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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Handelt von dem wissenschaftlichen Standpunkte des Kesselflickens und der Kunst, Depeschen zu schreiben.


Sie mochten etwa zwei Meilen weit gekommen sein, als der Kesselflicker sagte:

»Komm, mein Junge, wir wollen jetzt Platz nehmen und ein wenig ausruhen, denn es ist Mittag vorbei, und Du mußt vom Schieben des Karrens müde sein. Ich hätte ihn Dir längst abgenommen, aber ich fühle mich in Kopf und Schultern noch etwas steif; die Galgenstricke haben mir schlimmer mitgespielt, als ich gedacht habe. Dies ist ein hübsches Plätzchen. Ich sitze gern unter einem Baume, der nicht allzusehr belaubt ist, wie die Esche da. 's ist so angenehm, da und dort die Sonnenstrahlen auf dem grünen Grase spielen und zittern zu sehen, wenn die Blätter im Winde rauschen. Legen wir uns nieder und kümmern uns den Henker um die Welt. Ich bin ein Philosoph – weißt Du, was das heißen will?«

»Nicht ganz – aber ich denke mir, man versteht darunter einen sehr gescheiten und wackern Mann; ist's nicht so?«

»Nein, nicht ganz; ein Philosoph braucht nicht gerade sehr wacker und sehr gescheit zu sein. Man versteht darunter einen Menschen, der sich durch nichts kränken läßt und sich um nichts kümmert, der sich mit wenigem begnügt und keinen Menschen beneidet, um wie viel derselbe auch besser daran zu sein scheint; das ist wenigstens meine philosophische Schule. Du sperrst die Augen auf, Knabe, daß Du einen Kesselflicker so sprechen hörst – und ich begreife es wohl; aber Du mußt wissen, daß ich nur aus Liebhaberei Kesselflicker bin. Ich hab's in früherer Zeit mit vielen anderen Professionen versucht, aber sie sind mir alle zum Ekel geworden.«

»Mit welchen anderen Professionen habt Ihr Euch denn abgegeben?«

»Ich bin gewesen – laß mich einmal sehen, denn ich hab's fast wieder vergessen; doch ich muß mit dem Anfang beginnen. Mein Vater war ein Gentleman, und ich war's auch, wenigstens der Sohn eines Gentleman, bis ich vierzehn Jahr alt wurde. Als mein Vater starb, war's mit dieser Profession zu Ende, denn er hinterließ mir nichts, und meine Mutter gab mich auf, als sie wieder heiratete. Sie schickte mich in eine Schule; der Schulmeister behielt mich ein Jahr lang in getroster Hoffnung der Bezahlung; da jedoch meine Mutter nichts von sich hören ließ und er nicht wußte, was er mit mir anfangen sollte, so stellte er mich zuletzt (denn er war ein freundlicher Mann) als Unteraufseher an; denn Du mußt wissen, daß ich eine gute Erziehung genossen hatte und mich inbetreff meiner Fähigkeiten recht ordentlich für die Stelle qualifizierte. Indes war es immerhin ein Rückschritt, von dem Sohne eines Gentleman zum Unterlehrer einer Schule herabzusinken, und ich war damals noch kein Philosoph. Ich durfte dem Schulmeister, seiner Frau, den Hilfslehrern und den Pensionären des ersten Tisches mit Röstschnitten aufwarten, aber nicht selbst davon essen; ich lehrte die kleinen Knaben die lateinische, griechische und englische Grammatik, aber meine Schüler schnitten mir Gesichter und besteckten den Sitz meines Stuhles mit krummen Nadeln; ich marschierte an der Spitze des Zuges, wenn die Zöglinge ins Freie geführt wurden, und ging hintendrein, wenn es Zeit war, zu Bette zu gehen. Kurz, was unangenehmes vorkam, wurde mir zugeschoben, ohne daß man mich an dem Behaglichen hätte teilnehmen lassen. Ich mußte zuerst aufstehen und wurde für alle Mängel verantwortlich gemacht. Ich hatte die garstigen Höslein der Schüler zu visitieren und mußte alle Wochen Zwiesprache halten mit dem Flickschneider, ob die Reparatur noch möglich war. Gackerte ein Huhn, so mußte ich laufen, daß die Knaben das Ei nicht stahlen. Eine weitere Obliegenheit war, den Kindern der Schulmeisterin die Nasen zu putzen und sie zu tragen, wenn sie schrieen. Wurde ein Glas zerbrochen, so mußte ich's bezahlen, falls ich den Schuldigen nicht entdeckte. Ich hatte für alle schlimmen Gerüche, für allen Lärm, für alle verspritzte Tinte einzustehen, sollte für sämtliche Schüler die Federn schneiden und während des Gottesdienstes hundert Knaben still und aufmerksam erhalten. Für alles dieses erhielt ich vierzig Pfund des Jahres, an denen ich mir noch bedeutende Abzüge gefallen lassen und daneben meine Wäsche selbst bestreiten mußte. Ich blieb zwei Jahre, und während dieser Zeit gelang es mir, ungefähr sechs Pfund zu ersparen; mit dieser Habe ging ich an einem schönen Morgen auf Reisen, fest überzeugt, daß ich's, was da kommen möchte, nicht schlechter treffen könnte.«

»Dann waret Ihr ungefähr in derselben Lage, in der ich mich jetzt befinde«, sagte Joey lachend.

