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Wo man auch die Probleme, die mit dem Weibe in Zusammenhang stehen, anfassen mag: immer wird man auf etwas unlösbar Widerspruchvolles stoßen. Nirgends liegen die äußersten Gegensätze so unmittelbar nebeneinander wie hier. Durch die ganze Geschichte menschlicher Entwicklung erscheint das Weib in einem seltsamen Zwielicht: bald als ein übermenschliches, bald als ein untermenschliches Wesen, halb göttlich oder halb teuflisch, als Prophetin und Sibylle mit wundertätigen Eigenschaften ausgestattet oder als Hexe und Zauberin von dämonischen Kräften besessen. Diese Mischung von Aberglauben und Vorurteilen macht sich im günstigen und im ungünstigen Sinn geltend und bewirkt auch in der sozialen Stellung des weiblichen Geschlechtes eine widerspruchsvolle Ungleichheit. Unterdrückung bis zur Sklaverei und Verherrlichung bis zur Anbetung. Wenn man den Psychologen Glauben schenken darf, läge schon tief in der seelischen Konstitution des Weibes das Bedürfnis nach Unterordnung. Tatsächlich wird das Weib durch Gesetz und Sitte fast bei allen Völkern und zu allen Zeiten in die Gewalt des Mannes gegeben. Auch im modernen Staat ist das Weib als Tochter, als Gattin, als Mutter zu einer weitgehenden Abhängigkeit verurteilt, und die Frau als selbständige Erwerberin, als Beamtin, als Lehrerin, als Arbeiterin bekommt es empfindlich zu fühlen, daß das weibliche Geschlecht als das minderwertige und zur Dienstbarkeit bestimmte gilt. Und doch ist es zu einer Lebensform gelangt, in der es das Vorrecht unumschränkter Herrschaft genießt! Das Weib als Dame – sagt man zu viel, wenn man behauptet, daß unter dieser Form ein Teil des weiblichen Geschlechtes die glänzendste und genußreichste Oberhoheit besitzt? Ist die Dame nicht die wahre Herrin und Königin der bestehenden Gesellschaftsordnung? Gehören nicht ihr die wertvollsten Begünstigungen und Annehmlichkeiten, die diese Ordnung zu geben hat?
Zwei Dinge sind die Voraussetzung für diese Existenz: Vermögen und Schönheit. Allerdings berechtigt auch die Abkunft aus einer sogenannten guten Familie dazu; aber die geborene Dame, die nicht von Hause aus versorgt ist, muß gewöhnlich vom Thron herabsteigen, um zu arbeiten, wenn sie nicht in der Schönheit das Mittel besitzt, einen reichen Gatten und mit ihm eine angemessene Lebensstellung zu gewinnen. So kann man wohl Schönheit als die erste Lebensbedingung der Dame bezeichnen. Und zwar die durch kunstvolle Pflege gehobene Schönheit noch mehr als die bloß natürliche. Die Künste der Toilette, in denen der weibliche Geschmack eine so hohe Meisterschaft erreicht hat, gehören zu den wichtigsten Lebensaufgaben der Dame. Nicht ohne Ironie hat Balzac ihr Leben so geschildert: »Sie liebt es, ihre Haare zu glätten, zu parfümieren, ihre rosigen Nägel zu bürsten, in Mandelform zu schneiden, ihre zarten Gliedmaßen häufig zu baden ... Ihre Finger scheuen sich, andere als weiche, zarte, duftende Dinge zu berühren ... Ißt sie? Das ist ein Geheimnis. Teilt sie die Bedürfnisse der übrigen Arten? Das ist ein Problem ... Lieben ist ihre Religion ... Liebe zu ernten, ist das Ziel all ihres Strebens, Verlangen zu wecken, das ihrer Gebärden. Sie sinnt Tag und Nacht auf neuen Schmuck, nur auf die Mittel, zu glänzen, und verbraucht ihr Leben, um ihre Roben zu mustern, um Fichus zu zerreißen ... Sie fürchtet die Ehe, weil sie ihr die Taille verdirbt; aber sie tritt in die Ehe, weil sie ihr Glück verheißt.«
Der Mann aller Klassen ist während der europäischen Kulturentwicklung zum Typus des Nützlichen geworden, das Weib als Dame zum Typus des Schönen. Das ist um so bemerkenswerter, als darin eine Umkehrung der natürlichen Ordnung liegt; denn bei allen höheren Tieren und auch noch bei allen wilden oder halbwilden Völkern ist der Schmuck, die glänzende Ausstattung der Erscheinung, also die Betonung des ästhetischen Prinzips, das auszeichnende Vorrecht des männlichen Geschlechtes. Auch die Griechen haben unter dem Ideal der höchsten menschlichen Vollendung, dem Kalokagathos, einen Mann verstanden. Alle Vorzüge, die später Eigentum der Dame werden, die raffinierte Pflege des Körpers, die vollendete Anmut in Sprache und Gebärden, das harmonische Gleichgewicht körperlicher und geistiger Ausbildung, der sichere Takt in der Beherrschung der Umgangsformen, das wohlabgewogene Maß, die sittliche Besonnenheit – als schöne Männlichkeit hat sie die griechische Kultur gefeiert. Die Krone der Schöpfung zur Zeit der Hellenen war der Mann; in der Kultur der modernen Völker ist sie, wenigstens im gesellschaftlichen Leben, die Dame.
