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Fünfunddreißigstes Kapitel

In Wahrheit tapfer ist der Mann, der weise
Zu leiden weiß, was Schlimmes ihn betreffe,
Und Ungemach nur außen, wie ein Kleid,
Trägt, ohne daß es ihm zum Herzen fräße
Und es gefährde.

Shakspeare.

Der Obrist war inzwischen nach seinem Quartiere zurückgekehrt, wo er alsbald von Kapitän Carrington und den übrigen Gentlemen, die man in das Geheimniß des Komplotts eingeweiht hatte, angeredet wurde. Auf dem Heimwege hatte er immer über die unhöfliche Abfertigung nachgedacht, ohne ganz mit sich einig werden zu können, ob er Mr. Sullivans Benehmen ahnden solle oder nicht. Da er von Natur aus mehr zum Frieden, als zum Kriege geneigt war, so hatte er, als er zu Hause anlangte, sich dafür entschieden, den Schimpf einzustecken; aber jetzt rief ihn Kapitän Carrington bei Seite und erhielt von ihm einen ausführlichen Bericht über das Vorgefallene, welcher wahrscheinlich unterblieben wäre, wenn der Obrist die Mittheilung nicht als eine vertrauliche betrachtet hätte. Dies lag jedoch nicht in Kapitän Carringtons Plane, der zu noch weiterer Teufelei geneigt war, und als der Obrist seine Erzählung geschlossen hatte, entgegnete er:

»Auf mein Wort, Obrist, wie Ihr bemerkt, ist dieses Benehmen von Seite des Mr. Sullivan nicht ganz so, daß es ein Militär sich gefallen lassen kann. Ich weiß kaum, wie ich Euch rathen soll, und möchte in der That die Verantwortlichkeit nicht auf mich nehmen. Ich will mich übrigens mit Mr. S. und Mr. G. berathen, und wenn Ihr Eure Ehre unsern Händen anvertraut, so dürft Ihr darauf bauen, daß Euch strenge Gerechtigkeit widerfahren soll.« Mit diesen Worten verließ Kapitän Carrington den Obrist, der gar zu gerne Einwendungen gemacht hätte, und begab sich zu den andern Gentlemen, welchen er die Sachlage mittheilte. Ein Blinzeln mit dem Auge, während er dem Obristen den Rücken zuwandte, reichte für die Uebrigen zu, um sie in Betreff des Rathes zu belehren, den sie abgeben sollten.

»Nun, Gentlemen, was ist eure Ansicht?« sagte der Kapitän, als er mit seiner Erzählung zu Ende gekommen war.

»Ich glaube,« versetzte Mr. S. mit einem ernsten Gesichte, »daß es hier nur einen einzigen Ausweg gibt, denn unser tapferer Freund ist auf's Gröbste beschimpft worden. Wenn dies mir begegnet wäre,« fuhr er fort, indem er sich an den Obristen wendete, der in seiner Begier, den Ausgang zu erfahren, das Sopha verlassen hatte, »so würde ich auf's Entschiedenste die Frage an ihn stellen, wie ich dies zu nehmen habe.«

»Oder Abbitte von ihm verlangen,« bemerkte Mr. G.

»Die Mr. Sullivan, als ein Mann von Ehre, zu geben verpflichtet ist, und der Obrist hat als Gentleman und Offizier ein Recht darauf zu bestehen. Seid Ihr nicht auch dieser Ansicht, Kapitän Carrington?« fragte Mr. S.

»Ich bin immer mehr geneigt, zum Frieden zu rathen, wenn es anders geschehen kann,« versetzte Kapitän Carrington. »Wenn daher unser tapferer Freund nicht ganz gewiß weiß, daß Mr. Sullivan sich der Worte bediente: laßt's Euch gesagt sein, daß Ihr Euch nicht mit einem zweiten Besuche zu bemühen braucht – sind das genau seine Worte, Obrist?«

»Je nun, so weit ich mich entsinnen kann,« entgegnete der Obrist, »denke ich fast, daß er so sagte. – Vielleicht irre ich – aber jedenfalls – ja, ganz gewiß – war es etwas der Art.«

»Hieß es nicht, ›er bitte Euch um einen zweiten Besuch?‹« sagte Kapitän Carrington.