»Kann sein; nur war ich ein bischen älter, sollt' ich meinen. Ich trat mit den schönsten Hoffnungen in die Welt, fand aber bald, daß man nirgends gut erzogene Leute brauchte – das war völlig unnütze Ware. Endlich erhielt ich einen Platz als Kellner in einem Posthause an der Landstraße, wo ich mich den lieben langen Tag nach dem Rufen der Klingeln in Bewegung setzen mußte und wo stets der heiße Grog unter meiner Nase duftete; ich eilte bei jedem Klingelrufe, aber der Oberkellner nahm das ganze Trinkgeld. Indes, ich machte da Bekanntschaften, und am Ende kriegte ich einen Platz als Buchhalter bei einem Kornmäkler, dessen Rechnungen ich führte. Als er bankrott machte, geriet ich in die Hände eines Müllers, bei welchem ich die ganze Zeit meines Dienstes über am ganzen Leibe wie gepudert ging. Ich blieb bei ihm, bis mir ein Kohlenhändler einen Antrag machte – das war ein Übergang von Weiß zu Schwarz, aber jedenfalls ein besserer Platz. Dann verdankte ich einem bloßen Zufalle die Stelle eines Buchhalters an Bord einer Vierzehnkanonenbrigg und kreuzte sechs Monate im Kanal; da ich übrigens fand, wie geringe Aussichten ich hatte, selbst Proviantmeister zu werden, desgleichen auch der enge Raum und die Mannszucht auf einem Kriegsschiffe mir verhaßt war, so strich ich mein erstes Gehalt ein und ging durch die Latten. Dann wurde ich Ladendiener bei einem Schnittwarenhändler – das war ein verwünschter Posten, denn wenn die Kunden nicht kaufen wollten, so mußte ich allein daran schuld sein; außerdem hatte ich meinem Herrn die Stiefel und meiner Frau die Schuhe zu putzen; dann kriegte ich bloß die Überbleibsel, die ich in der Küche mit einem schlappschuhigen, schielenden Dienstmädchen verzehren mußte, und dabei erwies die letztere mir noch die Ehre, sich in mich zu verlieben. Dann wurde ich Magazinsdiener; aber bald benützte man mich auch als Lastträger, ich hatte zu schleppen, daß mir fast der Rücken brach. Endlich erhielt ich die Stelle eines Aufsehers in dem Magazine eines Messerschmiedes, und da ich in dieser Eigenschaft oft auch in die Werkstätten geschickt wurde, so lernte ich etwas von der Profession. Ich faßte den Entschluß, hier nicht lange zu bleiben, und gab daher fleißig acht, ließ mir auch hin und wieder von den Gesellen etwas zeigen, bis ich fand, daß ich recht gut auf eigene Faust fortkommen könnte – denn Du siehst, 's ist eigentlich doch ein sehr einfaches Geschäft.«

»Ein wandernder Kesselflicker hat aber doch keine so achtbare Stellung, als die war, welche Ihr an Euren früheren Plätzen behauptet habt«, versetzte Joey.

»Da muß ich recht sehr um Verzeihung bitten, mein guter Junge. Ich habe oft ernstlich über diesen Gegenstand nachgedacht und bin zu folgendem Schlusse gekommen: – was ist die beste Profession in unserer armseligen Welt? – die eines Gentleman. Er arbeitet nicht, hat die Freiheit, hinzugehen, wohin ihm beliebt, wird nicht beaufsichtigt und ist sein eigener Herr. Mancher hält sich für einen Gentleman, dem es ganz an den unerläßlichsten Erfordernissen gebricht, welche zu dieser Profession gehören. Ein Beamter in der Schatzkammer oder bei den öffentlichen Behörden meint, er sei ein Gentleman; er mag's auch durch seine Geburt sein, ist's aber nicht durch die Profession; er ist nicht sein eigener Herr, sondern ebenso gut an sein Schreibepult gefesselt als ein Buchhalter in dem Kontor eines Bankiers oder in einem Laden. Ein Gentleman von Profession muß sein eigener Herr und unabhängig sein; wie wenige giebt's aber in dieser Welt, die dies von sich rühmen können! Soldaten und Seeleute müssen Ordre parieren, und deshalb zähle ich sie nicht unter die eigentlichen Gentlemen – das heißt unter die Gentlemen, was ich darunter verstehe. Ich zweifle sogar, ob der Premierminister darunter gerechnet werden kann, so lange man ihm die Kabinetssiegel nicht abgenommen hat. Verstehst Du mich, Knabe?«

»O ja, ich begreife wohl, was Ihr unter einem Gentleman versteht. Ich erinnere mich, von einem Neger gelesen zu haben, der nach England kam und sagte, das Schwein sei der einzige Gentleman im Lande, weil es das einzige lebende Wesen im Lande sei, das nicht arbeite.«

»Der Neger hatte nicht ganz unrecht«, fuhr der Kesselflicker fort. »Gut; nachdem ich lange Zeit hin und her überlegt hatte, kam ich zu dem Entschluß, weil ich einmal ein vollkommener Gentleman nicht sein könne, so wolle ich wenigstens etwas werden, was dem so nahe wie möglich kommt, und da schien mir denn die Stellung eines wandernden Kesselflickers die beneidenswerteste. Von dem Gewerbe verstand ich etwas; ich ersparte mir einiges Geld, um einen Scherenschleiferkarren zu kaufen, und nun treibe ich mich in dieser Eigenschaft an die zehn Jahre umher.«

»Und seid dabei immer noch derselben Ansicht, die Ihr Euch anfangs gebildet habt?«

»Allerdings, denn siehst Du, arbeiten muß ich einmal. Es fragt sich jetzt nur, was ist die leichteste Arbeit, die noch obendrein am besten bezahlt wird? Ich kenne kein Gewerbe, in welchem sich mit einem so geringen Kapitale und so geringer Mühe soviel erwerben ließe. Dann bin ich von keinem Menschen beaufsichtigt, habe meine Freiheit und Unabhängigkeit und gehe hin, wohin es mir beliebt, bleibe, wo es mir gefällt, arbeite, wenn ich mag, mache den Müßiggänger, wenn ich Lust dazu habe, und erfahre nie, was es heißt, ohne Nachtherberge zu sein. Nenne mir eine andere Profession, die sich des gleichen rühmen kann? Ich könnte vielleicht besser gekleidet sein und etwas achtbarer aussehen; aber solche Außendinge verachte ich, denn ich bin ein Philosoph. Ich verdiene, was ich bedarf, und brauche nur sehr wenig dafür zu arbeiten. An einem einzigen Tage kann ich so viele Messer und Scheren schleifen oder Kessel ausbessern, um eine ganze Woche davon zu leben; so bin ich z. B. mit einem Messer in zwei Minuten fertig und erhalte dafür zwei Pence. Wenn ich nun annehme, daß ich täglich zwölf Stunden arbeite und ich in der Minute einen Penny verdiene, so macht das täglich drei Pfund und jährlich nach Abzug der Sonntage neunhundertneununddreißig Pfund. Halte dagegen die jährlichen vierzig Pfund für die Plackerei in einer Schule, die enge Haft in einem Kontor oder die angestrengte Beschäftigung in was immer für einer Profession, und Du wirst sehen, wie verhältnismäßig gewinnreich meine Hantierung ist. Außerdem stehe ich unter keinem Menschen, brauche mich nicht da oder dort hin kommandieren zu lassen, was sogar einem General oder Admiral nicht erspart bleibt, habe weder vom Oberhause noch vom Unterhause Angriffe zu besorgen, wie der Premierminister, sondern brauche nur einen halben Tag zu arbeiten, um für die ganze Woche meine Bedürfnisse zu gewinnen. Ich kann daher mit Zuversicht behaupten, daß meine Profession der des Gentleman weit näher liegt als irgend eine mir bekannte.«

»Nach Eurer Behauptungsweise mögt Ihr wohl recht haben, aber Ihr seht wahrhaftig nicht danach aus«, versetzte Joey lachend.

