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Die Herzogin hatte beim Ausbruch des Wetters ihre Kinder holen lassen; das jüngste schmiegte sich an sie, die, von Kissen unterstützt, im Bette saß. Der Erbprinz stand mutig am Fenster und schaute in die blitzdurchzuckte Nacht hinaus, und den zweiten Prinzen hatte Klaudine auf dem Schoß.
Neben dem Erbprinzen stand der Herzog und horchte auf das Prasseln des Hagels und betrachtete die Wassermassen, die der Sturm an die Scheiben warf. Die Herzogin plauderte mit dem Kleinsten; im Nebenzimmer befanden sich Frau von Katzenstein, die Erzieherin der Prinzen und die Kammerfrau.
Als der Donner sich entfernte und der Regen nachließ, wurden die fürstlichen Kinder in ihre Zimmer entlassen. Der Erbprinz sah Klaudine einen Augenblick in das Gesicht.
»Haben Sie sich gefürchtet?« fragte er.
Sie schüttelte freundlich den schönen Kopf.
»Das gefällt mir«, sagte der schlanke Junge, »Mama fürchtet sich immer gleich.«
Die Mutter zog ihr Kind an sich.
»Fräulein von Gerold gefällt dir überhaupt?« forschte sie mit trübem Lächeln.
»Ja, Mama«, antwortete der Knabe, »wenn ich groß wäre, würde ich sie heiraten.«
Niemand lachte über dieses Kindeswort. Die Herzogin nickte: »Schlaft wohl, ihr lieben, lieben Kinder, Gott behüte euch!«
Als das Getrappel der kleinen Füße verhallt war, sagte sie leise: »Ich bin recht müde, Adalbert.«
Auch der Herzog empfahl sich. Er küßte seine Gemahlin auf die Stirn und verließ das Gemach. »Erwache gesund morgen!« sagte er noch.
»Ich verspreche es dir!« erwiderte sie freundlich.
Klaudine wollte sich mit Frau von Katzenstein in die Nachtwache teilen. Sie ging in das Zimmer, das man ihr angewiesen hatte, und zog sich ein bequemeres, wärmeres Kleid an. Dann kehrte sie zurück und saß neben dem Bette, still und geduldig.
Die Herzogin lag mit geschlossenen Augen. Die kleine Nachtuhr tickte leise. Das Bildnis der Madonna leuchtete matt herüber, des Mädchens Augen blieben hängen an diesem holden Antlitz und wanderten dann zu dem bleichen der Kranken. Dann sank ihr Kopf an das Polster, sie schloß die Augen und dachte nach.
Sie war wohl müde von der gestrigen Nacht. Ein leises traumhaftes Dämmern kam über sie, sie sah sich mit seinem Kinde auf dem Arme und fühlte seinen Dankeskuß auf der Hand und sie lächelte im Schlaf. Dann schreckte sie empor, und ein Grauen schlich durch ihren Körper. Sie sah in die Augen der Herzogin, die mit einem unheimlich forschenden Ausdruck auf sie gerichtet waren, so seltsam starr!
»Elisabeth«, fragte sie unter leisem Frösteln, »kannst du nicht schlafen?«
»Nein!« war die kurze Antwort.
»Soll ich dir vorlesen?«
»Nein, ich danke!«
»Willst du plaudern? Soll ich dir das Kopfkissen zurechtlegen?«
»Gib mir die Hand, Klaudine. War ich sehr unleidlich heute?«
»Ach, Elisabeth, das kannst du gar nicht sein!« rief das Mädchen und kniete neben ihr.
»Doch, doch! Ich fühle es. Aber dann – dann ist mein Herz krank und du mußt verzeihen.«
»Sag, Elisabeth, geschah dir ein Weh?«
»Nein. Ich dachte nur ans Sterben, Klaudine.«
»Oh denke das doch nicht!«
»Du weißt ja, Klaudine, daß wider die Liebe und den Tod kein Kraut gewachsen ist! Ich glaube, ich fürchte auch nicht den Tod, ich habe eher Angst vor dem Weiterleben.«
»Du bist überaus angegriffen, Elisabeth!«
»Ja, ja, und ich bin so müde. Du sollst auch schlafen, es ist besser, ich bleibe allein, bitte, geh! Die Kammerfrau wacht nebenan. Geh! Ich muß dich immer ansehen, wenn du hier sitzest.« Klaudine beugte sich betrübt über die fieberheiße Hand und zog sich zurück. Gegen Mitternacht schlich sie sich im Nachtkleide nach dem Krankenzimmer und lauschte hinter dem roten seidenen Vorhang, ob die Herzogin wohl schlafe. Es war alles still, aber als durch ihre Bewegung die Falten leise rauschten, wandten sich langsam die großen dunklen Augen der Kranken mit dem nämlichen starren fragenden Ausdruck wie vorhin zu ihr herüber. »Was willst du?« fragte sie.