Man könnte wohl die Stellung des Weibes als Dame aus einer Entfaltung und Geltendmachung spezifisch weiblicher Genialität zu erklären versuchen. Zwar gilt es heutzutage für ausgemacht, daß das Genie nur beim männlichen Geschlecht auftritt. Dabei übersieht man aber, daß die weibliche Genialität sich gewöhnlich auf andere Gebiete erstreckt als die männliche. Eine solche spezifisch weibliche Genialität – wenn auch durchaus nicht eine ausschließlich weibliche – ist die Genialität des geselligen Verkehrs, die Gabe, die eigene Persönlichkeit durch die Umgangsformen zum Ausdruck zu bringen.
Als die Sitten in Mitteleuropa sich milderten und Raum für verfeinerte Bedürfnisse gewährten, hat das weibliche Geschlecht bestimmend auf die herrschenden Verhältnisse einzuwirken begonnen. Denn nun lagen die Dinge innerhalb des weiblichen Geschlechtes ganz anders als im Altertum und rechtfertigten einigermaßen die Auffassung, durch die das Weib zum höheren Wesen aufstieg. Die vornehmen Frauen des Mittelalters besaßen den Vorzug geistiger Bildung vor den Männern ihres Standes. Sie waren es, die in den Fragen der »Moralität«, nämlich der schönen Sitte und des tadellosen Benehmens, das entscheidende Urteil hatten; sie verstanden sich auf das richtige Maßhalten in allen Dingen, das im Mittelalter die Ehren der höchsten Tugend genoß, vielleicht dem Gesetze gemäß, nach dem die Männer jedes Zeitalters am meisten gerade das an den Frauen schätzen, was ihnen selbst abgeht. Auch waren sie kundig des Lesens und Schreibens, jener Künste, die nach mittelalterlichen Anschauungen sich mit den Beschäftigungen und Aufgaben des Mannes nicht vertrugen und dem weiblichen und geistlichen Sinn entsprachen. Gerade die Verwandtschaft zwischen der durch die Religion verherrlichten Sinnesart und den Tendenzen der weiblichen Natur mußte dazu beitragen, in einer christlich-religiösen Epoche die Wertschätzung der Frauen zu steigern. In ihnen hatte das Kompromiß zwischen Christentum und natürlichem Leben, das in den Maximen der katholischen Kirche zum Ausdruck gelangt, seine ersten vollkommenen Repräsentanten gefunden. Nicht die Männer, die Frauen waren die Träger der kirchlichen Kultur in der weltlichen Lebensführung.
Allein wie hoch man auch die kulturelle Bedeutung der mittelalterlichen Frau anschlagen mag: es scheint, daß dem Manne ein eben so großer Teil an jener außerordentlichen Wandlung zuerkannt werden muß. Ganz deutlich verrät die Dame ihre Herkunft aus der erotischen Phantasie des Mannes. Seinem Wesen nach besteht das ritterliche Empfinden gegenüber dem Weibe in einer Differenzierung der Männlichkeit selbst, das heißt, in einer Abänderung der das erotische Triebleben begleitenden Vorstellungen. Denn im letzten Grunde ist doch auch für die soziale Stellung des weiblichen Geschlechtes das sexuelle Moment bestimmend. Ein Blick auf die historische Entwicklung der erotischen Beziehungen wird das am besten verdeutlichen.