»Das ist nur ein Vorurteil. Meine Kleider halten mich so warm, als ob sie nagelneu und aus den teuersten Stoffen wären; mein Essen schmeckt mir so gut, als es dem bestgekleideten Gentleman schmecken kann – vielleicht noch besser. Ich kann meinen Gedanken nachhangen, habe Muße, alle meine Lieblingsschriftsteller zu lesen, und bin in der Lage, neue Bücher zu kaufen. Außerdem ist es, da ich doch ein wenig arbeiten muß, ein gar angenehmes Gefühl, daß ich immer gesucht bin und von denjenigen respektiert werde, die mir Beschäftigung geben.«

»Respektiert? Wie so?«

»Weil man mich immer braucht und ich daher immer willkommen bin. Die kleineren Dinge im Leben sind's, welche einem ärgerlich werden, nicht die großen, und ein Kessel, durch den das Wasser sickert, oder ein Messer, das nicht schneiden will, giebt stets Anlaß zum Fluchen. Sofern nun die Leute ihre Verwünschungen auf den Kessel und das Messer häufen, so sehnen sie sich nach meiner Einkehr, und wenn ich komme, freuen sie sich, mich zu sehen, bezahlen mich gerne und sind froh, daß für kleine Unkosten ihre Messer wieder scharf und die Kessel, die man beiseite geworfen hat, wieder brauchbar sind. Ich liefere einen Beitrag zur Bequemlichkeit der Menschen, bin auch dem geringsten in der Hütte notwendig und werde deshalb gerne gesehen und geachtet. Und in der That, wenn man nur bedenkt, wie viele Flüche und Verwünschungen fallen, so oft jemand mit einem schlechten Messer hacken und sägen muß, und wie durch meinen Schleifstein die Ursache vieler Sünden gehoben wird, so denke ich, daß ein wandernder Kesselflicker vermöge seines moralischen Einflusses auf die Gesellschaft weit bedeutsamer wird als alle Pfarrer auf ihren Kanzeln. Du bemerkst auch, daß ich meine Profession nicht, wie so viele thun, durch eine Heirat herabgewürdigt habe.«

»Wie versteht Ihr das?«

»Ich halte an dem Grundsatze fest: was auch zu den Erfordernissen eines Gentleman gehören mag, so verliert er das kostbarste Aggregat seiner Profession, wenn er heiratet, denn er verliert seine Freiheit und kann nicht länger von sich sagen, daß er unter keiner Beaufsichtigung steht. Für andere Professionen mag es wohl recht sein, zu heiraten, denn die Welt muß bevölkert werden, aber ein Gentleman sollte es nie thun. Es ist zwar wahr, man kann's so einleiten, daß die Bürde zu Hause bleiben muß, aber dann hat man ein nutzloses und das Leben verbitterndes Anhängsel teuer zu bezahlen. Für mich, als einen wandernden Kesselflicker, ginge es übrigens schon vornweg nicht an, denn ich müßte meine Fessel durch Schmutz und Schlamm nachschleppen und würde auch eine ganz andere Aufnahme finden, als mir gegenwärtig zuteil wird.«

»Wie so?«

»Je nun, ein Mann, der allein durch das Land streift, findet für sich wohl Herberge und Unterkommen; anders verhält sich's aber, wenn er ein zerlumptes Weib und zwei oder drei schmutzige Kinder auf seinen Fersen hat. Wenn ein lediger Mann, welcher gesellschaftlichen Stellung er auch angehören mag, seine eigenen Wege geht, so findet er weit leichter Zutritt, als ein verheirateter – das kommt daher, weil die Weiber das Regiment führen, und wenn man auch einen Kesselflicker gern sieht, so hat man doch gegen sein Weib allerlei Mucken, da man sie bloß als die Trulle eines Kesselflickers betrachtet und auch als solche bezeichnet. – Nein, das ginge nicht – ein Weib würde meiner Respektabilität großen Abbruch thun und meine Sorgen um ein namhaftes vermehren.«

»Aber habt Ihr denn nirgends eine Heimat?«

»Nun ja, ich habe eine, in der Weise aller ledigen Männer von dem pavé, wie die Franzosen sagen – so eine Art Quartier, um mein Eigentum darin aufzubewahren, das sich nolens volens mehr und mehr bei mir anhäuft.«

»Und wo ist das?«

»In Dudstone, wohin ich jetzt gehe. Ich habe für sechs Pfund jährlich eine Stube, und die Hauswirtin giebt in meiner Abwesenheit auf alles acht. Und nun, mein Junge, wie heißest Du?«

»Joey Atherton«, antwortete unser Held, der mit sich einig geworden war, den Namen seiner Adoptivschwester Nancy anzunehmen.

»Gut, Joey; glaubst Du jetzt, daß meine Profession eine gute ist, und möchtest Du sie erlernen? Wenn Du Lust hast, so will ich Dich in die Lehre nehmen.«

»Ich will mich mit Freuden von Euch unterweisen lassen, denn wer weiß, wann es mir einmal nützlich werden kann, obschon ich nicht glaube, daß ich die Hantierung besonders gern in Ausübung bringen möchte.«

»Da wirst Du wahrscheinlich eine andere Ansicht kriegen; jedenfalls würde ich an Deiner Stelle es einmal probieren. In einem Monat oder so hast Du die Theorie aus dem Grunde los, und dann kommen wir an die Praxis.«

»Wie meint Ihr das?«

»Es nützt nichts, etwas anzufangen, wenn man nicht in der Theorie seiner Kunst guten Grund gelegt hat, und hierzu kommt man durch den Gebrauch seiner Augen. Zuerst brauchst Du gar nichts zu thun als zuzusehen; Du mußt acht geben, wenn ich ein Messer oder eine Schere schleife – mußt aufmerksam sein, wenn ich einen Topf löte oder einen Fleck auf einen Kessel setze; beobachte fleißig, wie ich beim Schleifen meine Hand drehe, wie ich beim Flicken das Blech hämmere und wie ich beim Löten die Werkzeuge erhitze. Nach einem Monat wirst Du Dir theoretisch eingeprägt haben, wie man die Sachen machen muß, und dann geht's an die Ausübung. Nur in einem Punkte mußt Du gleich in die Praxis übergehen, Du wirst nämlich den Schleifstein mit dem Fuße treten. Dies muß so mechanisch erlernt werden, daß Du gar nicht einmal mehr weißt, ob Du trittst, denn sonst kannst Du nicht Deine ganze Aufmerksamkeit der Schere oder dem Messer in Deiner Hand widmen.«

