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Es wird immer ein grober Mißbrauch sein, dem einzelnen Individuum gegenüber die Durchschnittsmethode anzuwenden, um seiner Entwicklung Richtungslinien vorzuzeichnen, oder a priori die Grenzen seines Wesens zu bestimmen. Sobald man aber einräumt, daß der Mehrzahlstypus des weiblichen Geschlechtes sich wesentlich von dem des männlichen unterscheidet, muß man sich zunächst auch mit den Konsequenzen dieser Erscheinung auseinandersetzen. Dabei lassen sich Generalisationen nach dem Durchschnittlichen nicht vermeiden; doch sei vorausgeschickt, daß jede Generalisation mit Vorbehalt zu nehmen ist, weil ihr Geltungsgebiet sich nur in die Breite und nicht in die Tiefe erstreckt. Je genereller die Fassung einer Behauptung ist, desto genereller muß auch ihre Anwendung sein. Beispielsweise: man kann wohl sagen, das Weib ist der kindergebärende Teil der Menschheit; aber schon wenn man formuliert: der Beruf des Weibes ist, Mutter zu werden, überschreitet man die Grenze, die der Generalisation gesetzt ist, indem man einen Begriff einführt, den Beruf, von dem sich individualistische Bestandteile nicht trennen lassen.
Mit diesem Vorbehalt also räumen wir ein, daß der weibliche Mehrzahlstypus an Intellekt wie an Willenskraft dem männlichen nicht gleich ist.
Über die Ursachen dieser Erscheinung weichen die Meinungen erheblich voneinander ab. Während die einen das Milieu, die Erziehung, alle Einflüsse einer Jahrtausende langen Unterdrückung zur Erklärung heranziehen, suchen sie die andern in der ursprünglichen Anlage und Bestimmung des Weibes, in seiner Gebundenheit durch die Mutterschaft. Die Gebundenheit des Weibes ist eine naturgewollte, so argumentieren diese, weil die Natur dem Weibe in der Mutterschaft eine schwere und verantwortungsvolle Bürde zugeteilt hat; jene aber machen nicht die Natur, sondern den Mann dafür verantwortlich, daß diese Bürde ein Hemmschuh in der geistigen Entwicklung des weiblichen Geschlechtes geworden ist. Denn der Einfluß des Milieus und der Erziehung, der ganze Begriff der »Unterdrückung« bezeichne nur eine sekundäre Erscheinung, deren eigentliche Ursache in der sexuellen Eigenart des Mannes zu suchen ist, in seinem Bedürfnis nach Herrschaft über das Weib.
Man braucht sich weder für den einen oder den andern Standpunkt zu entscheiden – obwohl sie gegnerische und als jene der Feministen und Antifeministen bekannt sind –; denn unverkennbar haben beide Ursachen dazu beigetragen, den Mehrzahlstypus des weiblichen Geschlechtes zu bestimmen.
Wer gerecht über das Weib und seine Stellung im geistigen Leben der Kulturmenschheit urteilen will, darf die Bestimmung zur Mutterschaft bei der Bewertung weiblicher Leistungen nicht unberücksichtigt lassen. Von »Gleichheit« der Geschlechter im allgemeinen kann nur die Rede sein, sofern es sich um das Recht der Selbstbestimmung nach Individualität handelt; und der absolute Maßstab ist nur anzuwenden, wenn etwa zwischen Bewerbern verschiedenen Geschlechtes in einer Sache entschieden werden soll. Daß aber die gleiche Leistung einer Frau subjektiv viel höher einzuschätzen ist, weil sie viel größere Hindernisse von innen und von außen zu überwinden hat, kann nur der Parteigeist, der für oder wider verblendet ist, verkennen. Und vollends die weibliche Intellektualität historisch an der männlichen zu messen, den Mann einfach als Vergleichstypus für sie zu benützen, das ist eine der größten Ungerechtigkeiten, die eine vermeintlich objektive Wertmessung sich zuschulden kommen lassen kann.
Schon in der Art der Geschlechtsbeziehungen selbst, welche die Vorbedingung der Mutterschaft sind, liegt für das Weib etwas Bindendes, eine Disposition zu Unfreiheit und Unterordnung. Die Natur hat reichlich dafür gesorgt, daß das Individuum sich nicht seinen Pflichten gegen die Gattung entziehen kann. Diese Pflichten sind beim Manne durch einen aggressiven Trieb gesichert; beim Weibe, wo der Geschlechtstrieb keine aggressive Tendenz hat, überdies durch eine eigentümliche Willensschwäche und Suggestibilität, die es dem Einfluß des männlichen Willens unterwirft. Die Suggestibilität ist ein wesentlicher Faktor bei der sexuellen Eroberung, dessen sich die Natur bedient, um das Weib leichter in die Gewalt des Mannes zu geben, als es bei der gleichen Willensstärke auf beiden Seiten möglich wäre. Denn – immer im allgemeinen und von Mehrzahlserscheinungen gesprochen – der Mann gerät durch die Stärke seines Triebes nicht in die Gewalt des Weibes, sondern er bemächtigt sich des Weibes; ja seine psychische Disposition ist selbst der vorübergehenden Abhängigkeit, in die er durch die sexuelle Gemeinschaft notwendigerweise versetzt wird, so feindlich, daß sie ihm nur durch Eigentums- und Herrschaftsvorstellungen erträglich wird, während dieselbe Gemeinschaft bei dem Weibe von Ergebenheits- und Abhängigkeitsgefühlen begleitet ist.
Man würde nicht im Interesse des weiblichen Geschlechtes handeln, wenn man, von einer in einzelnen Fällen verwirklichten und als Entwicklungsmöglichkeit gewiß nicht selten vorhandenen Ebenbürtigkeit und Gleichheit der intellektuellen Begabung ausgehend, diese Umstände übersehen wollte. Denn wie dem Manne die teleologische Stärke, die ihm als Geschlechtswesen verliehen ist, auch als Kulturwesen zum Vorteil gereicht, so wird dem weiblichen Geschlecht seine teleologische Schwäche in dem Grade verhängnisvoll, als sich das menschliche Leben von seiner ursprünglichen und primitiven Verfassung entfernt.
Allerdings gehen auch sehr hohe Phänomene des menschlichen Seelenlebens aus den teleologischen Geschlechtseigenschaften hervor. Die mütterlichen Instinkte des weiblichen und die kriegerischen des männlichen Geschlechtes sind der Nährboden, auf dem unter Umständen die bewunderungswürdigste Erhebung des Individuums gedeiht – nur sind sie an sich nicht der Gradmesser für den Wert, nicht die Grenze für die Entfaltung des Individuums.
Die teleologische Auslegung der psychischen Geschlechtsdifferenzierung bietet allein die Möglichkeit, für das spezifisch Weibliche und namentlich für seine Beschränkung im Vergleiche zum spezifisch Männlichen einen objektiven und gerechten Maßstab zu gewinnen. Denn das Weib ist als Individuum durch seine Gattungspflichten schlecht weggekommen. Gerade für das Weib ist daher die zunehmende Differenzierung durch Übertreibung der teleologischen Eigenschaften durchaus kein wünschenswertes Ziel.
Zwar könnte es scheinen, als ob die homologe Entwicklung der Persönlichkeit nach den Tendenzen der primitiven Geschlechtsnatur einen Vorteil bedeuten müßte, da ja das Individuum, das für seinen natürlichen Beruf am zweckmäßigsten organisiert ist, auch das tauglichste sein wird. Aber so einfach läßt sich das Problem nicht entscheiden. Mit ebensoviel Geist als Scharfsinn hat Charlotte Perkins in ihrem Buche »Women and Economics« dargelegt, daß durch das Zusammenwirken erotischer und ökonomischer Momente im Laufe der Kulturentwicklung die teleologische Geschlechtsdifferenzierung übermäßig gesteigert wurde, daß die Menschheit im Vergleich zur Tierheit »oversexed«, übergeschlechtlich ist, das heißt, daß die den Gattungsaufgaben dienenden Eigenschaften sich über ihr natürliches Geltungsgebiet hinaus ausgedehnt haben. Wie sehr aber diese Übertreibung eine psychische Beschränkung des Weibes im Vergleich zum Manne bedeutet, läßt sich an dem nächstliegenden Beispiel zeigen, an dem Verhältnis der Geschlechter zur Nachkommenschaft. Hier wird die teleologische Geschlechtsdifferenzierung des Weibes mit allen Suggestivmitteln, religiösen wie sozialen und familialen, bestärkt; die Mütterlichkeit nimmt unter den sozial approbierten Eigenschaften der spezifischen Weiblichkeit den ersten Rang ein, und die bloße Abschwächung der ihr zugrunde liegenden Instinkte gilt als Entartungssymptom, während die Väterlichkeit in der männlichen Psyche weder durch die Erziehung noch durch die allgemeinen Anschauungen irgend eine Förderung erfährt, und die gänzliche Abwesenheit der ihr dienenden Instinkte das Individuum in keiner Weise herabsetzt. Sie gehört eben beim Manne nicht in das Gebiet der primitiven Geschlechtsnatur; sie steht zu den teleologischen Instinkten der Männlichkeit in einem gewissen Gegensatz, weil sie den Mann dem Weibe gleichmacht, indem sie ihn bindet. Denn es gibt nichts – außer der engeren physischen Verbindung, welche das Kind in der ersten Periode seines Daseins mit der Mutter verknüpft – wodurch sich ihrem Gefühlswert nach die Väterlichkeit von der Mütterlichkeit unterschiede. Väterlichkeit ist gar nichts anderes als die männliche Form der Mütterlichkeit.
