Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Ein zornig Weib gleicht aufgewühltem Wasser,
Das dick ist, schlammig, unscheinbar und häßlich;
Des Durstes herbste Gluth sogar verschmäht
Ein Tröpflein 'raus zu schlürfen.

Shakspeare.

Es kann Einer ein Gut, ein Haus oder ein Pferd kaufen, weil ihm der Kauf zusagte, und am Ende doch finden, daß ihm die Erwerbung nicht ganz paßte – ein Verhältniß, das hin und wieder auch bei der Wahl einer Gattin zutrifft und dann freilich einen bedenklicheren Umstand abgibt, sintemalen zwar die ersten Kosten vielleicht Null betragen, aber doch die traurige Nothwendigkeit in sich schließen, daß man im letzteren Falle seine falsche Spekulation nicht durch Wiederverkauf gut machen kann, was immerhin im ersteren zulässig ist. Nun traf sich's, daß Nicholas Forster, dessen wir bereits schon kurze Erwähnung gethan haben, zur Zeit seiner Verehelichung allerdings meinte, die Person seiner Wahl sage genau seinem Focus zu; aber dennoch mußte er die Entdeckung machen, daß er sich in der Ehestandsfrage weit kurzsichtiger benommen hatte, als bei einem Optikus verzeihlich war.

Vielleicht hatte Mrs. Nicholas Forster zur Zeit ihrer Vermählung persönliche Reize besessen, obschon sie sich zur Zeit unstet Erzählung deren nicht sonderlich mehr zu rühmen hatte, denn sie war eine magere, scharfnasige, wieseläugige, kleine Frau, die voll Argwohn, Eifersucht und böser Launen aller Art stak. Ihr ganzes Geschäft (und wir dürfen wohl auch sagen ihre ganze Freude) bestand darin, Fehler aufzufinden, und ihre schrille Stimme konnte über der Straße drüben von Morgens bis in die Nacht gehört werden. Der einzige Dienstbote, den die Familie bei ihren spärlichen Finanzen zur Noth erschwingen konnte, und der in alle Sättel gerecht sein mußte, natürlich auch in seiner vielseitigen Dienstleistung nie müssig sein durfte – blieb selten über einen Monat, und nichts als die dringendste Aussicht auf's Hungersterben konnte ein Mädchen veranlassen, sich in der Eigenschaft einer Dienerin für Alles bei Mrs. Forster zu verdingen.

Zum Glück für seinen eigenen Frieden besaß Mr. Nicholas Forster jenes eigentümliche Temperament, welches sich durch nichts in einen eigentlichen Zorn versetzen läßt; er war in höchstem Grade geistesabwesend, und wenn eine Rede oder ein Benehmen von Seite seines Weibes seine Galle zum Steigen brachte, so pflegten andere Gedanken die Ursache wieder aus seinem Gedächtniß zu vertilgen, so daß sich jene Hydra des menschlichen Herzens, den Gegenstand des beabsichtigten Angriffs verfehlend, wieder zur Ruhe gab.

Das Ungestüm und die Tadelsucht der ehrenwerthen Gemahlin gingen daher an Nicholas Forster verloren, und die Unmöglichkeit, den Gleichmuth seines Temperaments zu stören, steigerte ihre eigene Reizbarkeit. Dennoch konnte sich Mr. Nicholas Forster, wenn er in Augenblicken eines vorübergehenden Nachdenkens die Sache erwog, des geheimen Zugeständnisses nicht erwehren, daß er viel ruhiger und glücklicher leben könnte, wenn es dem Himmel gefiele, Mrs. Forster nach einer bessern Welt abzurufen, und diese Idee bemächtigte sich zuletzt seiner ganzen Einbildungskraft. Ihre unablässige Streitsucht hinderte ihn dermaßen in der Ausführung seiner Pläne, daß er Alles, was ihm von Bedeutung erschien, in seinem Geiste auf die Zeit verschob, wann Mrs. Forster todt wäre.

»Nun, Forster, wie lang muß das Essen noch warten, bis es dir gutdünkt zu kommen? Wie gewöhnlich wird wieder Alles kalt werden müssen. (Notabene, das Mahl bestand schon vornweg in den Ueberresten einer kalten Hammelskeule.) – Oder willst du vielleicht gar nicht essen? Betty, räume den Tisch ab; ich habe zu thun und mag nicht länger warten.«

»Ich komme, meine Liebe, ich komme; aber diese Ausgleichungsfeder kann ich doch nicht wohl unvollendet liegen lassen,« versetzte Nicholas, mit einem Vergrößerungsglase vor dem Auge sein Geschäft fortsetzend.