»Euer gegenwärtiges Leben, dieses Wandern von einem Orte zum andern, gefällt Euch also wirklich?«

»Das will ich meinen. Ich bin mein eigener Herr, reise, wenn ich Lust habe, bleibe, wo es mir gefällt, zahle keine Steuern und Taxen, bewahre mir ganz den Gentleman, nur den Anzug ausgenommen, und auch diesen kann ich mir jeden Augenblick zulegen, wenn's mir darum zu thun ist. Außerdem gehört meine Profession zu den philanthropischen; ich gehe umher, um Gutes zu thun, und habe die Mittel, einen Schimpf wie ein Despot zu rächen.«

»Wie so?«

»Je nun, siehst Du, wir wandernde Kunstgenossen gehen einander nie ins Gehege. Ich habe einen Bezirk von vielen Meilen im Umkreise, und bei meiner gewöhnlichen Reisemanier brauche ich ungefähr drei Monate, bis ich mich wieder an demselben Orte einfinde. Man muß also auf mich warten, wenn man sein Geschäft gethan haben will, denn die Leute können niemand anders kriegen. In einem Dorfe spielte man mir eines Sonnabends spät, als die Männer im Wirtshause waren, einen Possen, und die Folge davon war, daß ich das Dorf ein Jahr lang vermied. Man sandte mir dann eine Deputation, drückte die Hoffnung aus, ich werde das Vorgefallene vergessen, und ich ließ Gnade für Recht ergehen. Nie habe ich sonst ein Dorf gesehen, das also mit stumpfen Messern und alten Kesseln angefüllt gewesen wäre, wie dieses verfehmte.«

»Wie ist Euer Name?« fragte Joey.

»Augustus Spikeman. Mein Vater war Augustus Spikeman Esquire; ich war Master Augustus Spikeman, und nun bin ich Spikeman der Kesselflicker. Nun, wir wollen jetzt wieder aufbrechen. Ich habe nahezu das Ende meines Bezirks erreicht, und in zwei Tagen treffen wir in Dudstone ein, wo ich ein Quartier habe und wo wir wahrscheinlich ein paar Tage bleiben werden, ehe wir aufs neue wieder ausziehen.«

Gegen Abend gelangten sie nach einem kleinen Weiler, wo sie sich zu essen reichen ließen und übernachteten. Spikeman schliff und hämmerte hierauf emsig bis Mittag, und dann nahmen sie ihre Reise wieder auf. Am zweiten Tage erreichten sie Dudstone. Spikeman wartete vor dem Thore, bis es dunkel war, vertraute seinen Schleiferskarren einem Bierwirte an, mit dem er augenscheinlich gut bekannt war, ging dann mit Joey nach seiner Wohnung und führte ihn in seine Behausung ein.

Als unser Held die Wohnung seines Gastfreundes betrat, war er nicht wenig überrascht, ein geräumiges, helles, luftiges und sehr reinliches Gemach zu finden. Ein großes Bett, das in der Ecke stand, ein Sofa, ein Mahagonitisch, eine Kommode und Sessel bildeten das Ameublement; über dem Kaminmantel befand sich ein großer Spiegel, und die Wände waren mit mehreren Büchergesimsen verziert. Spikeman forderte Joey auf, sich zu setzen und ein Buch zu nehmen, worauf er nach Wasser klingelte, den fast halbzolllangen Bart abnahm, sich wusch, frisches Weißzeug anlegte und sich in einen sehr hübschen Anzug steckte. Sobald er vollständig umgekleidet war, konnte Joey kaum glauben, daß er dieselbe Person vor sich habe. Als er sein Erstaunen darüber ausdrückte, entgegnete Spikeman:

»Siehst Du, Junge, es ist niemand in dieser Stadt, dem meine eigentliche Profession bekannt wäre. Auszug und Rückkehr geschehen stets im Dunkeln, damit man den wandernden Kesselflicker nicht erkenne – nicht als ob ich mir gerade viel daraus machte, aber andere Leute machen sich etwas daraus, und ich respektiere ihre Vorurteile. Man weiß, daß ich mit Eisenwaren verkehre, und das ist alles. Ich mache mir's zur Regel, nach meinem Umgange ein wenig dem Vergnügen nachzugehen – ich lebe wie ein Gentleman, bis ein Teil meines Geldes fort ist, und dann breche ich wieder auf. Ich bin mit vielen sehr achtbaren Personen dieser Stadt bekannt, und das ist der Grund, warum ich sagte, ich könne Dir wahrscheinlich von Nutzen sein. Hast Du noch bessere Kleider?«

»Ja, viel bessere.«

»Dann ziehe sie an und bewahre Deine gegenwärtigen für unsere Wanderzüge auf.«

Joey that, wie ihm geheißen wurde, und Spikeman machte ihm den Vorschlag, eine Freundin zu besuchen, der er unseren Helden als seinen Neffen vorstellen wolle. Sie brachen auf und erreichten bald ein hübsch aussehendes Gebäude, an dessen Thüre Spikeman klopfte.

Die Thüre wurde durch eine der Töchter des Hauses geöffnet, die, als sie des Gastes ansichtig wurde, laut ausrief:

»O Himmel, Mr. Spikeman, sind Sie's? Ei, wo haben Sie denn so lange gesteckt?«

»Ich bin im Lande herumgezogen und habe Aufträge gesammelt, Miß Amelia«, antwortete Spikeman. »Man darf sein Geschäft nicht vernachlässigen.«

»Gut, kommen Sie herein; die Mutter wird sich freuen, Sie zu sehen«, versetzte das Mädchen, indem sie zu gleicher Zeit die Thüre des Besuchszimmers für die Gäste öffnete.

»Mr. Spikeman, so wahr ich lebe!« rief ein anderes Mädchen, das von seinem Sitze aufsprang und ihm die Hand reichte.

