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Fünfzigstes Kapitel.

In welchem hoffentlich die Geschichte zur Zufriedenheit der Leser schließt.


Es dauerte lange, bis der Arzt den besinnungslosen Mr. Austin wieder ins Bewußtsein zu rufen vermochte; aber seine Wiederkehr zum Leben war nicht zugleich eine Wiederkehr zur Vernunft. Er wütete und tobte, so daß der Doktor den Anfall für ein Hirnfieber erklärte. In seinen unzusammenhängenden Reden vernahm man häufig den Namen Byres, und sobald sich der Arzt entfernt hatte, hieß Mrs. Austin alle Diener, Mary ausgenommen, das Zimmer verlassen. Sie gehorchten nicht ohne Widerstreben, denn ihre Neugierde war geweckt, und es gab nun ein Achselzucken, Flüstern, Mutmaßen und Wiederholen der Worte, die den Lippen ihres irren Gebieters entwischt waren; kurz, alles wollte wissen, daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zugehe. Inzwischen blieben Mrs. Austin und Mary bei dem Kranken; es war gut, daß man das Gesinde entfernt hatte, wenn man sie nicht gleich das ganze Geheimnis wissen lassen wollte, denn Austin schien jetzt die ganze Scene neu zu durchleben. Er klagte sich selbst des Mordes an, sprach von seinem Sohne, seinen Gewissensbissen, und dann mochte er wohl mit Byres zu kämpfen vermeinen, denn er ballte die Fäuste, lachte und kicherte, und brach zuletzt in bittere Wehklagen über die That aus, die er begangen hatte.

»O Mary, wie wird dies enden?« rief Mrs. Austin nach einem dieser Paroxysmen.

»Wie die Schuld immer enden muß, Madame«, versetzte Mary, in Thränen ausbrechend und ihre Hände zusammenschlagend – »in Elend und Jammer.«

»Meine liebe Mary, betrübe Dich nicht länger in dieser Weise; Du gehörst nicht mehr zu den Schuldigen.«

»Dann auch mein Gebieter nicht, Madame, denn ich bin überzeugt, er hat gleichfalls bereut.«

»Ja wohl hat er bereut, und aus aufrichtigem Herzen bereut! Eine einzige übereilte Handlung hat ihm sein ganzes Leben verbittert. Er ist seitdem nie wieder froh geworden und wird's auch nicht werden, bis er im Himmel ist.«

»Ach, welch eine glückliche Erleichterung würde dies nicht für ihn sein!« entgegnete Mary. »Wäre es doch mit mir auch so weit, wenn ein solcher Wunsch nicht sündig ist.«

»Mary, Du mußt mein Elend nicht noch erhöhen, indem Du in dieser Weise sprichst; ich bedarf jetzt Deines Trostes und Beistandes.«

»Sie haben recht, alles von mir zu verlangen, Madame«, versetzte Mary, »und ich will wahrhaftig mein Bestes thun. Freilich haben mich oft schon solche Gefühle überwältigt, und ich danke Gott dafür, denn sie dienen zu meiner Demütigung.«