Es ist bekannt genug, daß die Liebe bei den Völkern der alten Kultur hauptsächlich auf Individuen des gleichen Geschlechtes gerichtet war. Über die griechischen Frauen herrschte der männliche Geschlechtstrieb in seiner härtesten und despotischsten Form und bestimmte aus seinen Bedürfnissen heraus die Bedingungen ihres Lebens. Die Hellenen und auch die Römer der älteren Zeit stehen in ihrem psychosexuellen Charakter den orientalischen und barbarischen Völkerschaften ganz nah; ihre erotischen Beziehungen vollziehen sich unter den Vorstellungen unbedingter Herrschaft des Mannes über Körper und Seele des Weibes. Das Weib als bloßes Geschlechtswesen, als Besitzgegenstand, eingeschlossen in die vier Wände des Hauses, aber nicht einmal dessen Verwalterin, Gebärerin der Kinder, aber nicht einmal deren Erzieherin – das ist die Form, welche die griechische Erotik dem legitimen Leben zwischen Mann und Weib gab. Und jene weiblichen Wesen, denen die männlichen Ansprüche mehr Freiheit der Entwicklung gestatteten, waren von den bürgerlichen Ehren ausgeschlossen und standen um eine Stufe tiefer im Range der Weiblichkeit.
Man kann den Typus dieses Verhältnisses als den primitiven oder herrischen bezeichnen. Primitiv und indifferenziert wie der Trieb, dessen Ausdruck er ist, hat dieser Typus zum ganzen Inhalt den Zweck der Gattung, die Fortpflanzung. Von einem Versuch, die Interessen der Gattung mit denen der Persönlichkeit auf einer höheren Stufe des Empfindens zu vereinen, von vertiefteren, individualisierten Beziehungen und geistiger Gemeinschaft findet man dabei kaum eine Spur. Die Gegensätzlichkeit zwischen Gattung und Persönlichkeit ist noch nicht Problem geworden; aus dem einfachen Grunde, weil die Persönlichkeit noch Embryo ist oder weil selbst in den hervorragendsten Individuen die sexuelle Sphäre noch nicht individuell differenziert, noch nicht mit Persönlichkeitsgehalt erfüllt ist. Auch nach dieser Richtung erscheint Plato als der Vorläufer und Verkündiger eines neuen Zeitalters, er, dieses »schönste Gewächs des Altertumes«, dessen Persönlichkeit und Anschauungen schon die Symptome der welthistorischen Krankheit aufweisen, die als Entzweiung von Geist und Natur, von Körper und Seele das geistige Leben des nächsten Jahrtausends bestimmen sollte. Denn vielleicht war die letzte Ursache dieser Krankheit, in den dunklen Untergründen des menschlichen Bewußtseins verborgen, nichts anderes als der Konflikt zwischen Gattung und Persönlichkeit.
Bei diesem Konflikt, den noch Kant in seiner Metaphysik der Sitten dahin formuliert, daß sich im Geschlechtsakt der Mensch selbst zur Sache macht, »welches dem Recht der Menschheit an seiner eigenen Person widerstreitet«, kam das Weib zunächst schlecht weg. Es besaß zwar in der frühchristlichen Welt, sofern es nicht als Geschlechtswesen sondern als »Schwester« betrachtet wurde, die gleiche Verpflichtung zur Überwindung des Geschlechtes und die gleichen Anrechte auf ein ungeschlechtliches Himmelreich wie der Mann, aber es war gleichzeitig für den Mann ein Gegenstand der Versuchung, dasjenige Wesen, das in Gestalt der Eva »die Übertretung eingeführt« und die verhängnisvolle Frucht Adam angeboten hatte. Die weniger subtilen Geister verwechselten damals wie heute das Objekt der Begierde mit der Begierde, was besonders grell durch die fanatische Formel des heiligen Hieronymus ausgedrückt wird, die das Weib »die Pforte der Hölle« nennt. Diese Männer des innerlichen Zwiespaltes konnten den schmerzlichen Konflikt, der ihre Seelen zerriß, nur lösen, wenn sie das Weib zugleich mit der ganzen Welt der Zeugung von sich abtaten. Trotz aller Teilnahme der Frauen am christlichen Propheten- und Märtyrertum, trotz all ihren wohlerworbenen und im Evangelium verbürgten Rechten auf Gleichstellung, wird daher weder die erotische noch die juridische Stellung des Weibes in den ersten christlichen Jahrhunderten wesentlich geändert.