»Ei, Mr. Spikeman, 's ist ja ein Menschenalter, daß wir Sie nicht mehr gesehen haben«, sagte die Mutter. »Nehmen Sie Platz und erzählen Sie uns Ihre Neuigkeiten, während Ophelia hingeht, um Thee zu bereiten. – Wen bringen Sie denn da mit sich, Mr. Spikeman?«

»Meinen kleinen Neffen, Madame; er soll in die Geheimnisse des Messerschmiedhandwerks eingeweiht werden.«

»Wirklich? Ach, da sehen Sie sich vermutlich nach einem Nachfolger um und gedenken sich bald von den Geschäften zurückzuziehen und eine Frau zu nehmen, Mr. Spikeman?«

»Je nun, ich denke, das wird mit der Zeit wohl mein Geschick sein«, entgegnete Spikeman; »indessen ist's eine Angelegenheit, die Überlegung fordert.«

»Sehr wahr, Mr. Spikeman; 's ist eine ernstliche Sache«, erwiderte die alte Dame, »und ich kann Sie versichern, daß weder Ophelia noch Amelia mit meiner Zustimmung einen Mann nehmen darf, wenn ich nicht überzeugt bin, daß es der Freier als eine sehr ernste Angelegenheit betrachtet; sie macht oder verderbt den Mann, wie es im Sprichwort heißt.«

»Wie steht es mit den Büchern, die ich Ihnen bei meinem letzten Besuche mitgebracht habe, Miß Amelia – haben Sie sie gelesen?«

»Ei ja, beide Mädchen sind damit fertig geworden«, versetzte die alte Dame; »sie sind große Freundinnen von Poesie.«

»Aber wir haben oft gewünscht, Sie möchten hier sein und uns vorlesen«, entgegnete Miß Amelia; »Sie lesen so schön. Vielleicht haben Sie nach dem Thee die Güte?«

»Gewiß, mit vielem Vergnügen.«

Miß Ophelia trat nun mit dem Theezeuge ein. Sie und ihre Schwester begaben sich sodann in die Küche, um Röstschnitten zu machen und nach dem Kessel zu sehen, während Mr. Spikeman mit der Mutter fortplauderte. Mrs. James war die Witwe eines Schnittwarenhändlers in selbiger Stadt, der ihr nach seinem Tode hinreichende Mittel hinterlassen hatte, um mit ihren Töchtern ruhig und anständig zu leben. Die letzteren waren sehr gute, liebenswürdige Mädchen und würden, wie nicht in Abrede gestellt werden kann, gern auf Mr. Spikemans Bewerbungen gehört haben, wenn er Lust gehabt hätte, dergleichen vorzubringen; sie begannen jedoch bald zu bemerken, daß es Mr. Spikeman nicht ums Heiraten zu thun war – eine Thatsache, deren Gründe dem Leser bereits bekannt sind.

Der Abend entschwand sehr angenehm. Mr. Spikeman nahm einen Band Gedichte und las, wie Miß Ophelia gesagt hatte, sehr schön vor – und zwar so, daß Joey nicht genug staunen konnte, denn er hatte noch nie den Eindruck gefühlt, der durch gutes Lesen hervorgebracht ward. Um zehn Uhr verabschiedeten sie sich und kehrten nach Spikemans Wohnung zurück.

Sobald sie droben und die Lichter angesteckt waren, setzte sich Spikeman auf das Sofa nieder.

»Du siehst, Joey«, sagte er, »daß man des Schleiferkarrens nicht erwähnen darf, sonst würde man mich wohl ganz anders empfangen. Kein Gentleman erwirbt seinen Unterhalt so ehrlich, als ich, und doch lassen sich Vorurteile nicht überwältigen. Du hast Dich freundlich gegen mich erwiesen, und ich möchte mich dafür dankbar erweisen; ich kann's aber nicht, ohne Dich in dieses kleine Geheimnis einzuweihen. Indessen glaube ich, genug von Dir gesehen zu haben, um Dich für zuverlässig halten zu dürfen.«

»Ich hoffe, Ihrem Vertrauen keine Unehre zu machen«, versetzte Joey; »so jung ich auch bin, habe ich doch Behutsamkeit gelernt.«

»Das ist mir nicht entgangen – und deshalb genug über diesen Gegenstand. Aber ich habe nur ein einziges Bett, und Du mußt bei mir schlafen, wie während der Zeit unserer Wanderung.«

Des andern Morgens brachte die alte Hauswirtin das Frühstück herauf. Spikeman lebte sehr behaglich und ganz anders, als auf seinen Professionsreisen; überhaupt schien er Joey gar nicht mehr derselbe Mann zu sein, mit dem er unterwegs zusammengetroffen – seine Unterhaltung ausgenommen, welche von Anfang an über seinen Stand erhaben war. Sie blieben einige Zeit in Dudstone, besuchten unterschiedliche Häuser und waren überall wohl aufgenommen.

»Sie sind in dieser Stadt augenscheinlich so gut bekannt und so allgemein beliebt«, bemerkte Joey, »daß ich mich nicht genug wundern kann, wie Sie nicht ein Geschäft begründen mögen, namentlich, da Sie, wie Sie sagen, Geld in der Bank haben.«

»Wenn ich das thäte, Joey, so wär's mit meinem Glücke vorbei; ich wäre nicht länger mein eigener Herr, könnte nicht mehr thun, was ich wollte, und würde überhaupt nicht länger so viel als möglich der Gentleman von Profession sein – daß heißt, ein freier Mann, der seine Freiheit genießt. Nein, nein, Knabe; ich habe fast alles versucht und bin auf eigene Schlüsse gekommen. Hast Du das Buch gelesen, das ich Dir gegeben habe?«

»Ja, ich bin beinahe fertig damit.«

»Es freut mich, zu sehen, daß Du ein Freund vom Lesen bist. Nichts ist so geeignet, den Geist zu veredeln und zu erweitern. Du mußt keinen Tag entschwinden lassen, ohne daß Du ein paar Stündchen liesest; und wenn wir dann wieder auf die Wanderung ausgehen und so allein neben der Landstraße sitzen, können wir gemeinschaftlich lesen. Ich will zu diesem Zwecke einige Bücher auswählen.«

»Ich möchte wohl auch gerne an meine Schwester Mary schreiben.«

»Thue das und sage ihr, daß Du ein Unterkommen gefunden hast; nur braucht sie nicht gerade zu wissen, welches. In dem Schubfache dort sind Schreibmaterialien. Halt, ich will sie Dir holen.«

Spikeman ging nach der Kommode, und als er Federn und Papier herausnahm, fiel ihm ein Manuskript in die Hand.