Aber gerade weil sie ein Hinausschreiten des Mannes über die Grenze seiner teleologischen Natur ist, hat sie in der Geschichte der Menschheit eine ungeheure Bedeutung. War es nicht die Vaterschaft, die der ganzen Epoche der Zivilisation ihren Stempel aufgedrückt hat? War es nicht die Vaterschaft, durch die das weibliche Geschlecht um seine soziale Freiheit, der Mann hingegen zur Herrschaft über Leib und Seele des Weibes gekommen ist? Charlotte Perkins stellt es geradezu als Bedingung für die Entwicklung der Menschheit aus primitiven Zuständen zu höheren Entwicklungsstufen dar, »daß die freie Betätigung der mütterlichen Kräfte bei der Frau eingeschränkt und dafür ähnliche Kräfte im Mann geweckt und ausgebildet wurden«.
Doch nicht allein aus der Übertreibung des spezifischen Geschlechtscharakters – aus diesem selbst erwachsen unter den Bedingungen des Kulturlebens für das weibliche Geschlecht schwere Folgen. Unter diesen Bedingungen bringt schon die ehrenvolle und hochgeschätzte Seite der spezifisch weiblichen Natur erhebliche Nachteile mit sich; betrachtet man ihre andere Seite, so enthüllen sich die schlimmsten Übelstände. Denn die gleichen teleologischen Eigenschaften, die in der einen Richtung das Weib für die Aufgaben der Fortpflanzung geeignet machen: die Willensschwäche, die sich äußeren Einflüssen widerstandslos unterwirft, die intellektuelle Inferiorität, die über die Beschäftigung mit dem sinnlich Unmittelbaren nicht hinausreicht, das Überwiegen des vegetativen Lebens in der geistig-körperlichen Konstitution – kurz alles, was man unter den Begriff der weiblichen Passivität subsumiert – sie sind es auch, die nach einer anderen Richtung das Weib jenem Zustand anheimgeben, in dem es lediglich Geschlechtswerkzeug bleibt, um als solches den niedrigsten männlichen Instinkten zu dienen. Mit anderen Worten: die Lichtseiten der teleologischen Geschlechtsnatur disponieren das Weib zur Mutterschaft, die Schattenseiten derselben Natur – zur Prostitution.
Der Instinkt der ausschließlichen Hingebung an einen Einzigen, der so oft den »Grundinstinkten« der Weiblichkeit beigezählt wird, ist erst ein Kulturprodukt, das Werk einer höheren Differenzierung des Weibes, und gehört nicht in das Gebiet seiner primitiven Geschlechtsnatur. Denn die Ausschließlichkeit der Hingebung setzt unter Umständen eine Kraft des sittlichen Willens, eine persönliche Macht über die Verführung äußerer und innerer Zustände voraus, die das weibliche Individuum weit über die Passivität und Schwäche seines teleologischen Grundwesens erhebt. Ohne den Besitz von Eigenschaften, die positiver, also »männlicher« sind, als es sich mit den lediglich aus der psychosexuellen Disposition der primitiven Weiblichkeit entspringenden verträgt, ist geschlechtliche Integrität als freie sittliche Leistung nicht denkbar.
Daß in der abendländischen Kulturgesellschaft die Eignung der primitiven Weiblichkeit zur Promiscuität des geschlechtlichen Verkehres als diffamierend gilt und die tiefste Deklassierung des Individuums zur Folge hat, zeigt nur, daß das Weib als bloßes Naturwesen unter den sittlichen Voraussetzungen dieser Gesellschaft – gleichviel, in welchem Maße Heuchelei und Verlogenheit dabei mitwirken – nicht mehr mit Ehren bestehen kann. Unter den Voraussetzungen des primitiven Lebens erfährt diese Seite der Weiblichkeit eine andere Beurteilung; und es ist ja bekannt, daß viele außereuropäische Völker, darunter selbst solche, die wie die Japaner auf einer hohen Stufe der Kultur stehen, sich in dieser Hinsicht wesentlich von den europäischen unterscheiden. Aber auch in den vorchristlichen Zeiten der europäischen Kulturvölker finden sich Sitten, wie jene der gastfreundlichen Prostitution, die auf eine von dem modernen sittlichen Empfinden stark abweichende Auffassung hinweisen. Der verborgene Zusammenhang, der in der Natur des Weibes zwischen seiner am höchsten bewerteten Eigenschaft – der Eignung zur Mutterschaft – und seiner entehrendsten besteht, hat also nur für die abendländische Auffassung der Weiblichkeit etwas Monströses; er zeigt sich deutlicher, wo die Empfindungen ursprünglicher geblieben sind, und tritt unverhüllt auf jener Stufe der Gesittung hervor, wo die Mutterschaft von der Promiscuität des geschlechtlichen Verkehres noch ungetrennt ist, und die primitive Weiblichkeit in Gestalt des Matriarchates die Herrschaft führt.
Die zunehmende Kultur aber scheidet die Tendenzen der primitiven Weiblichkeit in immer schärfere Gegensätze, ohne doch die Wirkungen aufzuheben, welche durch die teleologische Beschaffenheit der weiblichen Natur unter ungünstigen Verhältnissen herbeigeführt werden. Wenn nicht der Schutz äußerer Umstände es verhütet, müssen unter den ökonomischen Bedingungen der modernen Gesellschaftsordnung jene weiblichen Individuen, welche die teleologische Schwäche ihres Geschlechtes noch im atavistischen Grad an sich haben, einer Lebensform verfallen, wo sie der gesetzlosen Willkür der männlichen Sexualität preisgegeben sind. Gesetzt auch, die Primitivität des Empfindens, die das ungeschützte Individuum zur Prostitution führt, wäre als ein Degenerations-Symptom aufzufassen, wie Lombroso will – sie bildet auf jeden Fall eine furchtbare Bedrohung für jenen Teil des weiblichen Geschlechtes, bei welchem sich zur inneren Schwäche der Wesenheit die ökonomische Schwäche der äußeren Lebenslage gesellt.
In der sozialen Erscheinung der Prostitution tritt die teleologische Ungebundenheit der Männlichkeit in ihrem Verhältnis zur teleologischen Schwäche der Weiblichkeit mit der ganzen grausamen Unerbittlichkeit hervor, die in der elementaren Natur als ein Kampf des Stärkeren gegen den Schwächeren wütet; und die herrschende Moral, die den Mann freigibt, um alle Schuld dem Weibe aufzubürden, enthüllt sich an dieser Erscheinung als eine bloße Sanktion dieses Kampfes. Als Naturwesen ist allerdings der Mann für die Beschaffenheit seiner Geschlechtsnatur, in der das Unwiderstehliche und Unhemmbare des Triebes eine teleologische Vorkehrung darstellt, nicht verantwortlich zu machen – wohl aber dann, wenn gerade dem männlichen Geschlecht seine Fähigkeit zur Entwicklung höherer geistig-sittlicher Zustände einen Vorzug vor dem weiblichen verleihen soll.
Eine Gesellschaft, die das Weib um einer spezifisch weiblichen Schwäche willen so tief verstößt, dürfte die Ausbildung des spezifischen Geschlechtscharakters nicht uneingeschränkt als Entwicklungsprinzip für das Weib propagieren. Nicht nur die »edle Weiblichkeit«, nicht nur die geschützten Frauen dürfte man dabei vor Augen haben, sondern das weibliche Geschlecht als Ganzes mit eben den Eigentümlichkeiten, die seiner primitiven Natur und seiner sozialen Stellung anhaften, in der seine teleologische Schwäche sehr zu seinen Ungunsten zum Ausdruck kommt. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum der Frauen aus den bevorzugten Ständen, daß sie glauben, von der Schmach der Preisgegebenen gänzlich frei zu sein. In Wahrheit bleibt weder ihre soziale Stellung noch ihr persönliches Einzelschicksal unberührt davon; und die Nachtseiten der teleologischen Weiblichkeit rächen sich auch an denen, die vermeintlich nur dem Kultus ihrer Lichtseiten geweiht sind.