Das Fieber hielt viele Tage an, und während dieser Zeit wurde Mr. Austin von seiner Frau und von Mary gepflegt. Die letztere hatte unserm Helden geschrieben und ihm den Grund namhaft gemacht, der sie abhielt, in den Stunden der Bitterkeit an seiner Seite zu sein. Er gab ihr zur Antwort, er habe aus sicherer Quelle die Nachricht, daß das Deportationsschiff erst nach einigen Wochen abgehe; sie solle daher seiner Mutter Beistand leisten, bis sich die gefährliche Krankheit seines Vaters auf die eine oder andere Weise entschieden habe; er sei vollkommen beruhigt, wenn sie ihn nur noch vor seiner Abreise besuche, um ihre Vermögensangelegenheiten ins reine zu bringen und ihr vor seiner Abreise gesetzliche Vollmacht erteilen zu können, daß sie in seinem Namen handeln dürfe. Er teilte ihr noch ferner mit, er habe eine Ankündigung in den Londoner Blättern gelesen, die augenscheinlich von seinen Freunden zu Portsmouth herrühre und jedem, der Auskunft über ihn erteile, eine schöne Belohnung anbiete – er fürchte, einige, die im Gerichtshofe gegenwärtig gewesen seien, möchten dies lesen und seine Lage bekannt machen; dann bat er noch Mary, ihm wo möglich jeden Tag, wäre es auch nur ein paar Zeilen, zu schreiben und die teure Mutter seiner innigen Liebe zu versichern. Mary willfahrte allen Wünschen unseres Helden und ließ keinen Tag entschwinden, ohne ihm wenigstens ein paar Zeilen zu schreiben. Da fanden es nun auch die übrigen Domestiken heraus und machten es bekannt, daß ein täglicher Briefwechsel mit einem Arrestanten im Exetergefängnisse stattfinde, was das Geheimnisvolle von Mr. Austins Zustand nur noch erhöhte. Viele Besuche fuhren vor und gaben Karten im Schlosse ab; wenn wir aber nachforschen wollten, was der Beweggrund dazu war, ob Neugierde oder Teilnahme, so müßten wir zu finden fürchten, daß in den meisten Fällen die erstere den Haupthebel bildete. Unter andern versäumten auch O'Donahue und M'Shane nicht, jeden Tag Nachfrage halten zu lassen, denn sie sahen ängstlich der Zeit entgegen, in welcher sie Austin bereden konnten, seinem Kinde Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Endlich trat, wie die Ärzte vorausgesetzt hatten, die Krisis ein, und Austin kam wieder zur Vernunft; zu gleicher Zeit waren aber auch alle Hoffnungen vorüber, daß er je wieder das Bett werde verlassen können. Diese Nachricht wurde seiner Gattin mitgeteilt, welche weinte und wünschte, aber sich nicht getraute, ihre Wünsche laut werden zu lassen. Mary ersah jedoch, als Mrs. Austin das Zimmer verlassen hatte, die Gelegenheit, um dem Kranken, der vor Schwäche kaum zu sprechen im stande war, zu sagen, daß die Zeit bald kommen werde, die ihn vor einen höheren Richterstuhl rufe, und beschwor ihn bei seinen Hoffnungen auf Vergebung, nun die Welt vor seinen Augen dahinschwinde, allen Stolz beiseite zu setzen und seinem Sohne diejenige Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die dessen edles Benehmen gegen den Vater heische. Er solle vor seinem Tode entweder schriftlich oder in Gegenwart von Zeugen ein Bekenntnis ablegen, das die Unschuld seines einzigen Kindes bekunde und dasselbe in den Stand setze, Namen und Eigentum zu erben.

Es kostete Mr. Austins stolzes Herz einen langen und schweren Kampf, ehe er sich zu diesem Akte der Gerechtigkeit entschließen konnte. Mary hatte ihn früh am Morgen auf die Billigkeit eines solchen Schrittes aufmerksam gemacht, und erst spät am Abend, nachdem Austin den ganzen Tag stumm und mit geschlossenen Augen dagelegen, winkte er seiner Gattin, sich zu ihm niederzubeugen, und flüsterte ihr zu, sie solle nach einem Friedensrichter schicken. Dieser Aufforderung wurde alsbald Folge geleistet, und nach einer Stunde erschien ein Beamter, mit welchem Austin auf gutem Fuße gestanden hatte. Der Kranke machte seine Angabe in wenigen Worten und mußte von Mary unterstützt werden, während er das Papier unterzeichnete. Es war geschehen, und als sie die Feder aus seinen Fingern nehmen wollte, fand sie, daß sie noch festgehalten wurde und sein Kopf zurückgesunken war; der Kampf zwischen seinem Stolz und diesem Akte der Pflicht war zu überwältigend für seinen geschwächten Zustand gewesen; er lag da, eine Leiche, noch ehe die Tinte seiner Unterschrift Zeit zum Trocknen gehabt hatte. Der Gentleman, welcher in seiner Eigenschaft als Magistratsperson beigezogen worden war, hielt es für rätlich, sich von dem Schauplatze des Jammers zu entfernen, ohne den Versuch zu machen, Mrs. Austin in ihrer gegenwärtigen Betrübnis um weitere Erklärungen anzugehen. Er hatte sich zur Zeit, als er berufen wurde, in O'Donahues und M'Shanes Gesellschaft befunden, und bei dieser Gelegenheit wurden Mr. Austins Krankheit und die vielen umlaufenden Gerüchte besprochen. O'Donahue und M'Shane hatten zwar das Geheimnis bewahrt, baten aber doch ihren Freund, als nach demselben geschickt wurde, er möchte wieder zu ihnen zurückkehren, da sie sich denken könnten, was man von ihm drüben verlangen werde. Der Beamte willfahrte ihrem Gesuche und teilte ihnen mit, was vorgefallen war.

