheit auslöscht und das Bedürfnis nach dem Abstand in das Bedürfnis der Gemeinsamkeit, der Gegenseitigkeit verwandelt – die Fähigkeit der Hingebung. Damit begibt sich das Merkwürdige in der männlichen Psyche, das große Wunder, das eine völlige Umkehrung des primitiven Empfindens bewirkt, eine Wandlung der teleologischen Geschlechtsnatur.

Das erotische Genie umfaßt die Wesen des anderen Geschlechtes mit intuitivem Verständnis und vermag sich ihnen ganz zu assimilieren. Sie sind ihm das Urverwandte und Urvertraute; die Vorstellungen der Ergänzung, der Erfüllung, der Befreiung des eigenen Wesens oder selbst die einer mystischen Verschwisterung begleiten seine Liebesbeziehungen. Ihm bedeutet die Geschlechtlichkeit nicht eine Aufhebung oder Beschränkung der Persönlichkeit, sondern eine Steigerung und Bereicherung durch die Individuen, mit denen es auf diese Weise verknüpft wird.

Aber nicht etwa die Anzahl der Eroberungen ist es, die den genialen Erotiker ausmacht; sie hat mit seinen entscheidenden Eigentümlichkeiten so wenig zu tun, wie die strenge Ausschließlichkeit der Treue. Es gibt unter den erotischen Genies monogame Naturen, wie Novalis, die so völlig in einem geliebten Wesen aufgehen, daß sie ihre tiefste Ehre darin erblicken, selbst das Leben aufzugeben, wenn der Tod sie scheidet; oder polygame, wie Goethe, die imstande sind, gleichzeitig auch mehreren sich in Liebe zu ergeben. Nichts könnte das Empfinden des polygamen erotischen Genies gegenüber seinen gegenwärtigen und vergangenen Liebesbeziehungen besser charakterisieren, als jene Stelle in den Briefen an Frau von Stein, wo Goethe von seinem, nach vielen Jahren der Trennung erfolgten Besuche bei Friederike und Lilly erzählt: »Die schöne Empfindung, die mich begleitet, kann ich nicht sagen. So prosaisch ich nun mit diesen Menschen bin, so ist doch in dem Gefühl von durchgehendem reinen Wohlwollen, und wie ich diesen Weg her gleichsam einen Rosenkranz der treuesten, bewährtesten, unauslöschlichen Freundschaft abgebetet habe, eine recht ätherische Wollust.«

In dem Band, das den genialen Erotiker mit den erwählten Wesen des anderen Geschlechtes verbindet, ist eben nicht wie bei dem herrischen Erotiker ein Einschlag von Fremdsein oder Feindschaft enthalten, der in dem Augenblick sichtbar wird, als die Kette der sexuellen Anziehung zerreißt: dieses Band besteht aus dem einheitlichen Gefühl einer »unauslöschlichen Freundschaft«, die sich auch dann erhält, wenn die enthusiastische Phase vorüber ist.

Ja vielleicht ließe sich selbst die Behauptung rechtfertigen, daß das erotische Genie seine tiefsten und entscheidendsten geistigen Beziehungen in dem Verkehr mit Frauen und nicht in der Männerfreundschaft finde. Wenigstens hat Richard Wagner an Mathilde Wesendonk geschrieben, daß für ihn »die Sehnsucht, in einem Herzen, in einer bestimmten Individualität den bergenden erlösenden Hafen zu finden« der Natur der Welt nach nur durch ein liebendes Weib erfüllt werden könne, und daß ihm die edelsten Versuche seiner Beziehungen zu Männern »die deutlich erkannte Unmöglichkeit, in der Freundschaft eines Mannes das Ersehnte zu finden«, gezeigt hätten.