»Das Weib« ist ein Januskopf: das eine Gesicht entsteht von der tiefsten Erniedrigung, mit welcher das Kulturleben ein menschliches Wesen besudeln kann, das andere Gesicht verklärt von der höchsten Würde, mit welcher die menschliche Gattung die Erfüllung ihrer schwersten Aufgabe belohnt.
Aber betrachten wir auch dieses Gesicht näher. Das Weib als Mutter genießt die überschwenglichste Verehrung; vor dieser ehrfurchtgebietenden und rührenden Gestalt neigen sich alle Mächte des Lebens, um ihr die Krone zu reichen. Wenigstens schallt diese Weise in tausendfachen Variationen aus allen Ecken und Enden jener Welt, die über der realen in den Wolken sentimentaler Gefühle und schöner Gedanken schwebt. In der realen Welt ist das Weib als Mutter etwas weniger gut daran. Nicht etwa bloß die uneheliche Mutterschaft – und man braucht nur dieses traurige, entwürdigte Bild heraufzubeschwören, um die ganze hohle Phrasenhaftigkeit der üblichen Mutterschaftsverherrlichung zu enthüllen – die Mutterschaft an sich, auch die mit allen sozialen Ehren ausgezeichnete, wird teuer erkauft. Der Preis, der dafür bezahlt wird, ist die geistige Freiheit und Ebenbürtigkeit; und je weiter das Leben zu höheren Formen fortschreitet, desto weiter muß auch das weibliche Geschlecht um der Mutterschaft willen hinter dem männlichen zurückbleiben.
Denn die teleologischen Eigenschaften, die das Weib zur Mutterschaft geeignet machen, bilden zugleich ein Hindernis der geistigen Entwicklung – darüber kann man sich nicht mit dem Einwand hinwegsetzen, daß die Erziehung der Kinder, die ja auch ein integrierender Bestandteil der Mutterschaft sei, hohe Anforderungen an den psychischen und intellektuellen Rang des mütterlichen Weibes stelle. Die modernen Veranstaltungen der Erziehung, die einer differenzierten Kulturgesellschaft angehören, haben mit den Einrichtungen der Natur zugunsten der Gattungszwecke nichts zu tun.
In welchem Verhältnis das Wesen der primitiven Weiblichkeit zu den Gattungszwecken steht, hat unter anderen auch Möbius in jener bekannten Abhandlung ausgeführt, in der die teleologische Geschlechtsnatur mit dem Namen »physiologischer Schwachsinn des Weibes« bezeichnet wird. Es ist wohl nur dieser aggressiven Bezeichnung zuzuschreiben, daß ein so oberflächliches Elaborat so viel Aufsehen machen konnte, und nur der philiströsen Gehässigkeit seiner Haltung, daß es so viel Erbitterung hervorgerufen hat. – Wer übrigens einen Beweis haben will, wie weit im einzelnen Fall das weibliche Denken das männliche an Qualität überragen kann, der sei auf Oda Olbergs Arbeit »Das Weib und der Intellektualismus« verwiesen, die, durch die Möbiussche Broschüre angeregt, die einschlägigen Probleme mit umfassender Weite des Blicks und überlegener Objektivität behandelt.
Möbius geht von der Anschauung aus, daß »das ganze Wesen des Weibes teleologisch am leichtesten begriffen« wird. So erklärt er teleologisch aus der sexuellen Stellung gegenüber dem Manne den Hang zur Verstellung oder zur Lüge, der so vielfach der Frau vorgeworfen wird: die Lüge ist ihre »natürliche und unentbehrliche Waffe, auf die sie gar nicht verzichten kann«; und um den Mutterberuf erfüllen zu können, muß das Weib »kindähnlich, heiter, geduldig und schlichten Geistes« sein. »Kraft und Drang ins Weite, Phantasie und Verlangen nach Erkenntnis würden das Weib nur unruhig machen und in ihrem Mutterberufe hindern, also gab sie die Natur nur in kleinen Dosen.«
Dagegen wäre nichts einzuwenden; diese Auffassung enthält eine Rechtfertigung der weiblichen Inferiorität aus dem Naturprozeß selbst. Daß Möbius diesem Naturprozeß als subjektive Mannespersönlichkeit gegenübersteht, die in der Sache Partei ist, beeinträchtigt seine Arbeit, mehr aber noch der Mangel eines höheren Gesichtspunktes, von dem aus er die Aufgaben der Zivilisation bewerten könnte. Er faßt das Weib nur als Naturwesen und nur unter der Perspektive des Mutterberufes auf. In einer hochentwickelten Kultur können aber weder Mann noch Weib als bloße Naturwesen betrachtet werden, ohne daß die ganze Kultur als ein Nonsens, als ein Entartungsprozeß erscheinen muß. Daher ist der Standpunkt, den Möbius einnimmt, ein ganz unklarer und widerspruchsvoller; er wirft einerseits den Weibern vor, daß sie alles Neue hassen und vielfach wie ein Bleigewicht an dem strebenden Manne hängen: »Wie die Tiere seit undenklichen Zeiten immer dasselbe tun, so würde auch das menschliche Geschlecht, wenn es nur Weiber gäbe, in seinem Urzustande geblieben sein. Aller Fortschritt geht vom Manne aus« ... anderseits aber hat er für diesen Fortschritt – denn was könnte »Fortschritt« bedeuten, wenn nicht wachsende Zivilisation? – keinen andern Vergleichswert als diesen Urzustand, den er für den einzig gesunden und normalen halten muß, da er es nicht allein als eine unvermeidliche Funktion der Zivilisation bezeichnet, daß sie Entartungserscheinungen wie die männischen Weiber und die weiblichen Männer hervorbringt, sondern die Anklage wider sie erhebt, daß sie die Quellen des Lebens abgräbt und das von ihr betroffene Volk zum Absterben bringt, sobald es nicht durch Barbarenblut wieder aufgefrischt werden kann. Das heißt also: der vom Manne ausgehende Fortschritt ist verderblich, und die auszeichnendste Eigenschaft des Mannes, die ihm den geistigen Vorrang vor dem Weibe sichert, ein Unglück für die Menschheit.
Was hat es denn mit den Begriffen Urzustand, Entartung, Fortschritt, Kultur für eine Bewandtnis? Welche Stellung will man der Zivilisation im Leben der Menschheit einräumen, und welche dem einzelnen Individuum bei den Aufgaben der Zivilisation?
Die Natur – worunter in diesem Fall der Komplex der primitiven Lebensfunktionen im Gegensatz zu den höheren, aus der menschlichen Intellektualität entspringenden Antrieben zu verstehen ist – hatte mit dem Weibe nichts anderes vor, als es zur Mutterschaft geeignet zu machen, selbst um den Preis, daß es an allen anderen Fähigkeiten gegen den Mann zurückstehen mußte. Sie wälzte eine ungeheure Bürde auf das Weib, indem sie das ganze Werk der Fortpflanzung von dem Augenblick der Zeugung an in den weiblichen Organismus verlegte und ihn während der längsten Phase seines individuellen Lebens unter diesen Zweck beugte. Auf diese Weise ist sie bei der Verteilung der Gattungspflichten an beide Geschlechter völlig ungerecht verfahren.
Ja so ungerecht ist diese Verteilung, daß schon in Urzeiten der moralische Sinn des Mannes zu ihrer Erklärung eine ursprüngliche Verschuldung als notwendig empfand, und die Leiden, die dem Weibe auferlegt sind, nicht anders denn als Strafe zu deuten vermochte. Deshalb macht die alttestamentarische Genesis das Weib zur Verführerin des Mannes und legt Gott die strafenden Worte in den Mund: »Ich will dir viele Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären, und dein Wille soll deinem Manne unterworfen sein –«. Und so dauernd hat sich diese Anschauung behauptet, daß noch um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, als in England die ersten Versuche der Narkose bei schweren Geburten gemacht wurden, die englische Geistlichkeit dagegen als gegen eine Aufhebung und Milderung der gottgewollten Strafe protestierte!
Der moralistische Wahn, der für das Elend des menschlichen Daseins eine angeborene Sünde voraussetzt, ist dem Weibe teurer als dem Manne zu stehen gekommen; er hat zum Schaden die Schuld gefügt und das natürliche Los des Weibes, anstatt es zu mildern, nur verschärft.
Wenn schon die Natur das Weib schwer belastet hat – durch die Zivilisation wird diese Bürde ins Unerträgliche gesteigert. Die Disposition zu Leiden aller Art, die Herabminderung der physischen Widerstandskraft, die körperliche Verweichlichung, welche die Zivilisation mit sich bringt, rächt sich am weiblichen Organismus härter als am männlichen, weil die ungestörte Abwicklung des Generationsprozesses volle Gesundheit zur Bedingung hat. Jede Beeinträchtigung der physischen Leistungsfähigkeit setzt auch den weiblichen Organismus als Generationswerkzeug herab; und je verfeinerter die Lebensführung, desto schwieriger werden die Aufgaben der Mutterschaft.