»Wir brauchen also keine Zeit mehr zu verlieren«, sagte M'Shane; »wenn Sie erlauben, will ich mir eine Abschrift von dieser Angabe fertigen.«

O'Donahue ging nun auf eine kurze Erzählung aller Umstände ein, wobei er dem Benehmen unseres Helden die gebührende Anerkennung zuteil werden ließ, und sobald die Abschrift durch den Friedensrichter beglaubigt war, ließ M'Shane Pferde einspannen und brach mit dem General nach London auf. Es war Mitternacht, als sie daselbst anlangten; demungeachtet aber suchten sie Trevor alsbald in seiner Wohnung auf und übergaben das Dokument seinen Händen.

»Gut, Major M'Shane; ich würde mit Freuden sogar vom Krankenlager aufgestanden sein, um dieses Papier in Empfang zu nehmen. Wir müssen morgen den Staatssekretär besuchen, und ich zweifle nicht, daß der arme Junge alsbald auf freien Fuß gesetzt und zur Übernahme der Güter legitimiert werden wird. Der junge Mann gereicht dem Lande zur Ehre.«

»Ja, er ist eine Ehre für Alt-England«, versetzte M'Shane; »aber jetzt will ich Ihnen gute Nacht wünschen.«

Bevor sich M'Shane zu Bett begab, schrieb er noch einen Brief an Mrs. Austin, in dem er sie von seinen bisherigen Schritten wie auch von Mr. Trevors Absicht in Kenntnis setzte, und ließ sodann die Botschaft durch einen Expressen bestellen; er hatte sich dabei einfach auf Thatsachen ohne weiteren Kommentar beschränkt.

Wir müssen nunmehr nach Portsmouth zurückkehren. Die Ankündigung des Mr. Small entging dem scharfen Auge des Polizeibeamten, der unseren Helden festgenommen hatte, nicht. Der Leser wird sich erinnern, daß die Verhaftung so ruhig vor sich gegangen war, daß niemand des Umstandes gewahr wurde, und da eine Belohnung von hundert Pfund eine recht hübsche Zugabe zu den bereits erhaltenen zweihundert war, so brach der Mann alsbald, den Außensitz einer Postkutsche benützend, nach Portsmouth auf und stellte sich Mr. Small vor, den er mit Mr. Sleek im Kontor traf. Er zögerte nicht, den Zweck seines Besuchs namhaft zu machen, und Mr. Small sah seiner Eröffnung mit solcher Ungeduld entgegen, daß er alsbald einen Wechsel in gedachtem Betrage unterzeichnete und dem Polizeidiener einhändigte, der nun derb herausplatzte, unser Held sei wegen Mordes vor Gericht gestellt und zur Deportation verurteilt worden, denn sein wahrer Name sei Rushbrook, und nicht O'Donahue.

Dies war für Mr. Small ein schwerer Schlag. Nachdem er sich von dem Polizeidiener alle Einzelnheiten hatte angeben lassen, entließ er ihn und beriet sich eine Weile mit Mr. Sleek; bei dieser Gelegenheit kamen sie zu der Überzeugung, es sei unmöglich, die Thatsache länger zu verheimlichen, und daher am zweckmäßigsten, wenn sie Mrs. Philipps und Emma alsbald damit bekannt machten, um so mehr, da Emma zugestanden hatte, unsern Helden bedrücke ein Geheimnis, von dem er ihr einen Teil anvertraut habe.

