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Dreizehntes Kapitel

Wieder einmal auf dem Wasser.

Byron.

Da Newton die Beglaubigungsbriefe des Kapitän Northfleet sowohl, als das seiner Obhut anvertraute Schiff verloren hatte, so hielt er es nicht für nöthig, dem Hafenadmiral von Plymouth sein Kompliment zu machen. Im Gegentheil brach er, so schnell ihn seine Beine tragen konnten, nach Liverpool auf, um sich nach den Verhältnissen seines Vaters zu erkundigen. Wir übergehen die Schwierigkeiten, die er unterwegs zu befahren hatte: denn obgleich man in keinem Lande leichter und schneller reist, als in England, soferne man Geld genug hat, findet man's auch nirgends schlimmer, als wenn man in forma pauperis reisen muß. Die Kirchspielsteuern und Armengesetze haben die Quellen des Wohlwollens zum Versiegen gebracht, und da sich Newton nicht an die Armenbehörden wenden wollte, um seine vierthalb Pence für die Meile in Empfang zu nehmen, so half er sich eben fort, wie es gehen mochte, was freilich kläglich genug war. Als er endlich zu Liverpool anlangte, fühlte er sich um ein paar Steine leichter, und Kapitän Barclay würde von ihm behauptet haben, daß er in einer vortrefflichen Schule gewesen sei. Newton hatte zwar seinem Vater geschrieben und ihm mitgeteilt, daß er gepreßt worden sei; es war jedoch ungewiß, ob der Brief an Ort und Stelle angelangt war, denn er hatte ihn einem der Weiber, welche am Abende vor der Ausfahrt die Fregatte verließen, zur Besorgung anvertrauen müssen. Als er an dem Hause anlangte, bemerkte er, daß sein Vater wie gewöhnlich an der Werkbank saß, ohne jedoch zu arbeiten; auch waren die Fenster leer.

Newton trat ein und sein Vater blickte auf.

»Ei Newton, mein lieber Junge, bist du's?« rief Nicholas. »Wie lange bist du doch ausgeblieben. Nun, was macht Mr. Hilton? Und wie geht es deiner armen Mutter?«

»Mein theurer Vater,« versetzte Newton, seine Hand nehmend, »habt Ihr denn meinen Brief nicht erhalten?«

»Ich weiß nichts von einem Briefe. Aber wie lange du ausgeblieben bist; wahrhaftig es muß schon zwei oder drei Monate, wo nicht mehr sein.«

»Es ist nahezu zwölf Monate, mein theurer Vater. Ich wurde zu Bristol gepreßt, kam an Bord eines Kriegsschiffs und bin eben erst einem französischen Gefängnisse entronnen.«

Newton ging sofort auf eine Erzählung seiner Abenteuer ein, und Nicholas, der ihm mit offenem Munde zuhörte, konnte nicht genug staunen.

»Ach du mein Himmel, du bist auf einem Kriegsschiff und in Frankreich gewesen! Du weißt also nicht, wie es deiner Mutter geht?«

»Habt Ihr denn keine Nachforschungen angestellt, mein lieber Vater?«

»Nein; ich dachte, du würdest wieder nach Hause kommen und mir Alles sagen,« antwortete Nicholas mit einem Seufzer.

»Wie habt Ihr Euch hier fortgebracht?« fragte Newton, um die Unterhaltung zu wechseln.

»Sehr schlimm, Newton – ganz schlimm. Seit du fort bist, sind mir keine sechs Arbeiten übertragen worden.«

»Das thut mir leid, Vater; habt Ihr nichts zu essen im Hause? denn ich bin sehr hungrig.«

»Ich fürchte, nicht viel,« versetzte Nicholas, indem er nach dem Schranke ging und etwas Brod und Käse hervorbrachte. »Kannst du Brod und Käse essen, mein lieber Junge?«

»Ich würde ein Pferd aufzehren, mein lieber Vater,« entgegnete Newton, der während der letzten zwölf Stunden seiner Reise nicht einen Bissen über die Lippen gebracht hatte.

Er hieb auf den Vorrath ein, der unter seinen Angriffen bald verschwand.