»Beiläufig«, fuhr er lachend fort, »ich sagte Dir, Joey, daß ich der Schreiber eines Kapitäns an Bord des ›Wiesel‹, einer Vierzehnkanonenbrigg war. Ich mußte die Depeschen des Kapitäns schreiben, und da sind ein paar, die ich kopierte, um gelegentlich darüber lachen zu können. Ich schrieb alle seine Briefe, denn erstlich war er kein großer Federheld, und zweitens verwirrten sich seine Gedanken dermaßen, daß er nicht damit zustande kommen konnte. Er war mir ohne Frage sehr verpflichtet, wie Du zugeben wirst, wenn Du hörst, was ich Dir zu sagen habe. Ich diente unter ihm, als er in dem Kanal kreuzte, und schmeichle mir, daß er nur meiner Feder seine Beförderung verdankte. Er ist jetzt Kapitän Alcibiades Ajax Boggs, und zwar ausschließlich durch mich. Wir kreuzten an der französischen Küste in der Nähe der Insel Quessant, wo wir einen Haufen kleiner Fahrzeuge, Chasse-marées genannt, welche mit Wein beladen waren, bemerkten, und da wir nichts von in der Nähe liegenden Batterieen wußten, so liefen wir darauf los, um sie zu nehmen. Wir schnitten drei davon ab, hatten sie aber kaum durch unsere vollen Lagen gezwungen, ihre Segel zu kürzen, als plötzlich eine Batterie, von der unser Kommandeur keine Kunde hatte, ihr Feuer gegen uns eröffnete. Wir suchten sobald als möglich außer Schußweite zu kommen, aber noch ehe uns dies gelang, flog eine Kugel aufs Deck und zertrümmerte die Marssegelziehtaufalle, als die Leute eben das Segel aufhißten, denn wir hatten ein anderes Reff ausgeschüttelt; das Tau zerriß, als die Matrosen eben daran zogen, weshalb sie natürlich einer über den andern aufs Deck purzelten. Die andere Kugel traf unsern Fockmast und riß einen großen Splitter ab; auch beschädigte sie außerdem noch eine der Wände und das Signalziehtau. Nun, Du bist mit dem Schiffswesen zu wenig bekannt, um zu begreifen, daß nur sehr wenig Schaden geschehen, oder daß die Chasse-marées nur ganz kleine Küstenlugger sind, die nur mit drei oder vier Matrosen bemannt werden; es war daher nötig, die Sache ein bischen zu modeln, um eine flammende Depesche herauszukriegen. Aber ich wußte es zu machen; höre nur – ich habe in einem wahren Nelsonstil angefangen.

 

An den Sekretär der Admiralität.

»Sir, – es hat dem Herren über das Geschick der Völker gefallen, durch die Bemühungen des Schiffes, das ich zu kommandieren die Ehre habe, Sr. Majestät Waffen einen entschiedenen Sieg zu verleihen. Am dreiundzwanzigsten August bemerkten wir bei westlichem Winde Südwest, dreiviertel West, drei oder vier Seemeilen von Quessant eine feindliche Flotte, aus Dreimastern bestehend, welche die Spitze umfuhr, mutmaßlich um den Hafen von Cherbourg zu gewinnen. Überzeugt, daß ich von den tapferen Offizieren und den wackeren britischen Matrosen unter meinem Kommando allen Beistand erwarten dürfe, rückte ich alsbald zum Angriffe heran. Die Bewegungen des Feindes bewiesen aufs deutlichste, daß er erstaunt war über die Kühnheit des Manövers; statt seine Linie fortzusetzen, trennte er sich in den verschiedensten Richtungen, um unter den Schutz seiner Batterie zu gelangen.‹

 

»Du siehst, Joey, ich habe von Dreimastern gesprochen, worunter man allenfalls Kriegsschiffe verstehen kann, obschon wir's nur mit kleinen Küstenluggern zu thun gehabt hatten.«

 

»›In einer halben Stunde waren wir dem Hauptgeschwader nahe genug, um unser Feuer gegen dasselbe zu eröffnen; wir gaben eine volle Lage nach der andern, unseres Zieles sicher, und nahmen die Begrüßung der Küstenbatterieen entgegen. Trotz des ungleichen Kampfes habe ich das Vergnügen, Ihnen zu melden, daß es uns in weniger als einer halben Stunde gelang, die drei nachgenannten Fahrzeuge zu nehmen. Da wir nun fanden, daß nach gedachter Besitzergreifung nichts mehr für die Ehre von Sr. Majestät Waffen geschehen konnte, so hielt ich es für meine Pflicht, mich dem unablässigen scharfen Feuer der Batterieen zu entziehen.

»›Ich lebe der zuversichtlichen Überzeugung, daß in diesem glorreichen Kampfe kein Makel die britische Flagge befleckte. Welchen Verlust der Feind erlitten haben mag, weiß ich nicht anzugeben, indes gesteht er selbst zu, daß er sehr bedeutend gewesen ist.‹«

 

»Hatten denn die Franzosen Leute verloren?« fragte Joey.

»Pah, keine Klaue; aber Du bemerkst, daß ich nicht von Verlust an Menschen spreche, obgleich es die Admiralität so deuten konnte – dann war's jedoch natürlich nicht meine Schuld. Auch hatte ich vollkommen recht, zu sagen, daß der Verlust des Feindes groß war, denn die armen Teufel in den Chasse-marées rangen, als sie an Bord gebracht wurden, die Hände und sagten, sie hätten ihr alles verloren. Welcher Verlust kann nun wohl größer sein, als wenn man um sein alles kommt?

 

»›Durch die Sicherheit des feindlichen Feuers wurden auf Sr. Majestät Schiff Spieren und Takelwerk sehr beschädigt; eine der Tauwände ist zertrümmert, der Fockmast hat bedeutend Not gelitten, und mit Bedauern füge ich bei, daß auch der Rumpf beträchtlich Schaden genommen hat. Indes entwickelten Offiziere und Mannschaft eine solche Thätigkeit, daß wir, mit Ausnahme des Fockmastes, der des Dockenhofes bedürfen wird, nach vierundzwanzig Stunden in der Lage waren, den Kampf wieder aufzunehmen. Ich freue mich, berichten zu können, daß wir keine Toten haben, obgleich viele beschädigt wurden; doch hoffe ich, daß unter wundärztlicher Pflege die meisten bald im stande sein werden, ihren Dienst wieder anzutreten.‹«

 

»Aber Ihr hattet keine Verwundeten«, unterbrach ihn Joey.