Wie schlimm aber auch die schädlichen Einflüsse der Zivilisation in physischer Hinsicht sein mögen, noch verhängnisvoller für das Weib als Persönlichkeit sind die geistigen Werte, die im Gefolge der Zivilisation auftreten. Die Kultur macht aus dem Menschen ein Doppelwesen, dessen intellektuelle Aufgaben den Vorrang über die natürlichen gewinnen; sie differenziert die Individuen noch nach einem anderen Prinzip als nach dem der Gattung, welches das Weib zur Mutter, den Mann zum Erzeuger und allenfalls auch zum Ernährer und Verteidiger der Familie bestimmt. Indem sie den Aufgaben der Gattung die Aufgaben der Persönlichkeit gegenüberstellt, entzweit sie das Individuum mit sich selbst und scheidet in seinem Bewußtsein zwei Interessensphären, die, vielfach einander entgegengesetzt, Quelle tiefgreifender Konflikte werden. Je mehr das individuelle Leben im Werte steigt, je mehr es durch Leistungen und Genüsse der Persönlichkeit ausgefüllt ist, desto mehr sinkt das Interesse an den Aufgaben der Gattung, denen das Weib in so viel höherem Grade untertan ist als der Mann – und damit zugleich sinkt der Wert, den das Weib als solches in der Kulturgesellschaft besitzt.
Die Zivilisation, die fast ausschließlich ein Werk des Mannes ist, zeigt in diesen Wirkungen, daß sie im Grunde genommen nur für den Mann berechnet ist. In primitiven Zuständen bildet die Mutterschaft für das Weib nach keiner Richtung ein Hindernis. Ob man nun eine gynäkokratische Verfassung der »Urgesellschaft« als erwiesen ansehen will oder nicht – die einfache Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern verbürgt dem weiblichen denselben Rang und Wert wie dem männlichen, was ja auch bei den Verwandten des Menschen, den höheren Säugetieren, der Fall ist. Erst unter den Bedingungen der Zivilisation wird das Weib vermöge der Mutterschaft zu einem untergeordneten und abhängigen Wesen, zu einem Menschen zweiter Ordnung. Die größere Bewegungsfreiheit, die der Mann von Natur aus genießt, macht sich gegenüber der geschlechtlichen Gebundenheit des Weibes geltend und sichert ihm die Herrschaft in der Zivilisation.
Daraus aber ist keineswegs ein Einwand gegen die Zivilisation an sich abzuleiten. So wenig wie der an den Kulturvölkern zu beobachtende Verfall den Einflüssen der Kultur zuzuschreiben ist, vielmehr dem Gesetze des Lebens selbst, das sich an allen Erscheinungen als Blühen, Reifen und Vergehen manifestiert, so wenig liegt es im Wesen der Kultur daß sie den Individuen weiblichen Geschlechtes bleibend die ungünstigeren Chancen der Entfaltung bieten muß. Die Einseitigkeiten und Unvollkommenheiten aller Kultureinrichtungen spiegeln nur die Mängel der menschlichen Intellektualität wider, die als ein Werdendes und sich Entwickelndes unvermögend ist, vollendet angepaßte Daseinsformen zu schaffen. Es liegt in der teleologischen Natur der Geschlechter, die dem Mann einen so großen Vorsprung vor dem Weibe sichert, daß er es ist, der zuerst als der kulturschaffende Teil auftritt; erst auf einer hohen Stufe der Kulturentwicklung, wenn sich die Konsequenzen bestimmter Kultureinflüsse an der Männlichkeit vollzogen haben, stellt sich für das weibliche Geschlecht die Möglichkeit ein, an der Kulturarbeit außerhalb der Familiensphäre mitzuwirken und die Einseitigkeit der Männerkultur aufzuheben.
Aber selbst unter der Beschränkung, welche diese Männerkultur dem weiblichen Geschlecht auferlegt, war dessen Aufgabe niemals so enge begrenzt, als es die modernen Antifeministen fordern, die das Weib ausschließlich auf die Pflichten der Mutterschaft verweisen. Sie übersehen, daß die Begrenzung der weiblichen Tätigkeit innerhalb des Familienkreises weder auf die primitivste noch auf die höchste Lebensform des Weibes zutrifft. Bei den sogenannten Naturvölkern kommt den Frauen eine Menge von Aufgaben zu, die sich nach unseren Anschauungen mit der Mutterschaft schlecht vertragen; sie verrichten gerade die schwersten Arbeiten, diejenigen, für welche der unzivilisierten Männlichkeit Geduld und Disziplin fehlen, und die Mutterschaft ist eine Sache, die nebenher geht. In den obersten Schichten der abendländischen Gesellschaft aber hat das weibliche Geschlecht die Pflichten der schönen Geselligkeit, der Standesrepräsentation zu erfüllen – und das Leben, welches die Dame führt, ist keineswegs das der Mutterschaft günstigste, ja in mancher Hinsicht ihr geradezu abträglich. Die Damen der Gesellschaft sind es wahrlich nicht, die den größeren Teil ihrer Zeit und Lebensinteressen ihren Kindern widmen. Es gehört zu den Erfordernissen eines vornehmen Haushaltes, die Erziehung bezahlten Hilfskräften zu überlassen; und den höchstgestellten Frauen der europäischen Kulturgesellschaft ist es nicht einmal gestattet, ihre Kinder selbst zu säugen.
Sogar die Annahme, daß in der Mutterschaft die höchste Aufgabe des Weibes bestehe, wird durch die Kulturgeschichte widerlegt. Zu allen Zeiten hat die sittliche Anschauung unter Umständen dem Verzicht auf die Mutterschaft ein besonderes Gewicht beigelegt; und die hohe Bewertung der Jungfräulichkeit im Dienste religiöser Vorstellungen zeigt deutlich, daß die menschliche Gesellschaft einzelnen Frauen noch einen anderen Beruf zuerkannte, als den sogenannten natürlichen. Schon in der antiken Kultur war die Vermittlung zwischen der profanen Welt und der göttlichen, das Priestertum, soweit weibliche Personen daran teilnahmen, vielfach an die Bewahrung der Jungfräulichkeit geknüpft; selbst in Rom, wo die Mutterschaft gewiß in Ansehen stand, genossen doch die Vestalinnen, also Frauen, denen um einer höheren Mission willen die Mutterschaft versagt war, die höchsten bürgerlichen Ehren. Gewissen Formen des griechischen und römischen Tempeldienstes scheint sogar die Anschauung zugrunde zu liegen, daß die Ökonomie der menschlichen Gesellschaft nicht allen Frauen die Mutterschaft gestatten könne, weshalb auch jene, die sich ohne den Willen zur Mutterschaft in den Dienst des Geschlechtes stellen – sonst überall als die verachtetsten, als die entartetsten behandelt – durch religiöse Vorstellungen zu rehabilitieren sind.
Ja in der christlichen Welt, die doch Mutterschaft und Jungfräulichkeit in ein Mysterium verschmolzen hatte, und zu deren Direktiven das Paulinische Wort gehörte, daß das Weib »selig werden wird durch Kinderzeugen« triumphierte die Jungfräulichkeit, die nun einmal in der Realität mit der Mutterschaft nicht zu vereinigen war. Eine große Anzahl ausgezeichneter Frauen des christlichen Geisteslebens hat der Mutterschaft die Jungfräulichkeit vorgezogen. Denn die religiöse Anschauung des Mittelalters betrachtete den ehelosen Stand als den der hohen Geistigkeit allein angemessenen; und die religiös gestimmten Frauen suchten wie die religiös gestimmten Männer die Vorbereitung für das ewige Leben, das, jenseits von Mann und Weib, beiden Geschlechtern den gleichen Zustand rein geistiger Seligkeit verhieß, in der klösterlichen Weltflucht – unbeschadet der Vorschrift, die ihnen das Kinderzeugen als Weg der Seligwerdung wies.
Um dieses versprochenen Himmelreiches willen entzieht sich auch heute noch eine nicht geringe Menge von Frauen in Klöstern der Mutterschaft, ohne daß sie deshalb in der sozialen Bewertung als minderwertige oder gar entartete Exemplare der Weiblichkeit gelten.
Es besteht also gar kein Grund, warum jene Frauen, die um geistiger Interessen willen auf die Mutterschaft verzichten, ein Vorwurf treffen sollte. Nur eine Zeit wie die Gegenwart, die keine geistigen Direktiven, keine allgemeinsamen Ideale mehr besitzt, kann den Entgang der Mutterschaft als einen Einwand gegen die geistigen Bestrebungen einzelner Frauen betrachten.