Aber in der Entwicklung der jungen Rassen behauptet das Irdische sein Recht und findet einen ästhetischen Ausdruck in der Gemütsstimmung derer, die durch ihre Anlagen und Neigungen wurzelecht mit dem Erdendasein verwachsen sind: in den Künstlern, den Dichtern und der Elite der Weltmenschen, die mit Künstlern und Dichtern gemeinsam dem menschlichen Dasein eine neue, edle Form zu geben streben. Das Leben in hohen und ekstatischen Illusionen, dieses auszeichnende Merkmal der mittelalterlichen Geistesrichtung, ergreift in Gestalt des Frauendienstes das sexuelle Gebiet und bringt ein neues Phänomen in der männlichen Psyche hervor. Diese Differenzierung der Männlichkeit, die mit der ritterlichen Erotik zum ersten Male in die Welt tritt, ist eine der größten Errungenschaften des Mittelalters; denn sie ist es, die einen neuen Typus des Verhältnisses zwischen Mann und Weib erschafft.
Die Abhängigkeit vom Weibe, in die der Mann durch seine geschlechtliche Natur gebracht wird – jene Abhängigkeit, von der die Männer der antiken Kultur sich dadurch zu befreien suchten, daß sie sich zu unumschränkten Herren des Weibes machten, die Männer der asketischen Christlichkeit aber dadurch, daß sie auf das Weib überhaupt verzichteten – verwandelt sich nun in eine freiwillige, ehren- und freudvolle. Aus dem Stolz vornehmer Naturen, die ihre eigene Wesensart als Bürgschaft und Rechtfertigung empfinden, geht die Verherrlichung und Verklärung des Weibes hervor, die dem ritterlichen Geschlechtsverhältnis zugrunde liegt. War der Mann abhängig vom Weibe, so konnte das Weib nichts anderes sein als die hohe Herrin, der zu dienen ein Vorrecht und eine Gunst bildet. Die Ritterlichkeit des Mannes gegenüber dem Weibe ist mit den edelsten Eigenschaften der menschlichen Natur verschwistert: mit dem Stolz, der nur dort dienen will, wo er verehrt, der Großmut, die jede Unterstützung in eine Huldigung verwandelt, der Selbstverleugnung, die an den eigenen Vorzügen erst Freude empfindet, wenn sie zugunsten anderer tätig werden. Alle Hoheit, aller Überschwang, alles Raffinement einer neuen Kultur strömt jetzt in der erotischen Sphäre zusammen und verkörpert sich leibhaftig in dem Bilde der Dame. Ja, sogar ein Hauch religiöser Inbrunst, ausgehend von der Verehrung der Himmelskönigin, »der höchsten Dame, der reizenden Heiligen Jungfrau, die der eigentliche Gott des Mittelalters war« (Taine), fehlt in diesem Kultus des Weibes nicht. Die Liebe erhebt die neue Generation in Zustände schwärmerischer Trunkenheit. Dante, der sagte: »Ich lausche, wenn in mir die Liebe spricht; was sie mir eingibt, schreib' ich nieder«, macht aus der Geliebten die Führerin in die höchsten Sphären der Geistigkeit, indem er ihre Gestalt in den mystischen Königsmantel der Allegorie hüllt und an ihren Namen die letzten Geheimnisse des Himmelreiches knüpft.
Die ritterliche Vorstellung vom Weibe ist zur Grundlage des höheren europäischen Gesellschaftslebens geworden, dessen Mittelpunkt die Dame bildet. Auch nachdem die Blütezeit des höfischen Lebensideales und zugleich die glänzende Mode des Frauendienstes längst vorüber war, verlor die Dame nicht mehr ganz das Prestige des höheren Wesens. Doch was zuerst der Ausdruck einer enthusiastischen Überzeugung war, nimmt allmählich die Gestalt einer bloßen Konvention an. Die Ritterlichkeit sinkt zur Galanterie herab.