In diesen Briefen offenbart sich das Wesen der erotischen Genialität in seiner höchsten Schönheit und seinem höchsten Adel. Eine grenzenlose Hingebung, ein Bedürfnis nach unbedingter Gemeinsamkeit redet hier mit einer Innigkeit, die um so wunderbarer ist, als sie aus einer Natur von äußerster Impetuosität und Willensgewalt, aus einem sehr »männlichen« Charakter stammt. Wagner kann sich nicht genug daran tun, der geliebten Frau zu versichern, daß er völlig von ihr abhängt, daß er ganz wie sie ist, ganz wie sie empfindet, ganz ihre Stimmung und ihr feinstes Weh teilt, ja daß selbst seine Kunst nur soweit seinem Herzen nahe steht, als sie die Begleiterin seiner tiefen Harmonie mit ihr ist: »Mein wahrer Ernst ist nicht dabei ... o glaube! glaube mir, daß nur du mein Ernst bist ... Alles hat nur Sinn und Bedeutung durch dich ... Mit dir kann ich alles, ohne dich nichts!«

Wie sehr unterscheidet sich diese Sprache von jener, welche die herrische Erotik anzuschlagen pflegt! Wer sie durch eine erstaunliche Übereinstimmung beglaubigt sehen will, wird sie in Goethes Briefen an Frau von Stein finden. Dasselbe freudige Bekenntnis der Abhängigkeit, dasselbe Gefühl der Ergänzung durch Gegenseitigkeit, dieselbe rückhaltslose Hingegebenheit an das Ich des geliebten Weibes: »Ja liebe Lotte, jetzt wird es mir erst deutlich, wie Du meine eigene Hälfte bist und bleibst. Ich bin kein einzelnes, kein selbständiges Wesen. Alle meine Schwächen habe ich an Dich angelehnt, meine weichen Seiten durch Dich beschützt, meine Lücken durch Dich ausgefüllt ... Ich sehe, wie wenig ich für mich bestehe und wie notwendig mir Dein Dasein bleibt, daß aus dem meinigen ein Ganzes werde ... Ich bitte Dich fußfällig, vollende Dein Werk, mache mich recht gut ... schaffe und bilde mich auch so, daß ich Deiner wert bleibe.«

Die Vorstellung, daß der Mann der schaffende und bildende ist, nach dessen Willen und Ideen sich das Weib formen, dem es sein ganzes geistiges Sein verdanken soll – eine Vorstellung, die sich beispielsweise in den Briefen Heinrich von Kleists an seine Braut so unumwunden vordrängt – wird hier durch die entgegengesetzte abgelöst; jede Spur von Geschlechtsstolz ist in Hingebung geschmolzen.

Bei dem erotischen Genie entfaltet die Anmutung, die es durch das Weib empfängt, die höchsten Seelenkräfte. Ihm erscheint das Weib als die Vermittlerin zwischen der sinnlichen Welt und der Gottheit – wie Sophie von Kühn bei Novalis; als die Führerin zur Vollendung – wie Beatrice bei Dante; als die Spenderin aller Erkenntnis und alles innerlichen Lebens – wie Vittoria Colonna bei Michelangelo, der schrieb:

»Von meinen Lippen kommt dein Geist geflossen,
Von deinem Willen ist mein Will' umschlossen,
Und mein Gefühl ist deiner Brust entsprossen.
Mein Wesen deucht mir gleich dem Mond gesponnen –
Empfing er nicht sein Licht vom Licht der Sonnen,
Sein Leuchten hätte nimmer noch begonnen.«

Und auch Goethe hat dem Einfluß der Charlotte von Stein in seinem Leben das Höchste zugeschrieben, indem er sie Shakespeare an die Seite stellte:

»Lida, Glück der nächsten Nähe,
William, Stern der schönsten Höhe,
Euch verdank ich, was ich bin.
Tag und Jahre sind verschwunden,
Und doch ruht auf jenen Stunden
Meines Wertes Vollgewinn.«