»Ich habe fast meine ganze Ladeneinrichtung verkaufen müssen,« sagte Nicholas, als er bemerkte, daß Newton seinen Blick auf die leeren Fenster warf. »Da war nicht zu helfen. Ich glaube, in ganz Liverpool trägt Niemand Brillen.«

»In Gottes Namen, Vater; wir müssen auf bessere Zeiten hoffen.«

»Ja, wir müssen auf Gott vertrauen, Newton. Ich verkaufte gestern meine Uhr, und der Erlös wird uns schon für einige Zeit nähren. Ein Matrose kam in den Laden und fragte, ob ich Uhren zu verkaufen habe; ich sagte ihm, daß ich mich vorderhand nur mit Reparaturen abgebe, wenn ich aber meine Verbesserung an der doppelten Hemmung –«

Hier vergaß Nicholas den Faden seiner Erzählung und ging auf eine Berechnung seiner beabsichtigten Verbesserung über, in welcher ihn jedoch Newton unterbrach.

»Nun, Vater, was antwortete der Matrose?«

»Ah! ich vergaß. Ich sagte ihm, daß ich selbst eine Uhr habe, die sehr gut gehe, und daß ich sie abgeben wolle; sie komme ihn wohlfeiler zu stehen, als eine neue – sie habe mich fünfzehn Pfund gekostet; aber da ich Geld brauche, so wolle ich fünf Pfund dafür nehmen. Er sah, wie schwer es mich ankam, mich davon zu trennen – und das war auch wirklich der Fall –«

Hier dachte Nicholas wieder an seine Uhr und vergaß seine Geschichte.

»Nun, lieber Vater,« sagte Newton; »was gab er Euch dafür?«

»Ah! – nun ja, er war ein freundlicher, guter Mensch und sagte, er sei nicht der Mann, der von einem armen Teufel in der Noth Vortheil ziehen wolle; ich solle den vollen Werth dafür haben. Dann steckte er die Uhr in seine Tasche und zählte fünfzehn Pfund auf den Tisch. Ich wollte ihm einen Theil wieder zurückgeben, aber er ging zum Laden hinaus, und noch ehe ich um den Tisch herumkommen konnte, hatte er bereits die Straßenecke erreicht.«

»Das war eine Gottesgabe, mein theurer Vater,« versetzte Newton, »denn ich habe keinen halben Penny. Wißt Ihr nicht, was aus meinem Koffer geworden ist, den ich an Bord der Schaluppe gelassen habe?«

»Du lieber Himmel! Jetzt fällt mir's ein – er kam mit dem Fuhrmann. Ich schaffte ihn die Treppe hinauf und wunderte mich, warum du ihn schicktest.«

Sobald Newton seinen Hunger beschwichtigt hatte, sah er sich nach seinem Koffer um und fand daselbst seinen ganzen Anzug, denn Mr. Hilton hatte Alles zurückgeschickt, weil er ihn für todt hielt. Er war jetzt in der Lage, achtbarer aufzutreten, als ihm dies bisher die Höflichkeit der Kapermannschaft gestattet hatte. Nach ein paar Tagen hatte er sich von seiner Erschöpfung erholt und machte sich nun auf den Weg, um Beschäftigung zu suchen. Am Tage nach seiner Ankunft hatte er nach dem Irrenhause geschrieben, um über das Schicksal seiner Mutter Erkundigung einzuziehen. Die Antwort lautete, Mrs. Forster sei wieder genesen und viele Monate als Wärterin in der Anstalt geblieben, habe sich aber vor zehn Tagen entfernt, ohne daß man ihre Adresse anzugeben wisse.

Newton, welcher keine Mittel besaß, die Nachforschung weiter fortzusetzen, mußte sich mit der Kunde begnügen, daß seine Mutter lebte und gesund sei. Er theilte die Nachricht seinem Vater mit, welcher bemerkte:

»Das arme Ding! Verlaß dich darauf, Newton, sie sieht sich nach uns um und wird bald hier sein.«

Mit dieser Hoffnung tröstete sich Nicholas, so oft er an sein Weib dachte, und gab sich zufrieden.