Während der geschmeidige, rastlose, wandlungsfähige Genius des männlichen Geschlechtes mit fortschreitender Zivilisation sich aller Mittel geistiger Kultur bemächtigt, bleibt die Dame in dem Reich der Galanterie zurück und löst sich aus dem lebendigen Prozeß der Entwicklung los. Zwar bietet sich auch in der späteren Verflachung für ihre Herrschaft noch Spielraum genug; und die Kulturgeschichte des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, insbesondere die Frankreichs, wird in wesentlichen Zügen durch den Einfluß der Dame bestimmt. Aber das Künstliche und Hohle, das sich hinter dem äußerlichen Glanz dieser Epoche verbirgt und erst in jenem ungeheuren Zusammenbruch am Ende des achtzehnten Jahrhunderts ganz zutage tritt, ist zum nicht geringen Teil auf das Künstliche und Hohle in der Existenz der tonangebenden Frauen zurückzuführen. Die Galanterie, eine frivole und heuchlerische Manier, gesteht der Dame den Schein der Überlegenheit zu, um sie in Wahrheit auf den Platz zwischen Kindern und Unmündigen hinabzudrücken, der dem Weibe nach den Vorstellungen der herrischen Männlichkeit zukommt. Der Mann, doppelt überlegen durch seine physische wie geistige Ausrüstung, benutzt die Galanterie als Mittel, um sich die Machtansprüche der Dame vom Leibe zu halten. In demselben Maß, wie der Abstand zwischen der männlichen und der weiblichen Bildung zunimmt, verengert sich die Sphäre, die der Dame eingeräumt ist. Alle großen und ernsten Probleme des Lebens sind daraus verbannt; der Salon, in dem die Dame herrscht, ist nicht viel mehr als ein modernisiertes Gynaeceum, bewohnt von eleganten Puppen, deren oberste Aufgabe ist, sich zu schmücken, um zu gefallen.
Es ist ein teurer Preis, mit dem die Dame ihre Herrschaft bezahlt. In dem Bestreben, diese Herrschaft zu erhalten, muß sie sich hinter eine reaktionäre Tradition verschanzen. Als Repräsentantin des Schicklichen ist sie in einen bedenklichen Gegensatz zum Natürlichen geraten, das in der Region der Dame zum Unanständigen wird. Ganz feindlich aber steht sie allen Neuerungen gegenüber, die eine moderne Weltanschauung in das Leben des weiblichen Geschlechtes einzuführen versucht.
In dem Begriff der Dame selbst liegt etwas, das sich mit dem Begriff der freien Persönlichkeit nicht verträgt. Das Weib als Dame, scheinbar auf den höchsten Gipfel der schönen Menschlichkeit erhoben, führt als Individualität ein Leben innerhalb eng gezogener Schranken. Nicht auf freie Entfaltung des Individuellen, sondern auf die Ausbildung und Bewahrung einer Konvention sind die Bedingungen der Damenschaft gestellt. Der Mann des ritterlichen Zeitalters verehrte in der Dame seines Herzens weniger eine bestimmte, ausgeprägte Individualität als vielmehr einen Komplex von Tugenden und Vorzügen nach konventionellen Begriffen. Daher vollzog sich der Verkehr zwischen der Dame und ihrem Ritter in ziemlicher Ferne und ließ im Grunde eine intimere Lebensgemeinschaft gar nicht zu. Dieses Element des innerlichen Fremdseins ist untrennbar mit dem Wesen der Dame verknüpft; es bildet eine Scheidewand zwischen den Geschlechtern, die nicht beseitigt werden kann, ohne daß zugleich ein Stück von dem Wesen der Dame fällt.