Überdies besteht die Notwendigkeit einer unbedingten Verzichtleistung durchaus nicht. Mutterschaft und geistige Arbeit schließen einander keineswegs völlig aus; sie bilden nur erschwerende Lebensbedingungen für das Individuum. Bedarf es erst eines Nachweises, daß die Mutterschaft an sich, das Tragen, Gebären und Aufziehen der Kinder, körperlich und seelisch sehr starke Ansprüche an das Individuum stellt, und daß diese Ansprüche im gleichen Verhältnis mit der Anzahl der Kinder wachsen? Wie sehr aber in den Problemen der Weiblichkeit auch das Selbstverständliche Frage geworden ist, zeigen Bücher wie das von Adele Gerhardt und Helene Simon, in welchem auf dem Wege einer umständlichen Enquete nachgeforscht wird, ob und wie weit »Mutterschaft und geistige Arbeit« einander hindern.
Allerdings: wenn es wahr wäre, daß jede Frau – was seit Rousseau eine Schule von Soziologen nicht müde wird zu behaupten – die Aufgabe habe, beständig schwanger zu sein, weil der »Genius der Gattung« diese Leistung fordert (Sombart), dann gäbe es keine Möglichkeit, Mutterschaft und geistige Arbeit zu vereinigen; denn die äußerste Ausnützung der weiblichen Fruchtbarkeit verträgt sich mit keiner Betätigung auf anderen Gebieten.
Aber in so schwierigen und komplizierten Verhältnissen, wie sie dem Bevölkerungsproblem zugrunde liegen, läßt sich mit Entscheidungen, die nur für die einfachsten und primitivsten Formen der menschlichen Gesellschaft zutreffen, nicht das Auslangen finden. Daß die willkürliche Beschränkung der Kinderzahl ein Recht des Individuums ist, kann prinzipiell nicht geleugnet werden, wenn es auch immerhin fraglich sein mag, ob die Malthusianische Behauptung zu rechtfertigen ist, daß sie sogar eine soziale Pflicht des Individuums ist. Als sittliches Problem kommt sie nur soweit in Betracht, als zwischen den Mitteln der Beschränkung, zwischen Enthaltung oder Vorbeugung, ein sittlicher Unterschied besteht.
Die Natur selbst, die mit elementaren Mitteln die Vermehrung fördert, sorgt auch mit elementaren Mitteln für die notwendige Einschränkung; und innerhalb der menschlichen Kultur verraten bestimmte Zustände, daß hier ebensowenig wie im Bereich der primitiven Natur die virtuelle Vermehrungsfähigkeit ungehemmt walten kann. Unter diesen Zuständen ist – wenn man den Krieg als einen abnormen Fall ausschließt – die starke Kindersterblichkeit in den unteren Volksklassen hervorzuheben, oder das unfreiwillige Zölibat der unverheirateten Frauen – ihre Anzahl beträgt in Deutschland ungefähr zwei Millionen –; mehr als alle anderen Faktoren aber wirkt in einer pseudomonogamen Gesellschaftsordnung wie die der modernen Kulturvölker die Prostitution dahin, die natürliche Vermehrung zu beschränken.
Es kann den Moralisten überlassen bleiben, zu entscheiden, welche Art der Beschränkung die verwerflichste ist; aber warum sollte die Kompensation des Bevölkerungszuwachses, den so viele andere Einflüsse hemmen, von den Ehefrauen allein gefordert werden?
Wenn anders die Geschichte der menschlichen Gesellschaft etwas zu lehren vermag, ist die willkürliche Beschränkung der Kinderzahl eine Erscheinung, die mit Notwendigkeit um sich zu greifen beginnt, sobald die Bevölkerungsdichtigkeit bei sehr gesteigerten Kulturmitteln eine bestimmte Höhe erreicht hat – ob nun die präventive Beschränkung wie bei den Kulturvölkern des Okzidents herrscht oder die barbarischere Methode der Kindesaussetzung und -tötung wie im Orient.
Von den Rigoristen, die gegenüber den verheirateten Frauen die Rechte der Gattung auf unbeschränkte Ausnützung der weiblichen Fruchtbarkeit vertreten, wird zuweilen auch gegen die Tendenzen der Frauenbewegung der Vorwurf erhoben, daß sie an der wachsenden Abneigung der Kulturfrauen gegen eine unbeschränkte Kinderzahl Schuld trage. Wer im Ernste glaubt, daß der geringe Einfluß, den diese Tendenzen bisher besessen haben, so ausgedehnte Wirkungen üben konnte, sei auf Frankreich verwiesen, wo der Stillstand des Bevölkerungszuwachses längst ein öffentlich gekannter Umstand war, ehe die ersten Spuren einer französischen Frauenbewegung zutage traten. Überhaupt: welche Kurzsichtigkeit, den weiblichen Teil allein für die Ursachen dieses Stillstandes verantwortlich zu machen! Da hatten die geistigen Urheber des Code Napoléon doch einen tieferen Blick dafür, als sie der Vermehrung, wenn auch auf außerehelichem Wege, durch die, der teleologischen Schwäche des weiblichen Geschlechtes gegenüber so unbarmherzige Maßregel Vorschub leisteten: la recherche de la paternité est interdite.
Die Frauenbewegung und die Abneigung gegen die unbeschränkte Kinderzahl sind zeitlich parallele Erscheinungen, aber sie stehen zueinander nicht in dem Verhältnis von Ursache und Wirkung. Vielleicht, daß beide einen Zusammenhang in den Untergründen des Gesellschaftsstadiums haben, in dem sie auftreten. Primitive Gesellschaften, die vorwiegend kriegerisch sind und einen unmäßigen Verbrauch an Menschenleben aufweisen, müssen an die Ausnützung der weiblichen Fruchtbarkeit die äußersten Ansprüche stellen; hochkultivierte und daher friedliebendere Gesellschaften gewähren ihren Mitgliedern ein längeres Durchschnittsalter, die Erneuerung der Generationen braucht nicht so rasch vor sich zu gehen, und das einzelne Individuum, dessen Heranbildung unendlich mühsamer, langwieriger und kostspieliger ist als in primitiven Zuständen, repräsentiert einen höheren Wert. Es ist also eine notwendige Konsequenz der Kultur, daß die unbeschränkte Ausübung der Mutterschaft im sozialen Bewußtsein nicht mehr von derselben unvergleichlichen Wichtigkeit umgeben erscheint; und ebenso unvermeidlich ist es, daß die Anzahl der Frauen, die sich ihr hingeben können, in demselben Verhältnis abnehmen muß, in dem die äußeren und inneren Lebensbedingungen für das Individuum komplizierter werden.
Eine Frau, die ihr Leben erfüllen soll, kann es entweder an eine zahlreiche Familie wenden, oder an einen Beruf. Wenn sie keines von beiden auf sich nehmen will oder kann, sinkt der Wert ihres Lebens im Vergleich zu der Leistung, welche das weibliche Leben früherer Kulturepochen bedeutete – denn zehn oder zwölf Kinder geboren und aufgezogen, und nebstbei einen Haushalt unter primitiven Produktionsverhältnissen geführt zu haben, das ist eine Leistung, die von wenig anderen überboten wird! – noch mehr aber sinkt dieser Wert im Vergleich zur Arbeitsleistung des männlichen.
Das ist das Los der bürgerlichen Frauen in der Gegenwart. Die wenigsten Berufe sind ihnen zugänglich; und die Ausübung jeder Tätigkeit außerhalb des Familienkreises ist ihnen aufs äußerste erschwert, sobald sie mit dem »natürlichen« Beruf des Weibes verbunden werden soll. Wer diese Frauen immer nur auf die uneingeschränkte Mutterschaft zu verweisen und ihnen die weibliche Lebenserfüllung früherer Zeiten als Muster vorzuhalten sucht, kennt die tieferen Ursachen einer Veränderung nicht, die mit dem Kulturstadium der Gegenwart untrennbar zusammenhängt. Wenn sich aber in der Gegenwart die Neigung ankündigt, den Frauen, die öffentliche Stellungen einnehmen, von Staats wegen das Heiraten unmöglich zu machen, oder gar die Ehe direkt zu verbieten, so wird dabei nur mit der einen Hand genommen, was man mit der anderen fordert, um den Faktoren, welche im Sinne der Bevölkerungsbeschränkung wirken, ganz offiziell noch einen mehr hinzuzufügen.
Man hat den Tendenzen der Frauenbewegung gegenüber auch mit dem Vorwurf der Entartung nicht gespart, weil sie angeblich das Weib seinem natürlichen Beruf entfremde und mit einem geistigen Ehrgeiz erfülle, der den Aufgaben der Mutterschaft abträglich ist. Dabei hat man immer übersehen, daß gerade die Frauenbewegung die Palliative gegen die Gefahr der Degeneration durch Müßiggang schafft, welche zum mindesten den Frauen der wohlhabenden Bevölkerungsschichten aus einer Gesellschaftsverfassung droht, in der ihr ursprünglicher Wirkungskreis sich auflöst, ohne daß ihnen ein Äquivalent sozialer Betätigung geboten würde.