Wir müssen nun viele Monate in einen einzigen Abschnitt zusammendrängen – Monate, eines fruchtlosen Kampfes gegen Armuth und Mangel an Beschäftigung, während welcher sich Newton alle Mühe gab, als Mate eines Kauffahrteischiffes ein Unterkommen zu finden. Die Art, wie er gepreßt worden war, hatte in ihm eine Furcht gegen des Königs Dienst hervorgerufen, die er nicht zu überwältigen vermochte, und obwohl er auf was immer für einem Schiffe als Matrose vor dem Mast hätte eintreten können, so wollte er doch keine Stelle annehmen, die ihn nicht gegen den Preßzwang schützte. Ohne Empfehlung konnte er den Posten eines Maten nicht erhalten, weshalb er fortfuhr, als Auftackler in den Docken zu arbeiten, bis unglückseligerweise seine Hand in die Hielung einer Stenge eingeklemmt wurde und er sein Geschäft viele Wochen aufgeben mußte. Ihre Rationen wurden mit jedem Tage spärlicher und als Newton im Stande war, wieder auszugehen und Arbeit zu suchen, hatten sie auch den letzten Schilling ausgegeben.

Es war ein rauher Tag und das Wetter blies hart aus Südost, als Newton, der auf allen Schiffen (so viele deren auch in den Docken lagen) ohne Erfolg sein Glück versucht hatte, in wehmüthiger trostloser Stimmung an dem prächtigen Hafendamme hinging, der die Seite des Flusses bekleidete. Nur wenige Leute waren im Freien, denn die Windstöße waren von schweren Regenschauern begleitet. Da und dort sah man ein Boot uferwärts rudern, um die Schiffe in die Strömung zu holen, welche vor schraff angespannten Kabeln und einer starken Ebbe dem Südoststurme preisgegeben waren. Newton hatte sich vorgenommen, an Bord eines dieser segelfertigen Fahrzeuge zu gehen, wenn man ihm einen Theil seines Soldes vorausbezahle, damit er seinen armen Vater unterstützen könne. Da bemerkte er, wie unter einem heftigen Windstoße von dem äußersten Schiffe (einer großen Brigg) ein Boot, in welchem sich ein einzelner Mann befand, losgerissen und in der raschen Strömung hinuntergejagt wurde. Der Fremde warf in dieser gefährlichen Lage sein Riem aus, ruderte zuerst nach der einen und dann nach der andern Seite und gab sich alle Mühe, das Ufer zu erreichen, aber vergeblich. Er wurde mit einer Schnelligkeit dahin gefegt, die ihn in weniger als einer Stunde in's Meer hinauszuwerfen drohte, wenn ihm nicht schleuniger Beistand geleistet wurde. Ein neuer Windstoß verbarg das Boot vor den Blicken unsers Helden, der ängstlich zusah, ob von dem Schiffe aus nicht Beistand geleistet werde, jetzt aber die Ueberzeugung gewann, daß das Unglück nicht bemerkt worden war. Er eilte daher an das Ufer hinunter und wartete, bis der Windstoß vorüber war, um sodann das Boot entdecken zu können.

Nach ungefähr zehn Minuten konnten seine Augen den Nachen wieder erkennen – er stand noch immer in der Mitte des Stromes, ungefähr dreihundert Ellen von dem Ufer; der darin befindliche Mann hatte, als alle seine Bemühungen vergeblich waren, das Ruder niedergelassen und kniete augenscheinlich betend in den Sternschoten.

Newton konnte diesem Anblick nicht widerstehen; er schien ihn darauf hinzuweisen, daß er berufen sei, auf das gen Himmel gesandte Flehen zu antworten. Das Boot war jetzt eine Viertelmeile weit unten im Flusse und etwa drei Meilen von der Stadt und den Schiffen entfernt, welch' letztere in dem düsteren Wetter nicht mehr unterschieden werden konnten. Newton warf seinen Rock ab, stürzte in das aufgeregte Wasser, dessen Kälte ihm fast den Athem benahm und schwamm in einer Richtung stromwärts, daß er das Boot in den Wind bringen konnte. Die Ebbe trug ihn schnell hinunter und wie er näher kam, rief er dem Manne zu, um ihm seine Gegenwart bemerklich zu machen. Dieser sprang bei dem Ton einer menschlichen Stimme auf, beugte sich, als er Newton dicht an dem Buge sah, über Bord und bot ihm seine Hand hin. Unser Held ergriff sie, wurde aber dann sammt dem Boote mit solchem Ungestüm von der Ebbe herumgedreht, daß er den Mann fast herauszog und der Nachen sich halb mit Wasser füllte. Nur mit Schwierigkeit gelang es Newton, unter dem Beistand des Anderen endlich an Bord zu kommen; von der Anstrengung erschöpft, blieb er eine Weile regungslos, weshalb auch der Mann, dessen Leben zu retten er sich in so große Gefahr begeben hatte, ihn anzureden unterließ.