Mit den Ideen der großen französischen Revolution, als die Rechte der Persönlichkeit auch unter den Frauen reklamiert werden, treten aber die Vorstellungen der Gleichheit und der Gemeinsamkeit zwischen Mann und Weib in den Vordergrund. Die Erkenntnis, um welchen Preis die Erziehung zur Dame erkauft wird, entwertet die Vorrechte, die damit verbunden sind, und der Trieb nach freier Selbstbestimmung bewirkt in einzelnen weiblichen Individuen eine auf völlig geänderten Voraussetzungen beruhende Annäherung an das männliche Geschlecht. Sie lehnen sich gegen die unwürdige und unfreie Stellung auf, die das Gesetz dem weiblichen Geschlecht anweist; aber sie verschmähen zugleich die Huldigungen des gesellschaftlichen Verkehrs, die aus einer phantastischen Auffassung der Weiblichkeit hervorgehen.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, verdient die moderne Frauenbewegung eine andere Würdigung, als man ihr vielfach zuteil werden läßt. Denn in diesen Vorstellungen der Gemeinsamkeit trägt sie den wertvollsten Bestandteil einer neuen Ordnung zwischen Mann und Weib mit sich; indem sie etwas, das sich vielleicht als Unterströmung schon lange in den Beziehungen der Geschlechter vorbereitet hat, zum System erhebt und eine Lehre daraus macht, bringt sie es erst zum allgemeinen Bewußtsein und verleiht ihm die suggestive Kraft, durch die es vorbildlich weiterwirken kann.
Schon Mary Wolstonecraft beleuchtet in ihrer »Verteidigung der Rechte der Frau« (1792) – einem Buche, das alle Richtungslinien der späteren Frauenbewegung enthält – die Mängel, die aus der Erziehung zur Dame entspringen, und kommt zu dem Schluß, »daß es gut wäre, wenn die Frauen nur angenehme, vernünftige Kameraden wären, ausgenommen ihrem Geliebten gegenüber«. Diese »Ausnahme« bedeutet jedoch eine bloß subjektive Einschränkung. Zugleich mit der beginnenden Umwandlung in der sozialen Stellung des weiblichen Geschlechtes vollzieht sich eine Umwandlung des erotischen Verkehrs. Als eine geistig-körperliche Gemeinschaft auf der Basis individueller Anziehung und Ergänzung ist der kameradschaftliche Typus des Geschlechtsverhältnisses zu einem neuen Ideal der Liebe geworden.
Die Voraussetzung dafür ist allerdings eine Veränderung auch in der Natur des Mannes. Nur die männlichen Individualitäten, aus deren psychosexueller Beschaffenheit das Bedürfnis entspringt, sich in der Liebe an ein ebenbürtiges Wesen zu wenden, werden die Vorstellung der Gemeinsamkeit an die Stelle setzen, die in dem primitiven Verhältnis die Vorstellung der Herrschaft, in dem ritterlichen die Vorstellung der freiwilligen Unterordnung einnimmt. Man kann in diesem kameradschaftlichen Typus eine Übertragung der antiken Liebesvorstellungen, wie sie den sinnlich-übersinnlichen Freundschaftsbündnissen zwischen Jüngling und Mann zugrunde lagen, auf das Verhältnis von Weib und Mann erkennen. Was in Platons Symposion als höchste Liebe zwischen einem jüngeren und einem älteren Freunde geschildert wird, ist für das moderne Empfinden nichts anderes als die Darstellung der edelsten heterosexuellen Beziehungen.
Mit dem Ideal der Gemeinsamkeit hat die Frauenbewegung eins der Vermächtnisse aufgegriffen, welche die Renaissance kommenden Jahrhunderten hinterließ. Die Anerkennung der freien Persönlichkeit, die Gleichberechtigung der Geschlechter zum Zwecke einer angehemmten und bedingungslosen Entfaltung individueller Eigenschaften sind in jenem allzu kurzen Aufleuchten höchster Kultur vorübergehend schon Besitz der menschlichen Gesellschaft gewesen.
So läßt sich in dem »Vollmenschen«, der in dem Ideenkreis der Frauenbewegung auftaucht, eine zwar abgeschwächte, aber in der Hauptsache zutreffende Fassung dessen erkennen, was die Renaissance als Bildungskanon aufgestellt hat. Und der Umstand, daß es die Frauenbewegung nicht auf dem Wege historischer Entwicklung übernommen, sondern aus sich selbst neu geschaffen hat, kann nur dazu beitragen, seinen kulturellen Wert zu beglaubigen.