Mrs. Philipps erhielt zuerst die betreffende Kunde und war ganz untröstlich darüber. Es dauerte einige Zeit, ehe sie mit sich ins klare kommen konnte, ob man Emma in ihrem geschwächten Zustande die traurige Nachricht mitteilen sollte; indes hatte das arme Mädchen schon so viel durch die Ungewißheit gelitten, daß man es endlich für geraten hielt, mit der Eröffnung nicht weiter zu zögern. Man leitete dieselbe mit möglichster Vorsicht ein; indes wurde Emma durch die Mitteilung nicht so sehr erschüttert, als man vermutet hatte.

»Ich war auf dies oder etwas Ähnliches gefaßt«, versetzte sie, in den Armen ihrer Mutter Thränen vergießend, »aber ich kann nicht glauben, daß er die That begangen hat; er beteuerte schon als Kind seine Unschuld und ist seitdem von seiner Aussage nie abgewichen. Mutter, ich muß – ich will zu ihm gehen und ihn besuchen.«

»Ihn besuchen, mein Kind? Er ist im Gefängnis.«

»Verweigere mir's nicht, Mutter, denn Du weißt nicht, was ich fühle – nein, Du weißt es nicht – denn mir selbst war es bis auf den gegenwärtigen Augenblick unbekannt, wie sehr ich ihn liebe. Ich muß und will ihn sehen. Teuerste Mutter, wenn Dir mein Leben wert ist, wenn Du mich nicht zum Wahnsinn treiben willst, so laß mich gewähren.«

Mrs. Philipps fand, daß alle Vernunftgründe nichts verfangen würden, und beriet sich deshalb mit ihrem Bruder, welcher sich, nachdem er gleichfalls Emma vergeblich Vorstellungen gemacht hatte, endlich dahin entschied, man solle ihrer Bitte willfahren. Er begleitete selbst seine Nichte, und da sie noch denselben Tag aufbrachen und die ganze Nacht durch reisten, so langten sie am Morgen zeitig zu Exeter an.

Mrs. Austin hatte sich inzwischen in großem Jammer befunden. Ihr Gatte war tot. Sie glaubte zwar, daß er seine Schuld bekannt hatte, wußte aber nicht, bis zu welcher Ausdehnung, denn weder sie noch Mary hatten gehört, was zwischen ihm und dem Friedensrichter vorgegangen war. Sie hatte niemand, dem sie vertrauen oder der sie trösten konnte, als Mary. Sie dachte daran, den Friedensrichter rufen zu lassen, aber dies schien ihr unschicklich – mit einem Worte, sie war voll Angst und Bedenken. Mit M'Shanes Brief aber, der am andern Nachmittag anlangte, fühlte sie, daß ihr auf einmal ein Stein vom Herzen genommen. Jetzt war sie überzeugt, daß ihr Sohn gerettet sei.

»Liebe Mary, lies dies – er ist geborgen,« rief sie. »Gott im Himmel, blicke gnädig nieder auf die Dankesthränen einer armen Mutter!«

»Können Sie mich nicht entbehren, Madame?« versetzte Mary, den Brief zurückgebend.

»Dich entbehren? O ja – hurtig, Mary, verliere keinen Augenblick und nimm diesen Brief mit Dir. O, mein lieber, teurer Joey!«

Mary ließ sich dies nicht zweimal sagen; sie schickte nach Postpferden, und in einer halben Stunde befand sie sich auf dem Wege nach Exeter. Da sie mit der gleichen Eile reiste, wie Emma und ihr Onkel, so langte sie nur wenige Stunden nach denselben an.

Unser Held hatte sehnsüchtig auf Marys tägliche Mitteilung gewartet; die Briefe waren ausgetragen und noch immer nichts angekommen. Blaß und abgezehrt von der langen Gefangenschaft und dem Kummer seiner Seele schritt er eben auf und ab, als die Riegel zurückgeschoben wurden und Emma, von ihrem Onkel unterstützt, in die Zelle trat. Bei ihrem Anblicke stieß unser Held einen lauten Schrei aus und wankte gegen die Mauer zurück; er hatte augenscheinlich seine Fassung ganz verloren.

»O!« rief er, »dies hätte mir erspart bleiben sollen, denn eine solche Strafe habe ich nicht verdient. Emma – hören Sie mich – so wahr ich auf meine ewige Seligkeit hoffe, ich bin unschuldig. Ja, ich bin's – ich bin's!«

Und damit sank er besinnungslos auf das Pflaster nieder.