Die Fülle lieblicher und holdseliger Vorstellungen, mit denen die Phantasie der genialen Erotik das Geschlechtsverhältnis ausgestattet hat, gehört zu den edelsten Schätzen des menschlichen Geisteslebens; und die Literatur aller Völker gibt Zeugnis davon, wie völlig die erotische Genialität, wenn sie mit der künstlerischen gepaart ist, in die weibliche Psyche unterzutauchen, wie lebendig sie diese aus sich herauszustellen vermag. An der individualisierten und vertieften Charakteristik, die ein Dichter seinen Frauengestalten zu geben vermag, läßt sich wohl erkennen, wie weit seine künstlerische Genialität von der gleichen erotischen begleitet ist. Man kennt den Unterschied, der in dieser Hinsicht zwischen den Goetheschen und den Schillerschen Frauengestalten besteht; und wenn von den Schillerschen behauptet wird, daß ihnen das individuelle weibliche Leben fehlt, so deutet das auf einen Mangel in der Fähigkeit des Autors, das Weib in sich zu erleben – worin im letzten Grunde das Mysterium der erotischen Genialität besteht, die Erklärung dafür, warum dem erotischen Genie die Wesen des anderen Geschlechtes das Verwandteste und Vertrauteste sind. In diesem geheimnisvollen Liebeserleben der höchsten Erotik fällt die Scheidewand zwischen den Geschlechtern, und jene wundersame Stimmung, die von einem »Tausch der Seelen« träumt, stellt eine Gemeinschaft her, die über die Schranken des Körperlichen hinaus sich bis zur mystischen Vorstellung einer metaphysischen Wesenseinheit erhebt.

Was sich aber in der Gestalt des Don Juan verkörpert, ist nichts weniger als der Typus des erotischen Genies. Nur der Mann als sexueller Eroberer, der vollendete Virtuose der Sexualität, hat in dieser Gestalt seinen höchsten Ausdruck gefunden. Zugleich wird an dieser Gestalt das Wesen der typisch männlichen Sexualität als das eines nie zu befriedigenden Triebes sichtbar, der in einem unaufhörlichen Wechsel sucht, was er doch nie innerlich erreicht: das Weib. Auch in ihrer äußersten Steigerung vermag die bloße Sexualität keine Wesensverbindung zwischen Mann und Weib herzustellen; zur Seele des Weibes führt kein Weg durch die geschlechtliche Vereinigung für denjenigen, der diese Seele nicht vorher gefunden hat. Männer ohne Erotik verfallen daher leicht auf die Annahme, daß »das Weib« überhaupt keine Seele habe, weil ihnen, die doch öfter die höchste sexuelle Macht ausüben, ihr erotisches Unvermögen nicht zum Bewußtsein kommt.

So wenig wie in den Niederungen der Sinnlichkeit streift der herrische Erotiker die Nachteile seiner geschlechtlichen Eigenart auf dem Wege zum Gehirnmenschen ab. Je mehr er sich von dem primitiven und natürlichen Gemütszustand entfernt, in welchem die geschlechtlichen Dinge noch nicht Problem sind, wird möglicherweise sein Verhältnis zu ihnen, und damit zugleich sein Verhältnis zum Weibe, bitterer, peinlicher, böser; es erhält eine vergiftete Spitze, es brennt als eine Wunde in seiner Seele. Er ist entweder Zyniker oder – freilich unvergleichlich seltener – Asket; und schon allein die Mischung von zynischer Frechheit und asketischer Scheu, welche die Stellung der modernen Kulturmenschheit gegenüber allem Geschlechtlichen kennzeichnet, verrät, was für eine Empfindungsweise die Allgemeinheit beherrscht.

Der Konflikt zwischen Persönlichkeit und Geschlecht, den nur die Liebe ohne Verneinung zu lösen vermag, verschärft sich oft genug für den herrischen Erotiker in dem Maße als seine Geistigkeit wächst. Da er das Weib als ein fremdes und fernes, als inferiores, sogar als untermenschliches Geschöpf empfindet, erzeugt die Abhängigkeit, die das Geschlecht mit sich bringt, in ihm eine feindselige Reaktion wider das Weib. Nur wenn seine Sexualität über ihn Herr wird, vermag er sich dem Weibe zu nähern. Und sie gewinnt nur anfallsweise über ihn Macht; sie unterjocht ihn wie eine fremde Gewalt, die ihn einem im Grunde unwürdigen oder verhaßten Wesen ausliefert. Daß er dieser Gewalt unterliegt, demütigt ihn vor sich selbst und bewirkt, wenn er wieder zur Besinnung kommt, eine peinvolle Ernüchterung. So wird die Sexualität, die für den primitiven Mann die Quelle eines gesteigerten Selbstgefühles und Überlegenheitsbewußtseins ist, für ihn ein quälend zwiespältiger Zustand, der Ursprung einer Dissonanz, die er nicht bloß in seinem persönlichen Leben, sondern im ganzen Weltall vernimmt.