»Nein, nein – das war es gewiß nicht.«

»Nun, es konnte doch nur von dem einen oder von dem andern die Rede sein – Gentlemen, der Fall ist also klar – die Worte wurden gesprochen,« sagte Mr. S. »Nun, Kapitän Carrington, was würdet Ihr rathen?«

»Es thut mir in der That leid, sagen zu müssen, daß ich für unsern Freund, Obrist Ellice, keinen andern Ausweg sehe, als daß er Abbitte oder einen Rencontre verlangt.«

»Könnte ich ihn nicht mit Verachtung behandeln, Kapitän Carrington?« fragte der Obrist.

»Nicht wohl,« versetzte Mr. S. »Sullivan ist von guter Familie – die Sullivans von Bally cum Poop. Er stand seiner Zeit im achtundvierzigsten Regiment und mußte den Dienst verlassen, weil er seinen Obrist gefordert hatte.«

»Nun, Gentlemen,« entgegnete der Obrist, »ich sehe wohl, daß ich meine Ehre euren Händen überlassen muß, obgleich es wir vorkömmt, als ob uns für eine derartige Verhandlung die Zeit sehr knapp zugemessen sei. Wir segeln morgen früh ab, Kapitän Carrington – mit Tagesanbruch habt Ihr, glaube ich, gesagt, und für heute wird es doch zu spät.«

»Mein theurer Obrist, ich will mich lieber einem Verweis von Seiten der Admiralität aussetzen,« erwiederte der Kapitän, »als zugeben, daß Ihr Eure verwundete Ehre nicht wieder heilen könnt. Ich will daher bis übermorgen bleiben, im Falle diese Angelegenheit eine derartige Zögerung erforderlich machte.«

»Ich danke, danke bestens,« versetzte der Obrist mit dem Ausdruck des Verdrusses in seinem Gesichte. »Es wird daher gut sein, wenn ich den Brief vorbereite?«

» Carla por senhor commandante,« unterbrach ihn jetzt ein Portugiese, der ihm einen Brief einhändigte. » O senhor embaixo; queir risposta.«

Der Obrist öffnete den Brief, der Mr. Sullivans Herausforderung enthielt – Pistolen – auf – morgen früh um Sonnenaufgang – eine Meile – auf dem Weg nach Machico.

Das Gesicht des Obristen wurde um einige Töne weniger gelb, als er den Inhalt las; er ermuthigte sich jedoch mit einem Kichern und händigte das Schreiben dem Kapitän Carrington ein.

»Ihr seht, Kapitän, der Gentleman hat mir die Mühe erspart – hi, hi, hi! Derartige kleine Angelegenheiten sind für Gentlemen von unserem Berufe etwas Gewöhnliches – hi, hi! und da der Gentleman es wünscht, je nun, so denke ich – hi, hi! – wir dürfen ihm den Spaß nicht verderben.«

»Da ihr Beide eines Sinnes seid, so denke ich, wird es etwas absetzen,« bemerkte Mr. S. »Ich entnehme aus dem Platze, den er für die Begegnung namhaft gemacht hat, daß es ihm Ernst ist. Wir bereinigen gewöhnlich unsere Ehrensachen in den Loo-Fields, aber er scheint eine Unterbrechung zu fürchten. – Man verlangt eine Antwort, Obrist.«

»Oh! er soll sie haben,« versetzte der Obrist mit aufgeregtem Kichern; »er soll sie haben. Welche Stunde, sagt er?«

»Ueberlaßt die weitere Besorgung uns. Kommt, Obrist,« sagte Kapitän Carrington, indem er ihn vertraulich beim Arme nahm und beiseite führte.

Die Antwort wurde abgeschickt und sie setzten sich zum Diner nieder. Man trank viele freundliche und ermuthigende Gläser Wein mit dem Obrist, der mit der Zeit recht zuversichtlich wurde und, um seine vollkommene Gleichgültigkeit zu beweisen, sich besonders aufmerksam gegen die Damen zeigte. Demungeachtet zog er sich zu früher Stunde nach seinem Gemache zurück.

In der Zwischenzeit hatte Mr. Sullivan die Antwort erhalten und sich nach seinem Komptoir begeben, um für den Fall eines unglücklichen Ausganges seine Angelegenheiten zu ordnen. Seit dem Wortwechsel hatte er seine Gattin nicht wieder gesehen. Wir wollen nun beide für eine Weile verlassen und uns in einigen Bemerkungen über das Duell ergehen.