Die numerische Überlegenheit einer Rasse wird durch andere, breitere Bevölkerungsklassen garantiert als durch jene, welche die Träger der geistigen Kultur sind; daher kann auch der bekannte Gegensatz, der in der Regel zwischen der physischen und der geistigen Produktivität herrscht, keinen Grund bilden, die Frauen dieser Klasse von dem Anteil an Intellektualität auszuschließen, der die Auszeichnung der Männer ihrer Klasse bildet. Daß aber durch die Beschäftigung mit geistiger Arbeit den Frauen die Geneigtheit ganz und gar abhanden kommen könnte, sich der Mutterschaft zu unterziehen, ist doch wohl eine unsinnige Befürchtung. In der Mutterschaft liegt vielmehr eine Garantie dafür, daß der Intellektualismus die Frauen nicht in jenes Mißverhältnis zu den natürlichen und primitiven Dingen des Lebens stürzen wird, wie es bei den Männern der Geistigkeit geschieht. Die Natur hat die mütterlichen Instinkte mit so starken Banden versichert, daß sie für die individuelle Willkür nicht leichthin zerreißbar sind – noch mehr: sie hat die Mutterschaft mit einer so hohen Seligkeit aufgewogen, daß sie für jedes nicht ganz verödete weibliche Herz eine unwiderstehliche Anziehung besitzt.
Wenn trotzdem einzelne Frauen um eines geistigen Lebenszieles willen auf die Mutterschaft verzichten, so hat man alle Ursache, darin eine heroische Gesinnung der Weiblichkeit zu erblicken. In dem Behaupten der Persönlichkeit gegenüber dem Traditionellen zugunsten eines eben in der Persönlichkeit beschlossenen höheren Willens – der im tragischen Fall auch den Tod nicht scheut – liegt ein durchaus heroisches Element; und nur der platteste Nützlichkeitssinn kann in der sozialen Schätzung des weiblichen Individuums die Äquivalente unberücksichtigt lassen, die es eventuell der Gesellschaft für den Entgang an Nachkommenschaft bietet.
Vor allem mit dem Begriff der Entartung müßte eine objektive Beurteilung der modernen Frauenprobleme vorsichtiger umgehen, da doch Entartung und Entwicklung eng verschwisterte, im vorhinein schwer zu unterscheidende Phänomen sind. Die Rückbildung zu einem imaginären Naturzustand, die zugleich die ganze ungeheure Arbeit der männlichen Zivilisation zu einer Verirrung stempeln würde, wie jede Art von Umkehr oder Zurückschraubung muß aussichtslos erscheinen. Als einzige Möglichkeit, den Übelständen einer hochgesteigerten Kultur zu entrinnen, kann nur die Kultur selbst gelten: durch eine weitere Steigerung die Unvollkommenheiten der jeweiligen Stufe zu überwinden, ist die Aufgabe aller sozialen Bemühung. Dahin gehören auch jene Veränderungen, die für das Weib die Bedingungen bereiten sollen, unter welchen es den Aufgaben eines erhöhten geistigen Lebens nachkommen kann, ohne seinen Aufgaben als Naturwesen ganz zu entsagen, die Bedingungen, unter welchen es an jener höchsten Errungenschaft aller Kultur, der freien Selbstbestimmung des Individuums, teil zu haben vermag.
Es wäre eine unbillige, die natürlichen Grenzen der durchschnittlichen Männlichkeit übersteigende Zumutung, diese Veränderungen von der Arbeit und der Erkenntnis des Mannes zu erwarten. Die Aufgabe, in einer künftigen Gesellschaftsordnung dem weiblichen Geschlechte eine andere Stellung zu erobern, muß von den Frauen selbst gelöst werden. Das ist die große soziale Mission jeder Frau, die sich durch Neigung und Tätigkeit über das traditionelle Lebensgebiet ihres Geschlechtes erhebt. In den hergebrachten Gesellschaftsformen ist eine Vereinigung von Mutterschaft und geistiger Arbeit nur unter großen Nachteilen möglich. Hier sind neue Einrichtungen zu schaffen – und diese Arbeit kann allein von solchen Frauen geleistet werden, die sich nach ihrer Wesensbeschaffenheit der Führung des männlichen Intellekts nicht unterwerfen müssen. Denn der Mangel der herrschenden Kultur in Ansehung der Stellung, die sie dem weiblichen Geschlechte gewährt, besteht eben darin, daß sie Männerwerk ist, vom Manne für die Zwecke des Mannes geschaffen, und so unangemessen dem Weibe als selbständigem Individuum, wie dies bei der Vorherrschaft einseitiger Interessen nicht anders sein kann.
Das gattungsmäßig Männliche wie das gattungsmäßig Weibliche hat in der Familie und in der Gesellschaft alles hervorgebracht, was es seinem allgemeinen Charakter nach vermochte. Es ist ein Mißverständnis, von der spezifischen Natur des Weibes, die man als eine bis zur höchsten Intuition des Gemeinwohles erweiterte Mütterlichkeit auffaßt, eine neue Emanation in der Gesellschaft der Zukunft zu erwarten. Die Mütterlichkeit, die aus der spezifisch weiblichen Natur entspringt, kann sich ihrem Wesen nach nicht auf die Interessen der Allgemeinheit richten; denn ihre stärkste Kraft liegt in der Konzentration auf die eigene Nachkommenschaft, und gerade die Verblendung, mit der jede Frau ihre eigenen Kinder allen anderen vorzieht und überordnet, ist teleologisch unerläßlich.
Der soziale Sinn – das, was in der christlichen Terminologie die Nächstenliebe hieß – setzt eine höhere Differenzierung des Individuums voraus, als sie bloß mit den Instinkten der Mutterschaft gegeben ist; sonst würde er sich nicht zuerst als eine Eigenschaft des männlichen Geschlechtes manifestiert haben. Änderungen in der sozialen Ordnung können nur von Frauen bewirkt werden, die über das teleologische Maß ihres Geschlechtes hinausragen, die von dem Typischen abweichen und kraft ihrer Unabhängigkeit zu anderen Lebensformen gelangen. Sie sind, wenn man will, die »Unweiblichen« – vielleicht weniger brauchbar für die Zwecke des Mannes und der primitiven Geschlechtsbestimmung, und doch unentbehrliche Elemente des fortschreitenden Kulturprozesses.
Die Frauen des Durchschnitts aber hätten Grund genug, über alles Gegensätzliche hinweg eine Interessengemeinschaft mit ihnen nicht zu verleugnen: die Erfolge, die jene erringen, werden auch der Stellung zugute kommen, die sie selbst in einer künftigen Ordnung der Dinge einnehmen können.
Man ist gegenwärtig geneigt, die Erziehung als eine spezielle Leistung der Mutter anzusehen; der Anteil des Vaters tritt daneben stark in den Hintergrund – so stark, daß es fast den Anschein hat, als wollten die Frauen kraft ihrer physischen und ethischen Leistungen nach dieser Richtung die Nachkommenschaft wieder ganz in matriarchalische Gewalt bekommen. Es könnte also wohl sein, daß die Erziehung, die eine viel dauerndere, intensivere, umfassendere Beanspruchung der weiblichen Persönlichkeit bedeutet als die physischen Aufgaben der Mutterschaft, die Frauen unbedingt für den größten Teil ihres Lebens an die Familie binden und die Ausübung eines anderen Berufes neben den Mutterpflichten ausschließen müsse. Die Erfahrung des täglichen Lebens lehrt zwar, daß es Frauen gibt, die neben einer Schar von Kindern noch Zeit und Interesse für anderweitige Betätigungen ihrer Persönlichkeit übrig behalten, und solche, denen ein einziges Kind so viel zu schaffen macht, daß sie für die übrige Welt verloren sind – woraus hervorgeht, daß auch hier die individuelle Anlage das entscheidende Moment ist. Dennoch macht sich die Neigung geltend, die Aufgaben der Erziehung so hoch einzuschätzen, daß sie den sozialen Wert aller anderen menschlichen Leistungen überragt.
Den äußersten Ausdruck für diese Vorstellungen findet man bei Ellen Key: »Es bedarf ungeheurer Kräfte, um einem einzigen Kinde gerecht zu werden. Das bedeutet durchaus nicht, dem Kinde jede seiner Stunden zu geben. Aber es bedeutet, daß unsere Seele von dem Kinde erfüllt sei, so wie der Mann der Wissenschaft von seinen Forschungen, der Künstler von seinem Werke erfüllt ist«; – denn das ist die erhabene Aufgabe: »das neue Geschlecht zu erziehen, das einmal die Gesellschaft bilden wird, in der der vollendete Mensch – der ›Übermensch‹ – von einer noch fernen Morgenröte bestrahlt werden wird«. (Das Jahrhundert des Kindes.)