»Ja wohl da, ich komme! Weihnachten kommt auch, Mr. Forster. – Schon recht, das Essen wird abgetragen, sage ich dir.«

Nicholas, dem es nicht an Appetit gebrach, und der außerdem wohl wußte, wenn der Schöpsenbraten wieder in den Speiseschrank käme, werde es schwer halten, ihn wieder zum Vorschein zu bringen – legte die Uhr nieder, und kam in die hintere Wohnstube.

»So, meine Liebe, da bin ich; thut mir leid, daß ich dich so lange habe warten lassen, aber das Geschäft geht vor Allem. – Ach, du mein, der Braten ist ja wirklich ganz kalt,« fuhr Nicholas fort, indem er ein großes Stück in den Mund steckte, denn er hatte ganz vergessen, daß er schon ein paar Mal von der nämlichen Keule hatte zehren müssen. »Mr. Tobin hat mir da eine schöne Uhr zum Repariren gebracht; aber ich denke, wenn ich meine Verbesserung der doppelten Hemmung zu Stande gebracht habe –«

»Ja wohl da, wenn du das zu Stande gebracht hast!« entgegnete die Dame; »sage mir, wie bringst du auch je etwas zu Stande, Forster? Ei ja, freilich, zu Stande bringen!«

»Nun, meine Liebe,« entgegnete der Gatte mit der Miene der Geistesabwesenheit – »ich gedenke, sie zu Stande zu bringen, wenn – du todt bist

»Wenn ich todt bin!« kreischte die Dame in Wuth – »wenn ich todt bin!« fuhr sie fort, indem sie von ihrem Stuhle aufsprang und die Fäuste in die Seite stemmte. »Ich kann dir sagen, Meister Forster, daß ich lange genug leben werde, um dich zu plagen. 's ist nicht das erstemal, daß du mir so kamst, aber verlaß dich darauf, ich werde noch auf deinem Grabe tanzen!«

»Ich wollte nicht gerade so sagen – nicht gerade so, meine Liebe,« versetzte Nicholas verwirrt. »Ich weiß überhaupt nicht was ich gesagt habe – ich meinte zuverlässig –«

»Natürlich; du meintest und du meinst es, und das ist der ganze Dank, den ich dafür zu erwarten habe, daß ich so liebevoll für dein Wohl besorgt bin – mich den ganzen Tag placke und abrackere! Aber du bist unbesserlich, Forster. Da sehe man nur – bedient er sich jetzt aus der Schnupftabacksdose, statt aus der Salzbüchse. Welcher Mensch von gesundem Verstand wird auch seinen Hammelsbraten mit Taback essen?«

»Der Tausend – ja, 's ist wirklich wahr,« entgegnete Forster, die Prise, welche er aus der gewöhnlich offen vor ihm liegenden Dose genommen hatte, nicht wieder in die Dose zurück, sondern in die Salzbüchse streuend.

»Und wer soll jetzt dieses Salz essen, du garstiges Vieh?«

»Ich bin kein Vieh, Mrs. Forster,« erwiederte der Gatte, dem jetzt die Galle stieg. »Ich habe eben einen Mißgriff begangen und sehe nicht ein – da fällt mir übrigens ein, hast du Betty mit dem Tag- und Nachtglas zu Kapitän Simkins geschickt?«

»Freilich, that ich's, Mr. Forster. Möchte wohl auch wissen, was aus uns werden müßte, wenn ich nicht nach dem Geschäft sähe; und ich kann dir sagen, Forster, wenn du nicht Sorge trägst, daß du mehr Arbeit kriegst, so wirst du bald nichts mehr zu essen haben. In der ganzen letzten Woche habe ich eben siebenzehn Schillinge und sechs Pence erhalten, und wie soll ich da Hausmiethe, Feuer, Essen und Trinken bestreiten? Wie dies möglich ist, will ich erst von dir hören, denn es überschreitet meine Fassungskraft.«

»Was kann ich da thun, meine Liebe? Ich weise nie ein Geschäft zurück.«

»Du weisest nie ein Geschäft zurück? Nein; aber du mußt sehen, daß du mehr Geschäfte erhältst.«

»Ich kann eine Uhr repariren und ein Teleskop machen, bin aber nicht im Stande, die Leute zu zwingen, daß sie mir Arbeit in's Haus tragen, meine Liebe,« versetzte Nicholas.