Mr. Small richtete ihn auf und brachte ihn nach dem Bette. Eine Weile später kam er wieder zu sich, blieb aber in krampfhaftem Schluchzen liegen.

Emma saß neben ihm, und Thränen rollten ihr über die bleichen Wangen herab. Sobald er sich mehr gefaßt hatte, redete sie ihn mit ruhiger Stimme an.

»Ich fühle, ich bin überzeugt, daß Sie unschuldig sind, sonst würde ich nicht hier sein.«

»Gott segne Sie dafür, Emma, Gott segne Sie dafür! Diese wenigen Worte geben mir mehr Trost, als Sie sich denken können. Ist es nicht schwer, als ein Verbrecher behandelt, der Schande preisgegeben und nach einem fernen Lande verbannt zu werden – und zwar in demselben Augenblick, als ich voll Seligkeit mir die schönste Zukunft träumte? Doch ich kann dabei nicht verweilen. Nicht wahr, Emma, es ist schwer zu ertragen – und was könnte mir zur Stütze gereichen, als das Bewußtsein meiner Unschuld und die Überzeugung, daß Sie, die ich so innig liebe und die ich jetzt für immer verliere, an meine Unschuld glauben. Ja, es ist Balsam für ein wundes Herz, ein himmlischer Trost, und ergebungsvoll kann ich mich jetzt in den Willen Gottes fügen.«

Emma brach in Thränen aus, indem sie das Antlitz auf Joeys Schultern lehnte. Nach einer Weile sprach sie:

»Bin ich nicht gleichfalls zu beklagen? Ist es nichts, zärtlich, aufopfernd, ja bis zum Wahnsinn zu lieben – mein Herz, mein Sinnen und Denken, mein ganzes Dasein einem einzigen Gegenstand geweiht zu haben – (denn warum sollte ich's jetzt verhehlen?) – in Träumen einer heitern Zukunft glücklich gewesen zu sein – das alles dahin, wie ein Nebelbild, das eine so schreckliche Wirklichkeit zurückläßt? Sie müssen mir ein Versprechen geben – Sie werden jener Emma nichts abschlagen, die bei der ersten Begegnung mit Ihnen an Ihrer Seite kniete, wie sie jetzt neben Ihnen kniet.«

»Ich darf nicht, Emma, denn mein Herz sagt mir, daß Sie mir einen Schritt vorschlagen wollen, der nicht geschehen darf – – wir müssen jetzt scheiden, scheiden für immer!« –

»Für immer? für immer?« rief Emma aufspringend, »nein! nein! – Onkel, er sagt, ich müsse mich für immer von ihm trennen. Wer ist das?« fuhr das Mädchen außer sich fort. »Mary? ja, sie ist's! Mary, er sagt, ich müsse mich für immer von ihm trennen!« (Es war wirklich Mary, die eben in die Zelle getreten war.) »Muß ich wirklich, Mary?«

»Nein – nein!« versetzte Mary. »Nicht doch! er ist gerettet und seine Unschuld erwiesen; er ist der Ihrige für immer!«

Wir versuchen es nicht, die nun folgende Scene zu schildern, da wir sie nur in dürftigen Umrissen zu geben vermöchten, sondern lassen den Tag hinschwinden, in dessen Verlauf Emma, Joey, Mr. Small und Mary beisammenblieben. Sie hatten die Thränen des Jammers abgewischt, um die der Freude entströmen zu lassen, welche jetzt in ihren glücklichen Gesichtern leuchtete.

Am andern Morgen langten M'Shane und O'Donahue an. Der Staatssekretär hatte alsbald Befehl zur Befreiung unseres Helden erlassen, und sie brachten das Dokument mit sich. Am folgenden Tage befanden sich alle auf dem Wege, Emma und ihr Onkel nach Portsmouth, wo sie sehnsüchtig die Ankunft unseres Helden erwarteten, sobald er seine kindlichen Pflichten vollzogen hatte.

