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Fünftes Kapitel.

Die Sünden des Vaters werden an dem Kinde heimgesucht.


In Todesängsten horchte Jane während der Abwesenheit ihres Gatten auf jeden Laut, der sich von außen vernehmen ließ; sie drückte alle fünf Minuten auf die Thürklinke und sah hinaus, in der Hoffnung, sie möchte ihn zurückkehren sehen. Aber je länger er ausblieb, desto mehr steigerte sich ihre Unruhe. Sie legte ihren Kopf auf den Tisch und weinte, ohne für ihre Angst Trost oder Linderung finden zu können; dann ließ sie sich auf die Kniee nieder und betete.

Noch immer lag sie in inbrünstigem Flehen vor dem Höchsten, als ein Schlag an die Thüre die Heimkehr ihres Gatten verkündigte. Ein störrisches Düster lag auf seinem Gesichte, als er eintrat. Er warf sein Gewehr nachlässig beiseite, daß es auf dem gepflasterten Fußboden klirrte und rasselte – eine Bewegung, aus welcher sie augenblicklich erkannte, daß ein Unheil geschehen war. Ohne ein Wort zu sprechen, warf er sich in seinen Stuhl, erhob die Augen gegen das Gebälk der Decke und schien, ohne, seines Weibes zu achten, in tiefe Gedanken zu versinken.

»Was ist vorgefallen?« fragte die zitternde Frau, indem sie ihre Hand auf seine Schulter legte.

»Frage mich nichts«, lautete die Antwort.

»Joey«, flüsterte das erschrockene Weib ihrem Knaben zu, »was hat er gethan?«

Joey blieb stumm, erhob aber seine Hand, auf welcher das rote Blut getrocknet war.

Jane stieß einen schwachen Schrei aus, sank auf die Kniee nieder und bedeckte ihr Gesicht, während Joey nach der Hinterküche ging, um die Spuren der schwarzen That zu entfernen.

Eine Viertelstunde verstrich, bis Joey zurückkehrte; er nahm auf seinem niedrigen Schemel Platz, und alle drei wagten kein Wort zu sprechen.

Zuverlässig giebt es einen Vorgeschmack der Strafe, welche dem Verbrechen bevorsteht. Wie fürchterlich waren nicht die Gefühle derjenigen, welche jetzt in der Hütte beisammen saßen! Rushbrook war augenscheinlich ganz betäubt, denn der Aufregung, welche ihn zu seiner Unthat gedrängt hatte, folgte jetzt die entsprechende Gegenwirkung – eine völlige geistige Abspannung. Jane fürchtete sich vor der Gegenwart und vor der Zukunft; wohin sie sich auch wenden mochte – vor ihren Augen stand der Galgen, vor ihren Ohren klirrten Ketten – und der Blick in die Zukunft ließ sie nichts als Verachtung, Elend und Gewissensbisse schauen. Sie fühlte nur für ihren Gatten; aber Joey, der arme Knabe, fühlte für beide. Selbst der Hund blickte zu dem Gesichte seines kleinen Gebieters auf, als wisse er, daß eine schnöde That begangen worden sei. Niemand wagte das Schweigen zu unterbrechen, bis endlich die Uhr der Dorfkirche zwei schlug. Sie fuhren auf – es war ein Warneruf, der sie an das Geläute der Totenglocke erinnerte – sie deutete auf Zeit und Ewigkeit! Die erstere machte aber bald ihre Rechte geltend, indem sie auf andere Gedanken führte. Ja, es war Zeit zu handeln! Noch vier Stunden, und es war Tag – das Blut des ermordeten Mannes flehte seine Mitmenschen um Rache an! Die Sonne beleuchtete dann die That der Finsternis – die Leiche wurde nach Hause gebracht – der Magistrat versammelte sich, und auf wen mußte der Argwohn fallen?

»Barmherziger Himmel! was ist anzufangen?«

»Man hat keinen Beweis gegen mich«, murmelte Rushbrook.

»Doch, Vater«, bemerkte Joey. »Ich ließ meinen Sack dort, als ich mich niederbückte, um den –«

»Schweige!« rief Rushbrook.

»Ja«, fuhr er bitter gegen sein Weib fort. »Das ist Dein Werk. Du mußtest mir den Knaben nachsenden, und nun wird ein Zeugnis gegen mich vorhanden sein. Dir habe ich meinen Tod zu danken.«

»O sprich nicht so – sprich nicht so!« versetzte Jane, auf ihre Kniee niederfallend, indem sie unter bittern Thränen das Gesicht in ihrem Schoße verbarg.