Die meisten Leute nennen den Zweikampf einen barbarischen Gebrauch; das ist aber nicht der Fall, da er sonst nicht in dem Zustande hoher Zivilisation nöthig wäre. Allerdings würden göttliche und menschliche Gesetze dadurch verletzt, aber zu gleicher Zeit müssen wir anerkennen, daß weder Gesetz noch Religion die Gesellschaft in so guter Ordnung erhalten oder in gleich nachdrücklicher Weise dem Verbrechen Zügel anlegen kann. Der Mann, der der gesetzlichen Strafe und den Geboten Gottes gegen Verführung Hohn spricht, wird doch in seiner sündigen Laufbahn inne halten, wenn er findet, daß Brüder da sind, um eine gekränkte Schwester zu rächen. Und warum das? – Weil wir in der Welt leben, als säßen wir in einer Schenke, ohne uns darum zu kümmern, wie hoch die Rechnung aufläuft; dagegen scheuen wir uns vor dem Tage der Abrechnung, welchen die Pistole unseres Gegners plötzlich über uns verhängen kann. Das Duell muß demnach als ein notwendiges Uebel betrachtet werden, das aus unserer Schlechtigkeit quillt. Es ist an sich ein nicht häufig vorkommendes Verbrechen, hält aber Andere ab, gleich große Vergehungen jeden Tag zu üben, und wird sich nicht abstellen lassen, bis die Welt anders geworden ist. Der Mensch läßt sich nur durch die Achtung der Welt beherrschen, und erst wenn diese sich gegen das Duell erklärt – erst wenn es Brauch geworden ist, dem, der uns geschlagen, die andere Wange hinzubieten, wird diese Gewohnheit aufhören.

Wenn ein Mann einen Zweikampf zurückweist, wird er als Memme gebrandmarkt; seine Bekannten meiden ihn und wenn er nicht ein Wicht ohne Gefühl ist, muß ihm das Leben zu einer Bürde werden. Es hat Leute gegeben, die aus Beweggründen der Gewissenhaftigkeit den Zweikampf ablehnten; die Vernachlässigung und Verachtung der Welt machte sie aber nachher so unglücklich, daß sie rückfällig wurden und zu den Waffen griffen, um in der Gesellschaft ihren Platz wieder zu gewinnen.

Nur Wenige, sehr Wenige sind ihren Grundsätzen treu geblieben, weil sie Gott fürchteten und nicht die Menschen. In ihrer Weigerung lag mehr Muth, als wenn sie sich durch hundert Duelle durchgefochten hätten – ein moralischer Muth, der die Verachtung der Menschen dem Zorne Gottes vorzog – eine seltene Erscheinung, die den Menschen diesseits des Grabes in eine bitter herbe Stellung versetzt. Einen Zweikampf ablehnen, heißt in der That dem strengen Befehle Folge leisten: »verlaß Alles und folge mir nach.«

Was mich betrifft, so habe ich mich nie duellirt und werde es auch nicht thun, wenn ich es anders vermeiden kann. Zu meiner Abneigung habe ich einen doppelten Grund: erstlich fürchte ich die Gottheit zu beleidigen, und zweitens habe ich Angst, erschossen zu werden. Ich habe mir daher fest vorgenommen, mich nie zu schlagen, als wenn es unter gleichen Bedingungen geschehen kann; denn wenn ein Mensch sein Leben einsetzt, wird das Spiel ziemlich ernst und es ist nicht mehr wie billig, daß von beiden Seiten gleicher Werth eingesetzt wird. Wenn ein Mensch nicht so groß – nicht so bedeutend in den Augen seiner Mitmilben – nicht verheirathet und Vater von fünf Kindern ist, wie ich – überhaupt nicht so viel zu verlieren hat – je nun, so ist es klar, daß ich mehr wage, als er; der Einsatz ist nicht gleich, und ich werde mich daher nicht mit ihm schlagen. Bietet er im Gegentheil mir einen größeren Zielraum, ist er mir an Rang überlegen, hat er eine patriarchalischere Heimath, oder besitzt er so und so viel Hunderte an jährlichen Einkünften mehr, so ist der Nachtheil auf seiner Seite, und ich hoffe, daß ich zu sehr Gentleman bin, um ihn mit mir fechten zu lassen, selbst wenn er über alle diese Rücksicht weggehen wollte. Es hieße einen Menschen um sein Leben bejaunern.