Die Kluft zwischen den Geschlechtern, aus der im Verlauf der europäischen Zivilisation so verschiedenartige Gebilde aufgestiegen sind, glänzende Blüten der Gefühlsromantik wie der Minnedienst, und schauerlich groteske Ausgeburten feindseligen Wahnes wie der Hexenprozeß: in dem kameradschaftlichen Verhältnis erscheint sie zum erstenmal ganz überbrückt. Als freie Gefährten, ausgerüstet mit den gleichen Hilfsmitteln der Kultur, zu gegenseitigem Verständnis gereift und bereit, die Höhen und Tiefen des Lebens gemeinsam zu durchschreiten: so treten Mann und Weib in ein neues Zeitalter ein, das seine Signatur von ihrem Bunde erhalten soll.
Allerdings gibt es unter den modernen Frauen auch solche, die das Heil des Weibes in der Lossagung vom Manne erblicken; eine asketische, männerfeindliche Richtung voll anmaßender Überschätzung der Weiblichkeit, voll kurzsichtiger Verkennung dessen, was das Weib der hohen und verfeinerten Männlichkeit verdankt. Sollte man in dieser Abkehr von allem Männlichen nicht ein Analogon zur Abkehr der frühchristlichen Männer erblicken dürfen, wiederum einen noch ungelösten Konflikt zwischen Gattung und Persönlichkeit, dessen Schauplatz diesmal die weibliche Psyche ist? Diese Frauen stehen noch auf dem Boden der Damenschaft, obwohl sie ihren Meinungen und Forderungen nach nicht mehr die Existenz der Dame führen. Sie unterziehen das Verhältnis von Mann und Weib einer Kritik, bei der sie die Auffassung des Weibes als des höheren Wesens zur Grundlage machen, ohne zu bemerken, welchen naiven Diebstahl an der Großmut der Männlichkeit sie dabei begehen. In ihnen verrät sich etwas von der wahren Gesinnung der Dame gegenüber dem Mann, von den Heimlichkeiten ihres erotischen Empfindens, das die Damen der alten Schule mit dem unverbrüchlichen Schweigen der großen Lebensklugheit verhüllten.
Für diese Frauen haben die Vorstellungen eines kameradschaftlichen Verhältnisses zum Manne keinerlei Reiz. Aber auch für einen Teil der Männer – und wahrscheinlich für die große Mehrzahl – wird das, was sie unter Kameradschaft verstehen, weitab liegen von den Vorstellungen, die sie sich über den Umgang mit Weibern machen. Im Grunde ist immer noch der primitive herrische Typus im Verhältnis von Mann und Weib der dominierende. Selbst in der Blütezeit des ritterlichen Verhältnisses haben bekanntlich nur die obersten Klassen, diejenigen, die durch eine bevorzugte Lebensstellung die Träger der geistigen Verfeinerung oder wenigstens der eleganten Mode waren, daran teilgenommen; und auch innerhalb dieser Klassen erstreckte sich die Verehrung des Weibes keineswegs auf das Eheleben. Nicht die Gattin, die Lebensgefährtin, genoß die Ehren des Dienstes, nur die Geliebte, die ferne und unzugängliche Frau eines anderen.
Was sich in diesen drei Typen, dem herrischen, dem ritterlichen und dem kameradschaftlichen, vor allem ausdrückt, ist die psychosexuelle Individualität, die besondere, angeborene Disposition im Verhalten des einzelnen Mannes gegenüber dem Weibe. Wenn auch in verschiedenen Epochen der menschlichen Kultur der eine oder der andere Typus mehr hervortritt und den allgemeinen Zuständen nach dieser Richtung seinen Charakter verleiht, bestehen sie doch gleichzeitig nebeneinander fort. Die vornehmen griechischen Hetären, die »Gesellschafterinnen« des Mannes, haben als die ersten dem erotischen Verkehr ein Gebiet geistiger Gemeinsamkeit erobert, indem sie an der Bildung und den Interessen der Männer teilnahmen. In diesen illegitimen Beziehungen milderte und verfeinerte sich zuerst der männliche Herreninstinkt, bis er in der Sphäre der schönen Geselligkeit die Herrschaft des Weibes unter der Form der Dame legalisierte.
Und nun hat es den Anschein, als ob die Tage dieser Herrschaft gezählt seien. Der Begriff der Dame beginnt hinfällig zu werden. Etwas Antiquiertes, eine Art Donquichotterie fängt an, sich an ihn zu heften. Noch ganz unbestimmt und unmerklich, nur erst wahrnehmbar in gewissen Beleuchtungen und Reflexen.