»Keine Verwundeten? Ich sprach ja auch nicht von Verwundeten, sondern bloß von Beschädigten. Purzelten nicht ein Dutzend Leute rücklings auf das Verdeck, als die Falle zertrümmert wurde, wie sie eben das große Marssegel aufhissen wollten? Und meinst Du, man nehme bei einem Falle keinen Schaden? Ich konnte also mit Recht so sagen. Außerdem hatte sich ein Matrose beinahe den Finger abgeklemmt, und ein anderer verbrannte seine Hand, weil er auf die Zündpfanne seiner Karronade zu viel Pulver aufgeschüttet hatte. Ich fahre fort: –

 

»›Es wird nun meine Pflicht, Eure Lordschaften auf das sehr verdienstvolle Betragen des Mr. John Smith, eines alten und braven Offiziers, des Mr. Jonas James Hammond, des Mr. Croß und des Mr. Byflet aufmerksam zu machen. Überhaupt kann ich sagen, daß alle Offiziere unter meinem Kommando in ihren Anstrengungen für die Ehre der britischen Flagge wetteiferten.‹

 

»Du mußt wissen, der Kommandeur hatte damals mit einigen seiner Offiziere Streit und wollte sie nicht namhaft machen. Ich gab mir alle Mühe, ihn dazu zu bereden, aber er blieb hartnäckig.

 

»›Ich habe die Ehre die Liste der Beschädigten und die Namen der gewonnenen Fahrzeuge beizufügen und zeichne mich hochachtungsvoll als Ihren gehorsamsten Diener

Alcibiades Ajax Boggs.

»› Bericht über die Getöteten und Verwundeten an Bord von Seiner Majestät Brigg, dem ›Wiesel‹, bei Gelegenheit des Gefechts am dreiundzwanzigsten August: –

Getötet –
Niemand.

Wunden und Quetschungen –

John Potts,
William Smith,
Thomas Snaggs,
William Walter,
Peter Potter,
          tüchtige Matrosen.

John Hobbs,
Timothy Stout,
Walter Pye,
          Seesoldaten.

Namen der im Gefecht vom dreiundzwanzigsten August von Sr. Majestät Brigg, dem ›Wiesel‹, gewonnenen Fahrzeuge:

Notre-Dame de Miséricorde von La Rochelle;
Le Vengeur von Bordeaux;
L'Etoile du Matin von la Cherante.

(Unterzeichnet)

Alcibiades Ajax Boggs,
Kommandeur‹.«

 

»Nun, wahrhaftig, wenn Sie mich nicht des Gegenteils versicherten, so würde ich geglaubt haben, daß dies ein sehr harter Strauß gewesen sein mußte.«

»Gerade so erging es auch der Admiralität, und weiter wollten wir nichts. Aber nun komme ich zu einer andern Depesche, durch welche Mr. Alcibiades Ajax Boggs den Kapitänsrang erhielt und auf die ich mir nicht wenig zu gute thue. Du mußt nämlich wissen, daß wir, als wir während eines dichten Nebels im Kanale kreuzten und keinen sehr scharfen Lugaus hielten, gegen einen französischen Kaper anrannten. Es war gegen neun Uhr abends, und wir hatten nur wenige Leute auf dem Deck, die noch obendrein fast samt und sonders schliefen. Wir stießen scharf gegen einander und rannten uns gegenseitig Spieren und Raen ab. Der Kaper, der nach diesem Unfall bei weitem der behendere war, hieb uns einen ansehnlichen Teil unseres Takelwerks ab und machte sich wieder los, ehe noch unsere Leute aus dem Unterraum heraufkamen. Hätte sich der Feind hübsch umgesehen, so hätte er uns in bester Weise entern können, denn bei uns war alles voll Verwirrung und Erstaunen; so aber machte er sich wieder davon, noch ehe unsere Leute heraufkommen und nach ihren Kanonen laufen konnten. Der dicke Nebel entzog ihn bald unseren Blicken. Indes feuerten wir doch etliche volle Lagen in der Richtung, wo wir ihn vermuteten, und damit hatte die ganze Geschichte ein Ende. Du siehst, daß es im Ganzen keine sonderlich rühmliche Affaire war.«

»Gewiß nicht«, versetzte Joey; »auch sehe ich noch nicht ab, wie Sie etwas daraus zu machen wußten.«

»Nun, wenn Du nicht sehen kannst, so sollst Du hören: –«

 

An den Sekretär der Admiralität.

»›Sir, ich habe die Ehre, Ihnen zu melden, daß uns in der Nacht vom zehnten November, als wir mit Südostwind in einem starken Nebel kreuzten, ein großes Fahrzeug auf dem Luvbuge zu Gesicht kam.‹

 

»Du siehst, ich sagte nicht einfach, daß wir eines Fahrzeuges ansichtig geworden seien, denn das wäre nicht richtig gewesen.«

 

»›Da es uns augenscheinlich nicht bemerkte, so fuhren wir fort, darauf los zu steuern. Die Mannschaft wurde auf ihre Posten gerufen, und in kürzester Frist war alles bereit, die Ehre der englischen Flagge aufrecht zu erhalten. Das erste Zusammentreffen der beiden Schiffe war furchtbar; doch dem Gegner gelang es, sich wieder los zu machen, wodurch wir verhindert wurden, ihn durch Enterung zu nehmen. Nach wiederholten vollen Lagen, die er in seinem wehrlosen und verwirrten Zustande nicht erwidern konnte, vergrößerte er allmählich mehr und mehr seine Entfernung. Indes wäre er doch als eine stolze Trophäe in unseren Händen geblieben, wenn nicht das ungleiche Zusammenprallen‹ – (allerdings sehr ungleich, denn es war ein weit kleineres Schiff, als das unsrige) – ›unsere Fockraa, den Katzenkopf, die vordere Brumstenge, den Klüverbaum und den Dolphinstricker mit fortgenommen und uns in betreff unseres Takelwerks zu einem bloßen Wrack umgewandelt hätte. Ich bedaure, daß es dem Gegner trotz aller unserer Anstrengungen gelang, die dunkle Nacht und den dichten Nebel zu seinem Entkommen zu benützen und daß nach unseren eifrigen Bemühungen für die Ehre des Vaterlandes der Preis des Sieges unseren Händen entrinnen konnte.