Der beste Rath, den ich unter so unangenehmen Verhältnissen meinen Freunden geben kann, besteht darin, zuerst den Versuch zu machen, ob sie ihre Gegner nicht zur Abbitte bewegen können; wollen letztere dies nicht – je nun, so kann man es ja selbst thun; denn obgleich eine Abbitte ein gar unbehagliches Gefühl erregt und sehr gegen den Magen geht, so verursacht zuverlässig eine gut gezielte Kugel noch weit mehr Mißbehagen und geht, was noch schlimmer ist, unmittelbar in das vorerwähnte Organ hinein.

Wir haben Mrs. Sullivan in beleidigtem Schluchzen verlassen, während ihr Gatte in seinem Heroismus aus dem Zimmer stürzte. Damals war sie nicht in der Meinung, auf seine Drohungen zu achten; in demselben Grade aber, in welchem sich ihr Zorn legte, steigerte sich auch ihre Unruhe. Trotz ihrer Gefallsucht war sie doch ihrem Gatten mit Innigkeit zugethan, wie er ihr desgleichen. Wenn sie tändelte, geschah es nur zu ihrer Unterhaltung – um sich jenen Zoll der Bewunderung zu sichern, an den sie vor ihrer Vermählung gewöhnt war, und auf den eine Frau nicht gleich nach dem Eintritte in's eheliche Leben verzichten mag. Die Männer können keine Eifersucht an ihren Gattinnen leiden, aber die Weiber sind in diesem Punkte weit nachsichtiger. Die Liebe, Hand in Hand mit dem Vertrauen, ist zuverlässig das Schönste; aber wenn letzteres zufälliger Weise außer Weges ist, verschwistert sie sich hin und wieder mit der Eifersucht, welche unter allen Umständen das Vorhandensein ihrer Gefährtin beweist. Da nun das Weib Liebe fordert, so duldet sie auch die unangenehme Begleiterin, die ihr bisweilen sogar, um der Liebe willen, theuer wird.

Der Leser weiß, daß Mrs. Sullivan sehr ungerecht beschuldigt war und daher allen Grund hatte, sich gereizt zu fühlen. Nachdem ihre Thränen sich gelegt hatten, denn sie fuhr einige Zeit in ihrem Stuhle zu schluchzen fort, sah sie mit wohlüberlegter Würde dem Wiedererscheinen und der Abbitte ihres Gatten entgegen. Es entschwand eine geraume Zeit, und sie wunderte sich, warum er nicht komme. Das Diner war angekündigt, und sie hoffte zuversichtlich, ihn bei Tische zu sehen; sie harrte einige Minuten, ob er nicht diese Gelegenheit benütze, um zu ihr heraufzukommen – aber nein. Sie schloß hieraus, daß er noch immer schmolle und ohne sie zum Mahle niedergesessen sei. – Da er nun nicht kommen wollte, so entschloß sie sich, selbst zu gehen; aber er war nicht bei Tische. Sie erwartete ihn mit jeder Minute. War ihm das Diner nicht angemeldet worden? – Wo blieb er doch? – Er sei in dem Komptoir, lautete die Antwort. Mrs. Sullivan würgte einige Bissen hinunter und begab sich sodann wieder nach ihrem Gemache. Der Thee war bereit und wurde Mr. Sullivan gemeldet – und doch erschien er nicht. Das Theezeug blieb auf dem Tische stehen und die für ihn eingegossene Tasse wurde kalt. Mrs. Sullivan ließ die Urne mit der strengen Einschärfung, das Wasser kochend zu erhalten, hinunterbringen und dann abräumen. Sie rückte auf ihrem Sitze hin und her, vertiefte sich in ein Brüten und wurde unruhig. Seit ihrer Verheirathung hatte er nie so lang geschmollt und noch obendrein wegen Nichts! Endlich wurde es zehn – sie klingelte.

»Wo ist Mr. Sullivan?«

»In dem Komptoir.«

»Sage ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche.«

Mr. Sullivan hatte nicht geantwortet, und die Thüre war von innen verschlossen. Diese Nachricht verursachte eine kleine Aufwallung und zügelte den Strom der Zärtlichkeit.