»Wir haben keine Zeit zu verlieren,« sage Newton endlich. »Nehmt ein Riem und laßt uns gegen die Küste hinrudern. Wenn wir einmal nach den Engen hinuntergefegt sind, haben wir wenig Aussicht mehr.«

Der Andere willfahrte, ohne zu sprechen, und nach der Anstrengung einiger Minuten landete das Boot wohlbehalten auf der Stadtseite des Flusses.

»Der Herr sei gepriesen!« rief Newtons Begleiter, als er seine Ruder niederlegte. »Ich habe ihn nicht vergeblich angerufen, denn Euer Unfall ist das Mittel zu meiner Rettung geworden.«

»Wie meint Ihr das?« fragte Newton.

»Ei, seid Ihr denn nicht über Bord gefallen?« versetzte der Andere.

Newton setzte nun seinem Begleiter auseinander, was wir dem Leser bereits mitgeteilt haben, und schloß seine Erzählung mit der Bemerkung, er habe dem Drange seines Innern nicht widerstehen können, als er ihn in seiner Gefahr habe um Beistand von Oben flehen sehen.

»Gott wird Euch belohnen, junger Mann,« entgegnete der Andere. »Und nun will ich Euch erklären, wie es zuging, daß ich triftig wurde, wie ein Bär in einem Waschfasse. Mein erster Mate war in der Kajüte unten, und ich hatte eben die Deckwache ablösen lassen, denn in einem solchen Sturme muß man auch im Hafen vorsichtig sein. Die Matrosen waren beim Essen, und ich hörte das Boot unter den Hauptrusten schlagen. Ich stieg hinein, um die Fangleine um ein paar Faden zu verlängern, aber als ich es vorwärts holte, um an den Spließknoten zu kommen, fand ich, daß der Affe von Bube, der den Knoten festgemacht hatte und erst seit einigen Monaten auf der See ist, einen › schlüpfrigen Stich‹ angebracht haben mußte. So ging die Leine los, und ich wurde triftig. Zwar rief ich denen an Bord zu, aber sie hörten mich nicht, obgleich ich dies von dem ersten Maten nicht begreife, da er in der Kajüte war und das Sternfenster offen stand. Freilich, in einem solchen Wetter gegen den Wind schreien ist eine harte Aufgabe, denn der Wind bläst einem die Worte wieder in die Kehle hinunter. Doch laßt mich jetzt ein wenig mehr von Euch hören, mein Junge, damit ich sehen kann, ob es mir nicht möglich ist, zum Danke Euch gleichfalls einen Gefallen zu erweisen.«

Newtons Geschichte war bald erzählt; beim Schluß derselben hatte er die Freude, zu finden, daß er eine Stelle erhalten konnte, wie er sie gerade gewünscht hatte.

»Ich habe keinen zweiten Maten an Bord,« bemerkte der Kapitän der Brigg, »obschon ich morgen einen zuschiffen gedachte. Ich stand ein in der Wahl zwischen zweien, die gleich gute Empfehlungen vorzuweisen hatten, habe aber zum Glücke noch keinem eine Zusage gegeben. Eure Rekommandation ist nun jedenfalls kräftiger als die ihrige, weshalb die Stelle zu Eurer Verfügung steht. Um Euretwillen wünschte ich nur, daß es die eines ersten Maten wäre, denn ich bin überzeugt, daß Ihr dem Posten vorzustehen vermöchtet, und ich könnte nicht gerade sagen, daß ich eine besondere Vorliebe für den gegenwärtigen habe – er ist indeß ein Verwandter des Schiffseigenthümers.«

Die nöthigen Vorbereitungen waren bald gemacht. Mr. Berekroft, der Schiffsmeister, schoß Newton eine Summe zur Ausstattung vor und kam mit dem Eigenthümer des Fahrzeugs zu Liverpool überein, daß die Hälfte von dem Solde unseres Helden monatlich dem alten Mr. Forster zugewiesen werden sollte.