»Ja, du kannst's und du mußt's, Forster,« fuhr die Dame fort, mit dem Ueberreste der Hammelskeule abfahrend und ihn in den Speiseschrank schließend, als eben ihr Gatte sein Auge auf die nächste Schnitte geheftet hatte. »Und wenn du's nicht thust, sollst du gar nichts mehr zu essen kriegen, Forster!«

»So scheint's, meine Liebe,« versetzte der demüthige Nicholas eine Priese nehmend; »aber ich weiß in der That nicht –«

»Freilich, Forster, wenn du nicht einer der größten –«

»Nicht doch, meine Liebe,« unterbrach sie der ungemein bescheidene Nicholas, »ich gehöre vorderhand noch nicht unter die größten Optiker; aber wenn ich meine Verbesserung –«

»Unter die größten Optiker?« erwiederte die Dame. »Unter die größten Narren, wollte ich sagen!«

»Das ist etwas ganz anderes, meine Liebe; aber –«

»Ich will keine aber von dir, Forster; sei so gut, mich ausreden zu lassen und unterbrich mich nicht wieder in dieser bärenhaften Weise. Warum betreibst du auch dein Geschäft, wie du's thust? Wer bringt dir je wieder eine Uhr oder ein Fernrohr zum zweiten Mal, nachdem du sie in Händen gehabt hast?«

»Warum sollten sie auch, meine Liebe, wenn ich sie in gute Ordnung gebracht habe?«

»In Ordnung gebracht? Aber warum bringst du sie in Ordnung?«

»Warum ich sie in Ordnung bringe, meine Liebe?« entgegnete Forster erstaunt.

»Ja; warum läßt du nicht irgendwo eine Schraube los? Dann müssen sie wieder kommen. Das ist die Art und Weise, wie man ein ordentliches Geschäft führt.«

»Die Art und Weise, mein Geschäft ordentlich zu betreiben, meine Liebe, besteht darin, daß ich alle Schrauben fest mache.«

»Und darüber verhungerst?« fuhr die Dame fort.

»Wie Gott will,« erwiederte der ehrliche Nicholas.

Dieses Ehestandsduett wurde jetzt durch den Eintritt des Sohnes unterbrochen, welchen wir dem Leser vorstellen müssen, da er in unserer Erzählung eine Hauptrolle zu übernehmen hat.

Newton Forster – denn so hatte ihn sein Vater aus Achtung gegen den großen Sir Isaac genannt – war ungefähr siebenzehn Jahre alt, athletisch und gut gebaut, schön von Gesicht und auch in geistiger Hinsicht nicht vernachlässigt. Seine offene Stirne bekundete freimüthige Aufrichtigkeit und in seinem Lächeln lag eine Ehrlichkeit, die ihm alle Herzen gewann; auch war sein Angesicht nur der Index seines Innern. Der alte Nicholas hatte alle seine freie Zeit und die wenigen Mittel, die er nur mit Entbehrung erschwingen konnte, auf seine Erziehung verwandt, hoffend, sein Sprößling werde eines Tages mit dem Genie wetteifern, dessen Namen er trug; aber Newton hatte durchaus kein Sitzfleisch, weder an dem Pulte noch an der Werkbank. So oft er der Stube oder der Schule entwischen konnte, fand man ihn entweder an dem Ufer oder an dem Hafendamme, wo die anfahrenden Schiffe ihre Cargos ein- oder ausluden; auch hatte er schon seit mehreren Jahren seine Absicht kund gethan, daß er ein Seemann werden wolle. Der Vater hatte nur mit Widerstreben und unter dem Vorbehalt, daß Newtons Erziehung zuerst beendigt sein müsse, seine Zustimmung gegeben, und beide Theile hielten streng an dem gegenseitigen Vertrage.

Als Newton das sechszehnte Lebensjahr antrat, hatte er bereits Alles gelernt, was ihm der benachbarte Schulmeister mittheilen konnte; er ging deshalb, bis sich etwas Besseres aufthat, an Bord eines Küstenkreuzers, auf welchem er im Laufe der letzten paar Jahre mehrere Ausflüge gemacht hatte. Bei solchen Gelegenheiten blieb er gewöhnlich etwa sechs Wochen aus und dann eben so lange im Hafen, bis wieder eine neue Ladung besorgt werden konnte.