Klaudine trat vor. »Ich ängstige mich um dich«, sagte sie, »verzeih!«
»Sage mir«, sprach die Herzogin völlig unvermittelt, »warum wolltest du anfänglich nicht nach Neuhaus?«
Klaudine war betroffen. Sie trat näher. »Warum ich nicht nach Neuhaus wollte?« wiederholte sie erglühend. Dann schwieg sie. Es war ihr nicht möglich zu sagen: weil ich Lothar liebe, und weil er mich kränkt, wo er mich sieht – weil er mir mißtraut, weil –
Die Herzogin wandte sich plötzlich um. »Laß, laß, ich will keine Antwort. Geh, geh!«
Ratlos wandte sich das Mädchen der Tür zu.
»Klaudine! Klaudine!« scholl es hinter ihr, herzzerreißend und bang. Die Kranke saß im Bette und breitete die Arme nach ihr.
Sie kam zurück, setzte sich auf das Bett und nahm die zarte bebende Gestalt in die Arme.
»Elisabeth«, sagte sie innig, »laß mich bei dir bleiben!«
»Verzeih mir, ach, verzeih!« schluchzte die Herzogin, das Mädchen küssend, ihr Kleid, das lange blonde Haar, das lose auf den Rücken herniederfiel, und ihre Augen. »Sage mir«, flüsterte sie, »sage es ganz laut, daß du mich liebhast!«
»Ich habe dich sehr lieb, Elisabeth«, sprach Klaudine und trocknete die großen Tropfen, die über das heiße erregte Gesicht der Kranken liefen, wie eine Mutter ihrem Kinde tut. »Du weißt überhaupt nicht, wie sehr, Elisabeth.«
Erschöpft sank die Herzogin zurück. »Ich danke dir – ich bin so müde!«
Klaudine saß noch ein Weilchen, dann, als sie glaubte, die Kranke schlafe, wand sie leise ihre Hand aus der der Freundin und verließ auf den Zehen das Gemach. Ein seltsames Grauen schlich ihr nach. Was war es mit der Herzogin? Dieses Anstarren, diese Kälte, diese leidenschaftliche Zärtlichkeit?
»Sie ist krank!« sagte sie sich.
Sie stand vor dem Spiegel, um das gelöste Haar zu befestigen – ein mißtrauischer Gedanke kam ihr, die Hand, welche die Schildpattnadel hielt, sank herunter. Dann schüttelte sie stolz die goldene Flut in den Nacken zurück. Weder sie noch die Herzogin waren kleinlich genug, an Klatsch zu glauben.
Eine jener ahnungsvollen unbegreiflichen Ideenverbindungen ließ blitzgleich die Erinnerung an das verschwundene Briefchen auftauchen. Ein dumpfes, ängstliches Herzklopfen überfiel sie im Augenblick. Dann lächelte sie – wer konnte wissen, in welchem Waldeckchen es vermoderte im Regen und Tau?
Sie nahm das kleine Gebetbuch, aus dem ihre Mutter schon allabendlich ihr Sprüchlein gelesen, und schlug irgend eine Seite auf: »Behüte mich, Herr, vor böser Nachrede und wehre meinen Feinden! Laß kein Übel mir und den Meinen begegnen und keine Plage unserer Wohnung sich nahen –« las sie und ihre Gedanken flogen nach dem friedlichen Hause, aus dessen Turmgemach die Studierlampe des Bruders in den Wald hinausschimmerte. Und von dort wanderten sie an das Bettchen des mutterlosen Kindes in Neuhaus. »Beschirme es auch ferner, lieber Gott, wie du es gestern behütet hast!« flüsterte sie und senkte die Augen wieder auf das Buch. »Erbarme dich der Kranken, die schlaflos auf ihrem Lager nach Linderung schmachten«, las sie weiter, »und aller Sterbenden, denen diese Nacht die letzte sein soll.«
Das Buch entglitt ihren Händen, eine eiskalte Furcht erfaßte sie – das entstellte Antlitz der Herzogin schaute sie plötzlich an.
Erst nach einer langen Weile richtete sie sich auf und hüllte sich fröstelnd in die Decken. Und sie ließ die Lampe brennen auf dem Tischchen, sie mochte nicht im Dunkeln bleiben.