Es gibt Anhaltspunkte, die darauf hinweisen, daß ein Zusammenhang zwischen der asketisch-pessimistischen Weltanschauung und der, mit einer gesteigerten Geistigkeit verbundenen anerotischen Sexualität besteht. Der ungeheuerliche Gedanke einer allgemeinen untilgbaren Verschuldung der Menschheit, die Auffassung des Geschlechtsaktes als eines Sündenfalles und des ganzen Erdenlebens als einer fluchbeladenen Täuschung, scheinen in dem Zwiespalt ihren geheimen Grund zu haben, der das Seelenleben solcher Männer zerreißt. Die großen Verächter des kreatürlichen Lebens, die Erfinder einer jenseitigen, übersinnlichen Welt, waren fast alle zugleich Verächter und Gegner des Weibes. Für den an seiner Sexualität leidenden Mann muß die Welt, die aus der Zeugung entspringt, mit einem Fluche behaftet sein, und das Weib als das Objekt, das den unheilvollen Trieb ewig wach erhält, die nächste Ursache dieses Fluches. Es ist symptomatisch für diese Art des Empfindens, daß die männliche Phantasie das Weib als die Verführerin, als die Veranlassend des Sündenfalls hingestellt hat, und daß sie die Erlösung von einem über das Geschlechtliche erhabenen Weibe, von einer »unbefleckten« Jungfrau ausgehen ließ.

Was sich in dem grundlegenden Mythus von Adam und Eva äußert: die Projektion eines Zustandes der männlichen Psyche in die Gestalt des Weibes, die Verführung der Geistigkeit durch die Sexualität, bei welcher der Mann dem Weibe die aktive Rolle zuerkennt, die er doch nach dem realen, nicht symbolischen Lauf der Dinge sich selber vorbehält – das ist ein Prozeß, der tiefe Spuren in der ganzen Geistesgeschichte zurückgelassen hat, ein Prozeß, dessen praktische Konsequenzen das weibliche Geschlecht als die intellektuell schwächere Hälfte schwer zu fühlen bekommen hat.

Der gesteigerte Intellektualismus des Mannes rächt sich am Weibe für die Leiden der Geschlechtlichkeit. Diese Verwechslung eines subjektiven Zustandes mit dem Objekt, das ihn veranlaßt, macht dem männlichen Intellekt keine Ehre. Aber sie ist noch nicht das Schlimmste.

Wenn schon unter normalen Verhältnissen die Vorstellungen der herrischen Erotik eine empfindliche Beeinträchtigung für alle jene Frauen sind, die ihnen nicht entsprechen, so werden sie für das ganze weibliche Geschlecht zu einer Geißel und Gefahr, sobald sie jene extreme Gestalt annehmen, in welcher sie ans Pathologisch-Wahnhafte grenzen.

Man kennt unter dem Namen Sadismus eine psychopathische Entartung des sexuellen Empfindens, die ihrem Wesen nach in einer Erregung und Befriedigung durch grausame Akte besteht. Ein Element der Grausamkeit schlummert ja stets auf dem Grunde der herrischen Erotik und tritt in dem Bedürfnis hervor, dem Weibe die Gewalt der starken Faust zu fühlen zu geben, im Weibe ein willenlos ergebenes, leidendes, zur Aufopferung bestimmtes Wesen zu besitzen. Wenn dieses Element sich ins Unmäßige steigert oder mit morbiden Instinkten verbindet, bereitet es den Boden für die sadistische Entartung.