Der Leser kann sich die Freude denken, welche Mrs. Austin empfand, als sie ihr gerettetes Kind in den Armen hielt, und wie glücklich sich Mary fühlte über seine ehrenvolle Freisprechung; ebenso überlassen wir's ihm, sich die Neugierde und Verwunderung der Domestiken, die Klatschsucht und Umträgerei der Nachbarschaft auszumalen. Drei Tage reichten zu, sämtliche Vorfälle in die Öffentlichkeit zu bringen, und Joey erschien von nun an in dem poetischen Gewande eines Romanhelden. Am vierten Tage begleitete er die Überreste seines Vaters als Hauptleidtragender zu Grabe. Das Leichenbegängnis war prunklos, aber anständig; die benachbarte Gentry nahm weder in Person noch durch die Equipagen Anteil. Unser Held war ganz allein; aber als die Bestattung vorüber war, wurde dieser Mangel an Achtung gegen das Andenken seines Vaters mehr als gut gemacht durch die freundlichen Rücksichten, die man dem Sohne erwies, welchen man mit Wärme und doch mit Zartheit als den künftigen Eigentümer des Schlosses bewillkommnete.

Drei Monate waren entschwunden, da bemerkte man ein großes Gedränge vor der Wohnung des Flottenagenten Mr. Small zu Portsmouth. Es war große Gesellschaft versammelt: die O'Donahues, die M'Shanes, die Spikemans und viele andere. Mrs. Austin, die um zehn Jahre jünger aussah, war gleichfalls zugegen, und Mary bediente sie bei ihrer Toilette, beide halb lächelnd, halb in Thränen, denn es war der Hochzeitsmorgen unseres Helden. Mr. Small stolzierte in weißen Kniehosen umher, und Mr. Sleek übersprudelte jedermann, der ihm nahe kam. Die Prozession ging nach der Kirche, und bald nach der Feierlichkeit trennte sich ein Pärchen von der Gesellschaft, um nach dem Schlosse zu fahren. Was aus den andern wurde, ist von geringem Belang.

Wir sind nun bei dem Schlusse der Geschichte von dem kleinen Joey Rushbrook, dem Wilddiebe, angelangt und haben nur noch beizufügen, daß sich der Charakter unseres Helden nicht verschlimmerte, als er älter und Vater einer Familie wurde. Das Schloß ist in großem Rufe wegen seiner Gastfreundschaft, der Liebenswürdigkeit seiner Bewohner und der Kunst, welche sie besaßen, andere Leute glücklich zu machen. Mary blieb bei ihnen, mehr als vertraute Freundin, denn als Dienerin. In der That besaß sie auch jetzt ein so hübsches Vermögen, daß sie mehrere Heiratsanträge erhielt, welche sie jedoch unabänderlich zurückwies, indem sie mit der wahren Demut eines zerknirschten Herzens bemerkte, sie sei eines wackern und rechtschaffenen Mannes unwert. Jedermann, sogar diejenigen, welche ihre Geschichte kannten, dachte anders; aber Mary beharrte fest auf ihrem Vorsatze.

Was die übrigen in diesen Blättern aufgeführten Personen betrifft, so gingen sie mit dem durchschnittlichen Anteil von Glück durchs Leben, und das ist alles, was sich erwarten läßt.

Am Schlusse haben wir nur noch eine Bemerkung zu machen. Wir haben in dieser Geschichte gezeigt, wie ein junger Mensch, der seine Laufbahn mit Wilddieberei begann, zuletzt ein vornehmer Herr mit einem Vermögen von siebentausend Pfund jährlicher Renten wurde; wir müssen indes unsere freundlichen Leser daran erinnern, daß hieraus nicht folgt, jeder, der also beginnt, werde in gleicher Weise vom Glücke begünstigt. Wir raten ihnen daher, es nicht zu versuchen, denn sie könnten statt zu siebentausend Pfund Renten nach einem Orte gelangen, dem unser Held nur mit knapper Not entrann – nämlich nach einem gewissen Teile von Ihrer Majestät überseeischen Besitzungen, die man in letzter Zeit Australien nennt, obgleich sie unter der Bezeichnung Botany-Bai Botany-Bai wird seit ca. 50 Jahren nicht mehr als Deportationsort benutzt. allgemeiner bekannt sind.

 

Ende.

Druck von Greßner & Schramm, Leipzig.

 

 


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