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Achtes Kapitel

Toll wie See und Wind, wenn beide um die Obmacht streiten.

Shakspeare.

»So weit wäre Alles gut gegangen, meine theure Mrs. Forster,« sagte Miß Dragwell. »Ich will jetzt nach Hause gehen und sobald wie möglich mit einer Postchaise zurückkommen. Ich werde Mr. Ramsdens Diener mitbringen, daß er Euch nach dem Irrenhause begleite. In einer Viertelstunde werdet Ihr hoffentlich diese thörichten Overtoner, welche meinen, es fehle Euch, wo es ihnen selbst fehlt, im Rücken haben. Jedenfalls ist's aber besser, Ihr bleibt jetzt in Eurem Zimmer und zeigt Euch nicht wieder am Fenster. Der Haufen wird sich zerstreuen, sobald er genug gegafft hat. Gott befohlen, meine theure Mrs. Forster, Gott befohlen.«

Mrs. Forster war in einer zu verdrießlichen Stimmung, um sich zu einer Antwort herabzulassen, und Miß Dragwell verließ das Haus. Betsy hatte die Unruhe und die angebliche Narrheit ihrer Gebieterin benützt, um in der Nachbarschaft klatschen zu können. Nicholas Forster war in dem Laden, nahm aber von der durchgehenden Miß Dragwell keine Notiz; er schien alles Vorgefallene vergessen zu haben und war an seiner Werkbank emsig mit Feilen beschäftigt. Wir müssen ihn jedoch seiner Arbeit überlassen und den Bewegungen der schadenfrohen Miß Dragwell folgen.

Als sie zurückkehrte, meinten die im Pfarrhause Versammelten, daß sie doch zu weit gegangen seien; aber Miß Dragwell war anderer Ansicht und hatte sich fest vorgenommen, daß Mrs. Forster ein paar Tage in dem Irrenhaus zubringen solle; auch fühlte sie sich überzeugt, daß Mr. Ramsden, durch dessen Beistand ihr Plan in Vollzug gesetzt werden mußte, es nicht wagen würde, ihren Wünschen in den Weg zu treten.

Ihr Vater machte mit einem lauten »ha, ha, ha!« den Vorschlag, daß Mr. Spinney mit seinem! »hi, hi, hi!« in ein Bettuch gehüllt, als Geist an der Seite von Mrs. Forstes Bette erscheinen und die Sache damit ein Ende nehmen solle; aber dieses Ansinnen wurde durch Mr. Spinney überstimmt, der sich hoch und theuer vermaß, nichts solle ihn veranlassen, je wieder in Mrs. Forsters Gegenwart in ein »hi, hi, hi!« auszubrechen.

Ramsden war zwar mit dem Vorstande des Irrenhauses, Doktor Beddington, gut bekannt, glaubte aber nicht, daß er auf ihren Schwank eingehen würde, und redete daher seiner Zukünftigen angelegentlich zu, sie solle von ihrem Ansinnen abstehen.

»Hilft Alles nichts, mein lieber George; ich bin Don Quixote genug, um die Unbilden derjenigen zu rächen, welche sich nothgedrungen ihrem garstigen Charakter fügen mußten; auch hoffe ich außerdem eine Kur zu erzielen. Als Arzt mußt du wissen, daß verzweifelte Krankheiten auch verzweifelte Mittel nöthig machen, und ich bin der Ansicht, daß ein Zankteufel von einem Narren nicht zu unterscheiden ist, da ja beide auch ihre lichten Zwischenräume haben. Wenn sie sich daher nur eine Viertelstunde in den unterschiedlichen verzerrten Spiegeln eines irren Sinnes reflektirt sieht und noch eine Spur von Selbstkenntniß bei ihr obwaltet, so kann aus dem Uebel Gutes hervorkommen. Ich habe den Schwank aus Schadenfreude angesponnen, will ihn aber jetzt zu Ende bringen, weil ich hoffe, daß sich günstige Resultate daraus erzielen lassen.«

»Aber meine theure Fanny –«

»Ich will es so, Ramsden, und versuche nicht, mir mein Vorhaben auszureden. Wir sind noch nicht verheirathet, und ich dulde nicht, daß mir die kurze Zeit meiner Oberherrlichkeit verkümmert werde. In der That, es sollte dir sogar lieb sein, daß ich so sehnlich wünsche, ›eine Widerbellerin zu zähmen,‹ da du daraus den Beweis entnehmen kannst, wie ich nicht Lust habe, in einen Irrthum zu verfallen, den ich so glühend verabscheue. Besorge jetzt die Chaise, schreib einen Brief an Doktor Beddington und laß mich das Weitere mit Mrs. Forster in's Reine bringen.«

Ramsden fügte sich, wie viele Andere, wenn sie durch hübsche Frauen zum Schweigen gebracht werden, gegen seinen Willen; er schrieb an Doktor Beddington, setzte ihm die Umstände auseinander und erbat sich seine Verzeihung für die Freiheit, die er sich nothgedrungenermaßen erlaubt habe.

Sobald der Brief geschrieben war, setzte Miß Dragwell ihren Hut auf, nahm Mr. Ramsdens Bedienten mit sich, stieg in die Chaise und ließ an Mr. Nicholas Forsters Hause vorfahren. Mrs. Forster hockte in ihrem lächerlichen Anzuge auf dem Bette und sah mit Ungeduld der Ankunft ihrer Helferin entgegen.