»Vor allen Dienstboten – so unüberlegt – ja, es war eigentlich beschimpfend!«

Mrs. Sullivan zündete das Nachtlicht an und ging mit schwerem Herzen zu Bette. Einmal ging sie einige Treppen hinunter, um sich nach dem Komptoir zu begeben; aber der Stolz ließ es nicht zu, und sie stieg wieder hinauf. Eine Stunde lang lag sie in ihrem Bette, mit jeder Minute ihren Gatten erwartend und auf den leichtesten Ton horchend, ob es nicht der Tritt seines Fußes sei. Aber es schlug zwei Uhr, und er blieb noch immer aus. Sie konnte die Spannung und Aufregung nicht länger ertragen, sondern stand auf, warf sich ihre Nachtkleider um und ging die Treppe hinunter. Sämmtliche Hausangehörigen hatten sich längst zur Ruhe begeben, und Alles war still. Lautlos glitt sie durch die Gänge dahin. Endlich näherte sie sich der Thüre; sie bemerkte, daß Licht durch das Schlüsselloch blinkte. Sollte sie zuerst durchsehen oder gleich zu sprechen anfangen? – er konnte eingeschlafen sein. Die Neugierde gewann die Oberhand – sie blickte durch das Schlüsselloch und bemerkte, daß ihr Gatte eifrig mit Schreiben beschäftigt war. Nachdem er den Brief beendigt hatte, legte er die Feder nieder, drückte beide Hände an die Stirne und seufzte tief auf. Mrs. Sullivan konnte sich nicht länger halten.

»William! William!« rief sie mit sanfter flehender Stimme, erhielt aber keine Antwort.

Wieder und wieder nannte sie seinen Namen, bis endlich eine Entgegnung erfolgte, die ihm augenscheinlich durch die Ungeduld entrungen wurde –

»Es ist jetzt zu spät.«

»Zu spät, lieber William? Ja, es ist sehr spät – es ist fast drei Uhr. Oeffne mir, William – ich bitte!«

»Laß mich allein – es ist die letzte Gunst, die ich wahrscheinlich je von dir erbitten werde.«

»Die letzte Gunst? Oh, William, du erschreckst mich! Theurer William – öffne mir. Es ist so kalt – ich werde sterben – nur einen einzigen Augenblick, und ich will dich dafür segnen. Bitte, William!«

Erst durch ein oft wiederholtes Flehen ließ sich Mr. Sullivan endlich bewegen, der Aufdringlichen die Thüre zu öffnen.

»Ich habe noch sehr viel zu besorgen und dich nur eingelassen, um dir dies zu sagen, zugleich aber auch, um dich zu bitten, daß du mich nicht störest. Sei so gut, jetzt zu Bette zu gehen.«

Sobald sie aber Einlaß gefunden, hatte sie gewonnen Spiel. Eine junge, hübsche Frau im Nachtkleide, die unter Thränen bittet und fleht, beschwört, verspricht, schmeichelt und sich anschmiegt, ist nicht so leicht wieder vom Halse zu schaffen. In weniger als einer halben Stunde sah sich Mr. Sullivan zu dem Zugeständnisse genöthigt, daß ihr Benehmen Anlaß zu einem Rencontre gegeben habe, welches am nämlichen Morgen statt haben solle, und daß er für den Fall eines traurigen Ausganges seine Angelegenheiten ordne.

»Und nun, Marie, wirst du einsehen, welche Folgen durch dein Betragen herbeigeführt wurden. Deine Unklugheit setzt das Leben deines Gatten auf's Spiel – es wird wahrscheinlich ein Opfer; doch jetzt ist keine Zeit zum Wortwechsel. Ich vergebe dir, Marie – von ganzer Seele, wie ich hoffe, daß mir vergeben werde.«

Mrs. Sullivan brach in einen Thränenstrom aus und vermochte lange Zeit nicht zu antworten.

»William,« rief sie endlich mit Nachdruck, »du sagst, dies sei keine Zeit zum Wortwechsel, aber ebensowenig wäre jetzt eine Lüge am Ort. Was ich dir diesen Morgen sagte, ist wahr – so wahr, als ich Vergebung hoffe, und möge mir der Himmel verschlossen bleiben, wenn ich dich täusche! Du bist hintergangen, gröblich hintergangen worden – in welcher Absicht, weiß ich nicht, aber es ist so. Handle daher nicht übereilt. Schicke zu Allen, welche anwesend waren, und befrage sie – wenn ich dir eine Lüge gesagt habe, so verstoße mich und gib mich der Schande und Verlassenheit preis, die ich dann verdienen würde.«