»Aber es ist noch Zeit«, rief sie aufspringend. »Joey kann hingehen und den Sack holen. Nicht wahr, liebes Kind, Du willst es thun? Du bist unschuldig und brauchst Dich nicht zu fürchten.«

»Lassen wir ihn lieber, wo er ist«, entgegnete Joey ruhig.

Rushbrook sah überrascht seinen Sohn an, und Jane ergriff ihn beim Arme. Sie fühlte sich überzeugt, daß der Knabe einen Grund für seine Worte hatte – vielleicht irgend einen Plan, durch den sich der Verdacht ablenken ließ – und doch, wie war es möglich? Der Sack war ein zu sprechender Beweis gegen den Thäter.

Nachdem sie dem Knaben ernstlich ins Gesicht gesehen, ließ sie seinen Arm fallen.

»Wieso, Joey?« fragte sie mit scheinbarer Ruhe.

»Weil ich die ganze Zeit über die Sache nachgedacht habe. Ich bin unschuldig und mache mir daher nichts daraus, ob sie mich für schuldig halten. Man weiß, daß der Sack mir gehört – das Gewehr muß ich aber ein paar Ackerlängen von der Stelle in einen Graben werfen. Habt Ihr Geld, so könnt Ihr mir einiges geben, wo nicht, so muß es auch ohne dies gehen. Aber Zeit haben wir nicht zu verlieren, und ich muß schon in zehn Minuten auf und davon sein. Morgen fragt ihr dann die Leute, ob sie nichts von mir gesehen oder gehört hätten, weil ich in der Nacht ausgegangen und nicht wieder zurückgekommen sei. Bis dahin habe ich einen hübschen Vorsprung, und vielleicht findet man den Hausierer nicht vor einigen Tagen. Unter allen Umständen bin ich aber doch schon eine geraume Zeit fort, und wenn man den Sack bei der Leiche und das Gewehr im Graben findet, seht Ihr, Mutter, so wird man glauben, ich hätte ihn getötet. Man weiß dann nicht, ob es aus Zufall geschehen ist und ich aus Furcht davongelaufen bin, oder ob ich es absichtlich gethan habe. Ich habe Euch nun meinen Plan mitgeteilt, Mutter, denn ich will den Vater retten.«

»Ach, und ich soll Dich nie wiedersehen!« rief die bekümmerte Frau.

»Das wäre möglich; indessen könnt Ihr ja nach einer Weile, wenn Gras darüber gewachsen ist, von hier wegziehen. Behüt' Euch Gott, Mutter: es ist keine Zeit zu verlieren.«

»Rushbrook, was sagst Du; was denkst Du davon?« sagte Jane zu ihrem Gatten.

»Der Bub' muß uns jedenfalls verlassen, Jane, denn siehst Du, ich habe Byres gesagt und er hat's ohne Zweifel auch dem Förster gesteckt, ich wolle, wenn ich mit ihm zusammentreffe, Joey mitbringen. Ich that dies, um ihn zu täuschen, und so wahr ich hier sitze, man wird den Knaben nötigen, als Zeuge gegen seinen Vater aufzutreten.«

»Freilich würde man das«, rief Joey, »und was könnte ich thun? ich würde es nicht wagen – und wäre, glaube ich, auch nicht im stande, eine Lüge zu sagen; und doch möchte ich auch meinen Vater nicht verraten. Was bleibt mir anderes übrig, als daß ich mich aus dem Wege mache?«

»Das ist wahr, also fort mit Dir, mein Sohn, und nimm den Segen Deines Vaters mit Dir – freilich eines schuldbelasteten Vaters; Gott möge mir verzeihen! Jane, gieb ihm alles Geld, das Du hast; verliere keinen Augenblick! Hurtig, Weib, hurtig!«

Rushbrook drängte in Todesängsten.

Jane eilte nach dem Schranke, öffnete eine kleine Sparbüchse und goß den Inhalt in Joeys Hand.

»Lebe wohl, mein Kind!« sagte Rushbrook, »Dein Vater dankt Dir.«

»Der Himmel behüte Dich, mein Kind!« rief Jane, den Knaben umarmend, und ihre Thränen rannen auf seine Wangen nieder. »Du wirst uns schreiben – nein! das darfst Du nicht! Barmherziger, barmherziger Gott, ich werde ihn nie wieder sehen.«

Mit diesem Ausruf sank die arme Frau ohnmächtig zu Boden.

Thränen traten Joey ins Auge, als er den Zustand seiner armen Mutter mit ansah. Er drückte noch einmal die Hand seines Vaters, nahm dann das Gewehr auf, ging zur Hinterthüre hinaus, jagte den Hund, der ihm folgen wollte, zurück, und eilte so schnell über die Felder, als ihn die Beine tragen wollten.


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