Die Neigung zur Peinigung des Gegenstandes, der im Bewußtsein mit sexueller Betonung auftritt, kann aber auch eine Richtung ins Intellektuelle einschlagen. Dann bildet die Herabsetzung und Verunglimpfung des weiblichen Geschlechtes das Mittel der Befriedigung, so daß man wohl von einem intellektuellen Sadismus zu sprechen berechtigt ist. Vielleicht verbergen sich hinter der Schmähliteratur über das Weib vielfach bloß Rachegelüste von Männern, die im Umgang mit dem weiblichen Geschlechte irgendwie schlecht weggekommen sind; in anderen Fällen rühren diese literarischen Produkte ohne Zweifel aus einem krankhaften Triebe her, und sie sind als sadistische Akte auf geistigem Gebiete zu betrachten.

Ein historisches Dokument des intellektuellen Sadismus, das durch seine Wirkung die größte Bedeutung besitzt, ist der »Malleus maleficarum«, jenes furchtbare, von abergläubischem Ingrimm und fanatischem Haß wider das weibliche Geschlecht erfüllte Buch, aus dem der Hexenprozeß sich entwickelte. Man kann an diesem Werke nicht vorübergehen, wenn von den Extremen der aus einer krankhaften Sexualität entspringenden Feindschaft des Mannes wider das Weib die Rede ist; denn welches auch die äußeren Anlässe gewesen sein mögen, denen der Hexenhammer seine Entstehung verdankt, die subjektive Disposition der beiden Dominikanermönche, die ihn verfaßten, ist doch in erster Linie zur Erklärung heranzuziehen. Alles, was die geschlechtliche Phantasie seit Urzeiten an Wust und Wahn hervorgebracht, was die satanistische Lust an ungeheuerlichen sexuellen Freveln jemals erfunden hat, fassen die Autoren zusammen, um es dem Weibe zur Last zu legen. Die Geschichte des Hexenprozesses ist ein schreckenerregender Beleg für die Wirkung, die solche wahnhafte Vorstellungen unter Umständen ausüben: »Die Seuche des allgemeinen Glaubens an teuflische Zauberei und an Teufelsbuhlschaft, und der Furcht vor den Hexen, in welcher die abendländische Christenheit zwei Jahrhunderte lang erzitterte, ist großenteils durch den Hexenhammer selbst hervorgerufen, der die Millionen Schlachtopfer, die er zerschmetterte, sich selbst erst zubereitet hat. Seitdem dieser Kodex der Hexenverfolgung aufgestellt war, wirkten Kirche und Gerichtsstube zusammen, um die Theorie aufzubauen, wobei Philosophie und Medizin treulich halfen; und die Strafpraxis lieferte wiederum das Material, um die Theorie zu bestätigen.« (Soldans Geschichte der Hexenprozesse.)

Bedenkt man, daß den objektiven Erscheinungen, deren groteske Auslegung der Hexenwahn war, aller Wahrscheinlichkeit nach die Krankheit zugrunde lag, die heute unter dem Namen Hysterie bekannt ist, so wird der Hexenprozeß überdies zu einem unendlich beschämenden Monument für die Unzulänglichkeit der männlichen Intelligenz in allen Dingen, in denen die Sexualität und das Verhältnis zum Weibe mitspielt. Gesetzt selbst, daß sich unter den Opfern nicht bloß Hysterische, Wahnsinnige und unschuldig Denunzierte, sondern auch eine Anzahl gemeiner, gleisnerischer und boshafter Weiber befanden – die Kriminalistik des Hexenprozesses überragt an Gemeinheit, Aberglauben und Bosheit die etwaigen Verbrechen der Bestraften so weit, daß die ausübenden Gerichtspersonen als tief unter den Delinquentinnen stehend erscheinen.

Nach der Angabe des Hexenhammers war es hauptsächlich »unersättliche Wollust, die zum Umgang mit Dämonen reizt«, durch die das weibliche Geschlecht der Teufelsbuhlschaft verfiel, wozu es überdies durch seine Minderwertigkeit im Glauben – nach der Etymologie des Hexenhammers war die Bezeichnung femina von fe und minor abzuleiten! – disponiert war. Die schamlose Ausschmückung der Teufelsbuhlschaft mit obszönen Details, deren Geständnis auf der Folter durch Suggestivfragen zu erpressen war, bildet einen wesentlichen Bestandteil des Hexenhammers und zeigt deutlich, daß hinter ihm nicht bloß kirchenpolitische Machtgelüste standen, sondern eine sexuelle Perversion, die mittelst imaginärer Greuel einem sadistischen Vernichtungstrieb wider das weibliche Geschlecht Genugtuung schaffte.