Die Brigg hatte einen Piloten an Bord, und da das Wetter günstig war, so verabschiedete sich unser Held von seinem Vater, um mit leichtem Herzen seinen neuen Bekannten an Bord des Schiffes zu begleiten. Sie schifften sich in aller Frühe auf einem gemietheten Boote ein, da dasjenige, welches zu der Brigg gehörte, noch im Flusse drunten lag, wo sie an's Land gegangen waren. Der erste Mate rasirte sich eben in der Kajüte, um sich an's Ufer zu begeben und dem Schiffseigenthümer den vermeintlichen Verlust seines Kapitäns zu melden. Die Matrosen waren entweder beschäftigt oder befanden sich im Raume unten, so daß man auf das anlegende Boot nicht achtete, und Newton befand sich mit dem Schiffer auf dem Decke, ehe noch der erste Mate Kunde davon hatte. Letzterer kam in dem gleichen Augenblicke die Hüttenluke herauf, um ein Boot aussetzen und bemannen zu lassen. Als er Mr. Berekroft bemerkte, fuhr er erstaunt zurück und erblaßte.

»Ich hielt Euch für verloren,« sagte er. »Wie wurde es Euch doch möglich, Euch zu retten. Seid Ihr nicht in die See hinaus getriftet?«

»Es scheint also, Mr. Jackson, daß Ihr wußtet, ich sei triftig geworden,« versetzte der Schiffer ernst, indem er ihm fest in's Gesicht sah.

»Das heißt« – entgegnete der Mate verwirrt – »ich meinte – natürlich – weil ich das Boot nicht neben dem Schiffe sah – Ihr seid damit abgetriftet. Wie es zuging – konnte ich mir natürlich nicht denken.«

»Ich hoffe um Eures Gewissens willen, Mr. Jackson, daß Ihr die Wahrheit sagt. Indeß seht Ihr, daß ich wieder hier bin – Dank sei es dem Schutze der Vorsehung und den Anstrengungen dieses jungen Mannes, den ich Euch als unsern zweiten Maten vorstellen muß.«

Bei diesen Worten warf Jackson einen grimmigen Blick auf Newton. Der Schiffer hatte ganz richtig bemerkt, es sei sonderbar, daß ihn der erste Mate nicht gehört habe, als er um Beistand rief.

Die Sache verhielt sich so, daß Jackson ihn sowohl gehört als gesehen hatte; aber er war ein gefühlloser Wicht, der nichts, als seinen eigenen Vortheil im Auge hatte. Er lebte der Ueberzeugung, der Schiffer werde in die See hinausgeführt werden und dort eines elenden Todes sterben; die natürliche Folge davon war, daß ihm das Kommando des Schiffes übertragen wurde. Er war eben im Begriffe an's Land zu gehen, um das vermeintliche »Ueberbordfallen« des Meisters zu melden und sich, da die Brigg mit dem günstigen Wetter ausfahren sollte, das Kommando zu sichern, zugleich aber auch durch diese Angabe allen weiteren Nachforschungen ein Ende zu machen, die natürlich augenblicklich angestellt worden wären, wenn er der Wahrheit gemäß berichtet hätte, daß das Boot mit dem Meister losgetriftet sei. Da durch Newtons Muth Jacksons Hoffnungen getäuscht worden waren, so faßte er augenblicklich einen tödtlichen Haß gegen unsern Helden und gelobte ihm in seinem Innern Rache.

Am nämlichen Abend legte sich der Wind, und das Schiff segelte aus. Mit dem Anbruche des Morgens hatten sie die Sandbänke im Rücken, und nachdem ein Lotsenschiff auf der Höhe von Holy Head den Piloten aufgenommen hatte, steuerte die Brigg den irischen Kanal hinunter, um sich einem nach Westindien bestimmten Konvoy anzuschließen, das sich bei Falmouth sammelte.