Die wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen, die die Funktion des »hauswaltenden« Weibes täglich mehr zu einem Anachronismus machen, gehen auch an der Existenz der Dame nicht spurlos vorüber. So weit eine Frau ihren Unterhalt selbst verdienen, also mit dem Manne in Konkurrenz treten muß, hört sie auf, unter den Bedingungen zu leben, die ihr nur innerhalb des Gesellschaftslebens garantiert sind. Auf dem Gebiete des Erwerbslebens endet die Galanterie als Umgangsform. Ein härteres Gesetz, eine strengere Verantwortlichkeit regieren hier und fordern unerbittlich andere Vorzüge, als sie aus der Bestimmung zur Dame hervorgehen können.
Aber auch in jene Kreise, die scheinbar ganz unberührt von modernen Ideen sind, dringen die Einflüsse einer in voller Wandlung begriffenen Kultur, – in jene Kreise, in denen die Dame noch unbestritten regiert und zu deren konservativen Stützen sie gehört. Nicht als neue Erkenntnisse freilich, nicht als bewußte Forderungen einer freien, individuellen Lebensführung treten sie auf, sondern ganz unverfänglich, unter verschiedenen Masken: als neue Vergnügungen und Spielereien für das aus Vergnügungen und Spielereien zusammengesetzte Daseinsprogramm der Dame. Zu diesen verlarvten, revolutionären Elementen gehört vor allem jeder Sport, der anstrengende Leibesübungen in sich begreift, rasche und heftige, nicht auf Grazie, sondern auf Treffsicherheit gestellte Bewegungen oder selbst nur seelische Abhärtung, die sich der Gefahr kleinerer Entstellungen und Verletzungen unbedenklich aussetzt. Dergleichen verstößt gegen den orthodoxen Begriff der Dame, der ein des Schutzes bedürftiges, in seiner Zartheit und Schwäche verehrungswürdiges Wesen zur Voraussetzung hat. Was die Dame zum »höheren Wesen« stempelt, ist ihr Gegensatz zum Tun und Treiben der Männlichkeit; deshalb ist alles kameradschaftliche im Verkehr der Geschlechter an sich schon unvereinbar mit dem Wesen der Damenschaft. Aber gerade auf dem Gebiet des Sportes ist das Kameradschaftliche im Verkehr der Geschlechter nicht auszuschließen. Dort hat es auch seine ausgedehntesten und überraschendsten Siege gewonnen. Man kann, das berühmte Wort Buckles über die ethische Mission der Lokomotive variierend, wohl behaupten: Das Bicycle hat zur Emanzipation der Frauen aus den höheren Gesellschaftsschichten mehr beigetragen als alle Bestrebungen der Frauenbewegung zusammengenommen.
Ja, der Begriff der Dame beginnt hinfällig zu werden. Und die Folgen dieses Auflösungsprozesses einer historischen Form müssen sich natürlich bald zeigen. Es dürfte der Dame kaum gelingen, sich über die unbequemen Bedingungen ihrer Vorrechte hinwegzusetzen und doch zugleich im ungeschmälerten Genuß der Vorrechte selber zu bleiben.
Und etwas wie eine Gefahr, die drohende Möglichkeit empfindlicher Verluste für das weibliche Geschlecht, scheint am Horizont aufzutauchen. Es wäre immerhin denkbar, daß alle die Güter, die sich das moderne Weib von der Freiheit der Selbstbestimmung verspricht, die Vorteile nicht aufwiegen, die das weibliche Geschlecht unter der Lebensform der Dame besessen hat. Es wäre immerhin möglich, daß die Nötigung zur Konkurrenz bei dem männlichen Teil die Veredelung des Instinktes, die sich als Ritterlichkeit manifestiert, und bei dem weiblichen Teil die Zucht zur Schönheit, zur Harmonie, zur körperlichen und seelischen Hoheit, aus der die Dame hervorgegangen ist, wieder zerstörte.
Hier liegt ein Kulturproblem: die Frauen müssen die alte Form überwinden, ohne deren kulturelle Errungenschaften preiszugeben, einen neuen Stil der Weiblichkeit bilden, eine Form des Seins, die sich in organischem Wachstum aus der bestehenden entwickelt, um Raum zu gewähren für das, was die Dame nicht war und nicht sein konnte: die freie Persönlichkeit.