»Es ist zu spät, Marie; ich habe ihn gefordert, und er hat die Ausforderung angenommen. Ich würde dir gerne glauben, aber er selbst hat mir's gesagt.«

»Dann hat er eine Lüge gesagt! Eine schändliche, niederträchtige Lüge, die ihn in einer Weise herabwürdigt, daß kein Ehrenmann von ihm Notiz zu nehmen braucht! Ich will mit dir gehen und ihm gegenübertreten. Er soll sich's unterstehen, mir ein Gleiches in's Gesicht zu behaupten! Nur um dies bitte ich dich, William, damit ich in deinen Augen meine Ehre retten kann. Komm jetzt zu Bette – nein, nein – du darfst mir es nicht abschlagen.«

Und die arme Mrs. Sullivan brach abermals in Thränen aus.

Wir müssen jetzt das Paar einige Stunden ihrem Elend überlassen, die jedoch vollkommen hinreichten, beide von ihren Mängeln zu heilen. Mrs. Sullivan ließ von ihrer Koketterie ab, und ihr Gatte wurde später nicht mehr über Kleinigkeiten eifersüchtig.

Der Obrist war seinerseits ebenso beschäftigt, sich für die Zufälligkeiten des Morgens vorzubereiten, obschon er nicht in Versuchung geführt wurde, denn Kapitän Carrington und seine Verbündeten hatten ihre Maßregeln genommen. Mr. Sullivan war bereits angekleidet und seine Gattin klammerte sich mit dem Wahnsinn der Verzweiflung an ihn an, als ein Brief an der Thüre abgegeben wurde. Er enthielt die Erklärung, Obrist Ellice habe entdeckt, daß seine Begleiter sich einen Scherz mit ihm erlaubt hätten, als sie versicherten, er habe im Zustande der Betrunkenheit sich eine Ungebühr gegen Mrs. Sullivan zu Schulden kommen lassen. Da demnach keine Beleidigung stattgefunden habe, so nehme Obrist Ellice an, daß Mr. Sullivan durch diese Auseinandersetzung zufrieden gestellt sei.

Mrs. Sullivan, welche die Zeilen über die Schulter ihres Gatten weg fast mit den Augen verschlang, sank dankbar auf ihre Kniee nieder und wurde von den Armen ihres Gatten aufgerichtet, der sie umschlang und wegen seiner Ungerechtigkeit um Verzeihung bat.

Derselbe Schalk, welcher diesen Brief geschrieben hatte, schmiedete auch einen andern, angeblich von Mr. Sullivans Handschrift, in welchem Letzterer dem Obrist mittheilte, er habe durch einen gemeinschaftlichen Freund in Erfahrung gebracht, daß er sich über Obrist Ellice's Benehmen vom vorigen Abend im Irrthume befunden; er bitte daher die Herausforderung als nicht geschehen zu betrachten und seine Entschuldigung für die vermeintliche Unhöflichkeit gegen den Obristen anzunehmen, u. s. w. Da er in Erfahrung gebracht habe, Obrist Ellice werde in einer frühen Stunde seine Reise wieder aufnehmen, so bedaure er, nicht im Stande zu sein, demselben seine Achtung zu erweisen und ihm die Versicherung zu geben u. s. w.

Der Obrist erhielt dieses Schreiben, als er eben eine Tasse Kaffee zu sich genommen hatte, um sodann den herben Gang anzutreten. Obwohl er ohne Familie war, so fühlte er sich doch ebenso glücklich, als das verheirathete Paar, und er beeilte sich, den Brief Kapitän Carrington mitzutheilen, ohne sich träumen zu lassen, daß er in dessen Person den Schreiber vor sich hatte.

»Ihr seht, Kapitän Carrington, daß er sich nicht in's Feuer wagen mag. Vielleicht ein Glück für ihn,« sagte der Obrist in entzücktem Kichern.

Das Frühstück wurde in Zeiten eingenommen. Der Obrist that gewaltig dick und theilte die ganze Geschichte den Damen mit, ohne zu ahnen, daß die ganze Gesellschaft von dem Schwanke, der ihm gespielt worden, unterrichtet war. Vor Mittag hatte sich die ganze Reisegesellschaft nach den Schiffen begeben, deren stolze Segel sich bald unter einer leichten und günstigen Brise blähten.


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