Wir sind im allgemeinen geneigt, zu glauben, was vergangen ist, sei auch überwunden. Die moderne Wissenschaft hat den alten Aberglauben aus ihrem Bereich hinweggefegt; aber die dunklen Tiefen der menschlichen Psyche sind nicht so leicht reinzufegen, und es könnte wohl sein, daß der alte feindliche Wahn über »das Weib« in milderen Formeln und moderner Maske noch immer sein Unwesen treibt. Philosophie und Medizin helfen auch heute noch treulich, um subjektiven Phantasiegebilden den Nimbus objektiver Wahrheiten zu verleihen. Stammt nicht von einem sogenannten Mann der Wissenschaft (Lombroso) der Ausspruch, daß »auch das normale Weib ein halbkriminaloides Wesen« ist –? Wurde nicht erst kürzlich mit allem Aufwand philosophischer Gründlichkeit von Weininger »ein ganz umfassender Nachweis geführt, daß das Weib seelenlos ist, daß es kein Ich und keine Individualität, keine Persönlichkeit und keine Freiheit, keinen Charakter und keinen Willen hat«, und so die alte Frage, ob das Weib eine Seele habe, welche die christlichen Misogyne vor weit mehr als tausend Jahren auf dem Konzil von Macon bejahen mußten, im zwanzigsten Jahrhundert verneint –? Manisch-obszöne Vorstellungen, wie z. B.: »Unterschiedslos fühlt sich jede Frau ... fortwährend und am ganzen Leibe, überall und immer, von was es auch sei, ausnahmslos koitiert« (Weininger) streifen ganz nahe an die Vorstellung des Hexenhammers von der »unersättlichen Wollust des Weibes«, und deuten auf einen bestimmten psychosexuellen Zustand als gemeinsame, durch die Jahrhunderte unveränderte Quelle.

Diese Quelle hat ihre Ebbe und Flut in der sozialen Geschichte; sie fällt in den Zeiten der Blüte, wenn die genialen Individuen zahlreich sind und die Kultur mit dem Reichtum ihres Empfindungslebens erfüllen; sie steigt in den Zeiten des Niederganges, wenn die niedrigen Tendenzen der menschlichen Natur ungehemmt die Herrschaft führen und Schädlichkeiten aller Art das Instinktleben gefährden. So hoch das Weib während der Renaissance und ihren vorbereitenden Epochen in der Schätzung des Mannes gestanden hat, so tief sinkt es zur Zeit des dreißigjährigen Krieges, in welcher die Vorstellungen des Hexenhammers Gemeingut werden, Vorstellungen, die an der zeitgenössischen Gesellschaft dieses Buches wirkungslos vorübergegangen waren.

 

Kehren wir schließlich zum Ausgangspunkte dieser Betrachtung und zu ihrer Nutzanwendung zurück. Wir resümieren: ein Mann kann im Verkehr mit Männern so vorurteilslos, so gerecht, so objektiv sein als möglich – wenn die psychosexuelle Seite seiner Persönlichkeit hart, grobschlächtig und herrisch ist, wird er über »das Weib« weder vorurteilslos noch gerecht denken. Wie hoch er sich auch als Denker erhebe, hier findet er seine Grenze.

Ach, aber die Frauen haben keine Ursache, über diese Beschränktheit des männlichen Intellektes zu lächeln. Diese Beschränktheit kommt ihnen teuer zu stehen. Da sie nun einmal der Mehrzahl nach dem Manne nicht gleich sind, durch ihre geringere Willenskraft und schwächere Intelligenz von ihm abhängig, obendrein durch ihre erotischen Neigungen an die starke Faust gebunden, bildet die Subjektivität des Mannes in den sexuellen Dingen das tragische Verhängnis des ganzen weiblichen Geschlechtes.