Mr. Berekroft, der Schiffsmeister, den wir noch nicht geschildert haben, war ein magerer, leicht gebauter Mann, von ungefähr sechzig, noch sehr rührig und mit Leib und Seele ein Seemann. Er kreuzte schon seit fünfundvierzig Jahren auf dem Ocean, und wenn er auf dem Decke oder bei seinem Abendgrog seine nicht gewöhnlichen Erlebnisse erzählte, so konnte man ihm nur mit größtem Interesse zuhören. Er war ein ernster, vernünftig religiöser Mann und duldete kein Fluchen unter den Matrosen, obschon seine Verweise an dem ersten Maten verloren gingen, der, um ihn zu ärgern, selten ohne die eine oder die andere Verwünschung auf dem Decke erschien. Mr. Berekroft pflegte jeden Abend die Matrosen in seiner Kajüte zu versammeln und ihnen ein kurzes Gebet vorzulesen. Diese ungewöhnliche Feierlichkeit veranlaßte zwar hin und wieder bei den Neueingetretenen spöttische Blicke, und Jackson nahm nicht nur keinen Theil daran, sondern machte sich auch darüber lustig; dennoch war aber Berekrofts ganzes Benehmen von der Art, daß sogar die Gedankenlosesten anerkennen mußten, er sei ein rechtschaffener Mann, und nur mit Bedauern sein Schiff verließen.

So zeigte sich Mr. Berekroft in seinem Leben, und wir haben nur noch beizufügen, daß er dem gewöhnlichen Schlage von Kauffahrerschiffern weit überlegen war. Seine Familie gehörte dem Vernehmen nach zu den Quäkern.

Jackson, der erste Mate, war ein stierköpfiger, rothhaariger Northumberländer und, wie bereits bemerkt, ein Verwandter des Schiffseigenthümers, da er sonst wohl nie Zutritt auf die Brigg erhalten haben würde. Der Leser hat bereits einen kleinen Blick in seinen teuflischen Charakter gethan und wir brauchen blos noch beizufügen, daß er roh und polternd in seinem Benehmen war. Er vergaß oder vergab nie eine Beleidigung, kannte die Dankbarkeit nicht einmal vom Hörensagen und schrak vor nichts zurück, wo es galt, seine Rachsucht zu befriedigen.

Am dritten Tage langte die Brigg, welche nach den beiden Töchtern des Eigenthümers den Namen »Elisa und Jane« erhalten hatte, zu Falmouth an, wo sie neben dreißig oder vierzig weiteren Fahrzeugen, die sich hier versammelt hatten, Anker warf. Am zweiten Tage nach ihrer Ankunft erschien eine fünfzig Kanonenfregatte mit zwei Korvetten auf der Höhe der Hafenmündung, worauf das ganze Geschwader die Anker lichtete und neben seinen Beschützern beilegte. Der erste Schritt, welchen die letzteren einschlugen, bestand darin, daß sie ihre Schützlinge der Belästigung eines Dritttheils ihrer Mannschaft enthoben und sie so vertheidigungslos als möglich machten, damit sie nicht allzusehr ihrer eigenen Stärke vertrauten, sondern sich ganz auf die Kriegsschiffe verließen und so nahe wie möglich bei denselben blieben. Nachdem sie jeden unbeschützten Matrosen an sich genommen, gewährten sie dafür den preiswürdigen Ersatz, daß sie Convoy-Signale austheilten, und dann gaben ein halb Dutzend Kanonenschüsse das Zeichen zur Abfahrt – ein Befehl, dem augenblicklich gehorcht wurde. Die Kauffahrer setzten oben und unten all' ihr Tuch bei, während die Kriegsschiffe mit ihren Marssegeln auf den Eselshäuptern das Geschwader umkreisten und auf jedes unglückliche Schiff, das nicht so schnell als die übrigen segeln konnte, mit Kugeln schoßen.