Hier werden zwei moderne Anschauungen miteinander verquickt, die völlig entgegengesetzt und unvereinbar sind: die Vorstellungen über den entscheidenden Einfluß der Erziehung im Leben des Einzelnen, und die Vorstellungen von einem neuen, höheren Geschlecht, vom »Übermenschen«.
Nietzsche, der Vater des modernen Übermenschen, hat – vielleicht nicht ohne Absicht – die genaueren Umrisse dieser Gestalt ziemlich dunkel gelassen; da er aber irgendwo sagt, am Ziel aller Entwicklung stehe »das souveräne Individuum, das nur sich selbst gleiche«, kann man zunächst darunter nichts anderes verstehen als den Menschen, der die Impulse seines Handelns aus sich selbst schöpft und, unabhängig von den Einflüssen seiner Umgebung, sich zur selbstherrlichen Persönlichkeit entfaltet – den Menschen, der sein eigenes Werk ist.
Gegenüber Individualitäten mit solchen Anlagen hat die Erziehung sehr wenig zu sagen. Damit ein Mensch ganz er selbst werde, muß er vor allem die Einflüsse seiner Umgebung und seiner Erziehung überwinden. Der besten wie der schlechtesten – außer man will unter einer guten Erziehung nur die Beibringung guter Manieren, einer automatisierten Beherrschung der äußeren Formen verstehen.
Und was sollte denn die Erziehung viel anderes vermögen? Schon die ganz allgemein gefaßte Formel, daß die Erziehung die guten Anlagen entwickeln, die schlechten unterdrücken soll, ist eine unzulängliche. Denn bei der Ungewißheit, was in einer seelischen Konstitution als gut oder böse anzusprechen ist, da doch jedes Individuum die Fehler seiner Vorzüge besitzt – von generellen moralischen Bewertungen ganz abgesehen – geschieht es nur zu leicht, daß die pädagogische Auswahl zwischen Gut und Böse die Spreu nicht immer vom Weizen unterscheidet. Überdies setzt alle Erziehung, die mehr sein will, als eine Erziehung zu äußeren Formen, bei dem Erzieher eine umfassende Intuition der zu erziehenden Individualität voraus; und eine solche Intuition kann nur in einer überlegenen Persönlichkeit entstehen. Die Eltern, die eine solche Intuition von ihren Kindern gewinnen sollen, dürften keine sie geistig überragende Nachkommenschaft haben. Keine »neuen Menschen« dürften es sein; denn wie in aller Welt sollen gewöhnliche Menschen ungewöhnliche erziehen? Aller Wahrscheinlichkeit nach werden gewöhnliche Eltern freilich gewöhnliche Kinder haben. Wenn Durchschnittsmenschen zusammenheiraten, so ist vorauszusehen, daß die Kinder aus dieser Ehe auch wieder Durchschnittsmenschen sein werden, trotz aller Erziehungsbefleißigung. Sollte es aber der Zufall wollen, daß der wundersame, unberechenbare Fremdling, das Genie, darunter auftritt, so wird es für seine Erzeuger das beste sein, sie lassen ihn seine eigenen Wege gehen, ohne ihn durch ihre pädagogischen Künste zu bedrängen.
Erziehung im aktiven Sinne ist der Ausdruck für eine Art des Seins; man erzieht mit dem, was man ist, nicht mit dem, was man weiß. Alle pädagogischen Kenntnisse und Absichten machen aus einer ungeeigneten Persönlichkeit keinen guten Erzieher. Die Forderung, daß wir uns vorher selber erziehen müssen, um erziehen zu können, hilft diesem Übelstande nicht ab. Denn sie setzt eine bestimmte Fähigkeit voraus, die nicht jeder hat – eben die Fähigkeit, sich selber zu erziehen. Und wenn es möglich ist, sich selber zu erziehen, dann können die Eltern diese Aufgabe um so eher den Kindern überlassen. Hat ein Mensch, der sich selber zu erziehen vermochte, nicht entschieden vor dem etwas voraus, der diese Arbeit an sich durch andere verrichten ließ –?
Am meisten werden der Erziehung, der guten wie der schlechten, die Durchschnittsmenschen zugänglich sein, und unter diesen besonders die schwachen und unselbständigen Individuen, die den suggestiven Einflüssen der herrschenden Normen leicht erliegen. Der Nutzen der Erziehung, ihr Sinn und Zweck kann also niemals die Heranbildung eines »neuen« Geschlechtes, oder gar des »Übermenschen« sein, sondern höchstens der Schutz und die Führung der minder Widerstandsfähigen, der minder Selbständigen.
Aber auch diesen gegenüber ist die Parallele, in welche die Erziehung eines Kindes mit der Schaffung eines Werkes gesetzt wird, nicht aufrecht zu erhalten. Namentlich die Frauen lieben es, sich mit dieser Parallele über den Verzicht auf geistige Leistungen hinwegzutrösten, den ihnen die Mutterschaft auferlegt. Man weiß ja: die Frauen sollen nichts selber sein und leisten, sie sollen vielmehr ihre Söhne zu dem »heranbilden«, was ihnen selbst zu werden versagt ist.
Unter allen verlogenen Direktiven, an denen die bürgerliche Ethik reich ist, gibt es kaum eine schlimmere als diese. Denn sie verführt geradewegs zu jenem Mißbrauch, der als zielbewußte Pädagogik berüchtigt ist, und sie bereitet jenen naiven Seelen unter den Frauen, die auf sie ihre Lebensziele bauen, die bittersten Enttäuschungen. Trotz aller Erziehungskünste – wer kann daran zweifeln? – bleibt ein Mensch das, als was er geboren wurde; ein kleines Ich wird auch durch die inbrünstigste mütterliche Hingebung nicht in ein großes, ein Durchschnittskopf nicht in ein Genie verwandelt. Die Frau, die sich die Ausübung eines Talentes in der Erwartung versagt, es bei ihren Söhnen »heranbilden« zu können, wird in neunundneunzig von hundert Fällen um ihren Lebensinhalt geprellt sein. Lebet doch euer eigenes Leben, liebe Mütter, und erspart dafür euren Kindern die Belastung mit all den Hoffnungen und Wünschen, die sie als eine Verpflichtung, es im Leben euch statt sich selber recht zu machen, mit sich schleppen müssen!
Nicht in der Regel, sondern viel eher im Ausnahmsfalle gleichen die Kinder soweit den Eltern, daß ein völliges Verständnis zwischen ihnen herrschen kann. Jede Generation entwickelt sich in einem gewissen Gegensatz zur früheren; die Elterngeneration verbraucht die geistigen Güter, deren Träger sie war, die Kindergeneration muß sich neue schaffen – darin besteht ihre geistige Lebensfunktion, und wenn sie sich darauf beschränken sollte, die überlieferten Ideale einer guten Erziehung lebenslänglich zu behalten, so würde sie sich ihres besten Rechtes begeben.
Auch biologisch ist das Kind gewöhnlich nicht das Ebenbild und die Fortsetzung der Eltern. So wenig wie die kulturgeschichtliche Entwicklung vollzieht sich die biologische in einer geraden Linie. Mutter und Vater sind bloße Durchgangsglieder – das Kind kommt aus einer viel größeren Ferne her; es ist mindestens im gleichen Maße das Kind unbekannter Ahnen als das der beiden Individuen, die sich zu seiner Erzeugung zusammengefunden haben.
Die Vorstellung der Eltern, daß sie selbst in ihren Kindern wieder aufleben werden, gehört zu den Illusionen, durch welche die Natur dem Individual-Bewußtsein die Ansprüche der Gattung annehmbar macht. Wenn schon das Triebleben von solchen trügerischen Vorspiegelungen begleitet ist, sollte doch das Gebiet der Vernunfterkenntnis davon frei bleiben. Mit der Vorstellung, daß das Kind das »Werk« der Eltern und im besonderen der erziehenden Mutter sei, wird eine solche irreführende Illusion auch dort erweckt. Wer die Mutterschaft als Äquivalent der geistigen Produktivität betrachtet, verkennt, daß ein Werk der Ausdruck, die Leistung einer Persönlichkeit ist, das Kind aber nicht. Es gibt allerdings eine beiden Fällen gemeinsame Vorstellung, mit denen das Individuum gleichsam die großen persönlichen Mühen und Opfer, die es um des Werkes willen auf sich nimmt, vor sich selber erklärt. Das ist die Vorstellung, in der Nachwelt fortzuleben, sein eigenes Dasein über eine unverhältnismäßig verlängerte Zeit auszudehnen. Darüber hinaus wird der Vergleich aber nur durch eine mißbräuchliche Interpretation der Erziehungstätigkeit möglich.