So jung er auch war, hatte ihm doch die Ueberlegenheit seiner Erziehung die Stelle eines Schiffsmaten verschafft, und sein Sold setzte ihn in den Stand, seinem Vater beizustehen, dessen Geschäft (wie Mrs. Forster erklärte), »nicht einmal von der Hand zum Munde reichte.«

Seine Liebe zur Wissenschaft und Thätigkeit veranlagte ihn, zu Hause so viel wie möglich von dem Geschäfte seines Vaters zu lernen, so daß er die meisten Gegenstände, welche dem alten Nicholas anvertraut wurden, selbst auch zu repariren verstand. Die Eigenthümlichkeiten und Excentrizitäten seines Vaters machten ihm vielen Spaß, obschon er ihn sehr achtete, da er ihn als einen würdigen, ehrlichen Mann kannte. Gegen seine Mutter vermochte er nicht das gleiche Gefühl zu unterhalten, denn er ärgerte sich über die Art, wie sie seinen Vater behandelte, und konnte an ihr keine versöhnende Eigenschaft entdecken, um das Register ihrer Unvollkommenheiten gut zu machen. Indeß besaß er doch einen eigenthümlichen Takt, durch welchen es ihm gelang, ernstliche Wortwechsel zu vermeiden. Da er nie in Aufwallung gerieth und mit ruhiger Festigkeit allen Zwang zurückwies, so sicherte er sich eine Herrschaft über sie, welche in ihrem Herzen – welcher Art auch ihre Gefühle früher gewesen sein mochten – einen entschiedenen Haß erzeugt hatten. Er war diesen Morgen abwesend gewesen, um aus der Schaluppe, zu welcher er gehörte, bei der Anfertigung eines neuen großen Stags mitzuhelfen, und hörte beim Eintreten eben noch die letzten Worte seines Vaters.

»Was soll Gott wollen, Vater?« begann er.

»Ei, die Mutter sagt, wir müßten verhungern oder unehrlich sein.«

»Dann wollen wir lieber mit einem guten Gewissen den Hunger über uns ergehen lassen; indeß hoffe ich doch, daß die Sache noch nicht so schlecht steht, denn ich bringe grimmigen Appetit mit,« fuhr Newton fort, den Speisetisch in's Auge fassend, welcher seinen Blicken nichts als das Tischtuch mit dem Salzbüchschen und der Schnupftabacksdose darbot. »Nun, Mutter, gibt's denn vollkommene Windstille oder habt Ihr Alles wieder in den Schrank gestaut?«

Und Newton begab sich nach dem Speiseschrank, welcher verschlossen war.

Wie heftig Mrs. Forster auch gegen Andere sein konnte, so benahm sie sich gegen Newton doch nur mürrisch.

»Es ist nichts drinnen,« brummte die Dame.

»Warum schließt Ihr dann?« versetzte Newton, welcher wohl wußte, daß die Wahrheitsliebe nicht unter die Liste von Mrs. Forsters Tugenden gehörte. »Na, Mutter gebt den Schlüssel her – ich stehe dafür, daß ich noch etwas ausspüre.«

Mrs. Forster entgegnete, daß der Schrank ihr gehöre und sie die Herrin im Hause sei.

»Wie Ihr wollt, Mutter; aber ehe ich mich weiter bemühe, sagt mir, Vater, – ist etwas in dem Schranke?«

»Ei ja, Newton, 's ist ein wenig Hammelfleisch drinnen. Wenigstens habe ich, wenn ich mich recht erinnere, nicht Alles aufgezehrt – ist es nicht so, meine Liebe?«

Mrs. Forster ließ sich zu keiner Antwort herab. Newton ging deshalb in den Laden und kehrte mit Meisel und Hammer zurück. Er holte einen Stuhl herbei, auf welchen er sich stellte, und begann ganz kaltblütig das Schloß loszubrechen.

»Es thut mir sehr leid, Mutter – aber ich muß etwas zu essen haben, und da Ihr mir den Schlüssel nicht geben wollt, je nun –« bemerkte Newton, dem Hintertheile des Meisels mit dem Hammer einen kräftigen Schlag versetzend.

»Da ist der Schlüssel,« rief Mrs. Forster entrüstet, indem sie ihn auf den Tisch schleuderte und dann zur Thüre hinausschoß. –

Vater und Sohn tauschten ein Lächeln aus, und bald hörte man sie draußen rufen: »Betty – he, Betty, du faule Schlumpe, wo bist du?« als sei sie fest entschlossen, ihren Groll gegen Jemanden auszulassen.

»Habt Ihr schon gegessen, Vater?« fragte Newton, der jetzt den Inhalt des Schrankes nach dem Tisch beförderte.

»Ich weiß es in der That nicht gewiß, aber ich fühle mich gewaltig hungrig,« versetzte der Optiker, zwei große Schnitten für seinen Teller ablangend.

Und Beide tafelten nun hübsch darauf los, damit die Wahrheit des weisen Spruches belegend, daß »ein Gericht Kraut mit Liebe besser sei, als ein gemästeter Ochse mit Haß.«


 << zurück weiter >>