Das Konvoy bestand bei der Ausfahrt von Falmouth aus fünfundsiebenzig Schiffen; nach ein paar Tagen waren jedoch nur noch vierzig bei einander zu sehen. Die Zurückbleibenden setzten ihre Reise so gut fort, als sie konnten, oder fielen in die Hände der feindlichen Kaper, welche dem Kielwasser des Convoys folgten. Einige wurden in die französischen Häfen geführt, und den Versicherungsaktionären derselben mochte an dem Tage, an welchem sie die Nachricht von ihrer Wegnahme erhielten, ihre Mahlzeit wohl nicht sonderlich schmecken. Andere wurden von den englischen Blokadegeschwadern wieder gekapert, die sodann ein Achtel des Werthes für die Bergung erhielten. Endlich hatten die Kriegsschiffe nur noch ungefähr fünfundzwanzig der besten Segler bei sich, und dem Kommodore dünkte es jetzt räthlich, auf diese wenigen noch besonders Acht zu haben, damit er nicht von der Admiralität » über die Kohlen geholt« würde. Während des Restes der Fahrt trug sich nichts Bemerkenswertes zu. Sie langten wohlbehalten zu Barbadoes an, wo der Kommodore dem Admiral seinen Bericht erstattete und sich bitter über die Hartnäckigkeit der Kauffahrerschiffer beschwerte, welche, trotz aller seiner Einschärfungen und des vielen Pulvers, das er verbrannt habe, um seinen Signalen Nachdruck zu geben, nicht mit ihm fahren wollten. Es mußte natürlich irgend wo der Fehler liegen.

Während der Fahrt, welche sieben Wochen dauerte, hatte Newton hinreichend Gelegenheit, über seine Lage in's Klare zu kommen. Der Schiffsmeister behandelte ihn unablässig mit Freundlichkeit und Rücksicht; auch hatte ihn derselbe, noch ehe die Reise vollendet war, wie einen Sohn lieb gewonnen.

Dagegen versäumte Jackson keine Gelegenheit, ihn zu ärgern oder zu verunglimpfen, obschon ihn die Unterstützung seines Gönners für das Benehmen des ersten Maten schadlos hielt. Newton nahm sich daher vor, von dem, was er nicht verhindern konnte, keine Notiz zu nehmen. Als das Convoy zu Barbadoes anlangte, begab sich Mr. Berekroft an's Land nach dem Hause seines Adressaten, und nun brach Jacksons Bosheit in ihrem ganzen Ungestüm aus.

Die Brigg hatte ihre Ladung gelöscht und lag in der Karlisle-Bay, den Zucker erwartend, den sie nach Liverpool zurücknehmen sollte. Eines Morgens stand Newton, der sich lange ohne Beschwerde in Jacksons Tyrannei gefügt hatte, eben an der Hauptluke und ertheilte den unten befindlichen Matrosen, welche die Oberlast aus dem Boden des Schiffes ordneten, Befehle, als der erste Mate auf das Deck kam und, seine Gelegenheit ersehend, gleichsam zufällig gegen unsern Helden stolperte, um ihn so über die Rahmen hinunterzustürzen. Newton, der mit größter Lebensgefahr in den tiefsten Raum auf den Balast hinunter gefallen wäre, faßte plötzlich den ersten Maten, ohne daß dieser Zeit gehabt hätte, sein Gleichgewicht wieder zu gewinnen, und zwar so fest, daß Jackson mit hinunter mußte. Letzterer hielt sich an einem der Taue, das von dem Hauptmaste herunterlief und klammerte sich aus Leibeskräften an, so daß auch Newtons Sturz gebrochen wurde; aber die Last der beiden Körper zerrte das Tau durch Jacksons Hände, welche bis auf die Knochen zerfleischt wurden. Der Fall that keinen weiteren Schaden, so daß also der Verrath des ersten Maten auf sein eigenes Haupt zurückfiel.

Dieses Pröbchen von Gehässigkeit wurde von den Matrosen, welche Jackson und überhaupt jede Schändlichkeit verabscheuten, an Mr. Berekroft berichtet, weshalb dieser sich vornahm, unsern Helden keinen weiteren Gewaltthätigkeiten auszusetzen. Auf das Vorwort seines Gönners wurde Newton eingeladen, nach dem Hause des Gentleman zu kommen, an welchen das Schiff adressirt war – ein Erbieten, das sich unser Held natürlich mit Freuden gefallen ließ.

Newton befand sich noch nicht viele Tage am Land, als ihm sein Wirth, Mr. Kingston, der ihn sehr lieb gewonnen hatte, den Vorschlag machte, statt aller Beantwortung der vielen Fragen über den Sklavenhandel mit ihm eine Pflanzung zu besuchen, deren Eigentümer von früher Jugend an auf der Insel gewohnt habe; der Augenschein gebe die beste Belehrung über die Wahrheit der Gerüchte, welche von den Feinden einer Verwendung der Schwarzen zur Arbeit so emsig in Umlauf gesetzt würden.


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