»›Wo jeder in so musterhafter Weise seine Pflicht thut, wäre es nicht recht, ja sogar mit dem Gewissen nicht verträglich, einzelne auszuzeichnen; indes kann ich mich nicht enthalten, des guten Betragens zu gedenken, das Mr. Smith, mein erster Leutnant, Mr. Bowles, mein zweiter Leutnant, Mr. Chabb, mein würdiger Quartiermeister, Mr. Jones und Mr. James, die Maten des Quartiermeisters, die Herren Midshipmen Hall, Small, Ball und Pall, wie auch die Herren Freiwilligen Sweet und Sharp bei oben berührter Gelegenheit an den Tag legten. Ich erfreute mich noch weiter allen Beistandes von Mr. Grulf, des Proviantmeisters, der seine Dienste anbot, und kann nicht umhin, von dem Betragen des Schreibers, Mr. Spikeman, ehrenvolle Erwähnung zu thun. Desgleichen bin ich dem Wundarzte, Mr. Thorn, der in seinen Obliegenheiten von Mr. Green, seinem Gehilfen, so gut unterstützt wurde, für seine Aufmerksamkeit und seinen Eifer sehr verpflichtet. Die Thätigkeit des Hochbootsmannes, Mr. Bruce, verdiente das höchste Lob, und es wäre ein Akt der Ungerechtigkeit, wenn ich nicht den Eifer des Zimmermannes, Mr. Bile, und des Geschützmeisters, Mr. Sponge, Anerkennung zuteil werden lassen wollte. Der Quartiermeister James Anderson erhielt eine schwere Quetschung, befindet sich aber jetzt wieder wohl; ich hoffe, nicht für anmaßend gehalten zu werden, wenn ich ihn zu einer Hochbootsmanns-Bestallung empfehle.

»›Ich schätze mich glücklich, sagen zu können, daß unsere Beschädigungen nur gering waren, was dem außerordentlichen, panischen Schrecken des Feindes zugeschrieben werden muß. Damit habe ich die Ehre zu sein Ihr gehorsamster Diener

Alcibiades Ajax Boggs.

 

Verwundete:
Sehr schwer, James Anderson, Quartiermeister.

Quetschungen:
John Peters, ein tüchtiger Seemann.
James Morrison, Seesoldat.
Thomas Snowball, Kapitänskoch.‹«

 

»Siehst Du, das betrachte ich einmal als einen Kapitalbrief; kein Franzmann, nicht einmal ein Amerikaner hätte den Fall schöner herausstutzen können. Die Admiralität war überzeugt, daß eine sehr tapfere That geschehen war, obgleich sie der Nebel nicht ganz so klar erscheinen ließ, als wohl wünschenswert gewesen wäre, und die Folge davon war, daß mein Kommandeur Beförderung erhielt. So, jetzt schreibe Deinen Brief und sage Deiner Schwester, sie müsse ihn so bald wie möglich beantworten, da Du in drei oder vier Tagen mit mir auf Aufträge ausziehst und vor drei Monaten nicht wieder zurückkommen wirst.«

Joey schrieb an Mary einen langen Brief, teilte ihr das Abenteuer von den zwei Spitzbuben mit, die ihn hatten berauben wollen, und sagte ihr, daß er nachher mit einem Gentleman zusammengetroffen sei, der im Fache des Messerschmiedgewerbes Geschäfte mache und ihn in seine Dienste genommen habe; auch bat er, Spikemans Anordnung gemäß, um umgehende Antwort, da er demnächst mit seinem Meister eine Rundreise antrete, von der er lange Zeit nicht zurückkommen werde.

Marys Antwort langte noch vor Joeys Abreise an. Sie berichtete ihm, daß es ihr ganz gut ergehe und ihre Gebieterin sehr gütig gegen sie sei; freilich komme ihr die viele Arbeit sauer an, aber sie gebe sich alle Mühe, ihre Dienstherrschaft zufrieden zu stellen. Das Schreiben enthielt auch manchen guten Rat an Joey, manchen innigen Gefühlserguß, gelegentliche Rückerinnerungen an Scenen der Vergangenheit und Äußerungen des Dankes, daß sie nicht länger ihren Eltern unter dem Boden und ihrem Geschlechte Schande mache. In dem ganzen Briefe herrschte eine demütige Zerknirschung, welche der armen Mary zur Ehre gereichte und bewies, wie ernstlich sie es mit ihrer innigen Zuneigung zu unserem Helden und mit ihrem aufrichtigen Vorsatze meinte, auf dem rechten Wege fortzuwandeln.

Joey las ihn wieder und wieder, dabei Thränen der Wonne vergießend, wenn er sich die Auftritte der Vergangenheit zurückrief. Der arme Joey hatte mutmaßlicherweise Vater und Mutter für immer verloren, und es war ein beruhigendes Gefühl für ihn, zu wissen, daß es noch Menschen auf der Welt gab, die ihn liebten; er vertiefte sich in stundenlanges Träumen und dachte dabei an Mary, Mrs. Chopper und seine guten, wohlwollenden Freunde, die M'Shanes.

Zwei Tage, nachdem Marys Brief eingelaufen war, machten Spikeman und Joey bei ihren verschiedenen Bekannten Besuch und verabschiedeten sich mit der Mitteilung, daß sie ihren Rundgang anzutreten beabsichtigten. Spikeman bezahlte alles und stellte viele Gegenstände in seinem Zimmer, die zur Benützung herausgenommen waren, wieder an seinen Ort. Dann krochen er und Joey in ihre Reisekleider, warteten, bis es dunkel war, schlossen die Thür und brachen nach dem kleinen Wirtshause auf, wo der Scherenschleiferkarren eingestellt war. Spikeman hatte die Vorsicht beobachtet, sein Gesicht schmutzig zu machen – eine Maßregel, welche er auch Joey auferlegte. Als sie in das Wirtshaus traten, wurde Spikeman von dem Wirte mit Wärme begrüßt und mit der Frage empfangen, was er in der Zwischenzeit getrieben. Spikeman antwortete wie gewöhnlich, er habe seine alte Mutter besucht und müsse nun wieder ein wenig seinen Karren schleppen. Nachdem sie beim Küchenfeuer einen Trunk Bier zu sich genommen, begaben sie sich zu Bette, und am andern Morgen mit Tagesanbruch befanden sie sich abermals auf der Wanderschaft.


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