Das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern ist im tiefsten Grunde irrational, weil es auf dem Triebleben beruht. Soll es durch Vernunftgründe gerechtfertigt und erklärt werden, so kann es nur aus dem Naturbegriff geschehen, das heißt, aus der Stellung, die der Mensch als Naturwesen einnimmt; der Persönlichkeitsbegriff mit samt dem ganzen Komplex von Empfindungen und Strebungen, die zu ihm gehören, läßt sich dafür nicht gebrauchen. Soweit eine Frau Persönlichkeit ist, wird sie über die Mutterschaft hinaus Ansprüche selbständiger Betätigung an das Leben stellen – und der Konflikt, in den sie dadurch mit ihren Aufgaben als Naturwesen gerät, wird nicht aus der Welt geschafft, indem man eine willkürliche Verwechslung der Gebiete vornimmt und der Persönlichkeit überträgt, was doch der Gattung angehört.
Diese Verwechslung wird einem Manne schwerlich passieren, obwohl der primitive Mann, dessen Lebensarbeit in der Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft besteht, gewiß stärker unter die Ansprüche der Gattung gebeugt wird als etwa eine reiche Frau, die zwei oder drei Kinder zu erziehen hat. Gesetzt aber, diese Verwechslung sei eine intellektuelle Lizenz zugunsten einer möglichst gesteigerten Ausbildung der Mutterschaftsgefühle – es gibt für die Freiheit der Kinder und ihre persönliche Entwicklung nichts schlechteres, als die Neigung der Mütter, ihre Kinder als ihr Werk zu betrachten und in die Erziehung ihre ganze Lebensaufgabe zu setzen. Namentlich im modernen Großstadtleben, in welchem der Haushalt an die Frau so geringfügige Ansprüche stellt, werden die Übertreibungen der Mutterschaft häufig geradezu eine Gefahr für die heranwachsenden Kinder – um so mehr, als es in den kleinen Familien nicht zugeht wie früher in den großen, wo schon die Anzahl der Kinder eine Verteilung der mütterlichen Kraft auf so viele Individuen bedingte, daß das einzelne nicht zu sehr durch Erziehungsmaßregeln gestört und belastet werden konnte. Das unablässige Behüten, Betreuen, Fürsorgen, wie es die Mütter treiben, deren einzige Beschäftigung in der Erziehung besteht, und die von dem Ehrgeiz beseelt sind, in ihrem Kinde ein vollendetes »Werk« der Nachwelt zu hinterlassen, schafft nur unbrauchbare Menschen, denen erst die Strenge des Lebens außerhalb der häuslich-mütterlichen Sphäre nachhelfen muß, wenn sie die Folgen der genossenen Erziehung abstreifen sollen.
Und dann muß man doch einmal fragen: welcher erwachsene Mensch fühlt sich gerne als das Werk seiner Erziehung? Diese Vorstellung kann für niemanden etwas Beglückendes haben. Sie ist auch keineswegs geeignet, die kindliche Dankbarkeit zu fördern; sie erzeugt im Gegenteil nur allzuleicht in den Kindern die Neigung, für alles, was das Leben ihnen vorenthielt, sogar für ihre persönlichen Mängel, den Eltern eine Verantwortung aufzubürden. Dankbarkeit gegenüber den Eltern kann sich im Grunde nur unter der Voraussetzung erhalten, daß jeder sein eigenes Werk ist, und daß er den Eltern eine Entschädigung für die ihnen verursachte Müh und Plage schuldet. Denn eigentlich waren sie nur das Mittel, dessen er sich zur Erlangung seiner Existenz bediente – ein Gedanke, den Schopenhauer philosophisch-phantastisch in seiner »Metaphysik der Liebe« ausgeführt hat. Aber ohne alle metaphysischen Hintergründe, rein aus dem Wesen der Gattung, sind die Eltern als Durchgangsglieder aufzufassen, gleichsam als der Boden, auf dem der neue Mensch als ein Werk der Natur wächst. Wäre man wirklich in irgend einem Sinne das Werk seiner Eltern, dann hätte man auf alle Fälle so vielen Grund zur Unzufriedenheit über die Stümperei, die dabei unterlaufen ist, daß das Gefühl der Dankbarkeit gar nicht aufkommen könnte.
Anderseits würde kein besonnener und gewissenhafter Mensch unter dieser Voraussetzung die ungeheure Verantwortung auf sich nehmen, ein neues Wesen in die Welt zu setzen und aufzuziehen. Das Gefühl der Verantwortlichkeit gegenüber der eigenen Nachkommenschaft als eine persönliche Pflicht zu bestärken, mag vielleicht bei kranken, mit hereditären oder erworbenen Defekten belasteten Individuen den Nutzen haben, daß sie auf Nachkommenschaft ganz verzichten. Dennoch erscheint bei der Ausbreitung erblich übertragbarer Schädlichkeiten und Mängel, bei der Unsicherheit über die, der Heredität entgegenwirkenden regenerativen Kräfte, in denen die Vitalität einer Rasse besteht, dieser Weg sehr fragwürdig. Statt das Bewußtsein des Kulturmenschen mit einer so tiefen Depression zu beladen, müßte alles soziale Bemühen darauf ausgehen, die Übelstände selbst, welchen die Einzelnen erliegen, zu beseitigen und die Einflüsse zu bekämpfen, die in Gestalt sozialer Verhältnisse die Degeneration fördern.
Und hier mündet auch das Problem der Erziehung. Weit mehr als die umfassendsten Vorkehrungen einer individualisierenden Erziehung wirken die äußeren Lebensverhältnisse bestimmend auf den heranwachsenden Menschen. Aber dieser Einsicht, die sehr unbequem ist, verschließen sich gerade die Mütter am hartnäckigsten. Sonst müßte doch jede Frau, die es ernst nimmt mit dem Schicksal ihrer Kinder, über die Ohnmacht verzweifeln, mit der sie beispielsweise ihren fünfzehn-sechzehnjährigen Söhnen gegenübersteht, sobald ihnen die Welt in der scheußlichen Gestalt, welche die sexuellen Dinge unter der ausschließlichen Männerherrschaft angenommen haben, entgegentritt. An diesem Beispiel mögen die Frauen, die auf dem Nurmutter-Standpunkt verharren, einsehen lernen, daß sie diesen Standpunkt noch lange nicht zu verlassen brauchen, um die Verpflichtung zu fühlen, an der sozialen Arbeit teilzunehmen.
Sieht man aber die Gleichgültigkeit und den Stumpfsinn, mit welchem Frauen, die ihr ganzes Leben der Erziehung widmen, an den Zuständen vorübergehen, in die ihre männlichen Kinder, kaum erwachsen, hineingestoßen werden, dann fragt man sich wohl, ob der ganze Erziehungschauvinismus nicht bloß dazu dient, dem Frauenleben mehr Wert und Inhalt vorzuspiegeln als ihm auf der gegenwärtigen Stufe der Zivilisation in Wahrheit zukommt.
Allerdings könnte es scheinen, als bewege man sich in einem Zirkel, wenn man die Einflüsse der Erziehung hintansetzt, um alles Gewicht auf die sozialen Lebensumstände zu legen. Neue Einrichtungen können nur durch Menschen geschaffen werden, denen die alten unerträglich sind, weil sie andere Bedürfnisse und Gesinnungen haben. Ist es daher nicht notwendig, daß ihnen von Kindesbeinen an diese Bedürfnisse und Gesinnungen eingepflanzt werden? Aber wer irgend etwas Neues einpflanzen soll, muß selbst schon ein neuer Mensch sein. Und damit steht man wieder am Ausgangspunkt: neue Menschen werden geboren, nicht erzogen, sie sind ein Werk der Natur, nicht ihrer Eltern.
Jede Zeit hat ihren besonderen Aberglauben. Die Vorstellungen über die Macht und den Einfluß der Erziehung sind recht eigentlich der Aberglauben einer Zeit, deren Erkenntnis von dem Sinn der Welt in dem Begriffe der Entwicklung gipfelt. Ein ewiges Werden ohne ein erfülltes Sein, eine Zukunft, die sich beständig in eine nichtige Gegenwart verwandelt, kann aber das menschliche Bedürfnis nach einem Sinn und Zweck des Lebens nicht wirklich befriedigen. Wenn das Leben sich als ein unendlicher Wechsel der Generationen abspielt, bei dem der Einzelne nur Durchgangsglied ohne eigenen Inhalt ist, wird auch die Aussicht auf eine unbegrenzte Entwicklung gegenstandslos. Das Sein kann nicht weniger bedeuten als das Werden. Für das männliche Leben gilt dieser Grundsatz – sollte er für das weibliche nicht zu Recht bestehen? Seine Persönlichkeit ganz in die Mütterlichkeit, ganz in die Erziehung zu setzen, wie man es auch jenen Frauen vorschreiben möchte, die noch eines anderen Einsatzes fähig sind, heißt das Gewisse dem Möglichen opfern, das Sein dem Werden. Mit einer solchen Ausdehnung der mütterlichen Liebe aber bringt man – nach dem Worte der Malwida von Meysenbug – »das Opfer seiner selbst, das heißt das, welches man nicht bringen darf«,