Diejenigen Frauen jedoch, deren Wesensart positivere Elemente enthält, als sie mit den Ansprüchen der herrischen Erotik verträglich sind, werden eben unterscheiden müssen, von welchen Männern sie Anerkennung erwarten können und von welchen nicht. Nicht auf die überzeugende Kraft irgendwelcher Argumente dürfen sie bei ihren Bestrebungen hoffen; vielleicht aber, daß die Natur selbst ihnen zu Hilfe kommt. Da sich doch im Laufe der Kulturentwicklung die Sexualität zur Liebe sublimiert hat, warum sollte eine biologische Veränderung, welche die psychosexuelle Disposition der Geschlechter noch weiter zu beeinflussen vermöchte, als utopische Annahme erscheinen? Es ist nicht auszuschließen, daß sich unter den Lebensbedingungen einer steigenden Kultur jene Differenzierung der Männlichkeit immer häufiger vollziehe, die ihren höchsten Ausdruck in dem erotischen Genie findet. Diese Lebensbedingungen, welche die äußeren Unterschiede in der Tätigkeit der Geschlechter mehr und mehr verwischen, wirken im Sinne der Annäherung und sind ganz danach angetan, den herrischen Vorstellungen wenigstens auf sozialem Gebiete den Boden zu entziehen.

Auch die zunehmende Intellektualisierung könnte mit der Zeit bei einer größeren Anzahl von Männern bewirken, daß sie zwischen den Frauen ihres erotischen Geschmackes und jenen eine objektive Scheidung machen, die man gelten läßt, ohne sie mit den Augen des geschlechtlich Wählenden zu betrachten. Es gibt immerhin unter den herrischen Erotikern auch solche, deren theoretische Anschauungen über die soziale Stellung der Frauen freiere sind, als es sich mit der Praxis ihres Privatlebens verträgt. Kann ein Mann nicht öffentlich die bürgerliche Gleichstellung des weiblichen Geschlechtes vertreten und zugleich in dem häuslichen Verhältnis zu seiner eigenen Frau seine herrische Natur hervorkehren? Mit Unrecht würde man daraus den Vorwurf der Inkonsequenz ableiten; vielmehr ist darin das Symptom einer bemerkenswerten und seltenen Erhebung über die gewöhnliche Subjektivität zu erblicken, ein Unabhängigsein des Intellektes von den Banden der elementaren Wesenheit, das Achtung gebietet.

Der Anteil, den die Frauen an den modernen Kulturidealen, an der Befreiung des Individuums zum Zwecke seiner ungehemmten geistigen Entfaltung, an dem Kampf um die Rechte der freien Persönlichkeit haben, kann auf die Dauer an der Organisation der Gesellschaft nicht spurlos vorübergehen. Und so hätten die Anzeichen einer Reaktion dagegen, die sich in zunehmender Feindseligkeit zwischen den Geschlechtern kundgibt, in den gelegentlichen Ausbrüchen der herrischen Männer wider die »Entarteten« oder die »Gehirndamen«, ungefähr die gleiche symptomatische Bedeutung, wie die Steigerung des Nationalitäts- und Rassengegensatzes in einer Zeit, die durch ihre Einrichtungen die Unterschiede der Rassen und Nationen vorschnell aufzuheben droht. Beide Phänomene deuten darauf, daß eine Gegenwehr im Bewußtsein derjenigen stattfindet, deren Empfindungsleben den neuen Verhältnissen nicht angepaßt ist.

Zwar muß die Unveränderlichkeit des angeborenen Wesens als die Schranke gelten, über die niemand hinweg kann: aber bis zu einem gewissen Grade ist dennoch alles lehrbar und lernbar. Der suggestive Einfluß großer Vorbilder bedeutet ein Kulturelement von höchstem Wert. Und mit unvergänglich leuchtenden Worten verkündet das erotische Genie schon seit Jahrhunderten der Menschheit die frohe Botschaft, daß zwischen den Geschlechtern ein ganz anderes Verhältnis bestehen kann, als sich die Männer der starken Faust träumen lassen.


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