»Oh! Mrs. Forster, es ist mir schwer geworden – ich habe mir viele Mühe geben müssen – aber doch hat sich Mr. Ramsden endlich bewegen lassen. Da ist der Brief an Doktor Beddington, und Mr. Ramsdens Diener befindet sich unten in der Chaise. Je bälder Ihr fortkommt, desto besser ist es, denn die Leute sind ganz wüthend und geben Euch die entsetzlichsten Namen.«

»Ha, wirklich?« versetzte Mrs. Forster, deren Zorn über diese Nachricht aufloderte.

»Allerdings; und die elende Betsy erklärt, sie wolle Euch eigenhändig den Strick um den Hals legen.«

»Sie untersteht sich?« rief Mrs. Forster, deren Augen vor Wuth blitzten.

»Ja; und Euer Mann – Euer einfältiger Mann sagt, er werde jetzt wohl bald im Stande sein, seine Verbesserung in der doppelten Hemmung anzubringen, da ihn der Galgen von Euch erlösen werde.«

»Ist's wahr – sagte er das?« entgegnete Mrs. Forster athemlos, während sie zähneknirschend von dem Bette heruntersprang.

»Ach, meine theure Mrs. Forster, es führt zu nichts, auf das zu achten, was die Leute sagen, denn es liegt jetzt Alles daran, daß Ihr sobald wie möglich zu entkommen sucht. Der Haftbefehl des Friedensrichters kann mit jedem Augenblicke anlangen, und dann ist es zu spät; so kommt hurtig – welch' ein Glück, daß Ihr noch entkommen könnt! Es muß etwas Schreckliches ums Gehangenwerden sein!«

Diese letzte Bemerkung, welche Miß Dragwell immer vorbrachte, wenn sie eines recht nachdrücklichen Spornes bedurfte, veranlaßte Mrs. Forster, nach der Postchaise hinunter zu eilen, in welcher sie bereits Mr. Ramsdens Bedienten vorfand. Sobald sie eingestiegen war, fuhr der Postillon in vollem Galopp der ihm angedeuteten Richtung zu.

Seit Menschengedenken hatte es in dem Städtchen Overton keinen solchen Tumult gegeben; wir müssen ihn jedoch sich legen und Miß Dragwell über den Erfolg ihrer Ränke jubeln lassen, während wir Mrs. Forster zu ihrem neuen Quartiere folgen.

Die Chaise rasselte fort und Mr. Ramsdens Bedienter duckte sich so weit als möglich von Mrs. Forster in eine Ecke, augenscheinlich ebenso erbaut von seiner Gesellschafterin, als befände er sich mit einem Tiger in der gleichen Fallgrube. Endlich machte der Wagen an der Thüre des Irrenhauses Halt; der Postillon stieg von seinen dampfenden Pferden und zog ungestüm an einer Klingelschnur – die Glocke sprach mit einem höchst kläglichen Geläute an und erfüllte Mrs. Forsters Brust mit beklommener Angst.

Sobald die Thüre geöffnet war, stieg Mr. Ramsdens Bedienter aus, um seinen Brief an den Vorstand der Anstalt abzuliefern. Doktor Beddington war nicht zu Hause, sondern hatte seinen dreiwöchentlichen Urlaub angetreten und beschäftigte sich eben emsig in dreißig Meilen weiter Entfernung mit seiner Fischerruthe. Die Wärter besorgten jedoch die Aufsicht, und da Ramsdens Diener Mrs. Forsters Geisteskrankheit mit der Angabe bezeugte, daß sie von seinem Herren geschickt werde, so wurde ihrer Aufnahme kein Hinderniß in den Weg gelegt. Ein paar Minuten später erschien der Diener mit zwei Wärtern, welche Mrs. Forster aus der Chaise hoben und sie nach einem Empfangzimmer brachten, wo sie der Ankunft des Doktor Beddington entgegensah. Der Bediente, der keine weiteren Aufträge hatte, ließ den Brief an den Doktor da und kehrte in der Chaise nach Overton zurück.

Nach dem Verlauf einer Viertelstunde fragte Mrs. Forster einen der Wärter, welcher sehr zu ihrem Verdrusse dicht neben ihr Platz genommen hatte, wenn es wohl dem Doktor zu kommen belieben werde.

»Er wird gelegentlich schon kommen, meine gute Frau. Wie fühlt Ihr Euch jetzt?«

»Sehr kalt – in der That sehr kalt,« versetzte Mrs. Forster schaudernd.

»Ueber dies beklagen sich die armen Narren immer. Ist's nicht so, Jim?« bemerkte ein anderer Hüter, der eben eingetreten war. »Wo können wir sie unterbringen?«

»Ich habe Tom abgeschickt, damit er Nr. 14 bereit halte.«

»Ei, ihr glaubt doch nicht, daß ich toll bin?« rief Mrs. Forster entsetzt.

»So, gemach – so – so,« sagte der neben ihr sitzende Wärter, indem er sie pätschelte, als wollte er ein widerspenstiges Kind beruhigen.

Mrs. Forsters Ungestüm, als sie entdeckte, daß man sie als eine Wahnsinnige betrachte, galt den Wärtern als vollständiger Beweis für die Aussage von Mr. Ramsdens Diener; wir wollen uns jedoch nicht länger bei der nun folgenden Scene aufhalten. Nach einem vergeblichen Kampfe fand sich Mrs. Forster in Nr. 14 eingeschlossen, und ihren eigenen Betrachtungen überlassen. Die vorausgehenden Auftritte im Verein mit der Behandlung, welche sie in dem Irrenhause erhielt, gaben Anlaß zu einer solchen Aufregung, daß sie vor dem nächsten Morgen von einem Hirnfieber befallen wurde und in ihrem Delirium so laut raste, als irgend ein anderer der hier eingeschlossenen Unglücklichen.


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